4. Teil der Serie: Wikipedia, das Propaganda-Sprachrohr der Nato unterdrückt missliebige Informationen
In der vierten Folge der Serie über Wikipedia will ich über ein weiteres Beispiel berichten, wie Artikel in der Wikipedia konsequent im Interesse bestimmter Gruppen so verändert werden, dass sie den Leser über zeitgeschichtliche Vorgänge desinformieren.
Nachdem ich in Teil 3 der Serie aufgezeigt habe, wie in der Wikipedia Artikel zu Israel und seiner Politik so verändert werden, dass die Verbrechen des Staates Israel vertuscht werden, komme ich nun zu Gladio und der Nato, ein Beispiel, das viele kennen dürften. Umso interessanter ist es, welche Rolle Wikipedia und der Autor unter dem Synonym Kopilot dabei spielen.
Für alle, die es nicht kennen, wie immer kurz die Vorgeschichte.
Gladio war der Codename für Nato-Strukturen im Kalten Krieg. Die Idee dahinter war, dass im Falle eines Krieges die Sowjettruppen in Westeuropa einfallen würden. Für diesen Fall wurden sogenannte „Stay-Behind-Armeen“ aufgebaut, die dann als Partisanen gegen die Sowjettruppen aktiv werden sollten. Die gab es in jedem Nato-Land in Europa, aber auch zum Beispiel in der Schweiz, die gar nicht zur Nato gehörte. Und – so viel sei vorweggenommen – es dürfte sie immer noch geben, denn Gladio wurde nie von offizieller Seite aufgeklärt und es wurde auch nie erklärt, dass die Strukturen aufgelöst worden sind.
Diese autonom arbeitenden Einheiten waren gut ausgerüstet. Sie hatten Waffen, Kommunikationstechnik und auch Geld und Gold, das an unzugänglichen Stellen in Wäldern für den Tag X versteckt war. In jedem Land hatten diese Strukturen einen eigenen Namen. In Italien, wo die Sache ans Licht gekommen ist, hieß sie Gladio, was heute auch als Sanmelbegriff für die Stay-Behind-Armeen benutzt wird.
Das Problem war (und ist), dass diese Armeen jenseits des Gesetzes und der parlamentarischen Kontrolle arbeiteten. Die Parlamente waren nicht eingeweiht, oft nicht einmal die jeweiligen Regierungen. Als das ganze 1990 ans Licht kam, soll der belgische Verteidigungsminister seinen Generalstab entgeistert gefragt haben, ob es so etwas auch in Belgien gebe. Als das bestätigt wurde, soll er weiter gefragt haben, warum er als Verteidigungsminister darüber nicht informiert war. Die bestechende Antwort soll gewesen sein: „Ihr Minister wechselt ja sofort, da können wir Euch nicht alles erzählen.“
Ans Licht ist das Ganze in Italien gekommen, was daran liegt, dass Italien eines der ganz wenigen Länder ist, in denen Staatsanwälte nicht weisungsgebunden sind. Sie können, wenn sie in einem Fall ermitteln wollen, nur gestoppt werden, indem man sie tötet. In Deutschland hingegen entscheidet die Politik ganz legal darüber, in welchen Fällen Staatsanwälte ermitteln dürfen und in welchen nicht. Was wie eine böse Verschwörungstheorie klingt, ist in Deutschland Gesetz und sogar der Europäische Gerichtshof hat das gerügt und deutsche Staatsanwälte dürfen seit dem keine europäischen Haftbefehle mehr ausstellen, weil ihre Unabhängigkeit von der Politik nicht gegeben ist. Das dürfen seit dem Urteil nur noch Richter. Wenn das für Sie neu ist, lesen Sie es hier Details dazu.
In Italien ist das jedoch anders und so ist es einem hartnäckigen italienischen Staatsanwalt (dort heißen sie „Ermittlungsrichter“) gelungen, den ehemaligen italienischen Premierminister Andreotti vor Gericht zu bringen. Der gab dann öffentlich zu, dass Galdio existierte. Und nicht nur das. Es stellte sich heraus, dass Gladio in Italien Terroranschläge verübt hatte (darunter der schwerste Terroranschlag in Italiens Geschichte auf den Bahnhof in Bologna mit fast 100 Toten), die danach den Roten Brigaden in die Schuhe geschoben wurden. Es ging darum, zu verhindern, dass die von den USA gehassten Kommunisten Wahlen gewinnen und an die Macht kommen. Daher sollte die Öffentlichkeit durch die Terroranschläge so beeinflusst werden, dass sie ihr Kreuz „an der richtigen Stelle macht“, also bei den Parteien, die treu zur USA standen.
Ich will darauf hier nicht im Detail eingehen, das sind aber keine bösen Verschwörungstheorien, das konnte man auch in mindestens zwei Dokus von Arte (also ZDF) mit vielen Interviews der Beteiligten sehen. Sie wurden aber nicht oft und schon gar nicht zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Ich hier verlinke die beiden Dokus hier und empfehle sie jedem wärmstens, der sie noch nicht kennt.
Ernsthaft bestraft wurde am Ende niemand. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Staatsterrorismus in Europa nicht bestraft wird. Und es ist auch nicht ungewöhnlich, dass in Deutschland staatliche Stellen Terroranschläge verüben und sie dann anderen in die Schuhe schieben. Das gleiche haben wir auch in Deutschland schon erlebt.
Das Celler Loch war angeblich ein Terroranschlag der RAF. Ein paar Jahre später stellte sich heraus, dass es nicht die RAF, sondern der Verfassungsschutz war, der hinter dem Bombenanschlag steckte. Es gab einen Untersuchungsausschuss in Niedersachsen, aber bestraft wurde für den vom deutschen Staat in Deutschland verübten Bombenanschlag am Ende niemand, die Details finden Sie hier.
Auch das Europaparlament hat sich damals mit Gladio beschäftigt und im Dezember 1990 in einer Resolution gefordert, dass Gladio in allen EU-Staaten von Untersuchungsausschüssen aufgearbeitet werden solle. Aber wen interessiert in den EU-Staaten schon, was das EU-Parlament beschließt?
Der Aufschrei in Europa blieb aus. Die Medien haben erstaunlich wenig berichtet, sie waren zu der Zeit mit der Wende, dem Zusammenbruch des Ostblocks, der deutschen Wiedervereinigung und so weiter beschäftigt. Gladio ließen sie unter den Tisch fallen.
In Deutschland lief zu dem Zeitpunkt der Wahlkampf 1990. In der SPD gab es angeblich einige Schlaumeier, die den Skandal in die Medien bringen und gegen die regierende CDU nutzen wollten. Denen wurde jedoch schnell klar gemacht, dass das nach hinten losgehen würde, weil es Gladio auch schon unter den SPD-Kanzlern Brandt und Schmidt gegeben hatte. Die einzige Partei in Deutschland, die damals das Ganze thematisieren und sogar einen Untersuchungsausschuss einrichten wollten, waren die Grünen. Das war damals noch eine ganz andere Partei, als heute. Damals waren sie noch nicht oliv-grün, sondern pazifistisch und für einen Nato-Austritt, heute völlig undenkbar für die Grünen, die nun zu 150 Prozent transatlantisch sind. Aber die anderen Parteien haben den Untersuchungsausschuss damals verhindert und in der Folge flogen die Grünen bei der Wahl 1990 für vier Jahre aus dem Bundestag.
Danach – der Kalte Krieg war ohnehin vorbei – war Gladio schnell wieder vergessen. Erst als Daniele Ganser 2005 seine Doktorarbeit über das Thema geschrieben hatte, kam das Thema wieder in die Öffentlichkeit. Allerdings nicht mit dem Ruf nach Aufklärung, sondern weil Ganser angeblich „Verschwörungstheoretiker“ ist. Seine Doktorarbeit wurde aber nie in Frage gestellt, der Doktortitel wurde ihm nie aberkannt. Davon wird abgelenkt, indem irgendwelche „Experten“ zitiert werden, die seine Arbeit anzweifeln. Das steht ihnen frei, aber wenn Dr. Ganser unsauber gearbeitet hätte, müsste man ihm den Doktortitel dafür aberkennen. Dass das nie geschehen ist, ist das Entscheidende.
Und hier kommen wir zur Rolle der Wikipedia.
Der Artikel über Gladio wurde im Dezember 2004, also sogar noch vor der Veröffentlichung von Gansers Doktorarbeit erstellt. In der ersten Version liest man unter anderem folgendes:
„Eine öffentliche Aufarbeitung fand nirgendwo bisher statt, obwohl einzelne Waffen und Sprengmittel aus solchen Depots bei Attentaten und Anschlägen, gerade auch in Italien, auffielen. Danach wurden auch in der BRD und im damals sich neutral gebenden Österreich geheime Waffenverstecke aufgedeckt, aber bis heute weder medial, juristisch oder sonstwie aufgearbeitet. Italiens bekanntes „Gesetz des Schweigens“ (Omerta) greift länder- und themenübergreifend und zuverlässig.“
Der Wikipedia-Artikel über Gladio hat eine ausgesprochen lange Historie, er wurde fast 1.000 Mal verändert. 2007 konnte man auf Wikipedia beispielsweise lesen:
„1990 deckte der italienische Untersuchungsrichter Felice Casson nach Recherchen in den Archiven des Militärgeheimdienstes SISMI die Existenz von Gladio auf. Er konnte beweisen, dass Mitglieder des italienischen Militärgeheimdienstes SISMI, Neofaschisten und Teile des Gladio-Netzwerks von den 1960ern bis in die 1980er Jahre zahlreiche politisch motivierte Terroranschläge und Morde in Italien begangen hatten. Dabei hatte ein Netzwerk geheimdienstlicher Stellen durch Verbreitung von Falschinformationen und Fälschung von Beweisen dafür gesorgt, dass die Verbrechen linksextremen Terroristen zugeordnet wurden, vor allem den Roten Brigaden. Die Vorgehensweise zielte auf die Diskreditierung der in Italien traditionell starken Kommunistischen Partei (KPI) und wurde als Strategie der Spannung bekannt. Eine bis heute nicht vollständig aufgeklärte Rolle spielte dabei auch die Geheimloge Propaganda Due unter Licio Gelli. Der italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti gab unter dem Druck der nachfolgenden parlamentarischen Untersuchung an, dass Gladio auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern existierte, was einen europaweiten politischen Skandal auslöste. Dies führte zu parlamentarischen Anfragen in mehreren Ländern. In Italien, Belgien und der Schweiz kam es zu Untersuchungskommissionen. Das Europaparlament drückte nach einer Debatte am 22. November 1990 seinen scharfen Protest gegenüber der NATO und den beteiligten Geheimdiensten aus“
Und im März 2014 war der Artikel sehr lang und detailliert, es lohnt sich, einen Blick in diese Version des Artikels zu werfen. Das hat einen einfachen Grund: Am 27. März 2014 kaperte der hyperaktive Wikipedia-Autor Kopilot den Artikel und es begann das, was man bei der Wikipedia einen „Edit-War“ nennt, also ein Kampf um den Artikel und seinen Inhalt. Der bei der Wikipedia bestens vernetzte Kopilot gewann wenig überraschend diesen Kampf in wenigen Tagen. Und schon am 1. April 2014 war der Artikel stark gekürzt worden. Ein Vergleich dieser beiden Versionen – vorher (24. März 2014) und nachher (1. April 2014) – zu dem Artikel zu Gladio sprechen Bände. Der Artikel war stark entschärft worden. Kopilot wollte nicht, dass die deutschen Leser allzu viel über Gladio, Verbindungen zu CIA und Nato, Staatsterrorismus und so weiter wussten. Vergleichen Sie die verlinkten Artikel-Versionen selbst.
Anders als der Wikipedia-Autor Feliks, der den Nahost-Konflikt im Sinne der Politik Israels bearbeitet, worüber ich in den letzten zwei Folgen berichtet habe, ist das Thema von Kopilot das transatlantische Bündnis. Alles, was Nato oder USA in ein schlechtes Licht rücken könnte, entfernt er sofort. Er beherrscht eine Unzahl an Artikeln zu dem Thema und wer allzu penetrant versucht, dort objektive Informationen einzustellen, die der Nato-Propaganda und dem gewünschten Narrativ widersprechen, riskiert eine lebenslange Sperre auf Wikipedia.
Dass die Wikipedia als Propaganda-Instrument missbraucht wird und den (deutschen Lesern) verheimlichen soll, dass Nato und CIA mit dem willigen Instrument Gladio Terroranschläge und politische Morde in Europa verübt haben, ist offensichtlich. Und am Gladio-Artikel wird auch wieder offensichtlich, dass Wikipedia eben kein „demokratisches Online-Lexikon“ ist, sondern von einem „Politbüro“ entschieden wird, was am Ende in den Artikeln steht. Das zeigt das Ergebnis des „Edit-Wars“ deutlich. Die Gegner von Kopilot hatten keine Chance, er hat den Artikel danach nach eigenem Gusto umgeschrieben. In der Sendereihe „Neues aus Wikihausen“ ist ein Autor zu Wort gekommen, der zu Gladio einen Edit-War mit Kopilot gekämpft hat und er erzählt detailliert, wie so etwas abläuft. Hier finden Sie bei Interesse die entsprechende Folge.
Der Begriff „Politbüro“ als Bezeichnung für die Gruppe von Entscheidungsträgern in der deutschen Wikipedia ist übrigens nicht von mir, er stammt aus den Diskussionsseiten der Wikipedia und wurde von denen geprägt, die für Objektivität in Artikeln wie dem über Gladio gekämpft haben. Die meisten dieser ehrlichen Kämpfer für Objektivität haben inzwischen aufgegeben, das Politbüro – bestehend aus einigen Dutzend Autoren – beherrscht heute die deutsche Wikipedia und gibt die politische Richtung der Artikel vor. Wer versucht, Dinge einzutragen, die dem Politbüro nicht gefallen, der riskiert eine lebenslange Sperre.
Und wer sich für das Ergebnis der Veränderungen des Wikipedia-Artikels über Gladio interessiert, der sollte sich den aktuellen Artikel über Gladio einmal anschauen und ihn mit der Version vergleichen, die dort zu lesen war, bevor der Nato-Propagandist Kopilot sich den Artikel vorgenommen hat. Schon ein Blick auf die beiden Inhaltsverzeichnisse zeigt plakativ, was geschehen ist (siehe Bild unten).
Den fünften und letzten Teil dieser Serie finden Sie hier.
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