Die Provokation mit dem 30-tägigen Waffenstillstand

US-Präsident Trump hat nach Amtsantritt behauptet, den Ukraine-Konflikt schnell lösen zu können und im März hat die US-Regierung bei Gesprächen mit der ukrainischen Regierung einen 30-tägigen Waffenstillstand ins Spiel gebracht. Kiew war nicht begeistert, hat die Idee aufgrund des amerikanischen Drucks dann aber unterstützt.
Russlands Reaktion war keineswegs ablehnend, aber Putin hat erklärt, warum das nicht so einfach ist. Erstens muss ein von beiden Seiten akzeptierter Mechanismus erarbeitet werden, der die Einhaltung des Waffenstillstandes an der über tausend Kilometer langen Frontlinie überwacht, und zweitens ist es für Russland inakzeptabel, wenn die Bedingungen des Waffenstillstandes vorsehen, dass Kiew seine Kräfte während des Waffenstillstandes umgruppieren, tiefer eingraben und mit frischen westlichen Waffen versorgen kann.
Darauf wollten der Westen und Kiew nicht eingehen, weshalb die Idee in der Praxis erstmal vom Tisch war. Außerdem funktionierte die Koordination zwischen den USA und der Europa in dieser Zeit nicht, denn während Trump versuchte, einen Waffenstillstand zu erreichen, haben Briten, Franzosen und andere in der EU fleißig eskaliert, indem sie eine „Koalition der Willigen“ ausgerufen haben, die im Falle eines Waffenstillstands Truppen in die Ukraine schicken solle, was für Russland bekanntlich vollkommen inakzeptabel ist.
Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass die Trump-Regierung das Interesse an der Ukraine verliert, weil es dort nicht die Fortschritte gibt, die Trump sich vorgestellt hat. Wem Trump dafür die Schuld gibt – Selensky oder Putin -, darüber gibt es widersprüchliche Äußerungen. Aber die Europäer wittern anscheinend Morgenluft und hoffen nun, die USA wieder auf die Seite der Ukraine in den Konflikt ziehen zu können.
Da der 30-tägige Waffenstillstand in den letzten Tagen im Westen wieder auf die Tagesordnung gehoben wurde, hat Kremlsprecher Peskow noch einmal erklärt, unter welchen Bedingungen das für Russland akzeptabel ist: Der Waffenstillstand soll Kiew keine einseitigen militärischen Vorteile bringen, daher ist Russland mit einem 30-tägigen Waffenstillstand nur einverstanden, wenn Kiew in der Zeit seine Zwangsmoblisierungen aussetzt und wenn der Westen in der Zeit keine neuen Waffen liefert.
Vor diesem Hintergrund war der Besuch des neuen deutschen Kanzlers Merz, des französischen Präsidenten Macron, des britischen Premierministers Starmer und des polnischen Ministerpräsidenten Tusk am Samstag in Kiew interessant. Selensky wollte das Treffen der „Koalition der Willigen“ eigentlich am 9. Mai als Konkurrenzveranstaltung zu den russischen Feierlichkeiten aus Anlass des 80. Jahrestags des Kriegsendes veranstalten, aber das war den Europäern anscheinend zu heiß und so sind sie einen Tag später nach Kiew gefahren.
Erklärungen am Samstagmorgen in Kiew
Am Samstagmorgen sind Merz, Macron, Starmer und Tusk in Kiew angekommen und Merz hat dem Statthalter der Bild-Zeitung in Kiew sofort in die Feder diktiert, es werde schwere Sanktionen geben, wenn Russland nicht auf den 30-tägigen Waffenstillstand eingeht. Und Merz sagte auch, wem er dabei Honig um den Bart schmieren will:
„Wir sind mit der amerikanischen Regierung einer Meinung, mit Donald Trump. Wir fordern einen 30-tägigen Waffenstillstand, um Zeit für die Vorbereitung von Friedensgesprächen zu haben.“
Sollte Moskau nicht reagieren und Friedensgespräche ablehnen, werde die Reaktion der EU, Großbritanniens und der USA gut koordiniert erfolgen, betonte Merz. Dann werde es zu einer massiven Verschärfung der Sanktionen kommen und die Ukraine werde politisch, finanziell und militärisch weiterhin massiv unterstützt, denn Merz meinte auch, dass zwischen den europäischen Verbündeten und den USA mittlerweile ein „überraschend hohes Maß an Übereinstimmung“ herrsche.
Merz widersprach Trump nur in einem Punkt: Wahlen in der Ukraine hält Merz derzeit nicht für nötig.
Der Kreml reagierte gelassen auf die Aussagen von Merz. Kremlsprecher Peskow erklärte nur, mit neuen Sanktionen könne man Russland keine Angst machen, Russland sei an die Sanktionen gewöhnt und wisse, wie es darauf zu reagieren hat.
Interessant war, dass auch Macron in Kiew ein Interview gegeben hat, in dem er plötzlich behauptete, die Entsendung von europäischen Truppen in die Ukraine habe nie auf der Tagesordnung gestanden. Im Interview mit dem Fernsehsender TF1 sagte er:
„Es geht hier nicht darum, Tausende, Zehntausende oder Hunderttausende europäischer oder westlicher Soldaten generell einzusetzen. Das hätte keinen Sinn.“
Europa wolle seine Solidarität auf strategische Weise unter Beweis stellen, so Macron. Er erklärte allerdings nicht, was er damit genau meinte.
Dafür relativierte er seine Aussage danach in einem anderen Interview, und sagte, einige tausend europäisch Soldaten sollten „zur Unterstützung“ in die Ukraine geschickt werden.
Es geht Macron und den anderen Mitgliedern der „Koalition der Willigen“ offensichtlich darum, einen Waffenstillstand von vorneherein unrealistisch zu machen, weil Russland der Stationierung westlicher Soldaten in der Ukraine niemals zustimmen wird. Genau das zu verhindern, war ja einer der wichtigsten Gründe, warum Russland in der Ukraine interveniert hat.
30 Tage Waffenstillstand?
Danach trafen sich Merz, Macron, Starmer und Tusk mit Selensky und haben US-Präsident Trump per Video zugeschaltet. In dem Gespräch hat Selensky die Bereitschaft bekundet, ab Montag, dem 12. Mai, einen 30-tägigen Waffenstillstand einzuhalten. Laut dem ukrainischen Außenminister Andrej Sybiga wurde dieser Vorschlag während des gemeinsamen Telefonats unterbreitet. Sybiga schrieb auf X:
„Die Ukraine und alle ihre Verbündeten sind ab Montag zu einem vollständigen und bedingungslosen Waffenstillstand zu Lande, in der Luft und auf See für mindestens 30 Tage bereit. Wenn Russland zustimmt und eine wirksame Überwachung gewährleistet ist, können ein nachhaltiger Waffenstillstand und vertrauensbildende Maßnahmen den Weg für Friedensgespräche ebnen.“
Vor allem der zweite Satz zeigt, dass ein Waffenstillstand ab Montag unwahrscheinlich ist, weil Russland unter den gegebenen Umständen kaum zustimmen würde. Und von einer „wirksamen Überwachung“ kann keine Rede sein, weil die Konfliktparteien – zumindest nach dem, was öffentlich bekannt ist – über die Modalitäten einer solchen Überwachung noch nicht einmal gesprochen haben.
Anschließend legte Macron nach, denn er erklärte, dass die Hilfe für die Ukraine ungeachtet des 30-tägigen Waffenstillstands, den die europäischen Staats- und Regierungschefs ab dem 12. Mai einführen wollen, fortgesetzt werden müsse. Auf einer Pressekonferenz sagte er:
„Wir gehen davon aus, dass ab Montag ein Waffenstillstand ohne Vorbedingungen in Kraft tritt. Danach werden alle Bedingungen für einen dauerhaften Frieden besprochen. Und genau das wird die Diskussion über diesen Frieden strukturieren. Aber das ist keine Vorbedingung für den Waffenstillstand.“
Ihm zufolge müsse die „Nothilfe für die Ukraine fortgesetzt“ werden. Und danach der „Aufbau einer langfristigen ukrainischen Armee, die in gewissem Sinne die erste Sicherheitsgarantie“ darstelle. Der Waffenstillstand, fügte Macron hinzu, müsse „bedingungslos sein“. Dafür gäbe „es keine Vorbedingungen, weder von Seiten der Ukrainer noch von Seiten der Russen“. Er müsse zu Lande, in der Luft und auf See 30 Tage dauern und unter der Aufsicht der USA stehen.
Ein Stopp der Waffenlieferungen an Kiew sei jedoch nicht in dem von der „Koalition der Willigen“ vorgeschlagenen 30-tägigen Waffenstillstand enthalten, fügte Macron auch hinzu:
„Wir lehnen die Möglichkeit irgendwelcher Zugeständnisse entschieden ab. Keine Vorbedingungen: kein Stopp der Lieferung von Waffen für Verteidigung und Widerstand, keine Vorwegnahme irgendwelcher Verhandlungen.“
Gleichzeitig drohte er erneut mit weiteren Sanktionen gegen Russland:
„Wenn Russland nicht zustimmt, drohen ihm zusätzliche Sanktionen und weitere Unterstützung für die Ukraine. Wir müssen ein neues Sanktionspaket vorbereiten, das sich von den anderen unterscheiden muss. Vielleicht sollten wir in den kommenden Tagen darüber nachdenken.“
Ein neues „Minsker Abkommen“?
Abgesehen davon, dass der Waffenstillstand ab Montag unwahrscheinlich ist, zeigen die Erklärungen vor allem eines: Es geht den Europäern nicht um Friedensverhandlungen, sondern um einen Vorteil für die Ukraine.
Gespräche mit Russland lehnen die Europäer weiterhin ab, der „Waffenstillstand“ ist nichts weiter als eine weitere Drohung gegen Russland mit Sanktionen, ohne irgendeine Form der Gesprächsbereitschaft auch nur anzudeuten.
Das erinnert stark an das Minsker Abkommen vom Februar 2015. Damals waren die Rebellen im Donbass auf dem Vormarsch und die ukrainische Front war nahe daran, zusammenzubrechen. Merkel hat damals die Verhandlungen in Minsk organisiert und das Ergebnis war das Minsker Abkommen, das die Kämpfe zwar nicht komplett beendet, aber die Rebellen von einem weiteren Vormarsch abgebracht hat.
Unter dem Vorwand, eine friedliche Lösung zu suchen, gab es danach immer wieder ergebnislose Verhandlungen im Normandie-Format zwischen Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland, während der Westen die Ukraine acht Jahre lang aufgerüstet und auf einen Krieg mit Russland vorbereitet hat. Das Minsker Abkommen wollten Kiew, Berlin und Paris nie umsetzen, es ging ihnen nur darum, Zeit zu gewinnen, um die Ukraine für einen Krieg gegen Russland aufzurüsten. Das haben alle Vertreter des Westens, die an den Verhandlungen in Minsk beteiligt waren, inzwischen offen gesagt.
Die heutige Situation erinnert stark an 2015: Die ukrainische Front ist kaum noch zu halten und der Westen versucht wieder, den Zusammenbruch der Front mit einem eiligen Waffenstillstand zu verhindern. Russland soll wieder in die gleiche Falle tappen, wie 2015 und einen Waffenstillstand akzeptieren, der nur den Sinn hat, Kiew aufzurüsten und (wieder) kampfbereit zu machen. Im Gegensatz zu 2015 wird das heute sogar ziemlich offen gesagt.
Warum sollte Russland darauf also eingehen?
Nachtrag: Als ich diesen Artikel gerade fertig geschrieben hatte, ist Putin in Moskau vor die Presse getreten und hat direkte Verhandlungen mit Kiew für Donnerstag, den 15. Mai, in Istanbul angeboten. Die russische Delegation wird dort sein, die Frage ist, wie Kiew und der Westen reagieren werden.
Damit ist klar, dass es ab Montag keinen Waffenstillstand geben wird. Stattdessen macht Putin nun den entscheidenden Test: Ist Kiew tatsächlich zu Friedensgesprächen bereit? Und wie wird die EU darauf reagieren? Der US-Regierung dürfte das gefallen, weil sie schon lange auf direkte Gespräche zwischen Moskau und Kiew drängt, nachdem alle indirekten Verhandlungsversuche der USA keine Ergebnisse gebracht haben.
5 Antworten
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Die USA hat doch analysiert, der Krieg ist für die Ukraine nicht gewinnbar und die verlorenen Gebiete nicht zurückeroberbar.
Hab ich da was versäumt? Hat sich da was geändert?
Damit hat, wie ich finde, der Kreml die Propaganda-Scheiße der „Willigen“ („Der Ball liegt jetzt im Kreml“) geschickt pariert.
Meine Prognose: Die Europäer und Selensky werden das Putin-Angebot ablehnen, Russland der Unwilligkeit zum Frieden bezichtigen und ihre „wohl abgestimmten Sanktionen“ vom Stapel lassen. Sollen sie nur! Denen muss das Wasser wirklich bis zum Halse stehen, dass sie immer noch versuchen dieses tote Pferd Ukraine zu reiten.
Die Antwort des Kreml war gut, die persönliche Antwort von Medwedew hat mir aber auch sehr gut gefallen: Ihr könnt euch euer Angebot in eure Ärsche schieben. Wunderbar!
Danke Thomas Röper für diesen sehr guten Artikel.
Na, das ging ja wieder flott im NATO-Europapark der Selbstgerechtigkeit: Kaum bewegt sich Moskau, kriegen Brüssel & Co. kollektiven Schnappatmung. Man redet vom „Friedensunwillen Russlands“, während man selbst mit dem Vorschlaghammer auf jede noch so kleine Gesprächsöffnung eindrischt – natürlich im Namen der Freiheit, Demokratie und der „regelbasierten Weltordnung“, dieses inzwischen abgenutzten Pappkartons geopolitischer Anmaßung.
Und wie reagiert der Wertewesten? Mit Empörungstheater, Gipfeltreffen, Sanktions-Feuerwerken und der nächsten Waffenlieferung in Richtung Friedhof. Aber klar: Wenn einem die Realität entgleitet, hilft nur noch Eskalation. Bloß nicht vom hohen moralischen Gaul absteigen – auch wenn der längst lahmt, taumelt und spätestens seit Bachmut eigentlich eingeschläfert gehört.
Und Medwedew? Der hat es wieder mal auf den Punkt gebracht. Keine Floskeln, keine Schleifen, kein diplomatischer Zuckerguss – einfach Klartext mit einem kräftigen Tritt dahin, wo westliche Doppelmoral am empfindlichsten ist.
„fordern“….. – aus welcher Position denn??
Das Windei ist bekannt – und wird wohl entsprechend ignoriert – der Marsch geht weiter wie begonnen und praktiziert.
Was soll ein 30-tägiger Waffenstillstand, den Merz, Macron, Tusk und Starmer gefordert haben, ausser eine Verschnaufpause für die Ukraine, mit der sie ihr Waffenarsenal aufbessern können? Gar nichts.
Russland braucht einen endgültigen Friedensvertrag, in dem alle nicht verhandelbaren Bedingungen Russlands berücksichtigt werden
Ohne diese Minimal-Forderungen Russlands wird der Krieg weiter gehen.