Propaganda

Wie viele Vertragsbrüche von USA und NATO kann der Spiegel in einem Artikel verschweigen?

Der Spiegel hat vor einigen Tagen über die Eröffnung eines Teils der US-"Raketenabwehr" in Europa berichtet. Der Spiegel-Artikel war vor allem deshalb interessant, weil es faszinierend ist, wie viele Kündigungen und sogar Brüche internationaler Verträge durch die USA der Spiegel in einem einzigen Artikel verschweigen kann.

Ich habe am Montag bereits einen Bericht des russischen Fernsehens über die neue, gegen Russland gerichtete US-Raketenbasis in Polen übersetzt. Jetzt will ich zeigen, wie der Spiegel seine Leser bei dem Thema durch Weglassen wichtiger Informationen desinformiert.

Die US-„Raketenabwehr“

Die US-Raketenbasis, die in Polen vor etwa einer Woche offiziell eingeweiht wurde, wird im Westen als Teil der US-„Raketenabwehr“ bezeichnet. Ich berichte seit 2019 (und jeder kann es im Netz leicht überprüfen), dass diese Raketenbasis keine defensive Raketenabwehr, sondern ein aggressives Angriffssystem ist. Der Grund dafür sind die dort verwendeten Abschussrampen vom Typ Aegis Mk-41, denn die sind universell verwendbar und werden normalerweise dazu benutzt, Tomahawk-Marschflugkörper, also Mittelstreckenraketen, abzufeuern.

Das war laut dem INF-Vertrag, der sogar die Entwicklung von landgestützten Kurz- und Mittelstreckenraketen untersagt hatte, verboten, weshalb die USA parallel zum Aufbau der angeblichen Raketenabwehr in Rumänien und Polen 2019 den INF-Vertrag gekündigt haben, denn ansonsten hätten sie die Mk-41 dort nicht aufstellen können. Details dazu und zu den anderen früheren Rüstungskontrollverträgen finden Sie hier.

Auch die „Raketenabwehr“ selbst wurde nur möglich, weil die USA schon unter Präsident Bush Junior den ABM-Vertrag, einen weiteren, wichtigen Rüstungskontrollvertrag gekündigt haben. Der ABM-Vertrag hatte solche Raketenabwehrsysteme verboten, damit keine Atommacht sich der Illusion hingeben kann, einen Atomkrieg gewinnen zu können, weil sie meint, die gegnerischen Raketen abfangen zu können.

Hinzu kommt, die Älteren unter uns werden sich daran erinnern, dass die USA uns damals erzählt haben, die Kündigung des ABM-Vertrages und der Aufbau der sogenannten US-„Raketenabwehr“ in Osteuropa habe einzig und allein den Zweck, Atomraketen aus dem Iran abzufangen, gegen Russland sei das natürlich gar nicht gerichtet.

In dem Spiegel-Artikel, auf den wir gleich kommen, erfährt der Spiegel-Leser von all dem nichts. Alleine die Vorgeschichte der Eröffnung der US-Raketenbasis in Polen enthält also schon zwei Kündigungen von Rüstungskontrollverträgen (INF- und ABM-Vertrag) und eine jahrelang verbreitete Lüge der USA, die der Spiegel in seinem Artikel verschweigt.

Aber wie sollen Spiegel-Leser eine Meldung verstehen, wenn sie die Vorgeschichte gar nicht kennen?

Sowjetische Propaganda-Methoden im Spiegel?

Der Spiegel-Artikel trägt die Überschrift „230 Kilometer von Russland entfernt – USA eröffnen Raketenstützpunkt im Norden Polens“ und er beginnt mit sage und schreibe sechs Absätzen über die Eröffnung der Raketenbasis, in denen der Spiegel die salbungsvollen Worte polnischer Politiker und des neuen NATO-Generalsekretärs über die Wichtigkeit der Basis zitiert.

Der Informationsgehalt dieser ersten fünf Absätze des Spiegel-Artikels ist also praktisch gleich Null, aber er erinnert mich an alte Artikel, wie man sie in den Archiven sowjetischer Parteizeitungen über die Eröffnung irgendeines neuen Kombinates lesen konnte. Da wurden in den ersten Absätzen auch immer ausführlich die salbungsvollen Worte verschiedener Parteisekretäre der Kommunistischen Partei über die Wichtigkeit des neuen Kombinates zitiert.

Aber das nur nebenbei.

Desinformation durch Weglassen

Erst im sechsten Absatz des Spiegel-Artikels kamen greifbare Informationen:

„Obwohl der Stützpunkt Redzikowo nach Angaben des Militärbündnisses nur der Verteidigung dient, spricht Russland regelmäßig von einer Bedrohung. Die Eröffnung des Stützpunkts stelle »einen Vorstoß der US-Militärinfrastruktur in Europa in Richtung unserer Grenzen dar«, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow am Mittwoch.“

Da die NATO laut Spiegel ein rein friedliches Verteidigungsbündnis ist, dass niemandem etwas Böses will, klingt es für den Spiegel-Leser lächerlich, wenn Russland einen NATO-Stützpunkt, der ja noch dazu „nur der Verteidigung dient“, weil er angeblich nur Raketen abwehren soll, als Bedrohung ansieht.

Das funktioniert aber nur deshalb, weil der Spiegel seinen Lesern nie von den Mk-41 berichtet hat, mit denen die USA von ihrer Raketenbasis nicht nur defensive, sondern auch offensive, möglicherweise sogar atomar bestückte Raketen abfeuern können. Würden die USA es etwa nicht als Bedrohung empfinden, wenn Russland so eine Basis nur 230 Kilometer von der Grenze der USA entfernt aufstellen würde?

Aber davon weiß der Spiegel-Leser ja nichts, weil die deutschen Medien ihre Leser und Zuschauer dumm halten und nicht mit derart „nebensächlichen“ Informationen belästigen.

Und noch ein Vertragsbruch

Der siebte Absatz des Spiegel-Artikels lautet:

„Derzeit sind mehr als 10.000 US-Soldaten in Polen stationiert. Der US-Botschafter in Polen, Mark Brzezinski, sagte bei der Zeremonie, er sei »zuversichtlich, dass diese enge Partnerschaft zwischen unseren beiden Nationen fortbestehen« werde.“

Es sei daran erinnert, dass 1997 die NATO-Russland-Grundakte unterzeichnet wurde. Damit haben die USA und die NATO Russland davon überzeugt, seinen Widerstand gegen die ersten Runden der NATO-Osterweiterung aufzugeben. In dem Vertrag wurde eine umfassende Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO vereinbart und die NATO-Staaten haben ausdrücklich versprochen, keine Truppen in den osteuropäischen Neumitgliedern der Allianz zu stationieren.

Bekanntlich verstößt die NATO gegen diesen Vertrag schon seit zehn mindestens Jahren, und heute sind NATO-Soldaten aus allen möglichen Ländern in Osteuropa stationiert, es sei nur an die deutsche Brigade erinnert, die derzeit zusätzlich im Baltikum stationiert werden. Und auch die 10.000 US-Soldaten in Polen, die der Spiegel so frank und frei erwähnt, sind ein solcher Verstoß gegen den Vertrag, den der Spiegel in seinem Artikel verschweigt.

Im achten und letzten Absatz meckert der Spiegel noch ein wenig über Putin und Trump.

Haben Sie mitgezählt?

Wir haben also einen Spiegel-Artikel, der nur acht Absätze umfasst, von denen die ersten sechs Absätze irgendwie wie die gute alte Propaganda aus der Sowjetunion oder der DDR klingen und der letzte Absatz auch keine Informationen zum eigentlichen Thema enthält.

Der Artikel enthält nur zwei Absätze mit Informationen, wobei der Spiegel es aber fertig bringt, einen Vertragsbruch der USA und der NATO (NATO-Russland-Grundakte), zwei Kündigungen von wichtigen Rüstungskontrollverträgen (INF- und ABM-Vertrag) und eine jahrelang verbreitete Lüge der USA („Die Raketenabwehr ist gegen den Iran gerichtet!“) zu verschweigen. Und wenn wir streng sein wollen, verschweigt der Spiegel auch noch, dass die USA Gorbatschow seinerzeit versprochen haben, die NATO „nicht einen Zoll“ nach Osten auszudehnen.

Ohne den Machthunger der USA, die ihr Machtinstrument NATO immer weiter an Russlands Grenzen ausgedehnt haben, wäre Europa heute ein friedlicher Ort.

Aber das ist natürlich nur „russische Propaganda“ – würde sich ein Spiegel-Leser denken, weil er vom Spiegel und von all den anderen deutschen Mainstream-Medien von all den Hintergründen nie etwas gehört hat.


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

6 Antworten

  1. „Obwohl der Stützpunkt Redzikowo nach Angaben des Militärbündnisses nur der Verteidigung dient, spricht Russland regelmäßig von einer Bedrohung….“

    Ja klar, auch Russland selber anzugreifen dient offensichtlich nur der Verteidigung, zur Not halt erstmal von Nichtbündnismitgliedern. Ansonsten ist bei der NATO alles wie damals bei der Operation Barbarossa. Das war auch ein sehr harter deutscher Abwehrkampf, die Älteren werden sich erinnern.

    Angaben des „Militärbündnisses“ sind in der Pfeife zu rauchen und ihnen wurde viel zu lange Glauben geschenkt.

    1. leider sind die älteren, die damals bis zur Wolga und eventuell noch nach Hause kamen, heute nicht mehr am Leben. Die hatten meistens begriffen wie groß Russland wirklich ist.

      Die heutigen Nachfahren wollen diese Erfahrung gern selbst machen, blöd ist nur das das einfache Volk für diese Kriegsbrut sterben muss.
      Die Kriegstreiber sind komischerweise nie an vorderster Fron zu finden.

  2. Ich habe übrigens das Video vom Russischen ICBM-Angriff gesehen, wenn das Video denn echt ist.
    36 Raketen transportiert so ein Teil, das ist mal eine ganze Menge.

    Was von dieser Anlage in Dnjepropetrowsk wohl noch übrig sein mag…

  3. „Wieviel kann der Spiegel in einem Artikel verschweigen?“

    Vielleicht kann man das entfernt auch mit einem verpfuschten Start vergleichen?
    Northwest-Airlines-Flug 255 – eine McDonnell Douglas MD-82 im Linienflug von Detroit nach Phoenix – stürzt sofort beim Start ab, wobei 154 Menschen an Bord und zwei am Boden ums Leben kommen. Als einzige überlebt eine Vierjährige.

    Die Flugunfall-Ermittler waren beim Abhören der Gespräche im Cockpit nicht darüber schockiert „was sie von den beiden Piloten zu hören bekamen“ … sie waren darüber schockiert: „was sie NICHT* zu hören bekamen!“
    *(den Check der technischen Startkonfiguration, ohne die fast jede Maschine gar nicht erst in die Luft kommt.)

    Vlt. bekommt ja der Spiegel irgendwann auch keinen Auftrieb mehr „weil sie nix mehr checken?“

  4. Der Rüstungsbetrieb Pivdenmash/Yuzhmash in Dnipropetrovsk (Dnipro) scheint letzte Nacht nicht nur weitere 4 KH-101 (Iskander gab es schon am 08.09.2024), sondern auch zum erstem Mal einen 6×6 = 36 Cluster (sechs Sprengköpfe mit jeweils sechs Submunitionen) einer RS-26 ICBM (intercontinental ballistic missile) mit programmierbaren/gerichteten Sprengköpfen abbekommen zu haben und Maria Zakharova erhält Anweisungen, sich nicht zu dem Vorgang zu äußern.

    Wie der abgelaufene Selenskyj ganz richtig sagte: Lasst die Raketen sprechen.

    https://t.me/militaernews/28857
    [https://t.me/vladi_the_gr8/61823]
    [https://t.me/rezervsvo/81311]
    [https://t.me/GeopolErg/14307]

  5. „Obwohl der Stützpunkt Redzikowo nach Angaben des Militärbündnisses nur der Verteidigung dient“

    Demnächst im Spiegel:

    Die NATO hat gestern 20 Atombomben auf verschiedene Stadtteile von Moskau und St. Petersburg geworfen. Nach Angaben des Militärbündnisses diente das nur der Verteidigung, weil der russische Diktator Vladolf Putler dort neue Soldaten für Russland fabrizieren liess. Der Autokrat beschwerte sich im UN-Sicherheitsrat über diese Aggression der NATO und bezeichnete die Soldatenfabriken als „Familienförderung“ – aber selbstverständlich haben die endlich von der NATO gestoppten Programme nur dazu gedient, Russen zu fabrizieren, die dann nach 18 Jahren ins Militär eingezogen werden können um unschuldige pazifistische Nachbarn wie die Ukraine zu überfallen.

    Der UN-Sicherheitsrat entschied sich gegen die Beschwerde des russischen Tyrannen, der zuerst Georgien und dann die Ukraine grundlos überfallen hat, nachdem gleich mehrere zivilisierte Länder wie die USA, Grossbritannien und Frankreich ein Veto eingelegt haben. Damit zeigt sich erneut, dass Russland international vollkommen isoliert ist.

    „Unser Verteidigungsschlag gegen die russische Soldatenproduktion war ein voller Erfolg“, erklärte NATO-Generalsekretär Rutte. „Nach ersten Schätzungen haben wir in etwa 25 Millionen potentielle Soldaten unschädlich gemacht.“

    Deutschland und die Ukraine nominierten die NATO für den Friedensnobelpreis, weil durch diesen Verteidigungsschlag die weiteren Kriegspläne Moskaus verhindert sein dürften.
    Das Weisse Haus ist darüber verstimmt, weil für die NATO-Aktion nur US-Amerikanische Waffen verwendet wurden. „Ich sollte den Friedensnobelpreis alleine bekommen, und in nicht mit den UntermenschenPartnern aus den anderen NATO-Ländern teilen müssen“, argumentierte der Demokrat Biden überzeugend. „Wir haben dafür bezahlt, wir haben dafür unsere Kampfflugzeuge riskiert. Die anderen NATO-Länder haben nur zugesehen. Sie müssen mindestens ihre Militärausgaben auf 20% des BIP erhöhen, um mehr amerikanische Waffen zu kaufen!“

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