Rumänischer Nationalismus

Rumänien spricht Moldawien das Recht auf Staatlichkeit ab

Deutsche Medien haben nicht darüber berichtet, wie offen die rumänische Regierung den Moldawiern letzte Woche das Recht auf die eigene Staatlichkeit abgesprochen hat. In Russland wurde das jedoch genau beobachtet.

Die moldawische Präsidentin Sandu, die rumänische Staatsbürgerin ist, will ihr Land mit Rumänien vereinen. Sie ist der Meinung, Moldawisch sei keine Sprache und hat in der Verfassung festlegen lassen, dass die Landessprache Moldawiens Rumänisch ist. Außerdem hat sie den Weg freigemacht, damit rumänische Staatsbürger auch in Schlüsselfunktionen des moldawischen Regierungs- und Sicherheitsapparates kommen. In Moldawien sind diese Schritte jedoch ausgesprochen unpopulär.

Das russische Fernsehen hat in seinem wöchentlichen Nachrichtenrückblick am Sonntag über die Ereignisse der letzten Woche berichtet und dabei auch einen Ausflug in die rumänisch-moldawische Geschichte gemacht. Da diese Themen von deutschen Medien komplett ignoriert werden, habe ich den russischen Bericht übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Die Moldawier wollen keine Rumänen sein

Anfang der Woche veröffentlichte das moldawische Umfrageinstitut eine Umfrage. Die Moldawier wurden gefragt, zu welcher Ethnie sie sich zählen. Fast 72 Prozent sahen sich als Moldawier, nur elf Prozent fühlten sich als Rumänen.

Für die derzeitige moldawische Regierung unter der Führung von Präsidentin Maia Sandu mit ihrem rumänischer Pass das ein Misserfolg ihrer Politik der „Rumänisierung“ der moldawischen Gesellschaft, deren wichtigstes Ziel der Anschluss an Rumänien ist.

Für die rumänische Regierung wäre das die Erfüllung des langjährigen Traums vom sogenannten „Großrumänien“. Und für Moldawien wäre das eine Möglichkeit, in die EU zu gelangen, ohne Schlange zu stehen, sondern durch die Hintertür.

Aber es gibt ein Problem: Die Moldawier wollen keine Rumänen sein. Die Regierung hat die moldawische Sprache bereits in Rumänisch umbenannt und das in die Verfassung aufgenommen. Offiziell gibt die Sprache Moldawisch nicht mehr. Jetzt versuchen sie, die Moldawier davon zu überzeugen, dass sie eigentlich Rumänen sind. Der moldawische Premierminister klopft sich auf die Brust und überzeugt die Bürger im zentralen Fernsehen: „Ich bin Rumäne und spreche Rumänisch.“

Und der rumänische Premierminister Marcel Ciolacu besteht darauf: „Es gibt keine Moldawier, es gibt keine moldawische Sprache, das ist die rumänische Sprache und das sind Rumänen.“

Aber die sturen Moldawier wollen keine Rumänen und Teil des Mythos „Großrumänien“ werden, das eigentlich nie groß oder unabhängig war. Die Rumänen haben mit Hitler einen Feldzug gegen uns geführt. Das war irgendwie leichtsinnig. Und wahrscheinlich wird Bismarck nicht umsonst der geflügelte Satz zugeschrieben: „Rumänen ist keine Nationalität, sondern ein Beruf“.

Ja, das ist weit entfernt von politischer Korrektheit, aber das gilt auch für den Wunsch, Moldawien zu übernehmen.

Es folgt eine kleine Geschichtsstunde von dem Dokumentarfilmer Alexej Denisow.

Versailles 1919. Die internationale Konferenz fasste die Ergebnisse des Ersten Weltkriegs zusammen. Die Siegermächte – Frankreich, Großbritannien, die USA und Italien – zeichneten die Lankarte des alten Europas neu. Auf den Trümmern der untergegangenen Reiche entstehen neue Staaten mit Grenzen, die es vorher nie gab.

Eines der fettesten Stücke des Versailler Kuchens ging an Rumänien. Als es 1916 auf der Seite der Entente in den Krieg eintrat, von den Deutschen besiegt und vom zaristischen Russland gerettet wurde, gelang es der rumänischen Regierung, ihr Gebiet mehr als zu verdoppeln. Zunächst nutzten die Rumänen den Zusammenbruch des Russischen Reiches und eroberten Bessarabien. Mit Waffengewalt zwangen sie den selbsternannten bessarabischen „Rat des Landes“, für den Anschluss an Bukarest zu stimmen, und lösten ihn dann auf.

Danach wurden Ländereien des zusammengebrochenen österreichisch-ungarischen Reiches beschlagnahmt, darunter Siebenbürgen und die Bukowina.

Alexej Plotnikow, Professor der Geschichtswissenschaften, sagt: „Es gibt ein Sprichwort: ‚Es ist ein Glück, Rumäne zu sein.‘ Man muss den Rumänen zugute halten, dass sie es immer geschafft haben, zu den Gewinnern zu gehören und den Gewinn zu erhalten, den andere unter normalen Bedingungen nicht bekommen hätten. Auf der Konferenz von Versailles haben sie sich sofort als künftiger Teil des Cordon Sanitaire positioniert. So wurden sie betrachtet. Und die Briten und Franzosen, die dort das Kommando hatten, sagten: ‚Ihr werdet der Cordon sein, aber wir müssen euch sozusagen in irgendeiner Form bezahlen.‘ Deshalb haben sie am Ende des Krieges ziemlich große Gebiete bekommen.“

In der Zwischenkriegszeit bestand die Idee der rumänischen Elite darin, einen ethnisch reinen Staat zu schaffen, das Großrumänien. Zu diesem Zweck wurde eine beschleunigte „Rumänisierung“ der neuen Gebiete in die Wege geleitet. In Bessarabien wurde den Moldawiern bereits im Januar 1919 die Verwendung der traditionellen kyrillischen Schrift untersagt. Die Sprache der Slawen, Juden, Ungarn und anderer Völker wurde rigoros aus dem öffentlichen Raum verbannt.

Ab 1938 wurde jeder öffentliche Gebrauch der russischen Sprache, die von fast 40 Prozent der Einwohner Bessarabiens gesprochen wurde, unter Androhung von Gefängnisstrafen verboten. Alle russischen Zeitungen wurden geschlossen. Die rumänischen Behörden übernahmen die örtliche orthodoxe Kirche, verboten Gottesdienste in Kirchenslawisch, führten den gregorianischen statt des julianischen Kalenders ein und vertrieben den russischen Erzbischof aus Chisinau.

Plotnikow erzählt: „Erstens verhielten sich die Rumänen sehr grob. Nachdem sie ein multiethnisches Gebiet, nämlich Bessarabien, erhalten haben, begannen sie mit einer unverhohlenen Politik der „Rumänisierung“. Das Sprechen in einer anderen Sprache als Rumänisch war an öffentlichen Orten nicht erwünscht. Außerdem konnte man buchstäblich von einem Polizisten geschlagen werden. Es gibt Beispiele dafür, dass ein Polizist jemanden geschlagen hat, weil er etwas gefragt und in einer anderen Sprache als Rumänisch gesprochen hat.“

Die Antwort auf die erzwungene „Rumänisierung“ waren mehrere Volksaufstände in Chotin, Bender und Tatarbunari, die von rumänischen Truppen brutal niedergeschlagen wurden. In den ersten 15 Jahren der rumänischen Besatzung in Bessarabien wurden 80.000 Menschen getötet oder starben in Haft.

Auf der Flucht vor Armut, Rechtlosigkeit und Terror flohen in den 22 Jahren der rumänischen Herrschaft mehr als eine halbe Million Menschen aus Bessarabien in andere Länder. Nach der Dürre von 1935 starben mehr als 180.000 Bessarabier an Hunger.

Konstantin Salessky, Historiker und Vizepräsident des Verbands der Historiker des Zweiten Weltkriegs, erzählt: „In der Zwischenkriegszeit investierte niemand Geld in Bessarabien, niemand investierte Geld in Chisinau. Deshalb war die örtliche Bevölkerung nicht sehr erfreut über die Maßnahmen der rumänischen Verwaltung, und die Ankunft der sowjetischen Armee verschaffte ihnen Erleichterung von diesem ziemlich harten rumänischen Druck.“

Die Ankunft der Roten Armee im Juni 1944 wurde von der Mehrheit der Bessarabier mit Freude begrüßt. Die Bevölkerung begann sofort, rumänische Schilder durch russische zu ersetzen und Denkmäler für die großen Rumänen zu zerstören.

Plotnikow erzählt: „Die Sowjetunion hat die Annexion Bessarabiens nie anerkannt. Auf unseren Karten war es immer in schattierten Farben als vorübergehend besetztes Gebiet eingezeichnet, und sie stimmte keiner der Botschaften der Entente zu. Sie versuchte, uns zu beschwichtigen und zu sagen: ‚Lasst uns uns sozusagen einigen.“ Wir ließen uns nicht darauf ein und erklärten, dass es sich um ein zu Unrecht weggenommenes Gebiet handelte. Zumal die Unterstützung der lokalen Bevölkerung sehr groß war.“

Zu dieser Zeit befand sich Rumänien selbst auf dem Weg zu einem engen Bündnis mit Nazi-Deutschland. Im August 1940 verabschiedete die rumänische Regierung ein Gesetz, das die bürgerlichen und politischen Rechte der Juden einschränkte und Eheschließungen zwischen Bürgern rumänischen Blutes und Juden vollständig verbot.

Salessky erklärt: „Die Rumänen haben lange genug die Legende entwickelt, dass sie Nachkommen der römischen Eroberer sind. Und sie, die Rumänen, sind der Splitter der wichtigsten Zivilisation des Westens, der dies alles bewahrt hat. Anders als die anderen: die Deutschen, die Polen, die Bulgaren. Und deshalb stehen sie über diesen slawischen Horden, die man nicht einmal als Zivilisation bezeichnen kann.“

Im Herbst 1940 kam der pro-faschistische Diktator Ion Antonescu in Rumänien an die Macht. Auf seine Bitte hin dankte König Carol II ab und verließ das Land. Formal ging der Thron an den 18-jährigen Mihai I. über, aber alle Hebel der Macht lagen in den Händen von Antonescu. Und im November 1940 trat Rumänien dem Dreibund bei und wurde zum Hauptlieferanten von Öl für Hitlers Kriegsmaschinerie.

Salessky sagt: „Antonescu war ein überzeugter Rassist und ich möchte darauf hinweisen, dass Hitler einmal zu ihm sagte, dass er in den Osten gehen würde, um die Slawen zu vernichten. Antonescu hat sich diese Idee zu eigen gemacht. Zumal die Hauptentschädigung für den Verlust von Land in Europa ihm im Osten zustand.“

Am 22. Juni 1941 trat Rumänien auf der Seite von Hitlerdeutschland in den Krieg gegen die Sowjetunion ein. Rumänische Truppen nahmen an der Erstürmung von Odessa und Sewastopol, der Einnahme der Krim und der Offensive auf Stalingrad teil. Die besetzten sowjetischen Gebiete zwischen Dnjestr und Bug erklärte Antonescu zum integralen Bestandteil Großrumäniens und nannte sie Transnistrien.

Die Moldawier wurden als einziges rumänienfreundliches Volk anerkannt. Andere nationale Gruppen, darunter Russen und Ukrainer, sollten vernichtet, vertrieben und „rumänisiert“ werden. Verschiedenen Quellen zufolge wurden in den Jahren der rumänischen Besatzung in Transnistrien mehr als 200.000 Sowjetbürger getötet.

Das Projekt Großrumänien wurde von der Roten Armee im Sommer 1944 bei der Befreiung der Region Odessa, Transnistriens und Bessarabiens von den verhassten Besatzern begraben. Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Rumänien selbst wurde Ion Antonescu von einer Gruppe von Verschwörern unter der Führung von König Mihai I. gestürzt. Die rumänische Armee wechselte daraufhin auf die Seite der Alliierten und der junge König wurde von Stalin mit dem Siegesorden ausgezeichnet.

Dazu erklärt Plotnikow: „Die Verleihung des Siegesordens an Mihai I. ist in der Tat eines der bedeutendsten Ereignisse. Es stellt sich die Frage: Wofür? Rumänien hat getan, was es es getan hat. Im Jahr 1944 erklärte es Deutschland den Krieg und hörte auf, ein Sprungbrett gegen uns zu sein. Die Auszeichnung wurde Mihai unter anderem dafür verliehen, dass er die Front geöffnet und viele hunderttausend unserer Soldaten gerettet hat. Und es war auch ein Zeichen der Dankbarkeit.“

Allerdings ist die Dankbarkeit der Rumänen selbst dafür, dass Stalin ihnen erlaubt hat, den Zweiten Weltkrieg im Lager der Sieger zu beenden, zu Beginn des 21. Jahrhunderts völlig verflogen.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

6 Antworten

  1. Finde diese russische Sicht auf dieses Thema dämlich, muss man so sagen. Laut dieser Argumentation wäre diese Ukraine auch eine eigene Volksgruppe und gehört nicht zu Russland. Putin meint ja es seien Russen, stimme ich ihn auch zu. Aber bezüglich Bessarabien verschleiern russische Historiker die Tatsachen im Interesse Russlands. Geht mal nach Moldawien , wenn ihr sagt es wäre russisches Land gewesen dann geben die euch ein auf dem Kopf. Die positionieren sich klar und deutlich zu Rumänien. Dieses Land war Teil des Fürstentums Moldawien für Jahrhunderte. Erst ab dem 19.jh hat Russland aus Imperialismus dieses Land weg genommen und russifiziert. Und keiner hat sich gefreut dass die roten das Land übernahmen nach den Weltkrieg, nur die russifizierte Bevölkerung. Klar was da abgeht im Land ist nicht schön und undemokratisch. Aus patriotischen Gründen wäre eine Wiedervereinigung mit Rumänien zu begrüßen. Anderseits ist Rumänien im Westblock integriert und kaum souverän. Daher wäre ein Anschluss an den brics system eventuell besser.

  2. Klar könnte nur Rumänien im Falle eines Streitfalls oder Konfliktes innerhalb Moldaviens als Sicherheitsgarantie eintreten. D.h. es müssen die Grundlagen dafür geschaffen werden.

    Man sollte nur aufpassen, was man sich wünscht, denn genauso gut könnte im Endeffekt Runänien zersplittert werden. D.h. die Region Siebenbürgens könnte eine andere Richtung einschlagen wollen wie die Walachei. Bei Streitereien über den Status der Westukraine könnte dies durchaus überschlagen. Dann wäre letztlich nicht Moldavien in Rumänien eingegliedert worden, sondern die rumänische Region Moldau in Moldavien integriert.

    Richtig schlimm würde es, wenn die Region am Schwarzen Meer (Dobrudscha) eine andere Richtung einschlagen würde, denn die Regionen im Binnenland hätten dann für die USA und die EU wesentlich weniger Bedeutung.

    Mit Kaja Kallas hätte man dafür sogar schon eine Unterstützerin für das Zerlegen in Kleinstaaten.

  3. In der wechselvollen Geschichte des Landes das nach einem toten Hund benannt wurde, steht das nächste Kapitel an.
    Und nachdem alle Parteien verboten wurden die dagegen sein könnten wird dann wohl eine sehr faire Abstimmung darüber stattfinden ob Moldavien „heim nach Rumänien“ und damit in die EU kommen darf.

    Aber was ist, wenn die Moldawier dagegen stimmen?
    Denn um ehrlich zu sein, in die EU zieht es mittlerweile doch noch nicht einmal mehr einen toten Hund.

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