"Seltener Einblick in russische Bevölkerung"

Leserfragen zu einem besonders plumpen Stück Propaganda beim ORF

Der ORF hat einen Artikel veröffentlicht, dessen plumpe Art mich regelrecht verblüfft hat. Da viele Leser mir dazu Mails geschrieben haben, schauen wir uns das einmal genauer an.

Ich habe mehrere Mails von Lesern bekommen, die mich auf einen Artikel mit der Überschrift „Forschungsprojekt zu Krieg – Seltener Einblick in russische Bevölkerung“ hingewiesen haben, der auf der Seite des ORF erschienen ist. Der Artikel wirkt seriös, denn er berichtet über ein Umfrage, die eine Gruppe namens Public Sociology Laboratory in Russland durchgeführt haben will.

Das Ergebnis der Umfrage ist demnach, dass die Menschen in Russland ihrer Regierung misstrauen, sich unterdrückt fühlen, pessimistisch in die Zukunft blicken und gegen das russische Engagement in der Ukraine sind. Da der Artikel auf den ersten Blick so seriös wirkt, haben mich Leser per Mail gefragt, was von dem Artikel zu halten ist.

Also zeige ich hier, wie ich man recht einfach einschätzen kann, wie solche Artikel zu Stande kommen und wie seriös sie tatsächlich sind.

Die Protagonisten

Die Gruppe Public Sociology Laboratory wird in dem Artikel als die Gruppe genannt, die die „Umfrage“ gemacht hat, und am Ende des Artikels sind noch zwei weitere Links, die zum The Russia Program der George Washington University und zu RE:Russia führen. Alle diese Projekte haben gemeinsam, dass sie auf ihren Seiten nichts über ihre Partner und Finanziers berichten. Wer nicht weiß, was das für Organisationen sind, hat kaum eine Chance, herauszufinden, wer oder was dahinter steckt.

Allerdings kenne ich RE:Russia schon länger. Das Projekt wurde 2022 von einem russischen Oppositionellen namens Kirill Rogow gegründet, der seit 2022 in Österreich lebt und zu der Armee von Propagandisten gehört, die vor allem von dem rechtmäßig verurteilten Betrüger, ehemaligen russischen Oligarchen und Putin-Gegner Michail Chodorkowski finanziert werden. Rogow hat RE:Russia 2022 gegründet und sofort einen von einer Chodorkowski-Organisation gestifteten Journalistenpreis bekommen.

RE:Russia gibt auf seiner Seite immerhin an, von der Zimin Foundation unterstützt zu werden. Boris Simin (englische Schreibweise Zimin) ist in den 90ern zu Millionen gekommen, weil ihm eines der Mobilfunknetze Russlands gehörte. Er hat Russland längst verlassen und lebt in London. Nawalny hat 2020 in einem Interview erzählt, dass Simin einer seiner Finanziers war und das es Simin war, der die 70.000 Euro für den medizinischen Privatjet bezahlt hat, mit dem Nawalny einst nach Deutschland ausgeflogen wurde.

Simin gehört zu der Londoner Gruppe, zu der auch Chodorkowski und andere gehören, die eng mit Soros und anderen derartigen Organisationen zusammenarbeiten, die die radikale russische Opposition unterstützen und deren Ziel mindestens ein Regimechange in Russland, im „besten“ Fall aber die Zerschlagung des russischen Staates insgesamt ist. Von London aus werden viele derartige Aktivitäten koordiniert, dabei spielen auch Bellingcat und von Chodorkowski gegründete Portale wie meduza und andere eine Rolle.

Der ORF-Artikel befasst sich mit einer Umfrage, die das Public Sociology Laboratory in Russland durchgeführt haben will. Das Public Sociology Laboratory ist Teil des The Russia Program der George Washington University. Das The Russia Program wiederum ist Teil des George Washington’s Institute for European, Russian, and Eurasian Studies (IERES). Und dabei handelt es sich um eine stramm mit der NATO zusammenarbeitende Organisation, wie die auf ihrer Seite stolz schreiben.

Zu den Protagonisten, auf die sich der ORF-Artikel beruft, kann man also festhalten, dass sie alle entweder von der NATO oder der von ehemaligen russischen Oligarchen finanzierten und kontrollierten radikalen anti-russischen Opposition in London zusammenarbeiten.

Es ist immer gut zu wissen, wer der Auftraggeber solcher Artikel ist, wie der ORF hier einen veröffentlicht hat, aber das schließt ja noch nicht aus, dass da vielleicht trotzdem qualitativ gute Arbeit gemacht wurde. Also schauen wir uns nun den Artikel selbst an.

Schauermärchen als Basis

Der ORF-Artikel beginnt mit folgender Einleitung:

„Am 24. Februar jährt sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zum dritten Mal. Was die Menschen in Russland heute über den Angriff denken, lässt sich durch klassische Meinungsumfragen fast nicht herausfinden, politischer Druck und Unterdrückung sind dafür zu groß. Eine Gruppe von Soziologen hat sich deshalb undercover in drei russischen Regionen umgehört – und die Erkenntnisse in dem Projekt „Public Sociology Library“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.“

Die Einleitung über „politischen Druck und Unterdrückung“ in Russland bestätigt alle Klischees der Leser der deutschen und österreichischen Mainstream-Medien, ist aber Unsinn. Aber um das Gesagte zu unterstreichen, steht in dem Artikel auch noch:

„Denn wer in Russland eine abweichende Meinung zur „Militärischen Spezialoperation“ nennt, muss mit langen Haftstrafen rechnen. Daher sind auch normale Umfragen praktisch wertlos – niemand würde einem unbekannten Interviewer seine wahre Meinung über die Ereignisse verraten.“

Das ist totaler Unsinn, wie Leser des Anti-Spiegel (und jeder, der in letzter Zeit mal in Russland gewesen ist) wissen. In Russland kann bestraft werden, wer bewusst Unwahrheiten über die russische Armee verbreitet, aber nicht, wer gegen die Militäroperation oder die russische Regierung ist. Das sind die dummen Schauermärchen, mit denen plumpe Propaganda die Menschen im Westen beschallt, die aber nichts mit der Realität zu tun haben.

Aber der ORF-Artikel braucht genau diese Schauermärchen, denn darauf baut der ganze Artikel auf. Darin geht es nämlich darum, wie ach so unerschrockene Aktivisten des Public Sociology Laboratory angeblich heimlich und inkognito in drei russischen Regionen eine Umfrage durchgeführt haben, um herauszufinden, was die Russen angeblich so über ihre Regierung, ihr Leben und die Ukraine denken.

Eine seriöse Umfrage?

In dem langen ORF-Artikel erfahren wir über die Methodik der Umfrage in nur einem Absatz etwas:

„Schurawlew und einige seiner Kolleginnen und Kollegen mussten Russland inzwischen verlassen. Sie haben die Erkenntnisse und Daten der russischen Kollegen im Ausland analysiert und mit Unterstützung der amerikanischen George-Washington-Universität veröffentlicht. Ihre Eindrücke wurden akribisch dokumentiert, umfassende Transkripte der 75 Interviews zusammengestellt. So sollte ein klares Bild darüber gezeichnet werden, wie die Bevölkerung die Politik, den Krieg und ihr eigenes Leben einschätzen.“

Für eine halbwegs repräsentative Umfrage müssen mindestens tausend repräsentativ ausgewählte Menschen befragt werden, aber diese „Umfrage“, die dem ORF einen so langen Artikel wert war, basiert auf nur 75 Interviews. Mit anderen Worten: Das ist keine Umfrage, das ist reiner Bullshit, sorry.

Ich könnte hier in Russland morgen auch mit 75 Menschen sprechen und dabei könnte ich belegen, was immer ich will. Zum Beispiel könnte ich auf eine Konferenz der russischen Flacherdler gehen, mit 75 Menschen sprechen und mit so einer Umfrage belegen, dass 100 Prozent der Russen der Meinung sind, die Erde sei eine Scheibe. Sie können auch mal so eine Umfrage machen und beispielsweise Sonntags in drei deutschen Städten vor Kirchen 75 Menschen befragen und sie könnten in Ihrer Umfrage berichten, dass fast alle Deutschen gläubige Kirchgänger sind.

Es lohnt sich also nicht, auf den Inhalt des ORF-Artikels einzugehen, denn die Organisatoren der „Umfrage“ sind von der NATO und ehemaligen russischen Oligarchen finanzierte Propagandisten, die in ihrer „Umfrage“ genau zu dem Ergebnis gekommen sind, dass die Auftraggeber und Sponsoren hören wollen.

Und der ORF hat aus diesem Blödsinn einen im blumigen Relotius-Stil formulierten Artikel gebastelt, der seriös klingt, aber es bei näherem Hinsehen absolut nicht ist. Das ist reine Propaganda ohne jede objektive Grundlage.

Pessimismus und die Unsicherheit über die Zukunft?

Einen Lacher will ich aber doch erwähnen, denn lachen musste ich, als ich in dem Artikel folgendes gelesen habe:

„Die Erhebung zeigt: Was die Bevölkerung Russlands heute wirklich vereint, ist Pessimismus und die Unsicherheit über die Zukunft“

Ich lebe in Russland und egal, wo ich hinkomme, treffe ich in Russland auf Optimismus. Die Menschen in Russland blicken derzeit mit sehr großem Optimismus in die Zukunft. Nun ist das aber nur mein persönlicher Eindruck, der kaum objektiver ist, als diese aus 75 Interviews bestehende „Umfrage“.

In Russland kann man allerdings, anders als der ORF behauptet, sehr wohl Umfragen durchführen. Da im Westen gerne behauptet wird, Russland sei eine böse Diktatur, wo natürlich auch die Umfragen gefälscht seien, schaue ich mir immer die Umfragen des Levada-Zentrums an. Das Zentrum ist pro-westlich und in Russland aufgrund seiner Finanzierung aus dem Ausland sogar als ausländischer Agent eingestuft. Das Levada-Zentrum steht also nicht im Verdacht, böse „russische Propaganda“ zu verbreiten.

Levada veröffentlicht schon seit 1996 jeden Monat eine sehr interessante Umfrage, über die ich zuletzt vor einem Jahr berichtet habe, als die russischen Präsidentschaftswahlen anstanden. Da in der Umfrage seit 29 Jahren immer die gleichen Fragen gestellt und die Antworten über den gesamten Zeitraum grafisch gezeigt werden, kann man anhand dieser Umfrage von Levada sehr schön feststellen, wie sich die Stimmung in Russland in den letzten 30 Jahren entwickelt hat.

Eine Frage, die Levada seit 1996 monatlich stellt, ist die allgemein gehaltene Frage, ob die Menschen finden, dass sich das Land in die richtige Richtung bewegt. Vor einem Jahr haben 75 Prozent der Russen geantwortet, ihr Land bewege sich in die richtige Richtung. Das war ein Allzeitrekord, denn vor 2024 lag dieser Wert nie bei über 70 Prozent.

Heute, ein Jahr später, ist der Wert wieder ein wenig zurückgegangen und liegt aktuell bei „nur noch“ 71 Prozent. 71 Prozent der Russen sind der Meinung, ihr Land bewege sich in die richtige Richtung und blicken mit Optimismus in die Zukunft! Aber der ORF lässt die Propagandisten erzählen, die russische Bevölkerung vereine „Pessimismus und die Unsicherheit über die Zukunft“.

Wie wäre wohl das Ergebnis, wenn man die Menschen in Deutschland oder Österreich in einer Umfrage fragen würde, ob sich ihr Land ihrer Meinung nach in die richtige oder in die falsche Richtung bewegt?


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

15 Antworten

  1. Dankeschön für die aufklärenden Informationen.

    Zur dem Artikel zuletzt angeführten Frage m e i n e Einschätzung:
    In Deutschland jedenfalls wäre die Antwort:
    JETZT geht unser Land in die richtige Richtung.

      1. Die erste Gesprächsrunde dieser drei Parteien wurde wegen UNÜBERBRÜCKBARER DIFFERENZEN abgebrochen.
        Nach den verlogenen Scheinverhandlungen mit der FPÖ sollen nun gerade diese 3 die neue Regierung bilden.
        Mit einem Bundeskanzler von der Partei die vom Volk, als einzige, regelrecht abgewatscht wurde.
        Hoch lebe unsere Demokratie und unser Verständnis von Fairness, Offenheit, Wählerwillen, ……
        🤢🤮🤢🤮🤢🤮

        1. …mir stellt sich bei euch immer noch die Frage – wie viel Einfluß die Habsburger immer noch auf die Politik in Österreich haben, denn ich denke – auch da ist noch mächtig Dampf im Raucherzimmerchen…

  2. Das schlimme sind nicht die Lügen in solchen Umfragen (das verschweigen von Wahrheit ist auch Lüge) oder generell in den Nachrichten, das Schlimme ist die Tatsache, das die meisten, die diesen Schund lesen, die Lüge ohne Prüfung glauben.

    Drum haben Medien, unter anderem in Deutschland, nicht nur eine Mitschuld, sondern sind auch Haupttäter.

  3. Heute über Handy erhalten:
    „Wir nehmen Abschied von Klara Verstand, gestorben 23. 02. 2025
    Ihr Erbe geht an B.Scheuert; B.Kloppt und G.Stört“

    Hurra wir sind endlich wieder in der Parlamentarischen Demokratie und haben bald die
    REPRÄSENTATIVE DEMOKRATIE.
    Will dann heißen:
    Was geht mich mein Geschwätz von gestern an!
    oder
    Es ist mir egal, was meine deutschen Wähler denken!

  4. Die Goebbelsschnauzen von ARD/ZDF/ORF machen ihrem Vorgänger vom Reichspropagandasender alle Ehre. Was ich immer wieder kritisiere, wenn viele Mitbürger behaupten, dass man Zahlen muß. Das Einzigste, was im Leben muß, ist Sterben! Wenn man keinen Arsch in der Hose hat, bringt einem Jammern nicht weiter.

    1. „Das Einzigste, was im Leben muß, ist Sterben!“ Das ist meiner Meinung nach eine unzulässige Extrapolation aus der (nicht bewiesenen!) Annahme, dass alle bisherigen Menschen gestorben sind. Obwohl manche glauben, auf einen gewissen Jesus träfe das nicht zu. Außerdem gibt es Geschichten vom „Ewigen Juden“ …
      Aber: Selbst wenn alle bisherigen Menschen gestorben sein sollten, heißt das noch lange nicht, dass auch alle jetzt oder in Zukunft lebenden sterben müssen!
      q.e.d.

      😉

  5. Lieber Thomas, eine kleine, aber wichtige (Vorsicht: ironische) Korrektur:

    Anscheinend sind im wie üblich rückständigen Russland die neuesten Entwicklungen auf den Gebieten der theoretischen und der angewandten Mathematik nicht angekommen!
    Inzwischen gilt:
    – „Die Inflation sinkt; die Preise fallen.“
    – Wer als Hersteller von Waren nichts mehr produziert, ist nicht insolvent.
    – Eine Kehrtwende umfasst jetzt 360°.
    – Manche Länder auf dem Globus liegen „hunderttausende“ Kilometer entfernt.
    (Die beiden letzteren Beispiele sind offensichtlich Übertragungen aus der nichteuklidischen Geometrie hyperdimensionaler Räume, in der unsere Weiseste Außenministerin aller Zeiten – kurz: WeiAaZ! – zuhause ist. Wer das nicht versteht und sie für dumm hält, ist es also bloß selbst…)
    – Ein Kanzlerkandidat, der nur 12% oder so Wählerstimmen bekommen und sogar zuhause nicht gewählt worden ist, hat NUR dank der Intrigen der anderen verloren!
    – Überhaupt sind 30, 15, 13, oder 12% natürlich klare Siege durch Mehrheiten.

    Und so gilt denn auch im Beispiel aus dem Artikel:
    Natürlich sind 75 Interviews aussagekräftiger als 71% Zustimmung!
    Schließlich ist 75 ja wohl immer noch größer als 71, nicht wahr?
    q.e.d.

    😉

    1. PS: In Abwandlung eines alten Witzes:
      Lehrer: „Liebe Klasse! Diese Mathearbeit war ein DESASTER! 40% von Euch sind durchgefallen!!“
      Robi und Annalenchen: „Aber Herr Lehrer! So viele sind wir doch gar nicht!!“
      😉

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