Balkan

Was bedeutet der Vertrag über militärische Zusammenarbeit zwischen Ungarn und Serbien?

Ungarn und Serbien haben einen Vertrag über militärische Zusammenarbeit geschlossen, der in der Balkan-Region für Aufsehen sorgt, in deutschen Medien aber kein Thema ist. Was steckt dahinter?

Es gibt Themen aus Europa, über die in Deutschland nicht berichtet wird und die ich daher in russischen Medien finde. Der Vertrag über militärische Zusammenarbeit zwischen Ungarn und Serbien, der auf dem Balkan für eine gewisse Aufregung sorgt, ist so ein Thema.

Daher übersetze ich einen Artikel des TASS-Korrespondenten in Ungarn, der das Thema erklärt.

Beginn der Übersetzung:

Ein Signal für den Balkan? Welche Bedeutung hat die militärische Zusammenarbeit zwischen Ungarn und Serbien?

Iwan Lebedew, Chef des TASS-Büros in Ungarn, über das Verteidigungsabkommen und die Spezialeinheiten in Banja Luka

Der Regierung von Viktor Orban wird vorgeworfen, sie wolle Ungarn in einen militärischen Konflikt auf dem Balkan hineinziehen. Diese Aussage wurde Ende April vom unabhängigen Abgeordneten Akos Hadhazy (der normalerweise mit der Opposition stimmt) gemacht. Anlass waren die Äußerungen des stellvertretenden Außenministers Levente Magyar über die Absicht, einen neuen Krieg in der Region zu verhindern.

Hadhazy und viele andere sahen darin die Bereitschaft Ungarns, auf der Seite Serbiens und der Republika Srpska (einer Entität in Bosnien und Herzegowina) zu intervenieren.

Für Frieden oder Krieg

Die Serben haben gute Beziehungen zu Ungarn, aber die Beziehungen zu fast allen Nachbarn in der westlichen Balkanregion sowie zu den Führern der EU in Brüssel sind nach wie vor angespannt.

„Ist Ungarn wirklich bereit, militärische Gewalt anzuwenden?“, fragte der Abgeordnete und veröffentlichte Auszüge aus bosnischen Zeitungen. Darin hieß es, Magyar habe während einer Reise nach Banja Luka, wo er mit dem Präsidenten der Republika Srpska Milorad Dodik zusammentraf, gesagt, dass Ungarn im Falle eines Konflikts in der Republika Srpska nicht abseits stehen würde und eingreifen müsste. Natürlich hat die ungarische Opposition versucht, daraus einen Skandal zu machen.

„Budapest behauptet offiziell, für den Frieden zu sein, aber gleichzeitig schickt es Spezialeinheiten nach Bosnien und unterzeichnet Verteidigungsabkommen mit Serbien“, empörte sich Hadhazy. Der Abgeordnete richtete eine Anfrage an den ungarischen Außenminister Peter Szijjarto und forderte eine Klärung der Situation.

Magyar selbst versuchte die Situation zu klären und antwortete, dass die Behauptungen „reine Lügen“ seien. „Ich habe weder in Bosnien noch anderswo jemals gesagt, dass Ungarn in irgendeiner Weise in einen möglichen Konflikt auf dem Balkan auf der Seite von irgendjemandem eingreifen möchte“, sagte der stellvertretende Außenminister und stellte klar, dass Ungarn einfach versuche, den Ausbruch eines weiteren Krieges in der Region durch Diplomatie zu verhindern.

Spezialeinheiten in Banja Luka

Dennoch kann das Thema noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden. In seiner Antwort ging Magyar weder auf die Entsendung ungarischer Spezialkräfte nach Bosnien und Herzegowina noch auf die von Hadhazy erwähnten Militärabkommen mit Serbien ein. Und diese Themen haben nicht weniger, sondern vielleicht sogar mehr Kommentare hervorgerufen – auch in Russland.

Bei den Spezialkräften geht es um die jüngste Reise von mehreren Dutzend Mitgliedern des ungarischen Antiterrorzentrums nach Bosnien und Herzegowina, die bei der Ausbildung der örtlichen Sicherheitsdienste helfen sollten. Ihre Mission fiel mit dem Urteil im Fall Dodik zusammen, dem vorgeworfen wurde, die Entscheidungen des Hohen Vertreters der internationalen Gemeinschaft im Land, Christian Schmidt, zu ignorieren. Der Präsident der bosnischen Serben wurde zu einem Jahr Haft verurteilt, und obwohl er das Urteil des Gerichts angefochten hat, droht ihm eine Verhaftung.

Orban, der freundschaftliche Beziehungen zu Dodik unterhält, sprach von einer „Hexenjagd“ und auf dem Balkan kursierten Gerüchte, dass ein Team von Spezialkräften aus Budapest eingeflogen worden sei, um ihn zu schützen. Da es sich um eine geheimdienstliche Angelegenheit handelt, hält sich die ungarische Regierung mit Kommentaren zu diesem Thema zurück, dementiert aber offenbar vorsichtshalber nicht die Behauptungen, sie könnte Dodik zu Hilfe kommen. Schließlich kennt die Geschichte Beispiele, in denen Politiker in aller Eile aus dem Land evakuiert wurden, wenn nicht im Kofferraum, so doch auf dem Rücksitz eines gepanzerten Wagens.

Die ungarische Regierung spricht auch nicht über das Militärabkommen mit Serbien, das auf Anregung des serbischen Präsidenten Alexandar Vucic fast als Abschluss eines „Militärbündnisses“ zwischen den beiden Ländern verstanden wurde. Indem sie sich in Wunschdenken üben, stimmten einige „Experten“ sogar dem Punkt zu, dass innerhalb Europas angeblich „eine Art Anti-NATO“ geschaffen werde.

Aufsehenerregende Worte und Standardvereinbarungen

In der Tat haben Serbien und Ungarn am 1. April in Belgrad ein Memorandum über die Umsetzung des Abkommens über die strategische Verteidigungszusammenarbeit von 2023 und den Plan für 2025, der 79 gemeinsame militärische Aktivitäten vorsieht – fast doppelt so viele, wie im vergangenen Jahr – unterzeichnet. Anschließend erklärte Vucic, die beiden Seiten bewegten sich „auf die Schaffung eines Militärbündnisses zu“.

Aber in Ungarn hat niemand so etwas gesagt. Und schon gar nicht hat man die Zusammenarbeit mit Serbien mit der Beteiligung an der NATO verglichen. Ungarn ist, wie die Regierung wiederholt bekräftigt hat, nach wie vor ein loyales Mitglied der NATO und betrachtet diese als Garantie für seine Sicherheit. Etwas anderes ist es, dass Ungarn – im Gegensatz zu anderen EU- und NATO-Ländern – keine Bedrohung seiner Sicherheit sieht, auch nicht von Russland.

So ist das aktuelle Abkommen mit Serbien nichts weiter als eine Konkretisierung der Rahmenabkommen von vor zwei Jahren. Es ist nicht von strategischer Natur und erlegt seinen Teilnehmern keine Verpflichtungen im Bereich der gemeinsamen Verteidigung auf, denn es gibt keine Klausel über gegenseitige Unterstützung. Solche standardisierten Abkommen sind üblich und werden häufig zwischen verschiedenen Ländern geschlossen.

„Folglich kann das nicht als Ausgangspunkt für die Bildung eines Militärbündnisses zwischen Serbien und Ungarn interpretiert werden. Obwohl der serbische Präsident seinen Wunsch geäußert hat, weitere Schritte in Richtung eines Militärbündnisses zu unternehmen, ist es aus mehreren Gründen unwahrscheinlich, dass das jemals zustande kommt“, sagte Ivana Rankovic vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik.

Sie erinnerte daran, dass Ungarn Mitglied der NATO ist und dass seine Verpflichtungen als Mitglied der Allianz Vorrang vor jeder bilateralen Zusammenarbeit haben. Serbien seinerseits wird nicht um einen Beitritt zur NATO bitten und beabsichtigt, im Einklang mit der 2019 angenommenen nationalen Sicherheitsstrategie neutral zu bleiben. Gleichzeitig nimmt Serbien am Programm Partnerschaft für den Frieden teil, das „die Grundlage für die praktische Zusammenarbeit zwischen der NATO und den einzelnen Staaten bildet“, so Rankovic gegenüber dem Online-Portal European Western Balkans.

Man muss auch berücksichtigen, dass Ungarn an einer Zusammenarbeit mit Serbien in Bereichen wie Energielieferungen, Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur und Bekämpfung der illegalen Migration interessiert ist. Ungarn erhält über Serbien russisches Gas über die Gaspipeline TurkStream, baut eine Ölpipeline nach Serbien, um russisches Öl über den südlichen Zweig der Druschba-Pipeline zu liefern, und setzt den Bau einer Hochgeschwindigkeitseisenbahn zwischen Budapest und Belgrad fort.

Gleichzeitig unterstützt Ungarn aktiv den Beitritt Serbiens zur EU und geht, wie mir ein Diplomat in Budapest sagte, „davon aus, dass das früher oder später geschehen wird“. Budapest geht davon aus, dass es dann einen weiteren wichtigen gleichgesinnten Partner in der EU haben wird.

Schützenpanzer BTR-80A und MiG-29

Das Verteidigungsabkommen zwischen den beiden Ländern steht nicht im Widerspruch zum NATO-Vertrag und beeinträchtigt nicht die Verpflichtungen Ungarns innerhalb der Allianz. Es ist bezeichnend, dass die Reaktion der NATO-Führung auf dieses Ereignis absolut gelassen war.

Ungarn braucht das Abkommen sowohl zur Stärkung seiner gemeinsamen Beziehungen mit Serbien als auch zur Entwicklung der militärtechnischen Zusammenarbeit, insbesondere für die mögliche gemeinsame Produktion und den Verkauf von Waffensystemen. Darüber hinaus planen Budapest und Belgrad, ihre Beziehungen im Bereich der militärischen Ausbildung und der Gesundheitsversorgung auszubauen.

Im Januar 2024 verkaufte Ungarn 26 Schützenpanzer des Typs BTR-80A russischer Produktion an Serbien, die das Land in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre als Zahlung einer Schuld von Russland erhalten hatte. Laut dem ungarischen Verteidigungsminister Krisztof Szalay-Bobrovnicky wurde das Geschäft im Zusammenhang mit der Erneuerung der militärischen Ausrüstung der ungarischen Armee und im Einklang mit dem Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich von 2023 abgeschlossen. Auf der Grundlage dieses Abkommens haben die Parteien eine Arbeitsgruppe für Rüstungsindustrie und -beschaffung eingerichtet.

Die ungarischen Streitkräfte wechseln zu neuer Ausrüstung, die den NATO-Standards entspricht, darunter der vom deutschen Unternehmen Rheinmetall entwickelte Schützenpanzer Lynx. Im August 2020 unterzeichnete Ungarn mit dem Unternehmen eine Vereinbarung über die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zur Herstellung dieser Schützenpanzer in einem Werk in Zalaegerszeg (Region Zala). Kurz darauf wurde beschlossen, dass die ungarische Armee 218 Lynx-Fahrzeuge im Gesamtwert von rund 2 Milliarden Euro kaufen wird.

Laut Marko Savkovic, leitender Berater am International and Security Affairs Centre (ISAC Fund) in Belgrad, „hat Serbien auch Ersatzteile für MiG-29-Kampfjets von Ungarn gekauft“. „Das ist im Zusammenhang mit den gegen Russland verhängten Sanktionen sehr wichtig, da unser Land nicht über solche Ausrüstung verfügt“, so der serbische Experte.

Die Antwort Belgrads

Normalerweise werden Dokumente wie das Memorandum vom 1. April auf der Ebene der Abteilungsleiter der Verteidigungsministerien unterzeichnet. Wie das ungarische Portál Telex berichtet, hat Serbien dieses Mal jedoch um eine höhere Ebene gebeten, und die Dokumente wurden von den Verteidigungsministern der beiden Länder, Bratislav Gasic und Krisztof Szalay-Bobrovnicky, unterschrieben. Das geschah im Beisein von Vucic.

Regierungsquellen erklärten gegenüber Telex, Belgrad wolle auf diese Weise dem bereits bestehenden Abkommen über militärische Angelegenheiten ab 2023 mehr politisches Gewicht verleihen. „Das liegt in erster Linie im Interesse der Serben, da sie dem Rest der Balkanländer signalisieren wollen, dass sie nicht allein sind“, so das Portal. „Vucic reagiere damit auf die Tatsache, dass die Verteidigungsminister Albaniens, Kroatiens und des Kosovo am 18. März in Tirana ein trilaterales Memorandum über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich unterzeichnet haben“, heißt es.

Serbische Experten bestätigen diese Ansicht. „Das ist die Antwort des offiziellen Belgrads“ auf die Erklärung von Tirana, Zagreb und Pristina, sagte Savkovic. Rankovic bezeichnete ihrerseits die Unterzeichnung des Dokuments mit Ungarn als „eine Botschaft, dass Serbien nicht von feindlichen Nachbarn bedroht wird“.

Wie das Abkommen zwischen Ungarn und Serbien umfassen auch die Vereinbarungen zwischen Albanien, Kroatien und dem Kosovo gemeinsame Militärübungen, militärische Ausbildung, Verbindungen zwischen Rüstungsindustrien sowie die Bekämpfung ausländischer Cyberangriffe und Desinformationskampagnen. Das einzige Problem ist, dass einer der Teilnehmer das nicht anerkannte Kosovo ist.

Trotz der Zusicherung des kroatischen Premierministers Andrej Plenkovic, dass sich die militärische Zusammenarbeit mit Albanien und dem Kosovo nicht gegen andere Länder richte, hat Serbien große Bedenken geäußert. Das serbische Außenministerium bezeichnete sie als „Militärbündnis“ und „grobe Provokation“.

Aber auch die militärische Annäherung Serbiens an Ungarn hat in der Region für Unmut gesorgt. Bosnien und Herzegowina erklärte, es werde den Abzug des ungarischen Friedenskontingents aus der EUFOR-Mission fordern, die in dem Land die Einhaltung des Dayton-Abkommens überwacht.

Die Lage auf dem Balkan, vor allem in Bosnien und Herzegowina, ist nach wie vor angespannt, die Staaten der Region erhöhen ihre Waffenkäufe, aber von einem erneuten Krieg ist nicht die Rede. Experten glauben, dass die lokalen politischen Eliten kein Interesse daran haben und nicht stark genug sind. Ich halte es für bezeichnend, dass die NATO-Führung Anfang April die Lage in der Region nicht auf die Tagesordnung des Treffens der Außenminister der Allianz in Brüssel gesetzt hat.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

2 Antworten

  1. Wir werden sehen…..

    Es gab schon einmal sowas – ein Vertrag zwischen Serbien, damals Jugoslawien – und Rumänien….. – und was ist passiert?!?

    Rumänien hat damals seinen Waffenbruder schmählich im Stich gelassen……

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