Kriegsbeteiligung

Warum die Ukraine westliche Raketen nicht ohne NATO-Soldaten gegen Russland einsetzen kann

Die USA und die NATO behaupten immer noch, sie seien nicht mit Russland im Krieg. Wenn man sich jedoch anschaut, wie der Einsatz der aus dem Westen gelieferten Raketen funktioniert, mit denen Kiew nun Ziele in Russland beschießt, stellt man sofort fest, dass das gelogen ist.

Ich habe beim russischen Portal Wsgljad einen sehr interessanten Artikel gefunden, der erklärt, warum die Raketen, deren Einsatz die Biden-Regierung nun gegen Russland gestattet hat, nicht von der Ukraine eingesetzt werden können, sondern warum dazu NATO-Soldaten nötig sind. Der Artikel ist in meinen Augen etwas umständlich geschrieben, weshalb ich ihn nicht übersetze, sondern als Grundlage nehme, um aufzuzeigen, worum es bei dieser Frage geht.

Die Waffen

Die erste Frage ist, um welche Raketentypen es geht. Was hat die Ukraine bekommen und was sind die wichtigsten Leistungsdaten der Raketen?

Es geht um ballistische US-Raketen vom Typ ATACMS (Reichweite 300 Kilometer, abgefeuert aus HIMARS-Mehrfachraketenwerfern), um US-Marschflugkörper vom Typ JASSM (Reichweite 370 Kilometer, abgefeuert von Kampfflugzeugen), um die baugleichen Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow (Großbritannien) und SCALP-EG (Frankreich), die ebenfalls von Flugzeugen abgefeuert werden und eine Reichweite von bis zu 560 Kilometern haben, wobei die Ukraine nach offiziellen Angaben die Exportversion dieser Marschflugkörper bekommen hat, deren Reichweite auf etwa 300 Kilometer begrenzt ist.

Ballistische Raketen fliegen auf einer ballistischen Flugbahn, steigen also sehr hoch auf und fliegen dann in ihr Ziel. Marschflugkörper sind komplizierter, denn das sind Raketen, die sehr tief fliegen, um vom Radar möglichst nicht entdeckt zu werden. Daher benötigen sie sehr detaillierte und aktuelle Flugpläne, die auch Bodenreliefkarten enthalten. Diese Karten müssen aktuell sein, damit so ein Marschflugkörper in seinem Tiefflug auf dem Weg ins Ziel nicht beispielsweise in eine neu gebaute Stromleitung oder ein neu gebautes Haus rast.

Aufklärungsdaten

Und damit sind wir beim zentralen Problem, denn die nötigen Aufklärungsdaten, also aktuelle Satellitenfotos, Bodenreliefkarten und so weiter, hat die Ukraine nicht. Diese Daten bekommt sie vom Westen, in erster Linie von den USA.

Das US-Militär verfügt über mehr als 400 Satelliten, darunter mehrere Dutzend Aufklärungssatelliten. Die EU und andere NATO-Staaten haben weit weniger Satelliten. Die Ukraine selbst hat keinen einzigen, weshalb die ukrainischen Streitkräfte, vollständig auf nachrichtendienstliche Informationen aus dem Westen angewiesen sind.

Schon die bloße Übermittlung nachrichtendienstlicher Informationen an eine Kriegspartei kann aus völkerrechtlicher Sicht eine Kriegsbeteiligung bedeuten. Ich beziehe mich bei dieser Aussage auf den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, der schon im März 2022 ein 12-seitiges Gutachten zu dieser Frage erstellt hat, in dem es zur Übermittlung von Geheimdienstinformationen hieß:

„Hier sind die genauen Umstände entscheidend: Je substanzieller die Unterstützung wird und je abhängiger die unterstützte Partei, also die Ukraine in unserem Fall, davon ist, desto näher kommt man der roten Linie.“

Alleine die Tatsache, dass die USA und viele NATO-Staaten (inklusive Deutschland) kein Geheimnis daraus machen, dass sie der Ukraine operative Daten liefern (von denen die Ukraine vollkommen abhängig ist), sind diese Staaten aus völkerrechtlicher Sicht schon lange Kriegsparteien im Krieg gegen Russland. Das sagt zumindest das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.

Dabei geht es nicht nur um die Weitergabe von Satellitenbildern, denn die Bilder müssen in speziellen Datenverarbeitungszentren entschlüsselt und ausgewertet werden. Weltweit gibt es nur wenige solcher Zentren, in der Ukraine gibt es kein einziges.

In den USA ist dafür die National Geospatial-Intelligence Agency (NGA) zuständig, in Frankreich das Centre d’Expertise de la Défense (CED) und in Großbritannien die Defence Intelligence Organisation. Darüber hinaus gibt es NATO-Strukturen wie die NATO Communications and Information Agency (NCIA), oder das das Allied Joint Force Command und das Allied Command Operations (ACO), die Daten zur Unterstützung militärischer Operationen verarbeiten und auswerten können. Alle Zentren sind durch duplizierte digitale Kommunikationsverbindungen miteinander verbunden. Und sie alle liefern den ukrainischen Streitkräfte aktuelle Aufklärungsdaten, was – siehe Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages – aus Sicht des Völkerrechts bereits eine direkte Kriegsbeteiligung der NATO bedeutet.

In all diesen Zentren werden vor allem – aber nicht nur –Informationen der Satellitenaufklärung in Echtzeit verarbeitet. Die verarbeiteten Informationen dienen als Grundlage für die Ermittlung der genauen Zielkoordinaten, also des Punktes, an dem eine Waffe einschlagen soll.

Bodenreliefkarten

Man könnte nun fragen, ob nicht auch öffentlich verfügbare Daten von Kartendiensten wie Google Maps, Yandex Maps oder anderen Diensten verwendet werden können. Oder mit anderen Worten: Warum behauptet Russland, dass die Ukraine diese Daten von NATO-Stellen und nicht aus öffentlichen Quellen bezieht? Schließlich sind auch da die genauen Koordinaten potenzieller Ziele zu finden.

Ja, die Koordinaten zivilen Zielen wie Infrastruktur-, Industrie- oder Energieanlagen kann man dort bekommen, aber das hilft nicht bei militärischen Objekten, denn es geht ja nicht nur darum, beispielsweise einen Militärflugplatz anzugreifen, sondern man will das tun, wenn dort gerade möglichst viele wertvolle Flugzeuge stehen. Die Daten von Kartendiensten sind dafür jedoch nicht aktuell genug, dazu braucht es Echtzeitdaten..

Das gleiche gilt für Truppenverbände, Schiffe in Häfen und vor allem für die Luftverteidigung, die man bei der Flugplanung möglichst umfliegen will. Diese Daten ändern sich rasch und müssen ständig aktualisiert und schnell verarbeitet werden.

Außerdem geht es um Daten über das Geländehöhenprofil von hoher Genauigkeit, also die erwähnten Bodenreliefkarten, die vor allem für die Marschflugkörper (im Falle der Ukraine Storm Shadow, SCALP, JASSM oder auch Taurus) unerlässlich sind, wie wir auch aus dem geleakten Telefonat der Luftwaffengeneräle wissen.

Diese Karten von Russland hat weder die Ukraine noch sind sie in den öffentlich zugänglichen Geodiensten verfügbar. Solche Karten von Russland haben nicht einmal Frankreich und Großbritannien, die haben nur die USA – und auch Deutschland, denn die Bundeswehr hat 2021 solche Karten von Russland bestellt.

Wie das in der Praxis funktioniert

Es ist also nicht so, dass ein paar ukrainische Soldaten, die einen aus den USA gelieferten HIMARS-Mehrfachraketenwerfer bedienen, der ATACMS-Raketen abschießen kann, einfach auf einen Knopf drücken und die Raketen starten und fliegen ins Ziel. Jeder dieser Angriffe braucht sehr viel Vorbereitung.

Zunächst muss der Flugplan für die Rakete erstellt und in die Rakete geladen werden. Diese Flugpläne werden nicht in der Kabine des Raketenwerfers oder Flugzeugs erstellt, sondern in den oben erwähnten Datenzentren. Das ist ein ein komplexes Verfahren, das die Mitwirkung vieler verschiedener Spezialisten erfordert.

Zunächst werden die von den NATO-Satelliten empfangenen Aufklärungsinformationen über Ziele an die ukrainischen Hauptquartiere übermittelt. Dort erfolgt die Entscheidung, welche Ziele beschossen werden sollen. An den HIMARS-Kontrollpunkten wird ein bestimmter Raketenwerfer ausgewählt, um die zugewiesene Aufgabe zu erfüllen. Der gesamte Informationsaustausch erfolgt über sichere digitale NATO-Kommunikationsleitungen, in erster Linie über Link-16.

Wenn der HIMARS-Raketenwerfer an der Abschussposition angekommen ist, wird mithilfe von GPS sowohl die Position des Raketenwerfers auf den Zentimeter genau bestimmt als auch die Orientierung zu den Himmelsrichtungen auf ein Hundertstel Grad genau ermittelt. Diese Daten werden an die NATO-Informationsverarbeitungszentren weitergeleitet, wo Spezialisten auf der Grundlage der empfangenen Daten den Flugplan für die Raketen erstellen. Die Spezialisten, die den Flugplan erstellen, sind Soldaten aus NATO-Ländern, in der Regel aus den USA, schließlich sitzen in den Datenzentren der NATO keine Ukrainer.

Der so erstellte Datensatz wird anschließend an den HIMARS-Raketenwerfer zurückgeschickt und der Kommandant gibt den Flugplan in den Bordcomputer der Rakete ein und feuert sie dann ab.

Bei einigen NATO-Raketensystemen können die Kommandanten in der Kabine die Zielkoordinaten selbst eingeben. Der Flugplan wird dann vom Bordcomputer berechnet. Jedoch lässt das Steuerungsprogramm die Eingabe von Parametern, die die Rakete beispielsweise auf NATO-Territorium lenken würden, schlichtweg nicht zu. Um den Einsatzbereich der Rakete zu erweitern oder die entsprechenden Sicherheitssperren zu entfernen, ist wiederum das Eingreifen von NATO-Personal in den entsprechenden Kontrollzentren erforderlich.

Übrigens ist das ein generelles Problem, das Staaten haben, die moderne US-Waffen kaufen. Die haben Sicherungen einprogrammiert, die es verhindern, dass diese Waffen gegen US-Truppen oder deren Verbündete eingesetzt werden können. Diese Sicherungen sind schwer zu deaktivieren. Wer US-Waffen kauft, kann sie also nicht nach Belieben verwenden, die USA können dabei eingreifen.

Die Eingabe von Flugplänen für Marschflugkörper auf Su-24-Bombern und F-16-Jagdbombern funktioniert ungefähr genauso. Die einzige Besonderheit besteht in der Beweglichkeit des Flugzeugs, das nicht, wie ein Raketenwerfer, an einem genauen Abschusspunkt steht. Die Marschflugkörper können ihren Kurs jedoch anhand eines Radarporträts des Geländes korrigieren. Sie verfügen sogar über Fotos des Ziels. Der Pilot des Flugzeugs bestimmt also auch hier keinesfalls, wie und wohin die Rakete fliegen wird, sondern bekommt diese Daten vom NATO-Gefechtszentrum.

Daher sind die ukrainischen Bediener von Raketenwerfern und Marschflugkörpern nichts weiter als „Fahrer“, deren Aufgabe es lediglich ist, die Abschussvorrichtung (Raketenwerfer oder Flugzeug) in Position zu bringen, die eigenen Koordinaten zu erfassen, sie an das Kontrollzentrum zu übermitteln und dann die Eingabetaste zu drücken, nachdem der von Spezialisten programmierte Flugplan eingetroffen ist. Danach müssen sie noch auf den Feuerknopf drücken.

Daher ist die russische Behauptung, dass der Einsatz dieser Waffen tief im russischen Hinterland de facto eine Kriegsbeteiligung der NATO und der USA ist, nicht von der Hand zu weisen. Sie sind es, die das letzte Wort bei der Entscheidung haben, was angegriffen wird und sie bereiten die Angriffe vor. Die Ukrainer haben bestenfalls die Aufgabe, den Feuerknopf zu drücken. Wobei es sich bei den Soldaten dort oft um Söldner aus NATO-Staaten handelt, weshalb es oft nicht einmal Ukrainer sind, die tatsächlich den Feuerknopf drücken.


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

8 Antworten

  1. Das Geländehöhenprofil ist inzwischen auch in relativ hoher Genauigkeit öffentlich verfügbar:
    https://portal.opentopography.org/raster?opentopoID=OTSRTM.082015.4326.1

    Darauf basieren z.B. die Höhenlinien in OpenStreetMap-basierten Karten wie OpenCycleMap – dass die genau sind, kann man sich auf den Karten ansehen.

    Das Militär hat wahrscheinlich noch genauere Versionen, aber die OTSRTM-Daten sollten eigentlich reichen.

    Aber für die Aufklärungsdaten werden definitiv die westlichen Daten gebraucht.

  2. 20.11.2024 – 16:04 Uhr
    Ukraine feuert Briten-Raketen auf Russland
    Die Ukraine hat nach Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg erstmals russisches Gebiet mit britischen Raketen des weiterreichenden Typs Storm Shadow beschossen. Das berichtet die Agentur unter Berufung auf einen nicht identifizierten westlichen Regierungsvertreter.

    Ein Sprecher des britischen Premierministers Keir Starmer erklärt, sein Büro werde sich nicht zu Berichten oder operativen Angelegenheiten äußern. Großbritannien hatte zuvor zwar erklärt, die Ukraine könne Storm-Shadow-Marschflugkörper nur innerhalb des ukrainischen Territoriums einsetzen. Zugleich drängte die Regierung in London darauf, dass die USA eine Erlaubnis für den Einsatz solcher Waffen auch auf russischem Gebiet erlaubten. Dem hat US-Präsident Joe Biden Insidern zufolge für US-Raketen mittlerweile stattgegeben.

    Gibt dazu ein Video welches aber nicht geolokalisiert werden kann, es sind auch ledeglich nur Überflüge und Explosionen zu hören, ziemlich am Ende womöglich auch aufsteigenden Rauch nahe einer Wohnsiedlung.

    Würde mich nicht Wundern wenn morgen die Medien berichten das Biden auch den Einsatz französischer Raketen erlaubt hat und kurz darauf schon Meldungen kommen das Russland mit Scalps angegriffen wurde.

    Aber allein das Biden hier die Entscheidungen trifft, zeigt mir das allein die USA die Führungsrolle in diesem Krieg gegen Russland inne hat, und Russland sollte auch dementsprechend reagieren

  3. 10 von 12 Storm Shadows sollen ihr Ziel getroffen haben.
    https://www.youtube.com/watch?v=hP1D7FXCS4k

    An Putin gerichtet, ich hoffe doch sehr, das Sie es jetzt nicht an der Ukraine auslassen sondern eine unmißverständliche Antwort an die USA direkt senden! Nicht Ukraine, nicht EU sondern direkt die USA und die Antwort muss sehr sehr schmerzhaft sein. Sie werden doch sicher wissen wo die CVN-78 Ford sich gerade aufhält.

  4. Die USA haben das fortschrittlichste Aufklärungs und Zielführungssystem mit Satelliten etc. auf der Welt. Gegen ein Land mit fortschrittlicher Luftabwehr Raketen ins Ziel zu führen, sind Zielkoordinaten von Satelliten aus der Vergangenheit nicht so effektiv wie die mit Echtzeit und laufender Kurskorrektur in Kenntnis der aktuellen Stellung von Luftabwehr wie der mobilen S400. Die Ukraine kann zwar möglicherweise die Raketen mit Zielkoordinaten selber starten, hat aber nicht die US-Technologie und deshalb wird und würde größtenteils alles abgeschossen. Gleiches gilt für Drohnen. Wenn es stimmen sollte, dass 10 von 12 Storm Shadows getroffen haben, wurde von den USA die Technologie eingesetzt. Der Ausbau mit Satelliten wird von den USA fortgesetzt und immer weiter perfektioniert.

    1. @teplinski popow

      Technologie ist toll… allerdings muss man sich diese auch leisten können …

      Ich erinnere, dass Moskau erst NACH 2014 angefangen hat massiv! Geld in den Westen zu überweisen und bei Beginn der mil OP waren es mehr als 500 Milliarden $.

      Bis jetzt hat Russland die Kosten auf „beiden Seiten“ allein bezahlt…
      Mal gucken wie lange sich Russland diese Politik in Moskau noch leisten kann …

      1. Tja, ich mag die russischen Dollar-Milliadäre genausowenig wie die Westlichen. Ich denke, dass Putin seit dem Krieg da was geändert hat. Der Ami investiert und verschudet sich dafür,
        dass wird sich unter Pax Trumpus nicht ändern. Stellen sich vor, alles was die Russen militärisch machen wird in Echtzeit erfasst und als Ziel fixiert.

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