Wie das russische Fernsehen über das Brexit-Chaos berichtet

In der Sendung „Nachrichten der Woche“ hat sich das russische Fernsehen mit der Schmierenkomödie des Brexit befasst. Da ich das Thema lange nicht mehr behandelt habe, habe ich diesen Beitrag übersetzt.

Ich habe aus einem einfachen Grund den Brexit als Thema ignoriert: Schon im letzten Jahr habe ich dazu einen Artikel geschrieben und ich finde (in aller Bescheidenheit), dem ist bis heute eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich habe damals die These aufgestellt, dass die EU ganz froh über das Theater ist, denn es schreckt mögliche Austrittsbefürworter in anderen Ländern wie Frankreich, Italien oder Griechenland ab. Je chaotischer der Brexit verläuft und je schmerzhafter er für Großbritannien ist, desto besser für Brüssel. Daher hat Brüssel bei den Verhandlungen keinerlei Entgegenkommen gezeigt, sondern ist nach dem Motto „Friss oder stirb“ vorgegangen.

Und daran hat sich nichts geändert.

Im April haben wir gesehen, dass die Rechnung der EU aufgegangen ist. Still und heimlich hat die schwedische EU-kritische Partei ihre Forderung nach einem Swexit aus dem Parteiprogramm gestrichen. Vor dem Hintergrund des Brexit-Chaos hätte diese Forderung wohl zu viele Wählerstimmen gekostet.

All die Peinlichkeiten, die sich Theresa May oder nun Boris Johnson leisten, werden hinter verschlossener Tür in Brüssel wahrscheinlich gefeiert und die EU-Politiker müssen sich das Lachen verkneifen, wenn sie für die Presse staatstragende Kommentare in die Mikrofone sprechen.

Am Ende wird Großbritannien entweder einen Rückzieher machen, oder ohne Abkommen austreten oder das für Großbritannien schlechte Abkommen annehmen. Egal, welche dieser Varianten am Ende eintrifft, Brüssel hat schon gewonnen. Und mehr Möglichkeiten gibt es nicht.

All die täglich neuen Meldungen aus London über neue Peinlichkeiten ändern daran gar nichts, deshalb habe ich zum Brexit nichts mehr geschrieben. In der Sache gibt es nichts Neues, es gibt nur immer neue Blamagen der Politiker in London. Aber die sind mir keine Artikel wert.

Trotzdem könnte es für deutsche Leser interessant sein, wie man aus Moskau auf das unwürdige Schauspiel blickt, daher habe ich diesen Beitrag des russischen Fernsehens übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Der britische Premierminister Boris Johnson scheint sich verschätzt und selbst überlistet zu haben. Kürzlich kam er auf die Idee, das Parlament vom 10. September bis Mitte Oktober in die Zwangspause zu entsenden, um den Gesetzgebern die Möglichkeit zu nehmen, über den Brexit zu debattieren und Einfluss darauf zu nehmen. Als sie erkannten, dass die Uhr schneller tickte, begannen wilde Debatten mit gegenseitigen Angriffen. Schauplatz war das Unterhaus, Johnson war auch dabei. Sarkasmus allenthalben. In der ehrwürdigen Halle versuchte jeder, am lautesten zu brüllen. Und der Austausch ausgeklügelter Beleidigungen ging schnell zu Ausdrücken über, die im Fernsehen mit einem Piepton überspielt werden.

Der Streit ging alle gegen alle. Daraufhin verabschiedete das Unterhaus einen Gesetzentwurf, der den Brexit vom 31. Oktober auf den 31. Januar 2020 verschieben soll. Der Gesetzentwurf wurde umgehend vom House of Lords gebilligt. Laut Reuters soll die britische Königin das Dokument am 9. September unterzeichnen. So wird Boris Johnson per Gesetz daran gehindert, die EU am 31. Oktober ohne Einigung zu verlassen.

Auf der anderen Seite des Ärmelkanals genießt die Europäischen Union das gedemütigte und einfach lächerliche Großbritannien, das Brüssel so lange die Hände auf den Rücken gedreht hat. Die EU will London keine Zugeständnisse mehr machen. Und als Boris Johnson erklärte, dass er lieber „tot im Graben“ liegen würde, als den Brexit zu verschieben, schwieg Brüssel einfach still und leise und sagte, die Drohung sei so schrecklich nicht.

Überhaupt warf die Debatte in London die Frage auf, wie demokratisch Großbritannien ist. Da ist ein Lügner mit Namen Boris Johnson. Erinnern Sie sich noch daran, wie er als Außenminister behauptete, dass das Gift „Nowitschok“, mit dem die Skripals angeblich vergiftet wurden, russischer Herkunft sei und dass dies eine Tatsache sei, die vom Militärlabor in Porton Down bewiesen wurde? Wenig später widersprach der Leiter dieses Labors Boris Johnson öffentlich und sagte, dass die russische Herkunft nicht bewiesen sei.

Aber der Lügner und Intrigant Boris Johnson ist ja von niemandem gewählt worden, außer von 50.000 Mitgliedern der Konservativen Partei. Und dieser Boris Johnson mit seinem Strohkopf ist bereit, Großbritannien ins Unbekannte zu führen, ohne zu wissen, was danach kommt. Geht´s noch? Wie geht es jetzt weiter?

Aus London berichtet unser Korrespondent.

Die vergangene Woche war für die britische Regierung äußerst unangenehm: Drei schwere Niederlagen im Parlament und der Verlust der Mehrheit. Wenn diese Dynamik anhält, läuft der derzeitige Premierminister Boris Johnson Gefahr, nicht lange in der Residenz zu bleiben, in die er erst vor kurzem eingezogen ist.

Er könnte den Rekord von Premierminister George Connig brechen, der im Jahr 1827 nur 119 Tage im Amt war. Der Kabinettschef verbrachte das Wochenende mit seiner Freundin Carrie Symonds in der königlichen Residenz von Balmoral in Schottland. Zuvor „benutzte“ Boris Johnson Elizabeth II. und zwang sie, die Arbeit des Parlaments für einen Monat auszusetzen. Aber es stellte sich heraus, dass der Premierminister sich im selbst gesponnenen Netz verfangen hatte.

Wütende Abgeordnete nahmen der Regierung die Macht im Parlament ab. Nicht nur die oppositionelle Labour-Partei stimmte gegen Johnson, sondern auch seine konservativen Kollegen. Unter ihnen ist Churchills Enkel Sir Nicholas Soames.

„Ich mache mir Sorgen um die Konservative Partei. Sie ist zu einer Sekte namens „Brexit“ geworden. Und ich bin sehr traurig, dass Boris, anstatt die Nation zu einen, von dieser Besessenheit vom Brexit völlig verzehrt wird“ sagte Soames.

Einer der Konservativen, der ehemalige Minister Philip Lee, lief während Johnsons Rede trotzig zur Opposition über und setzte auf die Bank neben den Führer der Liberaldemokraten.

„Wenn das ganze Projekt mit dem Namen Brexit bedeutet, die Fakten zu ignorieren, auf die Experten hinweisen, wenn es bedeutet, die Prinzipien der Demokratie, die Ansichten des Parlaments zu ignorieren, dann sollte jeder ehrliche Mensch in den Spiegel schauen und sich selbst sagen: Ich will nicht da nicht mitmachen“ sagte Lee.

Alle Rebellen, und es waren mehr als zwanzig, hat Johnson sofort aus der Konservativen Partei ausgeschlossen. Der ehemalige Minister Rory Stewart bekam die Nachricht per SMS. Aus der politischen Kultur Londons wurden Regeln auf einen Schlag entfernt. Der unterlegene Johnson begann Jeremy Corbyn, den Führer der größten Oppositionspartei des Landes, zu beleidigen.

„Ich weiß, Herr Corbyn ist sehr besorgt über unsere Handelsabkommen mit den USA, aber in diesem Raum sehe ich nur ein Chlorhuhn und das sitzt auf der Bank gegenüber von mir“ sagte Johnson.

Es ist bekannt, dass die Desinfektion von Lebensmitteln mit Chlor in der Europäischen Union verboten ist, aber solche Produkte können in Großbritannien nach dem Brexit auf den Markt kommen, wenn ein neues Handelsabkommen zwischen London und Washington unterzeichnet wird.

Aber die Frage, wann und ob es einen Brexit geben wird, ist wieder offen. Das Parlament hat Johnson verboten, das Land ohne Abkommen aus der Europäischen Union zu führen. Die Johnson-Regierung hat vorgeschlagen, zwei Wochen vor dem 31. Oktober, dem geplanten Brexit, vorgezogene Wahlen abzuhalten. Umfragen zeigen, dass die regierenden Konservativen jetzt 7 Prozent populärer sind als Labour, so dass sie erwarten können, zu gewinnen, um alles zu beseitigen, was sie behindert. Der Brexit-Parteichef Nigel Farage ist bereit, Johnson zu unterstützen.

Ein überhitzter Johnson versuchte verzweifelt, seinen Gegner zum Kampf zu rufen. Sogar an Margaret Thatchers Worte hat er sich angelehnt. „Herr Corbyn fordert die Aktivisten auf, den Verkehr in den Städten lahm zu legen. Und wofür? Was wird der Slogan sein, was wollen sie? Einen Aufschub. Wann wollen sie den Brexit? Sie wissen es nicht. Das ist seine Politik“ sagte Johnson.

„Komplett rückgratloses Huhn“ ist ein Foto, das die Konservative Partei über soziale Medien veröffentlicht hat. Nicht umsonst nannte die Sun Jeremy Corbyn „das gefährlichste Huhn des Landes“. Labour blockierte eine vorgezogene Wahl, indem sie die Abstimmung darüber abgelehnt haben.

In diesem Kampf mit dem Parlament verliert Johnson sichtbar an Kraft. Nach dem Rauswurf einiger konservativer Abgeordneter wurde sein Kabinett zu einer Minderheitsregierung. Das bedeutet, dass die Bedingungen von der Opposition diktiert werden. Wenn der Premierminister mit der Europäischen Union bis zum 19. Oktober keine neuen Austrittsbedingungen vereinbart, wird er gezwungen sein, nach Brüssel zu reisen und um den Aufschub zu bitten. Johnson lehnt das kategorisch ab.

Der Premierminister antwortet aber auch nicht auf Fragen zu einem möglichen Rücktritt. Es gibt Forderungen aus seinem Lager, das von Abgeordneten verabschiedete Gesetz zu ignorieren, das einen harten Brexit verbietet, aber dafür kann man im Gefängnis landen.

Johnson argumentiert, dass ohne die Drohung eines harten Brexit ein neues Abkommen mit der EU unwahrscheinlich ist, die EU hätte keinen Grund, Zugeständnisse zu machen. Europäische Beamte sagen, dass London nach dem Versprechen seine Version des Abkommens vorzulegen, nichts Neues angeboten hat, daher bleibt der Austritt des Vereinigten Königreichs ohne Abkommen das Wahrscheinlichste, es sei den, dass noch ein Antrag auf Verschiebung gestellt wird.

„Die Sorge ist riesig! Die Meinungen der Menschen sind völlig gegensätzlich. Und jeder verteidigt seinen eigenen Standpunkt. Der Brexit ist eine Katastrophe. Im Vereinigten Königreich gibt es jetzt enorme Vorurteile gegenüber Ausländern, insbesondere EU-Bürgern. Für eine Demokratie ist das einfach undenkbar. Aber leider gehen wir diesen Weg. Das Problem ist, dass die Rhetorik der Politiker nur diese Gefühle schürt“ sagen Briten auf der Straße.

Im zweiten Quartal dieses Jahres schrumpfte die britische Wirtschaft erstmals seit sechs Jahren um 0,2 Prozent. Dieser Rückgang ist mit der Unsicherheit rund um den Brexit verbunden. Ein weiteres Quartal mit wirtschaftlichem Rückgang würde eine Rezession bedeuten.

„Der neue Premierminister benimmt sich wie ein Clown und hat viele von Ihnen damit geblendet. Aber wenn man Clowns mag, ist es besser, in den Zirkus zu gehen, als ihnen die Verantwortung das Land zu geben“ sagt John McDonnell, Schatzkanzler der Labour Party.

Es gibt bereits Vergleiche mit Cameron, seinem Vor-Vorgänger im Amt. Beide besuchten die aristokratische Eton School und die Oxford University. Cameron schlug das Referendum über den Brexit vor und wurde sein erstes Opfer. Am gleichen Thema verbrannte sich seine Nachfolgerin Theresa May die Finger. Jetzt qualmt auch Johnson. Das Vereinigte Königreich debattiert darüber, welcher Vertreter dieser Dreieinigkeit der schlechteste Premierminister ist. Die Konkurrenz ist hart, aber in diesem unrühmlichen Wettbewerb ist der aktuelle Chef des Kabinetts, nach Meinung der britischen Presse, knapper Favorit.

Ende der Übersetzung

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

3 Antworten

  1. Gerade heute ein lustiges Meme dazu gesehen: Das Jahr 2128. Der britische Prmierminister kommt wie jedes Jahr nach Brüssel und bittet um Verlängerung der Brexit-Deadline. Niemand erinnert sich, woher dieser Brauch stammt, aber es lockt viele Touristen in die Stadt.

    So lustig wie es ist, man kann über dieses Affentheater nicht mal mehr lachen. In der EU verkommt alles zur Farce.

  2. Einmal weg von den Irrlichtern der Politik, es gab eine Abstimmung zum Austritt und die sagte wenn auch knapp „raus aus der EU“.
    In den Verhandlungen hat sich GB wohl gedacht der Weg raus aus der EU ist mit Rosinen gepflastert. Da hat sich GB wohl geirrt.
    Das die Menschen erst durch die Verhandlungen begriffen was der Austritt wirklich bedeutet mag schmerzlich sein aber sie baden weiter in ihrem Traum alles zu bekommen selbst aber nichts mehr müssen. Die Verhandler haben seit dem Austrittsantrag nichts anderes kommuniziert.
    Die EU täte gut daran diesem Drama keine weitere Verlängerung zu gewähren. Nicht weil ich gehässig bin sondern weil irgend wann auch einmal Planungssicherheit herrschen muss. Die Unternehmen aber insbesondere die EU Arbeitnehmer brauchen Sicherheit. Schließlich steht die Existenz vieler Menschen in GB auf dem Spiel.

    https://www.welt.de/politik/ausland/article175465954/Commonwealth-Grossbritanniens-neuer-Traum-vom-Empire-nach-dem-Brexit.html

    Wenn GB in der EU bleiben möchte dann eben nur mit Verlust aller Rosinen.

    Unabhängig davon wird der Große Förderer nicht zulassen das GB ausscheidet denn GB ist Auge und Ohr der US Geheimdienste in Europa.

  3. Ich bezweifle, dass Großbritannien zu Grunde gehen wird, wenn es ohne Abkommen austritt. Die in der Übersetzung vorgetragenen Wirtschaftsdaten sind Unsinn. Es gibt genau gegenteilige Erhebungen. Die EU wird allerdings daran Schaden nehmen, wenn ein Land austritt, das ein Gewicht hat, wie 15 andere EU-Länder zusammen.

    Der Fernsehkommentator scheint zerfressen von Hass gegen Johnson, wegen dessen Aussagen in der Skripal-Affäre. Ich dachte Rußland verfolgt einen Kurs der nationalen Selbstbestimmung? Warum redet der Kommentator dann hier den Globalisten das Wort? Da hätte Putin die Oligarchen / Globalisten doch gar nicht erst aus dem Land jagen brauchen.

    Johnson wird zurücktreten, was Neuwahlen unumgänglich macht. Und selbst, wenn die kommunistischen Globalisten den Wahltermin nach hinten schieben: Johnson wird die Neuwahlen gewinnen und in Koalition mit der Brexit-Partei von Nigel Farage umgehend aus der EU austreten, und zwar ohne Deal.

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