Geschichte

Wie in Russland das Kriegsende in Österreich gesehen wird

In diesen Tagen gibt es viele 80. Jahrestages seit Kriegsende. Vor genau 80 Jahren hat die Sowjetunion in Österreich eine eigene Regierung zugelassen.

Ich habe früher viel mit Österreichern zu tun gehabt und war immer sehr positiv überrascht über die Erzählungen von Zeitzeugen über das Kriegsende. In Österreich habe ich von Zeitzeugen nur Positives über die Sowjetunion und ihre Soldaten gehört. Für die Sowjets waren die Österreicher auch Opfer der Nazis und Stalins Ziel war es damals, zwischen dem US-kontrollierten Westen und dem von der Sowjetunion kontrollierten Osten eine Pufferzone aus neutralen Staaten zu schaffen.

Das gelang Stalin mit der Schaffung von Jugoslawien, das zwar sozialistisch, aber nicht Teil des sowjetischen Blocks war, und mit Österreich, bei dem Stalin gegen den Willen der USA darauf bestand, es unter der Bedingung in die Souveränität zu entlassen, dass es ein neutraler Staat blieb. Auch Deutschland wollte Stalin vereinen und unter gleichen Bedingung in die Unabhängigkeit entlassen, aber dieser Plan scheiterte an den USA und ihrem Vasall Adenauer.

Am Sonntag hat das russische Fernsehen in seinem wöchentlichen Nachrichtenrückblick an den 80. Jahrestag der Bildung der ersten Nachkriegsregierung in Österreich erinnert und ich habe den russischen Beitrag übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Vor 80 Jahren befreiten sowjetische Truppen Österreich von den Nazis

Heute jährt sich die Ausrufung der Zweiten Republik in Österreich zum 80. Mal. Nach dem Einmarsch der Nazi-Truppen im Jahr 1938 wurde der Staat vernichtet. Und nur dank der sowjetischen Befreiersoldaten und der diplomatischen Bemühungen Moskaus konnte Österreichs Unabhängigkeit wiederhergestellt werden.

Am 27. April 1945, nur zwei Wochen nach der Befreiung Wiens, verkündeten Vertreter dreier Parteien – der Sozialdemokraten, der Volkspartei und der Kommunisten – im Parlamentsgebäude im Beisein sowjetischer Offiziere die Aufhebung des Anschlusses und die Wiedergeburt des österreichischen Staates. Gleichzeitig verpflichtete sich Österreich zur Neutralität. Das war in Moskaus Sinne und die Sowjetunion war das erste Land, das die provisorische Regierung Österreichs anerkannte.

Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass es die sowjetische Seite war, die Österreich dabei half, die ersten Schritte in Richtung einer neuen Staatlichkeit zu unternehmen und den Prozess der Bildung einer provisorischen Regierung unter der Führung des Sozialdemokraten Karl Renner einzuleiten.

Aus Österreich berichtet unser Korrespondent.

Der Geburtstag der Zweiten Republik wird im österreichischen Bundespräsidentenpalast gefeiert. Die wichtigsten Feierlichkeiten und Gäste sind heute hier. Politiker und Diplomaten aus den USA, Frankreich und Großbritannien. Der russische Botschafter wurde nicht eingeladen und an die UdSSR wurde kein Wort der Dankbarkeit gerichtet.

„Der 27. April 1945, als österreichische Politiker wie Karl Renner die Unabhängigkeit Österreichs erklärten, war nicht nur ein Moment des Neuanfangs für unser Heimatland, sondern auch ein wichtiger Wendepunkt in der europäischen Geschichte“, sagte Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Man könnte meinen, die historische Wende Österreichs vor 80 Jahren wurde von selbst herbeigeführt. Dabei führte die Sowjetunion sie buchstäblich an der Hand auf den richtigen Weg.

Im Frühjahr 1945 entschied sich das Schicksal Österreichs nicht in europäischen Hauptstädten, sondern in dem Dorf Hochwolkersdorf. Genauer gesagt hier, im Haus Nummer 10. Unser Kommando hatte dort das Hauptquartier der 9. Gardearmee eingerichtet, und hier trafen sich österreichische Politiker mit sowjetischen Militärführern, um über die Nachkriegszukunft ihres Landes zu verhandeln.

Die Verhandlungen fanden 70 Kilometer von Wien entfernt statt, als die Stadt nicht eingenommen war und die Offensive in vollem Gange war. Frontkommandeur Marschall Tolbuchin musste gleichzeitig Diplomat sein. Er setzte sich mit dem 75-jährigen Karl Renner an den Verhandlungstisch. Der ehemalige Kanzler war nicht durch faschistische Verbindungen belastet, er hatte Autorität und war bereit, erneut die Führungsrolle zu übernehmen.

Der Politiker übergab Stalin durch den Marschall einen Brief, der mit den Worten „Hochverehrter Genosse“ begann: „Das Hitler-Regime hat uns hier zur absoluten Hilflosigkeit verdammt, hilflos werden wir vor den Toren der Großmächte stehen, wenn die Umgestaltung Europas stattfindet. Schon heute bitte ich um Ihre wohlwollende Aufmerksamkeit für Österreich <…> und ich bitte Sie, uns unter Ihren mächtigen Schutz zu nehmen. Wir sind gegenwärtig von Hunger und Seuchen bedroht, uns droht in Verhandlungen mit unseren Nachbarn der Verlust von Gebieten <…> Wenn wir noch Teile unseres Territoriums verlieren, werden wir nicht mehr leben können“, schrieb Renner.

In seinem Antworttelegramm versprach Stalin, zu helfen so gut könne. Bei der Befreiung Österreichs verlor die UdSSR 170.000 Menschen. Nach der Einnahme Wiens am 13. April hissten sowjetische Soldaten über dem Rathaus demonstrativ die österreichische Flagge. Das war ein Zeichen dafür, dass die UdSSR sie nicht erobert, sondern ihnen die Unabhängigkeit schenkt.

Dieter Reinisch, Chefredakteur der Zeitschrift „International“, sagte uns: „Die Sowjetunion setzte sich sehr hartnäckig für die Unabhängigkeit Österreichs ein und konnte sich letztlich gegen die Alliierten durchsetzen. Die Alliierten versuchten, Österreich in ihren Einflussbereich zu ziehen. Ihre Pläne waren sehr unausgereift und unrealistisch. Unsere Unabhängigkeit interessierte sie nicht besonders. Sie schlugen verschiedene Konstruktionen vor, darunter auch eine monarchische Herrschaft.“

1938 löschte Hitler Österreich von der Weltkarte und unterwarf es mit dem „Anschluss“ gewaltsam. 1945 stellte Stalin durch seine Militärführer die Unabhängigkeit wieder her. Die Schlüssel zum Parlament wurden dem neuen Kanzler Karl Renner vom Kommandanten von Wien, General Blagodatov, übergeben.

Unter der Führung von Renner nahm die provisorische Regierung ihre Arbeit auf. Das neue Land hatte praktisch nichts. Das erste, worum sie die Sowjetunion baten, waren Lebensmittel. Der Krieg war noch nicht vorbei, aber Moskau schickte Hunderte Tonnen Hilfsgüter nach Wien: Mehl und Zucker, Butter und Fleisch. Auf diesen Aufnahmen sind Plakate zu sehen, die der Roten Armee ihren Dank aussprechen.

Dasselbe stand damals auch in den österreichischen Zeitungen, wie Dieter Rensch uns aus einer Zeitung vorlas: „’Der Roten Armee gebührt in erster Linie Dank für die Wiederauferstehung Österreichs. Sie befreite unser Heimatland von der Nazi-Plage.‘ So schrieb die unabhängige Zeitung ‚Neues Österreich‘. Sie betonte die Rolle der Roten Armee und sprach ihr allein ihren Dank aus. Heute, 80 Jahre später, spüren wir in Österreich einen Geschichtsrevisionismus seitens Politik und Medien, der darauf abzielt, die Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung Österreichs zu minimalisieren.“

Die Alliierten erschienen erst im Herbst 1945 in Wien. Es begann eine zehnjährige Besatzungsperiode Österreichs durch die Siegermächte. Der Kanzler und seine Regierung regierten unter der Aufsicht der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der UdSSR. ‚Kontrollierte Freiheit“, unter diesem Titel lädt ein Wiener Museum heute zu einer Ausstellung ein.

So erzählt das Museum über die Kulturpolitik der Nachkriegsjahre: Die westlichen Länder, die auch Österreich besetzten, werden als Verbündete bezeichnet, die UdSSR als Besatzer. Die Besatzer konzentrierten sich auf sozialistische Kunst und Propaganda, um die Macht des Kommunismus zu stärken.

Die Veranstalter der Ausstellung konnten außer der abgedroschenen Formulierung „Rote Pest“ nichts finden. Aus diesem Grund sind in den Ausstellungsstücken auch Plakate von Ulanowas Ballett zu sehen. Harmlose Geschichten. Als Reparationsleistung erhielt die UdSSR das Wiener Filmstudio „Venfilm“. Aber auch dort wurden europäische Klassiker gedreht.

Berühmte Regisseure, Künstler und Schauspieler aus westlichen Ländern arbeiteten mit dem Studio zusammen. Die Führung war sowjetisch. Der Chefredakteur und Chefdramatiker von Venfilm war Boris Dobrodejew. Beim Dokumentarfilm „Geschichten aus dem Wienerwald“ erinnerte er sich daran, was sie damals inspirierte: „Wenn man nach Wien kommt, taucht man in die Welt der Musik ein, und wir konnten nicht anders, als in unseren Filmen, im Repertoire des Venfilm-Studios, auf dieses Thema einzugehen. So entstand die Idee, Beethovens Oper Fidelio zu verfilmen, die von dem bemerkenswerten deutschen, innovativen Regisseur Walter Filtenstein inszeniert wurde.“

Österreich erlangte 1955 seine volle Unabhängigkeit, als sich die alliierten Besatzungstruppen aus seinem Gebiet zurückzogen. Die wichtigste Bedingung war der neutrale Status, auf dem Moskau bestand. Wien ist der Beitritt zu Militärblöcken untersagt.

Vladimir Shveitser, Doktor der Geschichtswissenschaften und leitender Forscher am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften, erzählt: „Für uns war es angesichts der Situation im Zusammenhang mit der Remilitarisierung Deutschlands, der Gründung der NATO, der Herstellung von Atomwaffen und so weiter wichtig, dass Österreich nicht im westlichen Lager landete. Österreich war eine Art Dichtung, eine dünne Dichtung zwischen diesen beiden Blöcken. Und das hat funktioniert, wissen Sie, es hatte wirklich eine positive Wirkung, und bis zum letzten Moment glaubten wir, dass Österreich <…> uns gegenüber nicht besonders feindlich eingestellt war.“

Bis vor kurzem konnten sich die Österreicher nicht dazu durchringen, die Soldaten der Roten Armee als Besatzer zu bezeichnen. Und obwohl das Museum der Hauptstadt sie genau so präsentiert, bleiben sie in der Provinz dennoch in guter Erinnerung.

Im Dorf Hochwolkersdorf, gegenüber dem Haus, in dem sich sowjetische Kommandeure und österreichische Politiker auf die Wiederbelebung der Unabhängigkeit einigten, gibt es auch ein Museum. Unter dem Foto des Kommandeurs der 3. Ukrainischen Front steht in großen Buchstaben das Wort „Befreier“.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

8 Antworten

    1. Ein Punkt fehlt in dem obigen Beitrag. Österreich verstaatlichte die Großindustrie. Angeblich war das eine Forderung der Sowjetunion. Voraussetzung für Vereinigung und Unabhängigkeit.

      Die Verstaatlichung führte zu einer Klüngelwirtschaft, in der brave Parteimitglieder Posten in Vorstand und Management bekamen. Die österreichische Industrie ging bankrott.

      Schwer zu sagen, möglicherweise währe ohne diesen separatistischen Aktienspekulanten die westdeutsche Industrie auch schon längst bankrott.

      1. Bestes Beispiel für einen toll funktionierenden privaten Industriebetrieb ist derzeit KTM.

        Letzte Abhebung des Eigentümers: ca. 50 Mill €
        Firma in Konkurs.
        Es gibt genug andere derartige Beispiele.

        Schon beeindruckend.

  1. Umso beschämender sind die Einstellung und das Verhalten hier in Ö gegenüber Russland.
    Nicht nur das der meisten Politiker sondern auch der größte Teil der Bevölkerung denkt und verhält sich so.

    Und das für mich traurige ist, dass unter diesen Fehlgeleiteten viele durchaus intelligente und gebildete Menschen sind.
    Aber die jahrzehntelange Bildung – sprich Propaganda – war eben sehr erfolgreich.

      1. Die FPÖ unter Kickl ist die derzeit einzige Partei die sich klar für eine Beibehaltung der Neutralität ausspricht und auch zur RF eine zumindest neutrale Einstellung hat.
        Ist schlimm, wenn man nicht unbedingt große Sympathie für die FPÖ hegt.

  2. Wesentlich interessanter wäre es wohl einmal fundiert faktisch zu analysieren wie der Beginn des 1 Weltkriegs durch das katholische habsburgerische Österreich es so fein raus kommen ließ. Selbiges gilt für die Fortführung des 1 Weltkriegs durch Waffenstillstandsbruch der auch irrtümlich 2 Weltkrieg genannt wird. Hier bringt es ein staatenloser ehemaliger österreichischer „Exportschlager“ mittels eines katholischen Reichskonkordats fertig „legal“ an die Macht zu kommen und Österreich heim ins Reich zu bekommen. Die sogenannte Kleindeutsche Lösung ohne das katholische Österreich war ein Garant das weniger Zentrumspartei Einflüsse das protestantische Preußen unterwandern konnten. Welches Glück das Österreich von der UdSSR besiegt wurde die bei gesunder Kentniss der Sach Gemein und Gemengelage hätte erkennen müssen welcher falsche Dmitri ihnen da in ihrer Informationskette untergeschoben wurde. Der Geist des NAtionalZIonistischen Faschismus ist ein römisch katholischer Geist des Liktorenbündels gegen das die russische Orthodoxie mit Filoque Streit und Papstprimat hätten anders vorgehen können. Bei manchen ist es sicherlich auch so das die hätten müssen. Leider können dazu bereits Erich und Mathilde Ludendorff nicht mehr befragt werden. Aber diese die sich bereits 1929 bedingt durch die Lateranverträge vom Gröfaz abwendeten wird ihre Verankerung zum Völkerbund zum heutigen narrativen Verhängniss bedingt durch die Kernaufgabe der Gründung der United Nations nämlich der UN Teilungserklärung 1947 für die Umsetzung des Traums vom HERZLichen THEODOR.

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