Leserfragen zu Selbstmorden von Ärzten in Russland während der Coronakrise: Was ist darüber bekannt?

Ich habe in letzter Zeit viele Mails von Lesern bekommen, die mich nach Medienberichten fragen, nach denen mit Corona befasste Ärzte in Russland aus Fenstern in den Tod gesprungen sind. Also habe ich dazu ein wenig recherchiert.

Die Berichte, die in Deutschland kursieren, scheinen zu stimmen. Auch in Russland wurde berichtet, dass in den zwei Wochen von Ende April bis Anfang Mai insgesamt drei Ärzte, die mit Corona zu tun hatten, aus Fenstern in den Tod gesprungen sind, wobei einer von ihnen schwer verletzt überlebt hat. Die Berichte sind schon älter, die Vorfälle haben sich zwischen Ende April und Anfang Mai ereignet, auch die Medienberichte sind aus dieser Zeit. Danach gab es wohl keine weiteren derartigen Fälle mehr, jedenfalls habe ich keine Berichte dazu gefunden.

Natürlich haben die westlichen Medien von CNN bis Stern, n-tv und weiteren Medien darin Hinweise darauf gesehen, dass Russland seine Zahlen fälscht, dass die Zustände in Russland katastrophal seien und dass „kritische Ärzte“ sich deshalb in den Tod stürzen.

Zwischen diesen Fällen einen Zusammenhang zu konstruieren, ist an den Haaren herbeigezogen, denn die Vorfälle ereigneten sich über zwei Wochen verteilt an Orten, die viele tausend Kilometer von einander entfernt liegen: Im Moskauer Umland, in der zentralrussischen Stadt Woronesch und im sibirischen Kransojarsk.

Das einzige, was die Fälle gemein haben, ist der Zusammenhang mit Corona. In Krasnojarsk soll sich eine Chefärztin aus dem Fenster gestürzt haben, nachdem sie auf einer Sitzung auf einem Mangel an Schutzausrüstung hingewiesen und dagegen protestiert haben soll, dass trotzdem bis 80 Corona-Patienten bei ihr behandelt werden sollten. Die betroffene Ärztin im Moskauer Umland war selbst mit Corona infiziert und es wird spekuliert, sie habe sich in den Tod gestürzt, nachdem es Vorwürfe gegeben habe, sie habe in ihrem Krankenhaus die Verbreitung der Infektion mit verschuldet, weil sie nicht für ausreichende Sicherheitsmaßnahmen gesorgt habe. In dem Krankenhaus sollen sich viele Mitarbeiter infiziert haben. In Woronesch soll ein Arzt angewiesen worden sein, weiter zu arbeiten, obwohl er mit Corona infiziert war. Er liegt nach einem Sturz aus dem zweiten Stock schwer verletzt im Krankenhaus.

All diese Fälle sind tragisch, aber es gibt über jeden einzelnen keine Fakten über die Motive oder Hintergründe der Vorfälle, dafür aber umso mehr Spekulationen. Auch die russischen (und regierungskritischen) Medien haben außer Spekulationen und Meinungen nichts Handfestes zu berichten.

Aber sind die Zustände in Russland so schlimm, wie es zum Beispiel der Stern Anfang Mai beschrieben hat? Ich unterstelle dem Stern gar nicht, gelogen zu haben, aber er hat nur über die negativen Beispiele berichtet. Also zum Beispiel darüber, dass teilweise angeblich auch infizierte Ärzte weiterarbeiten mussten und darüber, dass es nicht genug Schutzausrüstung für die Ärzte gegeben habe.

Das mag stimmen (ich kann es nicht überprüfen) und es würde mich auch nicht wundern, wenn es stimmt. Das russische Gesundheitssystem ist trotz aller Fortschritte der letzten Jahre sicherlich noch nicht auf deutschen Niveau angekommen. In den großen Städten wie Moskau oder Petersburg ist es zwar kaum schlechter, als in Deutschland, aber Russland ist groß und in den Provinzen ist noch viel zu tun, wie auch die russische Regierung immer wieder sagt und sie versucht, mit staatlichen Programmen die Situation zu verbessern.

Das war auch Inhalt von Putins Rede an die Nation, es kann also keine Rede davon sein, dass die russische Regierung die Missstände geheim hält. In Deutschland hat Putins Rede aber vor allem wegen der angekündigten Verfassungsänderungen Schlagzeilen gemacht, seine Hinweise auf Missstände in Russland und seine Vorschläge, diese zu beheben, wurden nicht erwähnt.

Aber solche Zustände waren zu Beginn der Coronakrise keine „russische Besonderheit“. Auch in Deutschland gab es Schlagzeilen und Berichte, dass es nicht ausreichend Schutzausrüstung gegeben hat. In der „Zeit“ wurde im März ein verzweifelter Bericht einer deutschen Krankenschwester veröffentlicht, die berichtet hat, dass es nicht genug Schutzausrüstung gab, dass sie mehrmals verwendet werden musste und dass auch infiziertes Personal weiter arbeiten musste.

Und der SWR hat berichtet, dass in deutschen Pflegeheimen infizierte Pfleger weiter arbeiten mussten. Wenn man bedenkt, dass damit ausgerechnet die Risikogruppe der alten Menschen von infizierten Pflegern „gepflegt“ wurde und damit durch den engen Kontakt besonders gefährdet wurde, sich mit dem Virus zu infizieren, dann muss man das als mindestens fahrlässig bezeichnen.

Ob in Deutschland aufgrund der Verhältnisse betroffene Pfleger und Mediziner Selbstmordversuche unternommen haben, ist nicht überliefert. Aber wenn man sich all die Berichte aus Deutschland anschaut, in denen wir erfahren konnten, dass Schutzausrüstung Mangelware war und dass infiziertes Personal trotzdem mit der Risikogruppe arbeiten musste, dann sehe ich hier keinen allzu großen Unterschied zu Russland.

Nur die Formulierungen in den „Qualitätsmedien“ sind unterschiedlich. Über die Situation in Deutschland wurde sachlich berichtet, ohne sie zu skandalisieren. Über die vergleichbare Situation in Russland wurden reißerische Artikel geschrieben und behauptet, Russland fälsche Zahlen und bringe Kritiker zum Schweigen. Ironie dabei: In Russland, wo angeblich eine strenge Zensur herrscht, wurde über all die Fälle und die Vorwürfe gegen die Behörden und Regierungsverantwortlichen ausführlich berichtet.

Aber die deutschen Medien behaupten schon seit März, in Russland würden Zahlen gefälscht und Kritiker mundtot gemacht, obwohl die deutschen Medienberichte einer Prüfung nicht standhalten, wie ich hier aufgezeigt habe. Auch die angebliche Zensur in Russland wurde dabei thematisiert und die Spiegel-Korrespondentin in Moskau musste zu leicht nachprüfbaren Lügen greifen, um ihre Behauptungen zu stützen. Wobei: „Leicht nachprüfbar“ stimmt nur bedingt, denn zur Überprüfung musste man Russisch können, um die Originalberichte mit dem Spiegel-Artikel abzugleichen. Und wer in Deutschland kann schon Russisch und macht sich die Mühe?

Fazit: Ein Zusammenhang zwischen den drei Fällen in Russland ist nicht bekannt, die Gründe für ihre Selbstmordversuche sind Spekulation. Und die Zustände in Russland (mangelnde Schutzausrüstung und der Zwang, auch Infizierte weiter mit Patienten arbeiten zu lassen) unterscheiden sich nicht von dem, was wir auch in Deutschland erlebt haben.

Noch eine lustige Geschichte am Rande: In Deutschland beschweren sich viele Menschen, dass sie nun in der Öffentlichkeit Masken tragen müssen. Das sei unbequem und sehr warm.

Stellen Sie sich mal vor, wie man sich als Arzt oder Krankenschwester fühlen muss, wenn man den ganzen Tag Maske und Schutzanzug tragen muss. In Russland hat eine Krankenschwester kurzerhand den Schutzanzug über ihre Unterwäsche (oder einen Bikini, so sicher ist das nicht) gezogen, weil sie die Hitze sonst nicht ertragen hätte.

Das hat in russischen sozialen Netzwerken für Diskussionen gesorgt, die einen fanden das skandalös, andere fanden es okay oder haben Witze darüber gemacht, dass es den Patienten auf den Fotos doch sichtbar besser ging bei dem Anblick.

Die Krankenschwester wurde zum Gespräch gebeten, aber es hatte keine Konsequenzen für sie. Die zuständigen Stellen haben nur auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich ausreichend vor einer möglichen Infektion zu schützen.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

5 Antworten

  1. Hätte hätte Fahrradkette. Es wird viel Mist erzählt, nicht erst seit Corona-Zeiten und ganz besonders so und so, wenn es darum geht dem Russen eine einzuwürgen…
    Was tatsächlich Fakt ist und was ich aus Familiärer Sicht bestätigen kann, ist folgendes in Deutschland: Mein Sohn ist Leiter der Notaufnahme eines Krankenhauses. Durch ein Versäumnis einer Ärztin, kam er in Kontakt mit einem Patienten, der Tags darauf Corona-Positiv getestet wurde. Fazit: Eine Woche Quarantäne, drei Tests und dann erst „durfte“ er wieder an die Arbeit, nachdem diese negativ ausfielen. Man will sich gar nicht vorstellen, was unsere „Qualitätspresse“ daraus gemacht hätte, wenn so ein Fall aus Russland bei uns berichtet worden wäre…

  2. Es ist eine trainierte Denkweise: Jedes Vorkommnis in Russland, egal ob ein Arzt aus einem Fenster springt oder in Murmansk die Straßen nicht gestreut wurden – es wird als Staats/Putinversagen ausgelegt. Der Staat ist überall und Putins Tag hat 643 Stunden.

    Ich hatte auch mal extreme Probleme auf der Arbeit – niemand käme auf die Idee, „Die Regierung“ verantwortlich zu mavhen.

  3. In Russland passieren manchmal sonderbar Dinge. In Petersburg des 19. Jahrhunderts erschossen sich in in nur wenigen Wochen eine größere Anzahl junger Studenten, nachdem sie schönen (fremden) Frauen in Parks Komplimente (Ihre Schönheit ist unerträglich.) machten und ihre Liebe gestanden. So schreibt Boris Akunin in seiner Erzählung „Fandorin“. Zwischen den Selbstmorden, die jene Studenten mit Duellpistolen ausführten, bestand keinerlei Zusammenhang. Die Studenten kannten sich nicht und ebenso kannten sich auch die Frauen nicht, welche sich dieses Drama leider ansehen mussten. „Fandorin“ ermittelt weiter. 🙂

  4. Es ist schon ziemlich übel was hierzulande über die Selbstmorde in Russland geschrieben wird, während die Selbstmorde im eigenen Land zurückhaltend bis gar nicht kommentiert werden. Und ich meine jetzt nicht nur die prominenten Selbstmorde der Mitglieder des hessischen Landtages. Die Anzahl der Falschfahrer mit anschliessendem Crash hat sich in den letzten Wochen ebenfalls gefühlt erhöht.
    Genaues weiss man nicht. Es würde mich allerdings nicht wundern wenn viele deren Lebenswerk gerade den Bach runterrauscht keinen Sinn mehr darin sehen noch weiterzumachen. Wird die Presse dann auch die Regierung verantwortlich machen?

  5. Bei uns gibt es pro Jahr zwischen 9000 bis 10.000 Selbsttötungen.
    Vor ein paar Tagen hieß es das aktuelle Zahlen nicht auf eine Erhöhung hindeuten.
    Normalerweise gibt die Zahlen erst im Herbst, dann wohl für das Vorjahr denke ich mal. Die typische Zeit “ im Winter“ liegt ja noch nicht vor.

    Also was auch immer der Grund war, wir werden es nicht erfahren und es geht uns auch verdammt nochmal nichts an.
    Für die Familien ist so eine Selbsttötung auch ohne die Spekulationen des Westens schlimm genug.
    Mein Mitgefühl ist bei den Hinterbliebenen ganz egal in welchem Land sie zu Hause sind.

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