Ukrainischer Präsident oder Präsidentendarsteller? Das russische Fernsehen über Selensky als Präsident

Seit einigen Tagen habe ich nichts über die Ukraine geschrieben. Ich hatte die Meldungen der letzten Tage gesammelt und wollte gerade eine Zusammenfassung schreiben, als das russische Fernsehen in der Sendung „Nachrichten der Woche“ das Thema ebenfalls in einem Beitrag aufnahm. Da der Beitrag vollständig ist, erspare ich mir die Mühe, diese Dinge selbst zu formulieren und übersetze den Beitrag des russischen Fernsehens über die zweite Woche der Präsidentschaft von Vladimir Selensky in der Ukraine.

Beginn der Übersetzung:

Kürzlich versprach der junge ukrainische Präsident Vladimir Selensky, das weltweit erste „Land im Smartphone“ aufzubauen. Die ukrainische Realität aber holt Selensky jeden Tag auf den Boden der Realitäten zurück.

Am 27. Mai legte der Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Ukraine eine militärische Schutzweste an und setzte einen Helm auf, als er in der Region Lugansk einen ruhigen Abschnitt in der Nähe der Frontlinie besuchte. Es gab ein Fotoshooting und allgemeine Erklärungen darüber, dass sich die Bedingungen für die Soldaten verbessern müssten. Es gab keine Entscheidungen, keine Absichtserklärungen und keine Befehle. Es gab auch keinen Waffenstillstandsbefehl, dabei wäre der nach den gegebenen Wahlversprechen zu urteilen, ein logischer Schritt gewesen.

Nein. Alles bleibt, wie bei Poroschenko. Eigentlich nichts Neues. Neu ist nur das blaue Hemd des Präsidenten in den Schützengräben. Poroschenko zeigte sich lieber komplett in militärischer Tarnkleidung.

Am 28. Mai empfing der junge Präsident Selensksy in Kiew die Vertreter des Internationalen Währungsfonds. Die Ukraine ist hoch verschuldet und man drängt ihr immer neue Kredite auf, diesmal für die Bezahlung der Zinsen der alten Kredite. In diesen Tagen schlug der Oligarch Kolomoisky vor, die unbezahlbaren Schulden einfach nicht mehr zu bedienen und vom Westen zu verlangen, sie als Kosten für die feindselige Haltung gegenüber Russland abzuschreiben.

„Das ist Euer Spiel, Eure Geopolitik. Euch kümmert die Ukraine nicht. Ihr wollt Russland schaden und die Ukraine ist nur der Vorwand“ sagte Kolomoisky.

Selensky ging einen anderen Weg. Bei dem Treffen mit dem IWF bestätigte er, dass die Schulden bezahlt werden. Fast wie in seiner Serie „Diener des Volkes“, wo der Held, den Selensksy spielte, der fiktive Präsident Vasily Goloborodko, an das Volk appellierte, den Hut herumgehen zu lassen und so die Schulden der Ukraine zu bezahlen. Nun geht es um neue Kredite, die Gesamtverschuldung der Ukraine liegt bei 80 Milliarden Dollar. In der Serie war es noch mehr.

In der Serie hat es funktioniert: Bei der Sammlung kam die nötige Summe in der Ukraine innerhalb von zwei Wochen zusammen. Aber das war ein Film. Präsident Selensky scheint einerseits noch in seiner Serie zu sein, andererseits aber auch nicht. Er möchte, dass es läuft, wie in der Serie, aber es klappt nicht. Der IWF ist aus Kiew abgereist und denkt über alles nach. Von Präsident Selensky hörte man keine neuen Entscheidungen. Bisher geht die Trägheit der Poroschenko-Zeiten weiter.

Am 29. Mai kam höhere Gewalt ins Spiel. In der Nacht kam es zu einem Unfall mit Todesopfern in einer Kohlemine in der Region Lwow und dann zu einem Treffen vor Ort mit den Bergarbeitern. Wieder wie in einer Episode aus „Diener des Volkes“. Sogar der Unfall geschah, wie in der Serie, in der Mine „Lesnaya“ nahe Lwow. Aber die Begegnung mit echten Bergarbeitern war nicht mehr wie in der Fernsehserie: Die Gesichter sind schwarz von echter Kohle, nicht geschminkt. Sie sagten: „Sklaven haben besser gelebt, als wir. Die bekamen Essen und Kleindung, wir haben seit Monaten keinen Lohn mehr bekommen!“

Selensky hat keine Lösungen. Er hat nur Entschädigung für die Familien der toten Bergarbeiter versprochen, 100.000 Griwna, das sind ca. 3.500 Euro für jeden Verstorbenen. Einer anderen Familie versprach Selensky, ihr persönlich eine Wohnung zu kaufen.

Am Morgen des 30. Mai kam die Nachricht vom Absturz eines ukrainischen Militärhubschraubers. Vier Offiziere starben. Unter ihnen der Kommandeur der Luftwaffenbrigade der Oberst Igor Masepa. Selensky gibt Abweisung, die Katastrophe zu untersuchen und fordert, die Übungen ohne weitere Opfer fortzusetzen.

Am selben Tag gab es ein Treffen mit einem amerikanischen Senator und leere Worte von Selensky, dass die Ukraine zwei Kriege führt, einen mit Russland und einen gegen die Korruption. Außerdem zwei weitere Treffen mit ausländischen Delegationen. Die Außenminister Deutschlands und Frankreichs empfing Selensky im schwarzen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Das sollte wohl seine Unkonventionalität zeigen und dass er keine ergebnislosen Gespräche führt, sondern buchstäblich die Ärmel hochkrempelt, um an die Arbeit zu gehen. Inhaltlich gab es aber nichs Neues bei den Treffen.

Am 31. Mai geht Selensky ins Fitnessstudio und die Fotos wurden ins Netz gestellt. Und dann ein Treffen über Korruption im Land. Lösungsvorschläge oder Entscheidungen gab es keine. Dann eine eilig einberufene Sitzung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates zum Thema Bergleute, Kohle und Energie im Allgemeinen. Auch hier gab es keine Lösungen oder Entscheidungen. Es wurde versprochen, das in zwei Wochen nachzuholen.

Am selben Tag wirft der Sprecher des Parlaments, der Werchowna Rada, Parubij, Selensky vor, die Krise im Land provoziert zu haben. Ab dem 31. Mai sollen russische Nachnamen, die auf „oi“ enden, in der Ukraine mit „ij“ enden. Statt Trubetskoi dann Trubetitskij, Dimitri Donskoi wird zu Donskij. Die einzige Ausnahme ist Leo Tolstoi, da ändert sich nichts. Selensky schweigt dazu. (Anm. d. Übersetzers: Das neue Sprachengesetz, von dem diese Namensänderungen ein Teil sind, habe ich schon mehrmals thematisiert, sowohl, als es noch diskutiert wurde, als auch nach seiner Verabschiedung durch die Rada.)

Am 1. Juni tritt das Verbot Russlands in Kraft, Öl, Kraftstoff und andere Energieträger in die Ukraine zu liefern. Das ist eine Reaktion auf die Ausweitung der ukrainischen Sanktionen gegen unser Land. Poroschenkos Erbe. Selensky hat in den ersten beiden Wochen seiner Amtszeit keine Schritte in Richtung Russland gemacht. Im Gegenteil, er setzte die Linie seines Vorgängers fort.

Die Zeit läuft und arbeitet gegen den jungen Präsidenten der Ukraine, nur die Zahl der ungelösten Probleme wächst. Der versprochene Umzug der Präsidialverwaltung in einen Neubau wurde verschoben und scheint sogar in Vergessenheit geraten zu sein.

Eine weitere Nachricht in der letzten Woche war das Verschwinden aller Computer und Server aus dem geheimen Situationroom des ukrainischen Sicherheitsrates. Ein Strafverfahren wurde deswegen eingeleitet. (Anm. d. Übers.: Den russischen Zuschauern ist das bekannt, dem deutschen Leser sei dazu erklärt, dass die Meldung wirklich kurios war. Die Server mit geheimen Daten sind aus dem Sicherheitsrat verschwunden. Die Verantwortlichen aus der Poroschenko-Zeit sagten dazu, die Server seien geleast gewesen und ihrem Eigentümer zurückgegeben worden, natürlich seien alle geheimen Informationen vorher gelöscht worden. Das an sich ist schon kurios, aber selbst wenn das stimmt, das Ergebnis ist, dass der neue Präsident keinen Zugriff auf die geheimen Daten aus der Zeit seines Vorgängers hat. Man stelle sich einmal vor, z. B. die Kohl-Regierung hätte bei dem Machtwechsel an Schröder alle geheimen Daten gelöscht. Selensky spottete dazu, dass Poroschenko wenigstens nicht die Hanteln aus dem Fitnessstudio der Präsidialverwaltung geklaut habe.)

Ein schillerndes Ereignis war die Rückkehr von Michail Saakaschwili in die Ukraine, dem Selensky per Dekret die ukrainische Staatsangehörigkeit zurückgegeben hat. Der internationale Abenteurer und flüchtige Ex-Präsident von Georgien Saakaschwili wird dem politischen Leben der Ukraine Exotik hinzufügen. Bisher jedenfalls war es so. Ihn empfing eine kleine Gruppe von Fans und Lacher auf der ganzen Welt.

Dabei fing es für ihn gut an: Sein Freund Petro Poroschenko machte Michail Saakaschwili zum Gouverneur von Odessa. Das Leben dort ist unter Saakaschwili nicht besser geworden, aber er unterhielt die Menschen mit in die Socken gesteckten Hosen bei einer Rede auf einem Podium und unvergessen bleibt sein öffentlicher Auftritt mit verkehrt herum angezogener Hose. Besonders gefiel allen, wie Saakaschwili bei Übungen der Polizei unter der Führung von amerikanischen Ausbildern in den Kofferraum eines Streifenwagens kletterte und dann über seine Liebe zur Polizei gesprochen hat. (Anm. d. Übersetzers: Diese Szenen, die ich in diesem und den fünf folgenden Absätzen übersetzt habe, sind in dem Beitrag des russischen Fernsehens ab Minute 8 zu sehen und dauern ca. 4 Minuten. Sie sind nach der Lektüre dieser Absätze auch ohne Kenntnisse der russischen Sprache verständlich.)

„Wir alle wollen, dass wir die gleichen Standards haben, die gleichen Sitten, wie in den modernsten Ländern. Wir werden es besser haben, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass wir unsere Polizei mehr lieben werden, als die Amerikaner ihre Polizei“ sagte Saakaschwili.

Saakaschwilis Liebe zur ukrainischen Polizei war schwierig. Den Bruch brachte ein fatales Wortgefecht mit Innenminister Avakow direkt vor laufenden Fernsehkameras. Awakow, das muss man hinzufügen, ist noch auf dem Posten des Innenministers und Insider sagen, dass Selensky ihn nicht feuern wird. Wie auch immer, nachdem die Beziehungen zu Poroschenko zerstört waren, beschloss Saakaschwili im Dezember 2017, seinen eigenen Maidan gegen die Regierung Poroschenko zu organisieren.

Saakaschwili hat sogar selbst in einem Zelt übernachtet. Aber als er am Morgen danach im nächstgelegenen Hotel seine menschlichen Bedürfnisse erledigen und sich waschen wollte, wurde ihm der Zutritt verwehrt.

Dann kam die unvergessliche Flucht vor der besten Polizei der Welt auf Kiewer Dächern. Wir haben damals ausführlich über diese Lachnummer berichtet. Erinnern wir uns daran, wie es war. Flucht auf die Dächer und von dort ein Ruf nach Hilfe. Unter dem Slogan „Poroschenko ist ein Dieb!“ forderte er eine neue Revolution und drohte, sich vom Dach zu stürzen. In der Hand hielt er eine Flasche Wasser. Offenbar in Erwartung einer langen Verfolgungsjagd.

Stattdessen kamen die Spezialkräfte des SBU, um das verwundete Tier einzufangen. Saakaschwili wurde vorsichtig vom Dach geführt. Daraufhin wurde er aus dem Land ausgewiesen und die Staatsangehörigkeit wurde wieder aberkannt. Er versuchte dann die Grenze illegal zu überqueren und das Land im Sturm zu erobern.

Er kämpfte sich den Weg frei. Wieder wurde er abgeschoben. Jetzt ist der Moment des Triumphes und es scheint, als liege ihm die ganze Ukraine zu Füßen. Saakaschwili hat große Pläne für sie. Allerdings erlebt er auch schon personelle Enttäuschungen.

Maria Gaidar, die den russischen Pass gegen den ukrainischen getauscht hat und die er in Odessa zur Vize-Gouverneurin gemacht hat, hat ihren Wohltäter nicht nach slawischer Tradition mit Brot und Salz in Kiew empfangen. Vielleicht schaffte sie es einfach nicht, aus Odessa anzureisen. Oder sie wartet einfach nur vorsichtig auf Angebote von Selensky …

Aber eine weitere bekannte Dame aus Russland, die auch in die Ukraine umgezogen ist, Maria Maksakova, hat die dortigen Erlebnisse ziemlich satt. Ihr Ehemannn, der ehemalige Abgeordnete des russischen Parlaments, Voronenkov, wurde auf einer Kreuzung in Kiew erschossen. Und wenn Maksakova zunächst behauptete, der Mord sei das Werk ihres Ex-Mannes, dann sind diese Aussagen heute nichts mehr wert. Maksakova sagte nun, dass sie zu diesem Zeitpunkt hilflos war und die Aussagen unter dem Druck der Staatsanwaltschaft der Ukraine, namentlich durch den derzeitigen Generalstaatsanwalt Lutsenko, machen musste. Jetzt ist Maksakova bereit, den richtigen Namen des Auftraggebers des Mordes an ihrem Mann in Kiew zu nennen. (Anm. d. Übers.: Auch diese Bilder in dem Fernsehbericht, die ich in diesem und den folgenden zwei Absätzen übersetzt habe, sprechen ohne Russischkenntnisse für sich selbst. Sie beginnen ab ca. Minute 11.35 und dauern zwei Minuten)

Die sensationelle Geschichte um den russischen Journalisten Arkady Babtschenko, der in die Ukraine gegangen ist, ist auch längst aufgeklärt. Erinnern Sie sich an ihn, wie er in einer Pfütze aus Schweineblut lag? Das war vor einem Jahr. Es war eine Inszenierung des SBU, um Russland zu beschuldigen. Angeblich gab es in Moskau einen Plan, Dutzende von Journalisten in der Ukraine zu ermorden und der Pseudo-Mord an Arkady Babtschenko sollte diesen heimtückischen Plan aufdecken. Nun stellt sich heraus, dass die Provokation von Anfang bis Ende eine Inszenierung des SBU war. Und der angebliche moskauer Auftraggeber der Mordserie an Journalisten in der Ukraine mit dem Namen Pivovarnik erwies sich als ehemaliger Agent des SBU in Russland. Sogar sein Chatverlauf mit dem Führungsoffizier in Kiew ist aufgetaucht, in dem er überredet wurde, in Kiew falsche Aussagen gegen sich und Russland zu machen. Das ist die ganze Geschichte. Nochmal: Die ganze Geschichte mit Babtschenko in einer Pfütze aus Schweineblut war eine Lüge des SBU. Sie versuchten, die ganze Welt zu belügen.

Weniger Glück hatte der Journalist Pavel Scheremet, der ebenfalls von Russland in die Ukraine umgezogen ist. Er wurde einfach in seinem eigenen Auto in die Luft gesprengt. Der Fall wurde bislang nicht aufgeklärt.

Warum erinnern wir jetzt an diese Menschen, die in die Ukraine gegangen sind, um dort ihr Glück zu suchen? Jeden von ihnen versuchte man dort auszunutzen, jeden gegen Russland zu instrumentalisieren. Aber keinen haben sie glücklich gemacht.

Ende der Übersetzung

Wenn Sie sich für die Ukraine nach dem Maidan und für die Ereignisse des Jahres 2014 interessieren, als der Maidan stattfand, als die Krim zu Russland wechselte und als der Bürgerkrieg losgetreten wurde, sollten Sie sich die Beschreibung zu meinem Buch einmal ansehen, in dem ich diese Ereignisse detailliert auf ca. 670 Seiten genau beschreibe. In diesen Ereignissen liegt der Grund, warum wir heute wieder von einem neuen Kalten Krieg sprechen. Obwohl es um das Jahr 2014 geht, sind diese Ereignisse als Grund für die heutige politische Situation also hochaktuell, denn wer die heutige Situation verstehen will, muss ihre Ursachen kennen.

https://anti-spiegel.com/2019/in-eigener-sache-mein-buch-ueber-die-ukraine-ist-in-zwei-wochen-lieferbar/
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

2 Antworten

  1. Naja, gebt dem doch wenigstens die berühmten 100 Tage.

    Davon abgesehen habe ich heute einen Beitrag gelesen in dem seine „Personalauswahl“ bemängelt wurde. Das er gegenüber dem Währungsfond nicht zu melden haben wird war klar. Da gehen seine Wahlversprechen baden denn der Währungsfonds steht für ungezügelten Markt und für einen Staat der fürs „Leichen“ wegräumen zuständig ist.

Schreibe einen Kommentar