Paul Whelan, Julian Assange und die Menschenrechte: Ein Vergleich offenbart die Verlogenheit des Westens

In Moskau wurde ein US-Bürger am Montag wegen Spionage verurteilt. Das ist eine sehr gute Gelegenheit, um mal wieder zu belegen, wie sehr die „Qualitätsmedien“ mit zweierlei Maß messen, wenn sie von Menschenrechten reden. Die gelten aus Sicht des Westens nämlich nicht für alle.

Das wird besonders deutlich, wenn man den Fall des US-Bürgers Paul Whelan mit Julian Assange vergleicht. Ich habe nach Whelans Verurteilung einen Artikel über die Hintergründe und die offenen Fragen, die es in dem Fall tatsächlich gibt, geschrieben. Sie finden den Artikel hier.

Wie sehr die USA und mit ihnen die deutschen „Qualitätsmedien“ mit zweierlei Maß messen, wird deutlich, wenn wir die Kritik der USA im Fall Paul Whelan an ihrem Verhalten gegenüber Julian Assange messen. Am Dienstag hat der Spiegel über die US-Vorwürfe berichtet. Dort konnte man lesen:

„“Die USA sind entrüstet über die heutige Entscheidung eines russischen Gerichts, den US-Bürger Paul Whelan nach einem geheimen Prozess, mit geheimen Beweisen und ohne angemessene Berücksichtigung von Entlastungszeugen zu verurteilen“, erklärte US-Außenminister Mike Pompeo. (…) Der Umgang der russischen Behörden mit dem früheren US-Marineinfanteristen sei „schockierend“, sagte Pompeo. Whelan sei ein fairer Prozess verweigert worden.“

Die USA beschweren sich also über einen geheimen und unfairen Prozess. Das klingt böse. Aber wie war das nochmal bei Julian Assange? Sogar die Anklage gegen Julian Assange ist teilweise geheim. Klingt das so, als könne Assange in den USA einen fairen Prozess erwarten? Mehr noch: Assange wird in London sogar der Zugang zu seinem Anwalt erschwert. Hat sich irgendein westlicher Politiker darüber beschwert? Ist das ein fairer Prozess?

Die USA kritisieren Russland hier ohnehin völlig zu Unrecht, denn wenn es um Spionage geht, finden Prozesse oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weil es um geheime Informationen geht. Aber „geheimer Prozess“ klingt natürlich viel spektakulärer, als „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“.

Apropos fairer Prozess: In der Anklageschrift gegen Assange wird laut britischen Medien alles weggelassen, was für ihn und seine Tätigkeit Sympathien wecken könnte. Erinnern Sie sich an das Video, das gezeigt hat, wie ein US-Hubschrauber in Bagdad Unschuldige zusammengeschossen hat? Dabei sind auch Reporter von Reuters erschossen worden.

Julian Assange wird von den USA vorgeworfen, geheimes Material veröffentlicht zu haben, darunter auch das besagte Video. Aber weil das Video eindeutig zeigt, dass es durchaus eine Berechtigung gab, diese Dinge zu veröffentlichen, wird es in der Anklageschrift nicht erwähnt. Fairer Prozess?

Weiter schreibt der Spiegel:

„Außerdem habe Russland „sein Leben aufs Spiel gesetzt“, indem es Gesundheitsprobleme, unter denen Whelan seit Langem leide, „ignoriert“ habe.“

Das ist besonders spannend. In der Tat hat Whelan über Beschwerden geklagt und er wurde – nach russischen Angaben – schon am nächsten Tag operiert. Es scheint sich um Probleme in Leistengegend zu handeln, Details sind mir aber nicht bekannt. Man kann jetzt behaupten, dass die Russen lügen und seine Behandlung vielleicht verspätet stattgefunden hat. Dafür gibt es zwar keine Belege, aber sei es drum. Fakt ist, er wurde operiert und seine medizinischen Probleme wurden behandelt.

Das kann man von Assange nicht behaupten, Assange ist in der Haft unbestreitbar krank geworden und die UNO hat die beteiligten Länder Großbritannien, USA und Schweden bereits mehrmals beschuldigt, Assange zu foltern, seinen Gesundheitszustand zu verschlechtern, ja sogar sein Leben in Gefahr zu bringen. Ärzte haben offene Briefe geschrieben und gefordert, dass Assange zumindest medizinisch behandelt werden darf. Aber das wird von den britischen Behörden verweigert. Übrigens hat die Bundesregierung, um sich dazu nicht äußern zu müssen, lapidar mitgeteilt, sie habe die UNO-Berichte nicht gelesen. Zynischer geht es kaum.

Man muss sich, wenn man sich diese unbestrittenen Fakten anschaut, zwangsläufig fragen, wo die Menschenrechte von Gefangenen geachtet werden, in Russland oder im „Werte-Westen“.

Der Spiegel zitiert auch noch den US-Botschafter in Moskau:

„Sullivan nannte den Prozess eine ungeheuerliche Verletzung von Menschenrechten und internationalen Justizstandards.“

Ich will das schon Gesagte nicht wiederholen, daher lasse ich das mal so stehen.

Ich finde es beeindruckend, wie der Spiegel so ausführlich die US-Vertreter zitiert, ohne auf die offensichtliche Widersprüchlichkeit ihrer Aussagen hinzuweisen. Journalismus bedeutet, umfassend zu berichten, nicht sich als Pressestelle einer Partei aufzuspielen. Aber genau das tut der Spiegel: Er zitiert die US-Vertreter gerade so, als wäre er deren Pressesprecher, dessen Aufgabe darin besteht, aller Welt von der Sicht der USA zu überzeugen. Aber das kennen wir vom Spiegel ja schon zur Genüge.

Es ist zwar ein anderes Thema, aber ich würde mir wünschen, der Spiegel würde auch die Aussagen der deutschen Botschafter im Ausland so akkurat zitieren, wie er es mit den US-Botschaftern tut. Die deutsche Botschafterin in den USA hat gerade mitgeteilt, dass die US-Truppen in Deutschland nicht etwa zum Schutz der deutschen Sicherheit in Deutschland sind, sondern um die Interessen der USA auf der ganzen Welt durchzusetzen. Darüber hat der Spiegel aber nicht berichtet, dafür braucht es wohl den Anti-Spiegel. Den Artikel darüber – wie immer mit Originalquelle – finden Sie hier.

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

3 Antworten

  1. Thomas, du weißt doch, unsere „Qualitätsmedien“, also sowohl die Staatsmedien als auch solche Käseblätter wie der Spiegel verstehen sich als Pressestelle von US-Regierung, NATO, EU oder eben auch dieser Merkel/Maas-Regierung. Da ist dann einfach kein Platz mehr für die tatsächliche Sachlage bzw. die Äußerungen z.B. russischer Regierungsvertreter! Und mit solchen Äußerungen, wie von der deutschen Botschafterin gemacht, stellt man die eigenen Narrative in Frage bzw. führt sie ad absurdum, also fällt das unter den Tisch! Ich weiß noch, wie ich gestaunt habe, als ich dein Buch „Seht ihr, was ihr angerichtet habt“ gelesen habe und die tatsächlichen Äußerungen von W. Putin las, die nun absolut nichts mit dem zu tun hatten und haben, was die „Qualitätsmedien“ draus machen! Irgendwo bei youtube wurde gestern übrigens Werbung für dein Buch gemacht. Fand ich interessant!
    Na ja, und die Äußerungen dieses Lügenmaules Pompeo bestätigen seine Äußerungen, dass er die Lügerei von der Pike auf gelernt und praktiziert hat!

  2. „Mehr noch: Assange wird in London sogar der Zugang zu seinem Anwalt erschwert. “

    Das ist noch stark untertrieben:
    Sämtliche Gespräche (auch mit seinem Anwalt) wurden von Geheimdiensten abgehört und weiter gegeben.
    Es gab überall Kameras, sogar in den Toiletten (Damen und Herren).
    Er wurde fast 10 Jahre in einer kleinen Wohnung eingesperrt.

    Ich empfhele dazu Sendungen aus der Reihe Wikihausen und drittes Jahrtausend, auch meine Liste ist unvollständig und es gibt noch viel mehr Sauereien und Folter der Assange in seiner Gefangenschaft ausgesetzt war und ist.
    Der erschwerte Zugang zu seinem Anwalt ist in meinen Augen noch eines der weniger schlimmen Übel die dort stattfinden.

  3. Apropos Menschenrechte !

    Da gibt es einen interessanten Artikel in der DWN (17.06.2020):

    Heftiger Streit erschüttert die UN: Bisher standen immer andere am Pranger,
    jetzt wird der Westen von seiner Kolonial-Vergangenheit eingeholt

    »Der US-Botschafter in Genf, Andrew Bremberg, teilte mit, die USA seien der größte Verfechter der Menschenrechte weltweit. Andere Länder sollten sich ein Beispiel an der Art und Weise nehmen, wie die USA Menschenrechtsverletzer zur Rechenschaft ziehe.

    „Leider gibt es zu viele Orte in der Welt, wo Regierungen schwere Menschenrechtsverletzungen begehen und wo systematischer Rassismus an der Tagesordnung ist, während viele von denen, die in Genf versammelt sind, schweigen.“«

    https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/504773/Heftiger-Streit-erschuettert-die-UN-Bisher-standen-immer-andere-am-Pranger-jetzt-wird-der-Westen-von-seiner-Kolonial-Vergangenheit-eingeholt

    Das wäre für einen Psychologen wohl ein klarer Fall von Projektion:

    Man unterstellt dem Gegenüber, was man selbst längst verbrochen hat, um den Zwiespalt zwischen eigenem moralischen Anspruch und der Wirklichkeit zu kaschieren. Denn nichts lenkt von den eigenen Versäumnissen wirkungsvoller ab als ein solides Feindbild !

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