Vorfall von Kertsch: Warum erkennt Russland die Entscheidung des Internationalen Seegerichtes nicht an?

Vor einigen Tagen verkündete das Internationale Seegericht, Russland müsse die ukrainischen Seeleute, die seit dem Vorfall von Kertsch in Russland inhaftiert sind, freilassen. Russland weigert sich. Wie begründen die Seiten ihre Argumente?

Zur Erinnerung: Beim Vorfall von Kertsch haben drei ukrainische Kriegsschiffe die russische Grenze verletzt und stundenlang nicht auf Funksprüche der russischen Küstenwache reagiert. Die Passage durch die Straße von Kertsch, deren Fahwasser keine zweihundert Meter breit ist, musste aus Sicherheitsgründen gesperrt werden. Erst nach Stunden brachte der russische Grenzschutz die ukrainischen Schiffe gewaltsam auf, verhaftete die Seeleute und beschlagnamte die Schiffe.

Danach stellte sich heraus, dass die Schiffe den ausdrücklichen Befehl hatten, die Grenze zu verletzen und Russland zu provozieren. Und das war keine russische Propaganda, der ukrainische Geheimdienst hat die russischen Meldungen darüber nicht bestritten, sondern sogar zugegeben, dass er Agenten auf den Schiffen hatte.

Das Internationale Seegericht ist nicht für militärische Zwischenfälle oder Streitigkeiten zuständig, sondern für die zivile Schifffahrt. Und genau hier liegt der Streitpunkt. Die Ukraine hat das Internationale Seegericht angerufen, um in dem Fall zu entscheiden, Russland bestreitet dessen Zuständigkeit, hat dazu eine Note eingereicht und nimmt an der Verhandlung nicht teil.

Die Entscheidung des Gerichts ist auch kein Urteil in der eigentlichen Streitfrage, es ist eher so etwas, wie eine einstweilige Verfügung. Der Streit in der Sache wird wohl noch sehr lange dauern, das Gericht hat Kiew und Moskau aufgefordert, bis zum 25. Juni die jeweilige Sicht auf den Vorfall schriftlich bei Gericht einzureichen.

Die Frage der Zuständigkeit des Gerichts ist jedoch tatsächlich die wichtigste Streitfrage. Es war ein militärischer Zwischenfall zwischen ukrainischen und russischen Kriegsschiffen. Demnach wäre das Gericht nicht zuständig. Da die Länder jedoch formell nicht im Krieg sind, kann man es formell auch anders sehen. Russland bezeichnet die Seeleute auch nicht als Kriegsgefangene, sondern klagt sie nach den Gesetzen an, die für Zivilisten bei illegalem Grenzübertritt zur Anwendung kommen. Das schwächt aus juristischer Sicht zwar wohl Russlands Argument, es handle sich um einen militärischen Zwischenfall, aber es ändert nichts daran, dass es ein militärischer Zwischenfall war und die Schiffe den Befehl an Bord hatten, einen solchen zu provozieren.

Es ist also wohl selbst für Juristen in diesem Fall schwer, eine eindeutige Antwort zu finden, ob das Gericht zuständig ist.

Russland wird der Aufforderung des Gerichts wohl nicht nachkommen, weil es die Zuständigkeit des Gerichts bestreitet. Das liefert der westlichen Presse jedenfalls wieder „Munition“ gegen Russland, wobei die komplizierte Kernfrage der Zuständigkeit des Gerichts in den entsprechenden Artikeln weitgehend ausgeblendet wird.

Vor allem in der deutschen Presse wird über die Hintergründe des Vorfalles nicht berichtet. Man findet kein Wort über die unbestrittene Grenzverletzung durch die ukrainischen Schiffe, kein Wort darüber, dass der russische Grenzschutz die Schiffe zunächst stundenlang versucht hat zu kontaktieren, während sie in den russischen Gewässern herumfuhren. Und erst recht kein Wort über die Befehle, die eindeutig zeigen, dass die ukrainischen Schiffe Russland zu einer Reaktion provozieren sollten.

Als der Spiegel vor einigen Tagen über das Urteil des Internationalen Seegerichts berichtet hat, stand über die Hintergründe dort nur zu lesen:

„Am 25. November vergangenen Jahres wurde eines der ukrainischen Boote vom russischen Grenzschutz, der dem Inlandsgeheimdienst FSB unterstellt ist, vor der Meerenge gerammt, die Schiffe dann festgesetzt. 24 Ukrainer wurden dabei festgenommen.“

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

3 Antworten

  1. http://www.welt.de/regionales/hamburg/article194161583/UN-Seegericht-Russland-soll-ukrainische-Matrosen-fre

    In diesem Artikel der Welt werden wohl die „Sachverständigen“ vor dem Seegericht gehört. Leider reichen meine Englisch-Kenntnisse für eine Übersetzung nicht aus. Ein Blick auf die Herkunft dieser „Sachverständigen“ dürfte denn auch Auskunft geben, warum sie geladen wurden! Um die Sicht der Ukraine zu bestätigen! Ob Russland nun für diesen Fall das Gericht anerkennt oder nicht, ist wohl eher nebensächlich, denn es übersteigt mein Vorstellungsvermögen, dass hier kein politisches Urtel gesprochen wird, denn die Richter (unter 20 Richtern ist wohl ein Russe) werden die USA und die NATO wohl kaum im Regen stehen lassen und zugunsten Russlands urteilen! Das würde nämlcih bedeuten, die USA und die NATO würden vor aller Welt wie begossene Pudel dastehen und ihre Behauptungen, Russland verletze erneut Internationales Recht, wären einfach falsch! Man erinnere sich an die von den USA verhängten Einreiseverbote gegen Richter des IStGH, weil die es wagten, US-Kriegsverbrechen in Afghanistan untersuchen zu wollen!
    Hier dürfte es eher darum gehen, per Urteil des Seegerichts die Straße von Kertsch und damit das Asowsche Meer zu einer Art internationalem Gewässer zu erklären, um der NATO und den USA das Recht einzuräumen, sich dort breitzumachen!

  2. Heute berichtete RT, dass die Ukraine die Straße von Kertsch zu einem internationalen Gewässer machen will. Sieht man sich absurde Argumentation der Richter an, wird der politische Charakter dieser Entscheidung überdeutlich! Das läuft also darauf hinaus, der NATO und den USA die Straße von Kertsch öffnen zu wollen!

  3. „Hauptsacheverfahren
    Das Hauptsacheverfahren setzt zunächst einen Antrag einer der Parteien voraus. Die inhaltlichen Anforderungen an diesen Antrag sind im Verhältnis zum IGH verhältnismäßig hoch. Er muss den Kläger, den oder die Beklagten sowie die Rechtsstreitigkeit bezeichnen und zudem vom Prozessvertreter der klagenden Partei abgezeichnet sein.[6] Da der ISGH nur bei Zustimmung beider Parteien über einen Fall verhandeln kann, ist die Zustimmung der beklagten Partei vor dem Beginn des Verfahrens abzuwarten. Zumeist ist es jedoch so, dass sich die Parteien vorab über den der Verhandlung zugrunde liegenden Sachverhalt verständigen und diesen dann in schriftlicher Form einreichen.

    Im nächsten Schritt legt das Gericht nach Abstimmung der Parteien fest, wie viele Schriftsätze eingereicht werden dürfen. Wenn alle Schriftsätze bei Gericht eingegangen sind, wird der Abschluss des schriftlichen Verfahrens festgestellt und ins mündliche Verfahren übergegangen. Den Abschluss des Hauptsacheverfahrens bildet ein Urteil, das in einer mündlichen Verhandlung verlesen wird. “
    Das steht bei wikipedia (ich weiß, eine fragwürdige Quelle) über den Internationalen Seegerichtshof. Damit ist das Verfahren obsolet, denn Russland wird nicht zustimmen, da es sich bei der Straße von Kertsch und dem Asowschen Meer und nach den Abmachungen zwischen der Ukraine und Russland um ein Binnengewässer handelt!

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