Naher Osten

Wie in Russland über Israels Angriffe auf den Libanon berichtet wird

Das russische Fernsehen berichtet bei Konflikten immer über beide Seiten des Konfliktes. Hier zeige ich, wie in Russland aus dem Libanon berichtet wird, in einem weiteren Artikel zeige ich, wie aus Israel berichtet wird.

Ich habe schon öfter geschrieben, dass das russische Fernsehen immer über beide Seiten eines Konfliktes berichtet. Das war zu Beginn der Eskalation im Nahen Osten vor einem Jahr so, als russische Korrespondenten sowohl aus Israel als auch, soweit möglich, aus den Palästinensergebieten berichtet haben. Und so ist es auch heute, denn am Sonntag hat das russische Fernsehen in seinem wöchentlichen Nachrichtenrückblick Korrespondentenberichte aus dem Libanon und aus Israel gezeigt, damit die russischen Zuschauer beide Seiten der Medaille sehen können.

Hier übersetze ich die Anmoderation der beiden Beiträge und den Beitrag aus dem Libanon. Den Bericht aus Israel finden Sie hier.

Beginn der Übersetzung:

Israels „Pfeile des Nordens“ verschonen niemanden

Der Iran hat diese Woche einen massiven Raketenangriff gegen Israel durchgeführt. Als Antwort droht Israel, die nuklearen Objekte im Iran zu beschießen. Aber man darf nicht vergessen, dass der Iran seine Macht noch nicht gezeigt hat. Offensichtlich hat das Land auch schon Hyperschallwaffen. Bisher kann noch niemand Hyperschallraketen abfangen. Der Konflikt im Nahen Osten geht offensichtlich in ein neues Niveau über.

Das vielgeliebte Chaos wird kritisch und unbeherrschbar. Ist es das, wovon die Macher dieses Modells geträumt haben?

Wir müssen uns daran erinnern, dass die Hamas, der man für alles die Schuld gibt, durch die Bemühungen der USA entstanden ist. Die Amerikaner haben das Gleichgewicht der Kräfte im Nahen Osten gestört: Durch den Arabischen Frühling, durch die faktische Zerstörung des Irak und durch die Tatsache, dass sie Israel alles erlauben.

Jetzt ist der israelische Premierminister Netanjahu wie ein Radfahrer, der sein Gleichgewicht nur dadurch halten kann, dass er in Bewegung bleibt. Netanjahu hört auch einmal mehr Amerika. Dabei brauchen Biden und Harris die muslimischen Wähler. Es ist für sie eindeutig vorteilhafter, das Feuer im Nahen Osten zu beruhigen.

Diese Aufgabe ist auch deshalb so schwierig, weil in der Region alles sehr nahe beieinander liegt. Von Jerusalem nach Beirut sind es zum Beispiel nur etwas mehr als 200 Kilometer. Was ist das schon für eine Rakete?

Und der letzte Punkt: Der heuchlerische Unterscheidung der westlichen Bewertung der Handlungen Israels und Russlands führt zu einer Weltanschauungskrise, zur Zerstörung der Einschätzung von Gut und Böse. Das sagte kürzlich der ehemalige EU-Botschafter in Saudi-Arabien, Italiener Luigi Narbone: „Wir dürfen die Tatsache nicht unterschätzen, dass insbesondere im globalen Süden der Eindruck besteht, dass Europa mit zweierlei Maß misst. Auf der einen Seite die Verurteilung des russischen Präsidenten Putin, auf der anderen Seite die ambivalente Haltung gegenüber Israel und dem Nahostkonflikt. Das schadet der Glaubwürdigkeit und den Grundwerten der EU erheblich.“

Aus dem Libanon berichtet unser Korrespondent.

Das Dahiya-Viertel ist ein südlicher Vorort von Beirut. Im Moment ist es hier sehr leer. Normalerweise staut sich der Verkehr auf den Straßen und die Bürgersteige sind überfüllt. Aber jetzt sind hier nur wenige Menschen.

Die Hisbollah versammelt die ausländische Presse. Aus Sicherheitsgründen werden Ort und Zeit des Treffens nur 30 Minuten vorher bekannt gegeben, die Journalisten haben wenig Zeit.

Dahiya ist eine Hisbollah-Hochburg. Außenstehende dürfen hier nicht her. Die Kämpfer der Bewegung haben ein Auge auf die Presse. Auf den rauchenden Ruinen stehend schwören sie, bis zum Ende zu kämpfen.

Die israelische Luftwaffe verwandelt die Vororte von Beirut systematisch in Schutt und Asche. Autos und Häuser sind zerstört. Auf dem Bürgersteig liegen Schuhe. Wir wissen nicht, ob ihre Besitzer leben oder tot sind. Wir finden Spielzeug und Fotos von Kindern. Die Wäsche, die noch auf den Balkonen trocknet, wurde zurückgelassen, als die Menschen in aller Eile aus den Wohnungen geflohen sind.

In dieser Gegend sind keine Menschen. Die Straßen sind ruhig und man hört am Himmel ständig Drohnen fliegen. Die israelische Luftwaffe kundschaftet die Gegend aus und sucht nach neuen Zielen.

Überall sind Porträts von Hassan Nasrullah, dem Hisbollah-Führer, der letzte Woche getötet wurde. Die gesamte Führungsriege ist jetzt im Fadenkreuz. Ich frage den Sprecher der Hisbollah bei dem Pressetermin: „Israel macht jetzt buchstäblich Jagd auf jeden einzelnen von Ihnen. Haben Sie keine Angst um Ihr Leben?“

„Nach der Ermordung unseres Anführers gefällt mir das Leben ehrlich gesagt überhaupt nicht mehr“, antwortet Mohammed Afif, der Sprecher der Hisbollah. „Sie jagen uns mit Attentaten Angst ein, aber wir sind ein Volk des Widerstands. Das Kommando- und Kontrollsystem der Hisbollah funktioniert. Ihre militärischen Fähigkeiten sind hervorragend. Der Feind konnte eine Reihe unserer Anführer töten, aber das wird uns nicht brechen. Wir werden weiterkämpfen.“

Am nächsten Tag haben sie versucht, unseren Gesprächspartner zu töten. Israel hat das Pressezentrum der Hisbollah getroffen, aber der Pressesprecher wurde nicht verletzt.

Offensichtlich hilft jemand innerhalb der Organisation bei der Identifizierung der Ziele. Der Mossad schleust seit fast 15 Jahren Spione ein und sammelt Daten von Kämpfern.

Sobald ein Hisbollah-Aktivist identifiziert ist, werden seine täglichen Bewegungen in eine riesige Datenbank eingegeben, die von Geräten wie dem Mobiltelefon seiner Frau oder seinem Auto gefüttert wird. Die Daten können von einer Drohne stammen, die über ihn hinwegfliegt, von einer gehackten Überwachungskamera, an der er zufällig vorbeigeht, und sogar von seiner Stimme, die ein Mikrofon in einem Fernseher aufgezeichnet hat.

Mächtige Bomben, die ganz Beirut zum Beben brachten, fielen auf das leidgeprüfte Dahiya. Sie trafen einen Bunker, in dem sich der neue, noch nicht erklärte Hisbollah-Führer Safi al-Din aufgehalten haben könnte. Unbestätigten Berichten zufolge soll er getötet worden sein. Am Ort der Explosion ist ein riesiger Krater zu sehen und Israels Beschuss der südlichen Vororte der libanesischen Hauptstadt hält unvermindert an. Zivile Flugzeuge fliegen auf dem Weg zum Flughafen durch den dichten Rauch der Brände.

Es gibt nicht genügend Plätze in den Notunterkünften und die Flüchtlinge leben in Parks, an Stränden und am Straßenrand. Eine Million Menschen wurden vertrieben, etwa 2.000 weitere Libanesen konnten nicht entkommen und wurden durch israelischen Beschuss getötet.

Die Geduld des Irans ging zu Ende und es antwortete Israel hart wie nie zuvor: Mit 180 Raketen. Mit Hyperschallgeschwindigkeit durchschlugen sie den Iron Dome. Teheran gab an, dass 90 Prozent der Raketen ihr Ziel erreichten und dass es sich bei den Zielen um militärische Einrichtungen gehandelt habe. Das US-Unternehmen Maxar veröffentlicht Satellitenbilder der Luftwaffenstützpunkte Nevatim und Ovda, auf denen Dutzende von präzisen Treffern zu sehen sind. Nach den Bildern zu urteilen, ist der Schaden für die israelische Luftwaffe erheblich.

Die Raketen, die in Richtung Tel Aviv flogen, waren für die erschöpften Bewohner des Gazastreifens deutlich sichtbar. Am Abend des 1. Oktober hatten sie Grund zum Jubeln. Im Jemen, im Irak und im Iran jubelten die Menschen. In Teheran versammelten sich am Freitag Millionen zu einem Gottesdienst, was es seit mehreren Jahren nicht mehr gegeben hat. Durchgeführt wurde er von Ayatollah Chamenei, der traditionell mit seinem Gewehr zu den Gläubigen kam.

„Wir werden alle Feinde besiegen. Die Politik der arroganten Tyrannen beruht darauf, Zwietracht unter den Muslimen zu säen. Es ist die Pflicht und Schuldigkeit aller Muslime, den Menschen im Libanon zu helfen. Israel ist nur ein Werkzeug der USA, um die Kontrolle über alle Länder und Bodenschätze in der Region zu erlangen. Angriffe gegen das zionistische Gebilde sind ein Dienst an der gesamten Region“, sagte der oberste Führer des Iran.

Israel ist natürlich ein Werkzeug in den Händen der USA, nur ist es außer Kontrolle geraten. Der wichtigste amerikanische Verbündete in der Region ist auf sich allein gestellt. Die israelische Armee informiert das Pentagon nachträglich über ihre Operationen. Und Netanjahu übergeht Biden generell.

Nach Angaben zweier Regierungsbeamter gibt sich die Regierung Biden, nachdem am Dienstag erneut Hunderte iranischer Raketen in Israel eingeschlagen sind, damit zufrieden, Israels Reaktion zu begrenzen, anstatt sie ganz zu verhindern. Das ist das jüngste Zeichen für die begrenzte Fähigkeit der USA, eine Eskalation in der Region zu verhindern.

Israel denkt über einen Vergeltungsschlag nach. Es hat die iranischen Nuklearanlagen und die Ölinfrastruktur des Landes im Visier. Teheran hat dringend ein Dutzend Tanker aus den Häfen in den Persischen Golf geschickt, wo sie außerhalb der Reichweite von Raketen sind.

Tel Aviv verunsichert die Märkte. Die Ölpreise sind gestiegen.

„Wenn die israelische Formation irgendwelche Schritte gegen uns unternimmt, wird unsere Antwort stärker sein als die vorherige“, sagte der iranische Außenminister Abbas Araghchi.

Diese Erklärung er im Libanon ab. Inmitten der Eskalation besuchte er auch Syrien. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind eng, und Israel versucht, sie abzuschneiden. Die Straße zwischen Beirut und Damaskus ist mit Bombenkratern übersät und für Autos unpassierbar, was bedeutet, dass keine Waffen aus Syrien in den Libanon gebracht werden können, was Israel ja will. Doch die Hisbollah stockt ihre Waffenarsenale auf. Am Samstag wurde ein neues Video mit Aufnahmen von neuen Angriffen veröffentlicht.

Schließlich war Hassan Nasrullah einige Tage vor dem Attentat bereit, das Feuer einzustellen, und der Westen wurde darüber informiert. Aber der Westen beschloss, dem Hisbollah-Führer nicht zuzuhören, sondern ihn zu eliminieren. Jetzt will die Hisbollah Rache nehmen. Ununterbrochen feuern Mörser Ranaten mit Nasrullahs Konterfei ab.

Israels Bodenoperation im Süden ist stecken geblieben, kaum dass sie begonnen hatte. Die Infanteristen geraten in Hinterhalte der Hisbollah. Die israelischen Streitkräfte haben an Verlusten allein etwa 50 Tote zu beklagen. Mindestens vier Merkava-Panzer wurden getroffen.

Israel sendet an die Bewohner des Südlibanon Warnungen in arabischer Sprache, sie sollen ihre Häuser verlassen. 77 Städte und Dörfer wurden gewarnt. Dieses kleine Mädchen wurde unter Beschuss geboren und war in den ganzen 20 Tagen ihres Lebens keinen einzigen Tag zu Hause. Die Eltern brachten das Baby weit weg von der Grenze. Mit ihrer neugeborenen Tochter ist die Mutter nun an einem nicht allzu gut geeigneten Ort untergebracht, in einer Schule, die zu einer provisorischen Unterkunft umgewandelt wurde.

Nicht alle Flüchtlinge gehen in eine Notunterkunft. Wer kann, mietet sich eine Wohnungen. Die Wohnungen im Libanon sind, wie auch die Familien, sehr groß. Dies ist eine von ihnen, ihre Fläche beträgt 300 Quadratmeter. Hier leben 25 Menschen. Sie sind Verwandte aus demselben Dorf und sie sind gemeinsam geflohen. Sie zeigen uns Bilder der zerstörten Häuser der Nachbarn, der zerbombten Geschäfte und Werkstätten.

Die „Pfeile des Nordens“, wie Israel seine Operation nennt, haben niemanden verschont. Israel sich eine Pufferzone.

Mit dem Beginn der Bodenoperation zog sich die libanesische Armee sofort aus der Gefahrenzone zurück. Die UN-Friedenstruppen blieben auf ihren Posten, aber sie sind nutzlos. Der Konflikt ist für das Land der tödlichste der letzten 30 Jahren geworden.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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