Afghanistan

Teil 3: Das Leben in Afghanistan unter den Taliban

Ein Korrespondent des russischen Fernsehens hat kürzlich ganz Afghanistan bereist. Hier übersetze ich seine Reportagen aus einem Land, über das wir heute kaum etwas wissen.

Ich habe vor einigen Tagen angekündigt, dass ich russische Reportagen über das Leben in Afghanistan unter den Taliban übersetzen werde. Ein Korrespondent hat kürzlich das ganze Land bereist und jeden Sonntag wurde im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens eine seiner Reportagen ausgestrahlt. Ich habe die Reportagen übersetzt und veröffentliche nun jeden Tag eine davon.

In diesem dritten Teil ging es um das Leben des Nomadenstammes der Belutschen, die zwischen Afghanistan und Pakistan hin- und herziehen.

Beginn der Übersetzung:

Der russische Korrespondent Sergej Senin setzt seine Serie von Berichten über das Leben in Afghanistan unter der Taliban-Regierung fort. Diesmal ist er in die Berge gereist, zu den alten Nomaden, dem Volk der Belutschen.

Die Grenze zu Pakistan. Heute ist sie geschlossen. Der Grenzverkehr ist lebenswichtig, das weiß Pakistan. Und es nutzt die Not seines Nachbarn aus. Was in Kabul gekauft wurde, steht hier nun und wartet. Natürlich bieten sie, wie schon früher, an, die ohnehin schon billigen Waren noch billiger zu kaufen. Es geht nicht um Gefühle, es geht nur ums Geschäft.

Ein Tag Stillstand an dem Grenzübergang bedeutet für viele den Tod. Ärger liegt in der Luft. Es ist kein guter Tag, um Menschen auf der Straße zu befragen.

Es ist Mittagszeit, doch das Gebet ist wichtiger. Dieser Mann wäscht den Männern vor dem Namaz direkt in der Halle die Füße. Ist ihm das unangenehm? Nein, natürlich nicht. Man hat sich schon daran gewöhnt. Das Essen war gut. Und der, der die öffentliche Fußwaschung durchgeführt hat, ist der Besitzer dieses Lokals.

Wir haben schon gegessen, aber ich kann es mir nicht verkneifen, ein paar nette Worte an den Besitzer des Lokals zu richten. Er ist ein wunderbarer Mann, der alles auf afghanische Weise mehr oder weniger sauber hält. Hier gibt es die frischesten Lebensmittel, das Fleisch wird direkt vor der Tür gekauft, dort wird es in den Kesseln gekocht. Ich habe wirklich nicht verstanden, warum sie den Schaum nicht abschöpfen. Wahrscheinlich, damit es noch besser schmeckt.

Wir saßen an diesem Tisch. Er ist schon fast abgeräumt. Das Restaurant ist leer, die Mittagszeit ist vorbei. Die Leute sind wieder bei der Arbeit.

Nach weiteren drei Stunden Fahrt finden wir, was wir gesucht haben. Direkt an der Autobahn liegt ein Zeltplatz.

Das Wetter ist wirklich mies. Flacher, starker Regen. Und es ist kalt, eiskalt. Andererseits passt es ja zu den Lebensbedingungen dieser Menschen. Hier leben die Belutschi-Nomaden, ein kleiner Stamm aus zehn Millionen Menschen, die in Pakistan, Iran, Oman und Afghanistan leben.

Etwa 300 geflickte Zelte, etwa 60 Familien. Sie leben hier eine Jahreszeit lang, solange das Klima angenehm ist. Dieses Wetter empfinden sie als gut, denn es ist weder kalt noch heiß. Wenn es hier 50 Grad heiß wird, werden sie ihr Lager abbauen und Hunderte von Kilometern weiter verlegen, näher an die pakistanische Grenze.

Ein niedriger Felshügel schützt das Lager vor dem Wind. Wer in den 1980er Jahren hier gekämpft hat, weiß, wie gefährlich diese scheinbar harmlosen Hügel sein können.

Diese Wege waren es, auf denen die Mudschahedin herunterkamen, um unsere Kolonnen und unsere Leute anzugreifen. Sie haben auch von den Bergen aus mit Granatwerfern geschossen. Und es gab auch viele Rückzugsmöglichkeiten. Hier ist ein Felsen, man kann ja nicht sehen, was dahinter ist. Und hier ist ein riesiges Dorf, in dem man sich verstecken konnte, ohne gefunden zu werden.

Aber die Belutschen haben nicht mit uns gekämpft. Sie erhielten 1979 großzügige Hilfe aus Moskau und unterstützten danach unsere Soldaten. In den südlichen Provinzen Afghanistans stützten sich die Shuravi, wörtlich übersetzt Räte, russisch Sowjets, auf diese Stämme. Es sind Fälle bekannt, in denen die Nomaden die Mudschahedin nicht in ihre Gebiete ließen und gegen sie kämpften. Sie sind ein stolzes, willensstarkes aber armes Volk.

Für die Belutschen ist jetzt die Zeit des Überlebens. Wenn das Wetter wärmer wird und die Bergpfade besser begehbar sind, eröffnet sich die wichtigste Einnahmequelle: der Schmuggel. Sie schmuggeln alles von Autoteilen bis zu Waffen. Ihre Dienste sind gefragt, aber der Gewinn ist seltsam gering. Und er wird im ganzen Stamm aufgeteilt, es reicht gerade für das Essen für alle. Aber jetzt, wo die Bergpässe geschlossen sind, ernähren die Jungen alle.

Sie fahren von hier nach Kandahar, um dort etwa 1,50 Dollar am Tag zu verdienen. Es gibt hier eigentlich nicht so viele junge Leute im arbeitsfähigen Alter. Stellen Sie sich vor, Sie müssten ein Lager mit 60 Familien ernähren. Na ja, irgendwie überleben sie. Es ist natürlich die Hölle, wenn man die Kinder bei diesem Wetter sieht, die nicht mal Sandalen haben, sondern einfach barfuß laufen.

Ein Mädchen in Nationaltracht. Soweit ich weiß, tragen sie diese Kleidung, seit sie genäht wurde. Einige sind aus ihren Kleidern herausgewachsen. Es sind schreckliche Lebensbedingungen. Es ist unmöglich, das zu vermitteln und zu erklären, aber die Belutschen leben so seit Jahren, seit Jahrzehnten, seit ihrer Geburt. Sie haben kein Land, sie haben keine Häuser, sie haben nur Zelte, mit denen sie je nach Wetterlage quer durchs Land und ins benachbarte Pakistan ziehen. Die Grenze ist für sie mehr oder weniger offen, auf der anderen Seite in Pakistan haben sie auch Verwandte, ihre Familien, sie gehen frei über die Grenze. Und sie leben dort unter den gleichen schrecklichen Bedingungen. Das ist ihr Leben, das sind echte Herausforderungen.

Naibullah, ein Ältester, sagt: „Ich kann mich nicht erinnern, wann wir anders gelebt haben. Wir brauchen auch kein anderes Leben. Wir brauchen nur mehr zu essen, das ist alles.“

Eines der wichtigsten muslimischen Feste, Uraza Bayram, steht vor der Tür. Auch die Belutschen bereiten sich darauf vor.

Wir haben einen lokalen Bauernhof gefunden. Es ist fünf Quadratmeter groß. Die Lämmer wurden erst vor wenigen Monaten geboren. Alles ist für das bevorstehende Fest vorbereitet, und auch diese Menschen, die unter höllisch harten Bedingungen leben, werden das Fest feiern. Die Afghanen verlieren nie den Mut. Solange man lebt, hat man eine Chance.

Es gibt etwas, das die Belutschen für kein Geld der Welt verkaufen würden. In Moskau werden diese Hunde gezüchtet und die Züchter behaupten, sie seien reinrassig. Aber das hier ist ein echter Alabai. Er wächst heran, um zu einem Wächter des Lagers zu werden. Die Erziehung ist streng, so ein Hund muss wissen, wer der Herr im Haus ist.

Das Verhältnis zu den Tieren ist ein ganz besonderes. Nomaden essen nur wenige Male im Jahr zu besonderen Anlässen Fleisch, weil es zu teuer ist. Schafe und Ziegen werden nur für den Verkauf gezüchtet, Ziegen nur wegen der Milch.

Woher das Essen kommt, wissen wir schon, aber woher kommt das Wasser? Das ist wirklich steinzeitlich. Das Wasser kommt vom Himmel und man sammelt es. Zum Beispiel hier von der durchhängenden Zeltplane. Sie nehmen das Regenwasser, füllen es in Fässer und lagern es. Eine Woche, noch eine Woche, noch eine Woche, noch eine Woche, bis es wieder regnet.

Das mag Sie vielleicht überraschen, und ehrlich gesagt überrascht es mich auch. Seit das Lager hier ist, sind mehrere Babys geboren worden. In diesem Zelt gibt es viele Kinder, das kleinste ist drei Monate alt. Es gibt keine Medizin, keinen Arzt. Aber, so sagte uns der Anführer des Lagers, alles geschieht nach dem Willen Allahs.

„Das Leben ist nicht einfach. Wir haben nicht immer zu essen. Wir brauchen eigentlich alles. Aber andererseits haben wir Leben, und das macht uns glücklich. Unter der Decke ist meine Frau. Die einzige. Wenn ich Geld hätte, wäre sie nicht die einzige. Bisher schaffe ich es nur, sie zu ernähren“, sagt Zabihullah, einer der Nomaden.

Rauch im Zelt, der Kessel wird mit einem Deckel abgedeckt. Das Feuer muss immer brennen, denn wenn es ausgeht, werden alle im Zelt erfrieren. Oben ein Wasserkocher und der Herd selbst ist aus einer Luke eines sowjetischen Schützenpanzers gemacht. So schlau sind die Afghanen, sie benutzen alles, was sie gerade zur Hand haben.

Einer der Männer führt uns zu einem Zelt, in dem sich die Moschee befindet. Die Moschee ist eher ein Gebetszelt. Es ist wohl das sauberste und ordentlichste Zelt im ganzen Lager. Alle Matten sind gereinigt, die Teppiche liegen ordentlich. Fünfmal am Tag wird gebetet. Ich kann mir nicht vorstellen, worum diese Menschen Gott bitten. Wahrscheinlich um den nächsten Tag.

„Allah wird uns Regen geben, damit das Gras wächst, Allah wird uns sauberes Wasser geben und ein gutes Leben“, glaubt Abdullah.

Ich habe den Mann gefragt, was für ihn ein gutes Leben ist. Und wissen Sie, was er gesagt hat? Er sagte, wir leben gut, es fehle nur ein paar Zeltplanen, einige seien kaputt. Das kann man nicht verstehen. Man kann es nur erleben, wenn man neben ihnen steht.

Die Mutigsten haben schon gepackt und machen sich auf den Weg. Näher an der Grenze sind die Zeltlager der Nomaden leer. Es soll eine lange Reise werden, mindestens einen Monat. Aber es ist eine Möglichkeit, das Fasten im Ramadan zu brechen, denn Reisende dürfen essen und trinken. Und am Ziel wartet die Belohnung. Die Chance, sich den besten Lagerplatz und die beste Weide auszusuchen. Wahrscheinlich schon auf pakistanischem Gebiet.

Auch wir ziehen weiter. Wir werden Ihnen die inoffizielle Hauptstadt des neuen Afghanistan zeigen, das paschtunische Kandahar, und das an Pakistan grenzende Jalalabad. Sie werden die unterirdischen Grabstätten der afghanischen Königsfamilie sehen. Und wir werden Ihnen auf jeden Fall erzählen, wie die Taliban eines der schlimmsten Übel dieser Erde besiegt haben.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

4 Antworten

  1. privet Thomas,

    Schöne Reportage,

    Unvorstellbar das Nomadenleben im Gegensatz zu unserer zivilisierten Welt mit fließend Wasser und ganztägigem Stromversorgung.

    Zumindest in meiner Region fehlt das Bewusstsein dafür, dass nur die westliche Welt, die der goldenen Milliarde, es an einem an Nichts fehlt. An Grundversorgung, materieller Sicht, alles ist kaufbar.

    Aus dem Absatz: Das Wetter ist wirklich mies, ist es ein Übersetzungsfehler?

    Hier leben die Belutschi-Nomaden, ein kleiner Stamm aus zehn Millionen Menschen, die in Pakistan, Iran, Oman und Afghanistan leben.
    Zehn Millionen Menschen? Stimmt die Zahl?

    Der Bauernhof ist 5qm Meter groß? Wirklich so klein? Zahlendreher? Weiß nicht.

    poka

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