Die "Mythen" der EU-Kommission

Teil 12: Imperialismus, Neokolonialismus und eine multipolare Weltordnung

Die EU-Kommission hat 13 angebliche Mythen über den Krieg in der Ukraine veröffentlicht, die ich in einer Artikelserie vorstelle. In diesem Teil geht es unter anderem um die Frage, gegen Imperialismus, Neokolonialismus und eine multipolare Weltordnung kämpft.

Ich beschäftige mich in dieser 13-teiligen Artikelserie mit einer Seite, die die Vertretung der EU-Kommission in Deutschland online gestellt hat und die den Titel „13 Mythen über den Krieg Russlands in der Ukraine – und die Wahrheit“ trägt. Man sollte meinen, dass die EU-Kommission in der Lage ist, angebliche russische „Mythen“ mit überzeugenden Belegen für „die Wahrheit“ zu widerlegen. Doch weit gefehlt.

In diesem zwölften Teil der Artikelserie beschäftigen wir uns mit einem weiteren von der EU-Kommission genannten „Mythos“, der lautet:

„Mythos 12: Russland kämpft in der Ukraine gegen westlichen Imperialismus und Neokolonialismus und für eine multipolare Weltordnung, in der sich Länder nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischen.“

Westlicher Imperialismus, Neokolonialismus und eine multipolare Weltordnung

In ihren Erläuterungen zu diesem „Mythos“ geht die EU-Kommission kaum auf das ein, was sie hier geschrieben hat, sondern schreibt über völlig andere Themen, wie wir gleich sehen werden. Daher will ich vorher darauf eingehen, was die EU-Kommission in dem „Mythos“ geschrieben hat.

Der westliche Imperialismus und Neokolonialismus ist für jeden, der außerhalb des Westens lebt, unübersehbar, während die westlichen Medien mit ihren Märchengeschichten über den angeblichen Kampf des Westens für Demokratie, Menschenrechte, irgendwelche „Werte“ und so weiter ihr heimisches Publikum von dieser offensichtlichen Tatsache ablenken.

Der US-geführte Westen verlangt von den Ländern der Welt, dass sie das westliche politische und wirtschaftliche System übernehmen sollen, dass sie die gleichen „Werte“ wie der Westen, also LGBT und anderen Unsinn, teilen sollen und natürlich, dass sie Zölle abbauen sollen, damit westliche Waren ungehindert die Märkte anderer Länder überschwemmen können. Und natürlich erwartet der US-geführte Westen auch, dass die anderen Länder ihre Bodenschätze von westlichen Konzernen abbauen und verarbeiten lassen.

Wenn sich Länder gegen einen oder mehrere dieser Punkte wehren, dann droht der Westen ihnen, verhängt Sanktionen oder zerstört die Länder in Kriegen (siehe Syrien, Irak, Libyen, etc.), was er zynisch damit begründet, dort unbedingt irgendeinen Diktator stürzen zu müssen, um einem Land endlich Demokratie und Freiheit zu bringen.

Das deutsche Wikipedia definiert Imperialismus wie folgt:

„Als Imperialismus (…) bezeichnet man das Bestreben eines Staatswesens bzw. seiner politischen Führung, in anderen Ländern oder bei anderen Völkern politischen und wirtschaftlichen Einfluss zu erlangen, bis hin zu deren Unterwerfung und zur Eingliederung in den eigenen Machtbereich.“

Das ist genau das, was der US-geführte Westen jeden Tag tut und wogegen sich Russland wehrt, wobei inzwischen praktisch der gesamte globale Süden mehr oder deutlich mitteilt, dass er Russlands Kampf gegen diesen Imperialismus gut heißt. Viele Staaten sagen das, aus Angst vor Sanktionen oder Krieg mit dem Westen, noch nicht offen, aber dafür gab es ungezählte Beispiele, sei es der G20-Gipfel 2023, sei es der EU-CELAC-Gipfel 2023, seien es die G77, in denen alle Staaten des globalen Südens vereinigt sind, sei es der Gipfel der Finanzminister der G20 in 2024, seien es die BRICS, die sich vor Mitgliedsanträgen kaum retten können, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Da sich das deutsche Wikipedia scheut, eine eindeutige Definition für Neokolonialismus zu geben, zitiere ich hier die Definition aus einem deutschen Wirtschaftslexikon:

„Neokolonialismus ist direkte Beherrschung der Länder der Dritten Welt über Spielregeln des kapitalistischen Weltmarktes. Die vom Kolonialismus befreiten Entwicklungsländer konnten allenfalls eine De-Jure-Unabhängigkeit erreichen; die direkte Beherrschung wurde durch eine indirekte abgelöst. Militärische, politische, kulturelle, technologische, finanzielle und wirtschaftliche Abhängigkeiten stellen Mechanismen des Neokolonialismus dar.“

Auch das beschreibt exakt das Verhalten der westlichen Staaten gegenüber ihren ehemaligen Kolonien. Und wenn sich Länder dagegen wehren, wie beispielsweise aktuell Niger, Mali und Burkina Faso gegen ihre ehemalige Kolonialmacht Frankreich, dann geht der Westen dagegen wieder mit Sanktionen, Kriegsdrohungen und sogar der Unterstützung von Terroristen vor, um in den Ländern wieder eine Regierung einzusetzen, die sich dem Westen wieder gehorsam unterwirft.

Dass Russland im Gegensatz dazu „für eine multipolare Weltordnung, in der sich Länder nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischen“, steht, ist bekannt. Das verkündet die russische Regierung bei jeder Gelegenheit und bekommt dafür zum Ärger des Westens im globalen Süden viel Applaus, denn die nicht-westlichen Länder der Welt haben es satt, dass der US-geführte Westen sich in ihre Angelegenheiten einmischt und ihnen vorschreiben will, wie sie zu leben haben.

Hinzu kommt, dass Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder eine Selbstverständlichkeit sein sollte, denn die UN-Charta verbietet das unmissverständlich. In Artikel 2.7 der UN-Charta ist unmissverständlich festgelegt, dass weder die UNO noch ihre Mitgliedstaaten „in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“, eingreifen dürfen. Mit seinen Aktionen verstößt der Westen daher auch noch regelmäßig gegen das Völkerrecht.

Ich weiß, dass ich den meisten Lesern damit nichts Neues erzählt habe, aber wenn ich den Unsinn, den die EU-Kommission schreibt, widerlegen will, dann musste dieser Exkurs sein.

Wer hat „imperialistische und kolonialistische Ambitionen“?

Die EU-Kommission schreibt (Link aus dem Original):

„Das Kreml-Regime versucht schon lange, sich öffentlich als antiimperialistisch und antikolonialistisch darzustellen. Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine legte jedoch seine eigenen imperialistischen und kolonialistischen Ambitionen bezüglich seiner Nachbarn in Europa, im Kaukasus und in Asien offen.“

Nach der Einleitung dieses Artikels ist klar, wer „imperialistische und kolonialistische Ambitionen“ hat. Da die USA die Ukraine nach dem Maidan faktisch in eine Kolonie verwandelt haben, die gegen Russland in Stellung gebracht wurde, hatte Russland irgendwann keine andere Wahl mehr als in der Ukraine einzugreifen, wenn es die Stationierung amerikanischer (Atom-)Raketen unmittelbar vor seiner Haustür in Zentralrussland verhindern wollte.

Die USA haben in der Kubakrise genauso gehandelt, als sie sowjetische Atomraketen auf Kuba verhindern wollten. Da die westlichen Geschichtsbücher dafür volles Verständnis haben, sollte der Westen, wenn er ehrlich wäre, auch Verständnis dafür haben, dass die Aussicht auf US-Atomraketen in der Ukraine für Russland eine rote Linie war, bei der Russland keine andere Wahl mehr hatte, als das mit Gewalt zu verhindern.

Das als russische „imperialistische und kolonialistische Ambitionen“ zu bezeichnen, zeigt den ganzen Zynismus der EU-Kommission, denn wie war das nochmal, als die USA dem Irak, der nun weiß Gott nicht vor der Haustür der USA liegt, vorgeworfen haben, er habe Massenvernichtungswaffen? Das war frei erfunden und gelogen, aber niemand in der EU hat den USA wegen der Zerstörung des Irak und der darauf folgenden Vergabe der irakischen Ölförderlizenzen an US-Konzerne „imperialistische und kolonialistische Ambitionen“ vorgeworfen.

Der ukrainische Präsident Selensky hingegen hat am 19. Februar 2022 auf der Münchner Sicherheitskonferenz offen damit gedroht, die Ukraine gegen Russland nuklear zu bewaffnen. Im Gegensatz zur Massenvernichtungswaffen-Lüge der USA beim Irakkrieg war die Bedrohung für Russland damit mehr als real. Dass Russland auf diese Bedrohung fünf Tage später militärisch reagiert hat, war nicht überraschend.

Die alten Lügen immer wieder neu…

Weiter schreibt die EU-Kommission (Link aus dem Original):

„Durch Beginn eines Kriegs in der Ostukraine im Jahr 2014, die illegale Annexion der Krim im selben Jahr und den Beginn einer groß angelegten Invasion im Jahr 2022 hat Russland grob gegen internationales Recht und die UN-Charta verstoßen und den Weltfrieden bedroht sowie die globale Sicherheit und Stabilität gefährdet.“

Ich will hier nicht wieder darauf eingehen, warum die Wiedervereinigung der Krim mit Russland keineswegs eine „illegale Annexion“ war, wen es interessiert, der kann es hier nachlesen.

Auch der westliche Vorwurf, Russland habe 2014 einen Krieg im Donbass begonnen, wird durch ständige Wiederholung nicht wahrer. Der Krieg im Donbass begann im April 2014, als die durch den Maidan-Putsch an die Macht gekommene, nicht gewählte ukrainische Regierung in Anwesenheit des CIA-Chefs entschied, Truppen gegen die damals noch unbewaffneten Demonstranten im Donbass in Marsch zu setzen.

Danach waren dort Beobachter der OSZE vor Ort, die übrigens keineswegs neutral waren, aber auch die haben in keinem ihrer täglichen Berichte gemeldet, im Donbass russische Soldaten gesehen zu haben. Das hindert die westlichen Propagandisten aber nicht daran, zu behaupten, Russland sei dort einmarschiert. Mein altes Angebot an die westlichen Propagandisten gilt immer noch: Zeigt mir auch nur einen einzigen OSZE-Bericht aus dem Donbass, in dem die OSZE über russische Truppen berichtet hat.

Lustig ist mal wieder der Link, den die EU-Kommission setzt, um ihre Behauptung zu belegen, Russland habe „grob gegen internationales Recht und die UN-Charta verstoßen“, denn wieder einmal verlinkt die EU-Kommission als Bestätigung für ihre eigenen Behauptungen als Quelle auf sich selbst. Der Link führt nämlich zur Seite der Vertretung der EU-Kommission in der Mongolei.

Und noch mehr Wiederholungen…

Weiter schreibt die EU-Kommission (Link aus dem Original):

„Am 2. März 2022 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit eine Resolution, in der sie den brutalen Einmarsch der Russischen Föderation in die Ukraine zurückwies und verlangte, dass Russland augenblicklich seine Streitkräfte abzieht und sich an internationales Recht hält.“

Da die EU-Kommission hier wiederholt, was sie bereits in ihrem 10. „Mythos“ geschrieben hat und auf die UN-Resolution vom März 2022 hinweist, wiederhole ich hier auch noch einmal, was ich dazu bereits geschrieben habe.

Wenn EU-Kommission darauf hinweist, dass die UN-Generalversammlung mit überwältigender Mehrheit gefordert hat, dass Russland aus der Ukraine abziehen solle, muss man darauf auch darauf hinweisen, dass das Anfang März 2022 war, als die Länder der Welt noch Angst vor dem US-geführten Westen hatten und daher viele Länder auf Druck des Westens so abgestimmt haben.

Und die EU-Kommission verschweigt, dass sich das längst geändert hat, weil immer mehr Länder die Angst vor dem US-geführten Westen verloren haben. Inzwischen signalisiert die Mehrheit der Staaten der Welt, dass sie Verständnis für Russlands Handeln haben und vor allem, dass sie die Politik des Westens und die Russland-Sanktionen ablehnen. Dafür gab es, wie schon erwähnt, ungezählte Beispiele, sei es der G20-Gipfel 2023, sei es der EU-CELAC-Gipfel 2023, seien es die G77, in denen alle Staaten des globalen Südens vereinigt sind, sei es der Gipfel der Finanzminister der G20 in 2024, seien es die BRICS, die sich vor Mitgliedsanträgen kaum retten können.

Das gleiche gilt auch für den nächsten Absatz, in dem die EU-Kommission schreibt (Link aus dem Original):

„Im Oktober 2022 stimmte die UN-Generalversammlung mit überwältigender Mehrheit dafür, Russlands Versuche zu verurteilen, vier temporär besetzte Gebiete in der Ukraine nach Scheinreferenden zu annektieren.“

Und zum Abschluss schreibt die EU-Kommission noch:

„Die weltweite Verurteilung von Russlands militärischer Aggression gegen ein friedliches Nachbarland zeigt, dass Russland allein und isoliert ist.“

Das ist dreist gelogen und dass weiß man in Brüssel auch, denn dort hat man längst erkannt, dass es der Westen ist, der im globalen Süden an Einfluss verliert, während Russland an Einfluss gewinnt. Das haben die oben aufgezählten Treffen der G20, der BRICS, der CELAC, der G77 und anderer internationaler Vereinigungen, ab 2023 deutlich gezeigt.

Nicht umsonst wird die Ukraine-Politik des US-geführten Westens von nur 40 Staaten unterstützt, was bedeutet, dass 150 Staaten der Welt die anti-russische Politik des US-geführten Westens nicht unterstützen. Zu behaupten, Russland wäre international isoliert, ist vollkommener Unsinn. Aber das kennt man von der EU-Kommission ja nicht anders.


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

11 Antworten

  1. Das „friedliche Nachbarland“, das vor dem Angriff der russischen Armee 8 Jahre lang Krieg gegen seine russischstämmige Bevölkerung im Osten des Landes führte… Dessen Präsident Poroschenko stolz verkündete, daß die Kinder dieser Menschen in den Kellern hocken müßten, während die Kinder weiter im Westen in die Schule gehen dürften. Und dessen Präsident Selenski im Jahr 2021 jenen Menschen in der Ukraine „die sich als Russen fühlen würden“ sagte, sie sollten das Land (also ihre Heimat) in Richtung Russland verlassen….

    1. Genau @Grete – diese bösen Russen aber auch…wollten die einfach nicht weiter als Leibeigene vor sich hinvegetieren & lieber sich als Wirt altdeutsche Parasiten anbieten…. wäre ja auch viel besser, sich solch einer Herrenmenschin zur Verfügung zu stellen… man, man , man…

  2. ….wir erleben gerade den historischen Moment, wie Xi Jinping zu Wladimir Putin letzten Jahres sagte… ….“Ereignisse, welche nur alle 100 Jahre vorkommen !!“….
    …im Moment, den Niedergang ders „Angelsächsischen – Großbourgeosie – Reiches“ !!.. ..“Hochfinanz ?? – Reiches“…
    …und die bisherige „Vorzeige – Kolonie“ in Europa, das brd – GEBILDE, säuft schneller ab, als die Titanic 1912 !!..
    AUFRUF an die Mit – Kommentatoren : „“Leute, kauft ELEKTRISCHE VW, Daimler und BMW“ !!🤣🙈

    1. Hoffentlich ergeben wir ein Ereignis, wie wir es nur alle 500 Jahre vorkommt.
      Alle 100 Jahre kam ein anderes Imperium an die Macht. Portugal, Spanien, Niederlande, Großbritannien, USA. Jeffrey Sachs meint, die USA waren das letzte Imperium. China will keine imperiale Macht sein und die anderen sind zu schwach.

      1. ….die Historiker und Analysten, gehen von „100 Jahren – Gründung der US – FED durch Warburg und Co.“ aus und Andere, von den von ihnen genannten „500 Jahren Beginn der Spanischen Conquista“, oder von ca „250 Jahren – Beginn der englischen Eroberungen durch Cook“ aus !!.. …entscheident wird sein, wie sich die BRICS als „Gegenpool“ mit dem ganzen Andrang der Staaten des globalen Südens positionieren, in ihrem Selbstverständnis !!.. …dazu gilt es abzuwarten, welche „Gestaltung“ beim BRICS – Gipfel jetzt im Oktober in Kasan durch Wladimir Putin (natürlich in Absprache mit den anderen Mitgliedern) vorstellen wird !!.. ….und dann natürlich, „Wie werden die Angelsachsen und Großbourgeosie (Umschreibung für Internationale Hochfinanz) reagieren werden“😈 ??

        1. Gibt auch die Ansicht, es begann 500 v. Chr. mit dem Römischen Recht. In früheren Kulturen wurden uneinbringliche Schulden erlassen. Seither dürfen Gläubiger ihre Schuldner mit allen Mitteln auspressen. Ob die Gläubiger ihre Schulden mit Legionären, Kanonenbooten oder Flugzeugträgern eintreiben, macht keinen Unterschied. Patrizierfamilien, Ostindien-Kompanien und die FED sind auch das Gleiche.

          Mit den BRICS kam die Ansicht auf, das Römische Recht war ein Fehler. Wir müssen wieder uneinbringliche Schulden erlassen. Lösungen finden, mit denen alle zufrieden sind.

          „Schulden müssen zurück gezahlt werden“. In unserer Kultur vollkommen selbstverständlich. Genau diese Selbstverständlichkeit wollen die BRICS abschaffen.

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