Im Krieg gegen Russland

Die Übersetzung des Artikels der britischen Times über die Kriegsbeteiligung Großbritanniens

Die New York Times hat vor zwei Wochen ausführlich über die Beteiligung der USA am Krieg gegen Russland berichtet. Am Wochenende hat die britische Times nachgelegt und ausführlich darüber berichtet, wie tief Großbritannien in den Krieg gegen Russland verwickelt ist.

Den Artikel der New York Times, der am 29. März den Umfang der Kriegsbeteiligung der USA am Krieg gegen Russland aufgezeigt hat, war so lang, dass ich seine Übersetzung in fünf Teile aufgeteilt habe, die Sie in chronologischer Reihenfolge hier, hier, hier, hier und hier finden.

Fast auf den Tag genau zwei Wochen später hat die britische Times nachgelegt und einen eigenen Artikel über den Umfang der Kriegsbeteiligung Großbritanniens am Krieg gegen Russland veröffentlicht. Der Artikel ist nicht so lang, wie der Artikel der New York Times, aber auch er ist lang und sehr detailliert.

Ich habe den Artikel der Times übersetzt. Morgen werde ich versuchen, Antworten auf die Frage zu finden, warum westliche Medien nun plötzlich all das bestätigen, was in Russland schon lange gesagt wird, nämlich dass Länder des Westens längst Krieg gegen Russland führen. Warum werden diese Informationen, deren Echtheit weder Washington noch London bestreiten, ausgerechnet jetzt an die Medien durchgestochen? Und es wird auch um die Frage gehen, bei welchen Fragen diese Artikel nachweislich die Unwahrheit berichten und worauf das hindeuten könnte.

Beginn der Übersetzung:

Die unbekannte Geschichte der zentralen Rolle des britischen Militärs in der Ukraine

Das Ausmaß der britischen Beteiligung an der Frühjahrsoffensive 2023 gegen Russland – mit Hilfeleistungen an die Ukraine in letzter Minute, mit Schlachtplänen und Geheimdienstinformationen – blieb weitgehend im Dunkeln. Bis jetzt. 

Im Frühsommer 2023, als die ukrainische Armee ihre lang erwartete „Frühjahrsoffensive“ lancierte, wurde der Codename für diesen entscheidenden Vorstoß nicht nach einer berühmten ukrainischen Persönlichkeit oder einem Ort benannt, sondern nach einem britischen Politiker.

Die sogenannte „Wallace“-Achse nahm Bezug auf den damaligen Verteidigungsminister Ben Wallace, der in den frühen Kriegstagen maßgeblich dazu beigetragen hatte, die Ukraine mit den benötigten Waffen zu versorgen. Seine Unterstützung trug ihm laut einer ukrainischen Militärquelle den respektvollen Übernamen „der Mann, der Kiew rettete“ ein.

Während Großbritanniens unerschütterliche Unterstützung für seinen osteuropäischen Verbündeten ein offenes Geheimnis war, blieb das Ausmaß des Engagements und des Einflusses von Wallace – kurzfristige Hilfeleistungen für Kiew, Hilfe bei der Ausarbeitung von Schlachtplänen und das Zusammentragen wichtiger Informationen über die Russen – weitgehend im Verborgenen. Bis jetzt.

Hinter verschlossenen Türen bezeichnen die Ukrainer die britischen Militärs als die „Gehirne“ der „Anti-Putin“-Koalition, die sich aus den USA, Großbritannien und Dutzenden anderer gleichgesinnter Nationen zusammensetzt. Großbritannien erwarb sich den Ruf, den Wagemut gezeigt zu haben, eigene Truppen in die Ukraine zu entsenden – in einem Umfang, wie es sonst niemand anderes tat. Die Rolle Großbritanniens im Ukrainekrieg ging jedoch tiefer, als viele Beobachter vermuten würden.

Vor allem aber kann die Times enthüllen, dass die USA der Ukraine zwar die besten Waffen und die präzisesten Zielkoordinaten für deren effektiven Einsatz lieferten, dass es jedoch gleichzeitig die britischen Militärs waren, die im Rahmen der Operation Scorpius im schwierigen Verhältnis zwischen Washington und Kiew für Ausgleich sorgten.

Die Schlüsselfiguren, von oben links nach rechts. Die Briten: Admiral Sir Tony Radakin, Verteidigungsminister Ben Wallace, General Sir Roly Walker, General Sir Jim Hockenhull und Generalleutnant Charlie Stickland. Die Amerikaner: General Christopher Cavoli, Lloyd Austin und General Mark Milley. Die Ukrainer: Waleri Saluschny, General Alexander Syrsky und Kirill Budanow

Hinter der Front

Etwas mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn präsentierten sich die Regierung unter Präsident Biden und ihre ukrainischen Verbündeten noch immer als eine tadellose, geschlossene Front. Doch hinter den Kulissen hatten sich seit Monaten die Spannungen zunehmend verschärft und im Frühsommer 2023 einen Punkt erreicht, an dem sie außer Kontrolle zu geraten drohten.

Die Ukraine hatte in der Zwischenzeit ihre Offensive mit einiger Verzögerung gestartet – ein Schlüsselmoment in diesem Krieg. Nachdem sie die Welt damit überrascht hatte, Russland in den frühen Tagen des Kriegs vor den Toren Kiews zurückgedrängt zu haben, sah die Ukraine nun eine Chance, im Donbass Boden zurückzuerobern und die Dynamik des zermürbenden Kampfes auf dem Schlachtfeld zu verändern. Doch es lief nicht gut.

An diesem Punkt begannen Admiral Sir Tony Radakin, ein staatlich ausgebildeter Bursche aus Oldham, und seine beiden „Leutnants“, Generalleutnant Sir Roly Walker und Generalleutnant Sir Charlie Stickland, sich den Respekt der Ukrainer und Amerikaner gleichermaßen zu verdienen.

Die Geschichte dieses entscheidenden Moments und der Rolle Großbritanniens begann jedoch bereits etwa sechs Monate zuvor.

Dezember 2022

Am 23. Dezember erhielt Radakin einen Anruf von seinem US-Kollegen General Mark Milley, dem Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs. Der Kriegsbeginn lag fast ein Jahr zurück, und Radakin, der charmante Optimist, und Milley, der Schlagkräftige und Mutige, kannten sich zu diesem Zeitpunkt bereits sehr gut.

Die Ukrainer hatten deutlich gemacht, dass sie im kommenden Frühjahr 2023 in die Offensive gegen Russland gehen wollten, was von der Öffentlichkeit als „Frühjahrsoffensive“ mit Spannung erwartet wurde. Sowohl die Amerikaner als auch die Briten hegten jedoch Zweifel an der Einsatzbereitschaft der Ukraine.

„Es war klar, dass sie es wagen würden“, sagte ein aktiver britischer Offizier, der mit den damaligen Gesprächen vertraut war. Die Logik lautete also: „Wenn sie es wagen, dann lasst es uns so wuchtig wie möglich machen.“ 

Während dieses Telefonats im Dezember teilte General Milley Admiral Radakin mit, die USA hätten beschlossen, die Offensive zu unterstützen und ihr volles Gewicht in die Waagschale zu werfen.

Januar 2023

Im darauffolgenden Januar, als sich rund 50 Länder in Ramstein trafen, um den militärischen Bedarf der Ukraine zu erörtern, kündigte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin an, dass die USA und andere NATO-Staaten ein umfangreiches Paket schwerer Waffen an die Ukraine liefern würden.

„Dies zeigt unser langfristiges Engagement, die Ukraine gegen die nicht provozierte Aggression Russlands zu unterstützen“, sagte Austin während einer Pressekonferenz. Das wurde als klares Signal für eine erwartete Eskalation des Krieges mit Russland gewertet. Das Weiße Haus kündigte daraufhin an, dass die USA 31 M1-Abrams-Panzer an die Ukraine schicken würden, um die russischen Streitkräfte zurückzudrängen. Damit wurde die seit Langem bestehende Zurückhaltung der USA gegenüber der Lieferung offensiver Panzerfahrzeuge an Kiew überwunden.

Großbritannien wiederum sagte zu, die Ukraine erstes als westliches Land mit Langstrecken-Marschflugkörpern vom Typ Storm Shadow zu beliefern, um deren Erfolgschancen auf dem Schlachtfeld zu erhöhen, so Wallace. Heimlich wurden britische Truppen entsandt, um ukrainische Flugzeuge mit den Raketen auszurüsten und die Truppen in deren Handhabung zu schulen. Es war nicht das erste Mal, dass britische Truppen vor Ort eingesetzt wurden: Einige Dutzend reguläre britische Soldaten waren bereits zuvor nach Kiew entsandt worden, um neue und zurückkehrende Rekruten im Umgang mit NLAWs einzuweisen. Das sind britische Panzerabwehrraketen, die im Februar 2022 zu Beginn der Invasion an Kiew geliefert worden waren. Obwohl britische Ausbildungstruppen seit 2015 in der Ukraine stationiert gewesen waren, mussten sie sich im Februar 2022 aus Sorge vor einem möglichen Angriff Russlands zurückziehen.

Die Gegenoffensive

Die bevorstehende Gegenoffensive sollte ein entscheidender Moment im Krieg werden. Innerhalb der Koalition herrschte Optimismus, dass dies die letzte Schlacht für die Ukraine sein würde und Präsident Putin dadurch zum Frieden gezwungen werden könnte.

Mai

In den Wochen vor dem geplanten Beginn der Offensive traf General Sir Jim Hockenhull, Leiter des Strategischen Kommandos und ehemaliger Chef des Militärnachrichtendienstes des Vereinigten Königreichs, Generalleutnant Kirill Budanow, den Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes. Sie besprachen, wie sie zusammenarbeiten könnten, um die Ziele der Gegenoffensive zu erreichen – und Hockenhull verfügte über hochsensible militärische Mittel.

Die beiden hatten sich etwa 2019 kennengelernt. Hockenhull, der 1986 in den Geheimdienst einberufen worden war und sich als junger Offizier in seinen frühen Dienstjahren auf Russland konzentrierte, hatte schon Jahre vor Beginn des umfassenden Krieges die Notwendigkeit erkannt, Beziehungen zu den Ukrainern aufzubauen. Beim Mauerfall 1989 hielt Hockenhull sich in Berlin auf und sah den aktuellen Konflikt bereits im Sommer 2021 kommen – als andere im Verteidigungsministerium ihm nicht glauben wollten.

„Er sah die Notwendigkeit, alles zu tun, um die Ukrainer auf das Kommende vorzubereiten“, sagte eine Quelle beim Militär und fügte hinzu, Hockenhull habe zusammen mit Ben Wallace maßgeblich dazu beigetragen, dass die Ukrainer die NLAWs bereits vor der Invasion in Dienst gestellt hatten.

Während Walker und Stickland bei der Planung helfen konnten, operierte Hockenhull im Verborgenen und trug entscheidende Informationen über die Russen zusammen. „Die Ukrainer brauchten genügend Informationen, um ihre Pläne effektiv umsetzen zu können. Sie brauchten einen Vorteil gegenüber dem zahlenmäßig überlegenen Gegner“, so eine Quelle.

Doch die Ukrainer hatten ein Problem: Geplant war, dass die gesamte Ausrüstung aus den USA, Großbritannien und anderen Partnerländern bis Ende März eintreffen sollte. Doch aus Ende März wurde Ende April – und schließlich Ende Mai.

„Die Ukraine wartete immerzu ab, bis sie die gesamte Ausrüstung vorliegen hatte. Wir sagten ihnen immer wieder: Ihr müsst einfach loslegen! Russland ist nicht stark. Ihr müsst es herausfordern – ihr habt genügend Ausrüstung“, berichtete eine Quelle beim britischen Militär. Zu diesem Zeitpunkt entsprach die Menge an Waffen, die die Ukraine für die Gegenoffensive erhalten hatte, jener, die der gesamten britischen Armee zur Verfügung steht.

Während die Zeit lief, nutzten die Russen die sich bietende Gelegenheit und verschanzten sich.

Juni

Als die Ukrainer Anfang Juni schließlich vorrückten, zeigte sich ein weiteres Problem. Radakin und seine US-Kollegen hatten die Strategie „aushungern, ausdehnen und angreifen“ empfohlen. Das erste Element – „aushungern“ – bezog sich auf gezielte Angriffe auf russische Logistikzentren, um den Nachschub zu schwächen. „Ausdehnen“ bedeutete, den Gegner durch Ablenkungsmanöver und Testangriffe entlang verschiedener Frontabschnitte zu überfordern. Eine dieser Achsen trug den Codenamen „Wallace“ „Die Lieferung von NLAWs, von Panzer und Storm Shadow – all dies geschah so früh wegen Wallace“, sagte ein Beamter.

Doch Wallace stieß gleichzeitig auf Widerstand – sowohl im Verteidigungs- als auch im Außenministerium. Dort befürchtete man, dass die Lieferung immer schwererer Waffen an die Ukraine die Spannungen mit Russland weiter verschärfen könnte. Der Kreml hatte bereits mit dem nuklearen Säbel gerasselt und im März angekündigt, taktische Atomwaffen in Weißrussland zu stationieren – zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion außerhalb des eigenen Territoriums.

Der letzte und entscheidende Schritt in der Strategie – „angreifen“ – erforderte eine konzentrierte Hauptanstrengung. Britische und amerikanische Planer rieten der Ukraine daher, ihre Streitkräfte und Feuerkraft an einem einzigen Punkt entlang der Kontaktlinie zu bündeln, um die besten Chancen auf einen entscheidenden Durchbruch zu erhalten.

Doch Präsident Selensky hatte andere Pläne. General Alexander Syrsky, der Kommandeur der ukrainischen Bodentruppen, überzeugte ihn, stattdessen eine Strategie zu verfolgen, die darauf abzielte, im Norden Chaos zu stiften und gleichzeitig im Südosten so tief wie möglich vorzudringen. Anstatt im Süden durchzubrechen – und die Landbrücke zwischen Russland und der besetzten Krim zu kappen –, teilten die Ukrainer ihre Kampfkraft auf. Zu keinem Zeitpunkt gelang es den Ukrainern, die russischen Linien zu durchbrechen. 

Die Ungeduld vor dem Einsatz

Dies frustrierte die Amerikaner ebenso wie die Tatsache, dass die ukrainischen Bodentruppen langsamer vorrückten, als von den USA gefordert.

„Die Amerikaner waren ungeduldig. Sie hatten ihre Kriegssimulationen durchgespielt, und für sie war es Zeit, loszuschlagen“, sagte eine ehemals hochrangige Quelle aus dem Verteidigungsministerium. Die Ukrainer gaben an, alle – einschließlich der Amerikaner und Briten – hätten die russische Verteidigung und die Gegebenheiten des modernen Schlachtfelds unterschätzt. Der Weg in die Schlacht war mit russischen Landminen übersät, und diejenigen, die versuchten, diese zu räumen, sahen sich zusätzlich der Gefahr eines Angriffs durch Drohnen ausgesetzt.

Der Kommandeur der ukrainischen Streitkräfte, General Waleri Saluschny, der Vorgesetzte von Syrsky, der ein Foto von Admiral Radakin an seiner Bürowand hängen hatte, versuchte verzweifelt, eine Krise bei der Moral zu bewältigen. Zu diesem Zweck, erklärte er den britischen Militärs, würden ukrainische Soldaten – viele Wehrpflichtige in ihren Dreißigern und Vierzigern statt in ihren Zwanzigern – nur drei Tage an der Front verbringen. Der erste Tag diente der Eingewöhnung. Am zweiten Tag rückten sie 200 bis 300 Meter vor, am dritten Tag konsolidierten sie ihre Position und waren bereit, diese an nachrückende, frische Truppen zu übergeben.

Ein langsames und mühsames Vorgehen, dachten sich die engsten Verbündeten. Anscheinend fragten sich die Amerikaner: „Was zum Teufel ist hier los?“, und drängten die Ukrainer dazu, „ein viel härteres Tempo vorzulegen“. An diesem Punkt erreichten die Beziehungen zwischen den Ukrainern und den Amerikanern einen Tiefpunkt. Milley und General Christopher Cavoli, Kommandeur der US Army in Europe and Africa, waren extrem frustriert über Sluschny. Dieser wiederum war frustriert über den Druck, den die Amerikaner ausübten.

Admiral Radakin brach einen lange geplanten Urlaub ab und ließ Wallace, mit dem er eng zusammenarbeitete, wissen, dass er in die Ukraine reisen müsse, um beide Seiten zusammenzubringen. Die Situation werde „zunehmend streitsüchtig“, soll Radakin zu ihm gesagt haben.

Geplant war, dass Radakin sich mit Saluschny zusammensetzt, die Ukrainer anhört und versucht, den Amerikanern deren Perspektive per Videokonferenz aus Kiew zu erklären. Er bestieg in Polen den Nachtzug nach Kiew, der noch aus der Sowjetzeit stammt, um persönlich mit Sluschny zu sprechen, der später der oberste Diplomat der Ukraine in Großbritannien und ein Favorit für die Nachfolge von Selensky werden sollte.

Es war ein ungewöhnlicher Krieg, in dem die USA mit starker Führung, aber aus der Distanz operierten und gleichzeitig außergewöhnliche Unterstützung leisteten, die jene ihrer Verbündeten weit übertraf. Fast von Anfang an wurde Biden mit der Befürchtung konfrontiert, dass die USA in der Ukraine stärker involviert seien, als die Regierung es zugeben wollte, und dass die Gefahr bestehe, dass es zu einem Stellvertreterkrieg mit möglicherweise nuklearen Folgen kommen könnte. „Diese Bedenken sind unbegründet“, sagte der Präsident im April 2022 gegenüber den Medien. „Sie spiegeln die Verzweiflung Russlands angesichts seines kläglichen Versagens wider.“ 

Im darauffolgenden Februar schloss sich Verteidigungsminister Lloyd Austin auf einer NATO-Pressekonferenz dieser Argumentation an und sagte: „Wir werden uns nicht in Putins selbstgewählten Krieg hineinziehen lassen.“

In den kommenden Monaten spielten die US-Planer die Frühjahrsoffensive durch. Die Amerikaner reisten nur noch selten in die Ukraine, da sie befürchteten, als zu sehr in den Krieg verwickelt wahrgenommen zu werden – im Gegensatz zu den britischen Militärs, denen die Freiheit eingeräumt wurde, bei Bedarf hinzureisen. Manchmal waren ihre Besuche dermaßen heikel, dass sie in ziviler Kleidung unterwegs waren.

Charmeoffensive

Zur selben Zeit, als der geheime Besuch von Radakin in Kiew stattfand, telefonierte Walker, ein ehemaliger Leiter der Spezialeinheiten, der einst von einer Bombe der Taliban schwer verletzt worden war, mit seinen amerikanischen und ukrainischen Freunden.

Zu dieser Zeit war er stellvertretender Generalstabschef und verantwortlich für Militärstrategie und -operationen. Walker galt unter seinen Zeitgenossen als „sehr intelligent“ und war bei den Ukrainern äußerst beliebt. Eine Quelle beim ukrainischen Militär sagte, er sei das „Superhirn“ hinter den britischen Schlachtplänen gewesen und eine „Inspiration“ für alle, denen er begegnete. Ein hochrangiger ukrainischer Beamter bezeichnete den ehemaligen Gardisten als „den General in pinkfarbenen Hosen“, nachdem er genau in solch einer Hose zu einem Treffen in Kiew erschienen war – sehr zur Belustigung der Ukrainer.

Walker war ein „Gläubiger“, sagte eine ehemals hochrangige Quelle. „Er war absolut einer der Besten. Er glaubte wie Wallace, dass man Russland zurückdrängen könne, glaubte, zu Beginn des Krieges, dass die Ukraine kämpfen und länger als drei Wochen durchhalten würde. Auch Radakin vertrat diese Überzeugung.“

August

Großbritanniens Diplomatie brachte beide Seiten schließlich wieder zusammen. Mitte August trafen sich Radakin, Saluschny und Cavoli persönlich an der polnisch-ukrainischen Grenze. In einem fünfstündigen Gespräch erarbeiteten sie Pläne für die Gegenoffensive und schmiedeten weitere Pläne für den Winter und das darauffolgende Jahr. Das war ein Hinweis darauf, dass sich die USA nicht so schnell zurückziehen würden. Kurz vor Weihnachten, etwa sechs Monate nach Beginn der Sommeroffensive, hatten Kiews Streitkräfte angesichts des erbitterten russischen Widerstands kaum Fortschritte erzielt. Und der Krieg ging weiter.

Im Laufe der Zeit lockerten Großbritannien und die USA ihre Beschränkungen für den Einsatz von Langstreckenwaffen wie der Storm Shadow gegen Ziele in Russland. Das Kommandozentrum für westliche Waffenlieferungen in die Ukraine wurde von einem entstaubten Dachboden in einem Gebäude aus dem Zweiten Weltkrieg in Stuttgart an einen US-Stützpunkt in Wiesbaden verlegt.

Sluschny, der mittlerweile nach London abkommandiert wurde, erinnerte sich, dass Wiesbaden zu „unserer Geheimwaffe“ wurde, um die operative Planung mit den Partnern abzustimmen und die für die Front notwendigen Ressourcen zu ermitteln.

Die Kriegssimulationen, in denen die Briten und die Amerikaner einbezogen waren, wurden fortgesetzt. Dabei wurde der Bedarf an Versorgung ermittelt und an London, Washington und andere europäische Hauptstädte übermittelt, während die britischen Stabschefs Fragen stellten, etwa ob ein bestimmter Angriffsplan funktionieren könne oder ob die Bedarfszahlen für bestimmte Operationen ausreichen würden. Admiral Radakin übernahm dabei eine umfassendere Rolle als die eines traditionellen Generalstabschefs und leitete die britischen Bemühungen in der Ukraine in der Regierung.

„Er war die Person, die sich darum bemühte, die USA bei der Stange zu halten und die Administration von Joe Biden in Bezug auf die Ukraine auf seine Seite zu ziehen“, erinnerte sich ein Kollege.

Diese Arbeit wurde fortgesetzt. Im August 2024 schickten die Ukrainer Truppen über die südwestliche russische Grenze in die Region Kursk, ohne die USA oder andere Verbündete darüber zu informieren. Laut einer Quelle aus dem ukrainischen Militär gab es Befürchtungen, dass Details des geplanten Angriffs auf Kursk nach Moskau gelangen könnten, nachdem im April 2023 in den USA Details der Sommeroffensive durchgesickert waren. Geheime Dokumente des Pentagons, die den gravierenden Mangel an Munition bei den ukrainischen Streitkräften offenlegten, wurden in sozialen Medien veröffentlicht, worauf auf beiden Seiten das Gefühl aufkam, dass das gegenseitige Vertrauen gesunken sei.

Tiefere Einblicke

Im britischen Verteidigungsministerium wurden unter der Führung von General Hockenhull Teams des strategischen Kommandos entsandt, um die Erkenntnisse aus der Ukraine für die Überprüfung der eigenen strategischen Verteidigung zu sammeln. „Die Ukraine hat einen hohen Preis für ihre Verteidigung gezahlt, aber sie hat uns auch einen Einblick in die moderne Kriegsführung gegeben“, sagte eine Quelle aus dem britischen Militär dazu.

Generalleutnant Roly Walker, der mittlerweile zum Generalstabschef befördert wurde, nahm die im Frühjahr und Sommer 2023 gewonnenen Erkenntnisse mit in die britische Armee, die er zu einer tödlicheren und agileren Streitmacht umgestalten will.

Admiral Sir Tony Radakin, der voraussichtlich im Herbst nach vier Jahren im Amt zurücktritt, hat Selensky etwa zehnmal getroffen. Selensky bezeichnete ihn liebevoll als „den Admiral“ und wies darauf hin, dass er kein General sei, wie die meisten ausländischen Militärs, die er üblicherweise trifft.

Ihr vorerst letztes Treffen fand am vergangenen Freitag im Büro des ukrainischen Präsidenten in Kiew statt. Dabei stellten Admiral Radakin, Generalleutnant Nick Perry, sein Chef für kombinierte Operationen, sowie ihre französischen Kollegen für den Fall eines Friedensabkommens mit Russland einen Plan für eine „Truppe für die Rückendeckung in der Ukraine“ vor.

Großbritannien und Frankreich beriefen am Donnerstag davor in Brüssel ein Treffen der Verteidigungsminister der „Koalition der Willigen“ ein, um diese Pläne mit 50 Nationen abzustimmen. Der derzeit amtierende britische Verteidigungsminister John Healey erklärte: „Auch wenn die heutigen Gespräche vertraulich sein werden, sind unsere Planungen realistisch und substanziell. Unsere Pläne sind gut ausgearbeitet.“

Während Großbritanniens Verpflichtungen für die Verteidigung der Ukraine zunehmen, sind einige darüber besorgt, wo dieser Weg enden wird. John Foreman, ehemaliger Verteidigungsattaché in Moskau und Kiew, zeigte sich besorgt über die drohende Aussicht auf eine unbefristete militärische Verpflichtung in einer „unbestimmten Mission“ in der Ukraine, die sich mehr als ein Jahrzehnt hinziehen könnte, sowie über die möglichen Auswirkungen auf die NATO.

„Wir müssen hier einen klaren Blick haben und dürfen uns nicht von Emotionen leiten lassen. Jetzt ist die Zeit für echte politische Klarsicht“, sagte Foreman. „Was ist die Mission? Wenn wir schließlich Soldaten vor Ort haben werden, um Sicherheit oder Abschreckung zu projizieren, was passiert, wenn ein Waffenstillstand scheitern sollte? Welches Risiko besteht für unsere Soldaten und was sind ihre Einsatzregeln? Was passiert als Nächstes, sobald Soldaten sterben? Es besteht das Risiko, dass wir in den Konflikt hineingezogen werden, und ich glaube nicht, dass der britischen Öffentlichkeit dieses Risiko wirklich bewusst gemacht wurde. Es ist leicht, in einen Krieg verwickelt zu werden, aber es ist schwerer, wieder herauszukommen.“

Am kommenden Freitag werden der britische Verteidigungsminister John Healey und sein deutscher Amtskollege Boris Pistorius bei einem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Brüssel die Führung übernehmen – mehr als zwei Jahre nach dem Treffen in Ramstein, bei dem Austin umfassende US-Unterstützung zusagte. Der derzeit amtierende US-Verteidigungsminister Pete Hegseth wird sich aus den USA per Video zuschalten, anstatt nach Europa zu reisen, um zu besprechen, wie die Ukraine als Nächstes bewaffnet werden soll.

Ein britischer Offizieller machte „Terminkollisionen“ dafür verantwortlich, obwohl die Abwesenheit von Hegseth als weiteres Zeichen dafür gewertet wird, dass die USA einen Schritt zurück machen – während sich Europa auf ein immer tieferes Eingreifen vorbereitet.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

4 Antworten

  1. ein sehr guter artikel der das bestätigt was wir bereits wissen . es wäre für mich und vielen anderen menschen aber wichtiger zu wissen , wie soll dieser krieg enden . das der westen nicht aufgibt ist ja erst einmal logisch . das selbe gilt für russland . und der eventuell neue bundeskanzler legt noch eine schippe der eskalation drauf .
    wie wird russland auf taurus reagieren ?

    1. Schrobenhausen auf NATO Gebiet verbrennen! Die Russen kommen nicht mit Panzer oder Soldaten, weil sie nichts brauchen was wir haben. Das was wir haben geht von allein nach Russland. Doch denke man daran, die Russen brauchen keine Kriegserklärung, der Feinstaatenklausel wegen.

  2. Ein Blick in die Tierwelt zeigt das ganze Dilemma: Die Falken sind laut und schrill, die Tauben sanftmütig und futterverfressen. Wenn die Tauben nur endlich ihre übermächtige Zahl für den Frieden einbringen würden!

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