USA vs. Russland

Putin im O-Ton über die Verhandlungen mit dem Westen und wie der Spiegel darüber berichtet

Russlands Position bei den Verhandlungen mit den USA und der NATO über gegenseitige Sicherheitsgarantien ist allgemein bekannt. Trotzdem hat der Spiegel den Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Orban bei Putin wieder genutzt, um seine Leser zu desinformieren.

Westliche Medien nutzen die Tatsache, dass nur wenige Menschen im Westen Russisch verstehen, schamlos zur Desinformation aus. Das gilt vor allem bei den derzeitigen, von Russland initiierten Gesprächen mit der NATO und den USA über gegenseitige Sicherheitsgarantien. Wer am Frieden in Europa interessiert ist, kann an Russlands Vorschlägen kaum etwas kritisieren, denn sie beruhen auf Gegenseitigkeit und beinhalten im Kern, dass die NATO und Russland keine Manöver mehr nahe an Grenzen abhalten, Angriffssysteme wie Mittelstreckenraketen so weit „nach hinten“ verlegen, dass sie den jeweils anderen nicht erreichen können und noch einiges mehr, die Details können Sie hier nachlesen.

Da eine große Mehrheit der Leser im Westen, wenn sie diese Vorschläge kennen würden, sie sicherlich unterstützen würden, berichten die westlichen Medien kaum über sie. Bestenfalls stellen sie es als Unverschämtheit dar, dass Russland ein Ende der NATO-Erweiterungen fordert, ohne jedoch die Hintergründe und das Gesamtpaket der russischen Vorschläge zu erklären.

Außerdem stellen die westlichen Medien die russische Politik als undurchschaubar dar, wie ich erst vor wenigen Tagen anhand eines Spiegel-Artikels aufgezeigt habe, in dem der Spiegel allen Ernstes so getan hat, als würde Russland nicht mitteilen, welche Forderungen es für die wichtigsten hält. Die „Qualitätsmedien“ vermitteln dem Leser, dass die Russen nicht offen verhandeln, frei nach dem Motto: Wie soll man denn mit solchen Leuten Verhandlungen führen?

Dieser Linie ist der Spiegel auch bei seinem Artikel über den Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Orban in Moskau treu geblieben. Der Artikel trug zunächst die Überschrift „Wladimir Putin – Westen ignoriert russische Bedenken im Konflikt mit der Ukraine“ und das war eine sehr korrekte Überschrift. Aber der Spiegel wäre nicht der Spiegel, wenn er sich nicht alle Mühe geben würde, Russland in ein schlechtes Licht zu rücken, daher wurde die Überschrift geändert und lautet nun „Bei Besuch von Viktor Orbán – Putin äußert sich das erste Mal seit Wochen in der Ukrainekrise – und macht dem Westen Vorwürfe

Schon die Überschrift ist Desinformation, die dem Leser das Gefühl geben soll, Russland wäre eine undurchschaubare Diktatur, in der der Herrscher wochenlang untertauchen kann. In Wahrheit – und das können Sie beim Anti-Spiegel anhand der vielen Übersetzungen aus russischen Meiden überprüfen – vergeht kein Tag, an dem die russischen Medien und Politiker das Thema nicht ansprechen würden. Natürlich geht Putin selbst nicht jeden Tag vor die Presse, das tut kein Staatschef, aber Putins Pressesprecher äußert sich zu dem Thema jeden Tag und wer auf der Seite des Kreml nachschaut, der sieht, dass Putin alleine in der letzten Woche mit dem italienischen Premierminister und zwei Mal mit dem französischen Präsidenten am Telefon über das Thema gesprochen hat.

Da der Spiegel über die Pressekonferenz von Orban und Putin berichtet hat, habe ich die entsprechende Journalistenfrage und die Antworten von Orban und Putin komplett übersetzt. Vergleichen Sie sie mit dem, was Spiegel-Leser in dem oben verlinkten Spiegel-Artikel erfahren und entscheiden Sie selbst, ob der Spiegel korrekt und vollständig über Putins Argumente berichtet, oder ob er Putins Argumente – wenn er sie denn überhaupt nennt – aus dem Zusammenhang reißt und damit den Sinn des Gesagten verändert.

Beginn der Übersetzung:

Frage: Guten Tag!

Wenn Sie gestatten, möchte ich eine Frage an beide richten.

An den ungarischen Ministerpräsidenten als Regierungschef eines Staates der Europäischen Union und der NATO: Wie beurteilen Sie die Aufnahme der Gespräche Russlands mit dem Bündnis, den USA und der OSZE?

Und eine Frage an den russischen Staatschef. Sie haben gerade selbst gesagt, dass die Antworten, die wir von den USA und der NATO auf unsere Initiativen erhalten haben, unsere Hauptanliegen ignoriert haben. Aber ich würde gerne wissen: Wie und in welcher Form werden Sie auf diese Papiere antworten? Vielleicht sprechen Sie jetzt ein wenig konkreter über den Inhalt dieser Papiere und Ihre Reaktion darauf?

Und wie können Sie die Sicherheitslage rund um die Ukraine umreißen? Schließlich heißt es im offiziellen Kiew bereits, dass eine Umsetzung des Minsker Abkommens das Land spalten wird.

Danke.

Orban: Die Situation ist komplex und die Unterschiede sind erheblich. Was Russland will, konnte die ganze Welt erfahren. Offensichtlich liegen die Antworten auf diese Bedenken, also die Sicherheitsbedürfnisse Russlands und die Antwort der NATO darauf, noch sehr weit auseinander. Die Unterschiede sind zwar groß, aber nicht unüberwindbar. Ich habe heute gesehen, dass diese Meinungsverschiedenheiten überwunden und Vereinbarungen getroffen werden können, die den Frieden und die Sicherheit Russlands gewährleisten und für die [NATO-]Mitgliedsländer akzeptabel sind. Eine solche Einigung ist also möglich und ich hoffe wirklich, dass die Verhandlungen in den nächsten Tagen und Wochen zu einer solchen Einigung führen werden.

Putin: Ich möchte noch einmal die Logik unseres Verhaltens und unserer Vorschläge erläutern.

Wie Sie wissen, wurde uns versprochen, die Infrastruktur des NATO-Blocks nicht auch nur einen Zoll nach Osten zu verschieben. Das wissen alle sehr genau.

Heute sehen wir, wo die NATO steht: in Polen, Rumänien und den baltischen Staaten. Sie haben das eine gesagt und das andere getan. Wie man in unserem Land sagt, haben sie uns fallen gelassen, sie haben uns einfach betrogen. In Ordnung, gut.

Dann sind die USA aus dem Vertrag zur Abwehr ballistischer Raketen ausgetreten. Wir haben sie lange überredet, das nicht zu tun. Das war einer der grundlegenden Verträge für die Sicherheit in der Welt. Dennoch haben die Vereinigten Staaten getan, was sie getan haben – sie sind ausgetreten. Und jetzt stehen die Startrampen für die Abwehrraketen in Rumänien und werden in Polen gebaut, sie werden wahrscheinlich bald da sein, wenn sie es nicht schon sind. Aber da stehen MK-41-Startrampen, die für den Einsatz von Tomahawks verwendet werden können. Es handelt sich also nicht um eine Raketenabwehr, sondern um Angriffssysteme, die unser Territorium über Tausende von Kilometern abdecken werden. Ist das etwa keine Bedrohung für uns?

Nun sagen sie, der nächste Schritt sei die Ukraine, die in die NATO aufgenommen werden müsse.

Hören gut zu, was ich sage. Schließlich steht in den ukrainischen Dokumenten der Militärdoktrin, dass die Ukraine die Krim zurückholen wird, auch mit militärischen Mitteln. Das sagen die nicht nur öffentlich, das steht in deren Dokumenten geschrieben.

Stellen wir uns vor, die Ukraine ist Mitglied der NATO: Sie ist vollgestopft mit Waffen, verfügt über moderne Angriffssysteme wie in Polen und Rumänien – wer wird sie aufhalten – und sie beginnt mit Operationen auf der Krim, vom Donbass ganz zu schweigen. Das ist souveränes russisches Hoheitsgebiet. Diese Frage ist für uns abgeschlossen. Stellen wir uns vor, die Ukraine ist ein NATO-Land und beginnt solche militärische Operationen. Sollen wir etwa gegen den NATO-Block Krieg führen? Hat darüber irgendwer irgendwie nachgedacht? Offensichtlich nicht.

Nun zur Umsetzung des Minsker Abkommens. Wir hören auf der einen Seite Erklärungen darüber, dass die Ukraine es umsetzen will. Uns wird ständig vorgeworfen, dass wir das Minsker Abkommen nicht erfüllen. Gleichzeitig gibt es öffentliche Erklärungen, dass die Ukraine, wenn sie das Minsker Abkommen umsetzt, auseinanderbrechen wird. Hat niemand darüber nachgedacht, dass sie, wenn sie solche Bedrohungen für Russland schafft, ähnliche Bedrohungen für sich selbst schafft?

Dies sind alles Fragen, die eine sehr sorgfältige Abwägung und Rücksichtnahme auf die Interessen der jeweils anderen Seite erfordern. Uns wird gesagt: Ja, jedes Land hat das Recht, sein eigenes Sicherheitssystem zu wählen. Damit sind wir einverstanden. Aber ich habe den Eindruck, dass die Vereinigten Staaten nicht so sehr um die Sicherheit der Ukraine besorgt sind, auch wenn sie vielleicht darüber nachdenken, sondern dass es irgendwo im Hintergrund ihre wichtigste Aufgabe ist, die Entwicklung Russlands zu bremsen. Das ist es, worum es geht. In diesem Sinne ist die Ukraine selbst nur ein Instrument, um dieses Ziel zu erreichen.

Das kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden. Indem sie uns in eine Art bewaffneten Konflikt hineinziehen und auch ihre Verbündeten in Europa zwingen, diese harten Sanktionen gegen uns zu verhängen, über die die USA heute sprechen. Oder um die Ukraine in die NATO zu ziehen, dort Angriffswaffensysteme aufzustellen und einige Bandera-Anhänger zu ermutigen, die Donbass- oder Krim-Frage mit bewaffneten Mitteln zu lösen. Und uns damit auch in einen bewaffneten Konflikt hineinziehen.

Wenn wir uns all diese zahlreichen Fragen eingehend und ernsthaft ansehen, wird deutlich, dass man, wenn man eine solch negative Entwicklung der Situation vermeiden will, und wir wollen sie vermeiden, die Interessen aller Länder, einschließlich Russlands, wirklich berücksichtigen und eine Lösung für dieses Problem finden müssen.

Wozu haben wir die Verträge, die entsprechenden Abkommen in Istanbul und Astana unterzeichnet, in denen es heißt, dass kein Land seine Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer gewährleisten kann? Wir sagen hier, dass die Aufnahme der Ukraine in die NATO unsere Sicherheit untergräbt, und wir bitten darum, dies zu beachten. Sie sprechen über die Politik der offenen Tür. Woher kommt die denn her? Die NATO hat eine Politik der offenen Tür. Wo steht das geschrieben? Nirgendwo. Artikel 10 des Vertrags von 1949 über die Gründung der NATO besagt, wenn ich mich recht erinnere, dass das Bündnis im Einvernehmen mit allen NATO-Mitgliedern und -Teilnehmern andere europäische Staaten in die Organisation aufnehmen kann – sie kann, muss aber nicht. (Anm. d. Übers.: Putin erinnert sich korrekt, es steht so in dem Vertrag, mehr noch: Dort steht auch, dass Urkunden nicht bei der NATO, sondern den USA hinterlegt werden, was zeigt, wer in der NATO das Sagen hat – von einem gleichberechtigten partnerschaftlichen Bündnis kann keine Rede sein)

Die USA, die NATO können sagen, auch zur Ukraine: Wir wollen Eure Sicherheit gewährleisten, wir schätzen sie, wir respektieren Eure Bestrebungen, aber wir können Euch nicht aufnehmen, weil es andere, bereits angenommene internationale Verpflichtungen gibt. Was daran ist für die Ukraine unverständlich oder gar beleidigend?

Und wir müssen einen Weg finden, um die Interessen und die Sicherheit aller an diesem Prozess Beteiligten zu gewährleisten: der Ukraine, der europäischen Länder und Russlands. Das kann jedoch nur mit einer ernsthaften und durchdachten Einstellung zu den von uns vorgeschlagenen Dokumenten geschehen.

Ich hoffe, dass diese Arbeit fortgesetzt wird. Wir haben gestern auch mit dem französischen Präsidenten vereinbart, dass auch er vielleicht in naher Zukunft nach Moskau kommt; wir werden diese Probleme auch mit ihm besprechen.

Ich hoffe, dass wir am Ende eine Lösung finden werden, auch wenn es nicht einfach ist, dessen sind wir uns bewusst. Aber ich bin natürlich noch nicht bereit, heute zu sagen, welche es sein wird.

Ende der Übersetzung

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

9 Antworten

  1. Was ich selber denk und tu, trau ich auch dem anderen zu. Soviel zum Thema Westlichen Medien.
    Ich bewundere die Geduld und stoische Gelasseneheit der russischen Regierung, besonders die eines
    Herrn Lawrow, der sich u.a. auch mit ferngesteuerten, bockigen, dummen Kleinkindern abmühen darf.
    Mir persönlich wäre da längst der Geduldsfaden gerissen.

    1. Ja, das ist wirklich erstaunlich. Die Russen kriegen ja auch mit, wie sich die „Spitzenpolitiker“ (würg) öffentlich zu Russland äußern. Dass die überhaupt noch mit diesem Gesindel reden, ist erstaunlich.

      1. Ich denke mal, es wird der Zeitpunkt kommen an dem man sich von diesem Gesindel endgültig verabschiedet. Das wird wahrscheinlich sehr plötzlich passieren, nämlich dann, wenn keiner damit rechnet. Bis dahin heisst es einfach: Ruhe bewahren. Den Krieg, den sie so gerne hätten (wenn auch nur in ihrer Fantasie) wird leider nicht stattfinden.

  2. das ist eine realistische Einschätzung der Lage. Eine schnelle Lösung der bedrohlichen Lage ist nicht in Sicht. Der Westen braucht unbedingt einen Krieg. Kann der Westen diesen nicht bekommen, dann implodiert sein gesamtes System, welches ja immer noch durch die Menschen die arbeiten gehen und Steuern zahlen nähren. Was könnte man tun? Ein besorgniserregendes Szenario schaffen. Wie? Entweder ein Exempel statuieren oder noch verschärfter, eine solche Bedrohungslage schaffen, welche dem Gegner einen unannehmbaren Schaden zufügen könnte. Wie sähe so etwas aus? Beidseitig je 6 Poseidon an atlantischer und pazifischer Küste als Schläfer platzieren und mit der toten Hand synkron zünden lassen. Natürlich muss vorher die gesamte US Flotte mit Zirkonen versenkt werden. Denn Gesprächspartner des Westens verstehen die Logik, welche Putin gut erklärt nicht. Es gibt keine wirklich ergebnisdenkenden Entscheider im Westen, weder in Europa noch in den USA. Das heißt die Dummen sind nicht zu belehren, da sie diesen Lernstoff nicht reflektieren können. Die mentalen Voraussetzungen für eine Lösung gesamtheitlich, sind im Westen objektiv nicht gegeben ( siehe Stoltenberg, der mal die Zentralbank von Norwegen führen soll). Nur drohende eigene Vernichtung ist wahrscheinlich von wenigen Entscheidern dohrt erkennbar.

  3. Auch interessant wie diese Propaganda-Wiesel (hier: Die Zeit) mal ganz einfach die Rückholung der Krim durch die Ukraine herauskürzten, so dass dieser Text entstand:

    Zitat-Anfang:
    Putin warnt vor „negativen Szenarien“
    „Stellen wir uns vor, die Ukraine ist ein Nato-Mitglied und beginnt diese militärischen Einsätze. Sollen wir gegen den Nato-Block in den Krieg ziehen? Hat sich irgendjemand darüber Gedanken gemacht? Anscheinend nicht“, sagte Putin.
    Zitat-Ende.

    https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/ukraine-konflikt-antony-blinken-truppenabzug-moskau-aufruf

  4. „Westliche Medien nutzen die Tatsache, dass nur wenige Menschen im Westen Russisch verstehen, schamlos zur Desinformation aus.“ – Röpers (preußischer) Krönungssatz von 1701! Ich nutze mein Weniges an iskola-Russisch auch recht schamlos aus! Ich lege damit eine gehörige Distanz zu meinen Adenauerschen Landsleuten, die sich heute noch an seine ‚Losung‘ (jagdlich für: Kot) von 1957 halten. Ich wette, denen nutzt nicht mal Englisch, um sich den nötigen Durchblick aus dem Schiss heraus zu verschaffen! Ich jedenfalls leiste mir den Luxus, von einem Deutschland zu träumen, das nicht 5.000 Helme ausgibt, sondern sie einsammelt, um Blumen- und Gemüse-Beete zu bauen. ‚Angeblich‘ solle das ja gesund sein!

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