Verhandlungen in Istanbul

Außer Einigung über Gefangenenaustausch anscheinend keine Ergebnisse

Die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine waren anscheinend weitgehend ergebnislos. Lediglich über den Austausch von jeweils tausend Gefangenen scheint man sich geeinigt zu haben.

Die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul haben keine wirklichen Fortschritte gebracht. Die Ukraine wollte nur über einen 30-tägigen Waffenstillstand sprechen, der für Russland in der bisher geplanten Form inakzeptabel ist, weil er nur den Zweck hätte, der ukrainischen Armee Zeit für Umgruppierungen und Neubewaffnung zu geben. Russland will eine endgültige und umfassende Lösung, die auch die Gründe für den Krieg aus der Welt schafft. Über die Ursachen des Konfliktes und mögliche Lösungen zu sprechen, war die Ukraine jedoch nicht bereit.

Das einzige, worauf man sich anscheinend geeinigt hat, ist ein Gefangenenaustausch von jeweils tausend Menschen und anscheinend gibt es Hinweise darauf, dass später weitere Verhandlungen folgen könnten.

Ich übersetze hier eine erste Einschätzung eines Experten der russischen Nachrichtenagentur TASS.

Beginn der Übersetzung:

Istanbul 2.0: Gibt es ohne die Präsidenten konstruktive Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine?

Andrej Nisamutdinow zu den Ergebnissen des Treffens der Delegationen in der Türkei

Die russisch-ukrainischen Verhandlungen in Istanbul, deren Vorbereitungen in den letzten Tagen in allen großen Hauptstädten der Welt aufmerksam verfolgt wurden, dauerten zwar nicht sehr lange (sie dauerten etwa zwei Stunden), schienen aber recht konstruktiv zu sein.

Die Ausgangspositionen

„Im Großen und Ganzen sind wir mit dem Ergebnis zufrieden und bereit, den Kontakt fortzusetzen“, fasste Wladimir Medinski, Berater des russischen Präsidenten und Leiter der russischen Delegation, das Treffen zusammen. Auch der Leiter der ukrainischen Delegation, Verteidigungsminister Rustem Umerow, wirkte in seiner kurzen Stellungnahme ruhig und freundlich. Dementsprechend kann man also sagen, dass die erste Verhandlungsrunde in Istanbul endlich stattgefunden hat, obwohl noch am Vortag niemand einen positiven Ausgang dieser Verhandlungen vorhergesagt hätte.

In Moskau wurde das heutige Treffen in Istanbul als Wiederaufnahme der Verhandlungen betrachtet, die vor drei Jahren auf Geheiß westlicher Kuratoren von Kiew unterbrochen worden waren. Es ist kein Zufall, dass die russische Delegation wie zuvor von Medinski geleitet wurde. Am Vorabend des Treffens formulierte er das Verhandlungsmandat des russischen Staatschefs Wladimir Putin wie folgt: „Die Aufgabe direkter Verhandlungen mit der ukrainischen Seite besteht darin, früher oder später durch die Beseitigung der grundlegenden Ursachen des Konflikts einen langfristigen Frieden herzustellen.“

In Kiew hingegen versuchte man, sich so weit wie möglich von der Vergangenheit zu distanzieren. „Assoziationen mit 2022. <…> Alles, was [die aktuellen] Verhandlungen damit verbindet, ist ausschließlich die Stadt Istanbul. Und sonst nichts“, schrieb Andrej Jermak, der Leiter des Büros von Wladimir Selensky, auf X (ehemals Twitter). Er nahm nicht an dem Treffen mit der russischen Delegation teil, befand sich jedoch in Istanbul und traf sich gemeinsam mit Außenminister Andrej Sybiga und Verteidigungsminister Umerow mit US-Außenminister Marco Rubio und dem Sondergesandten für die Ukraine Keith Kellogg sowie dem türkischen Außenminister Hakan Fidan.

Nach diesem Treffen formulierte Umerow, ebenfalls in einem sozialen Netzwerk, den ukrainischen Ansatz für die Verhandlungen mit Russland: „Frieden ist nur unter der Bedingung möglich, dass Russland zu konkreten Maßnahmen bereit ist, darunter einem vollständigen Waffenstillstand für mindestens 30 Tage und der Umsetzung humanitärer Schritte.“ Zu diesen Maßnahmen zählte er insbesondere den Austausch von Kriegsgefangenen nach dem Prinzip „Alle gegen alle“.

Wer profitiert?

Die Verhandlungen fanden hinter verschlossenen Türen statt, sodass ihr Inhalt im Wesentlichen nur anhand der kurzen Erklärungen von Medinski und Umerow beurteilt werden kann. Das wichtigste praktische Ergebnis war die Vereinbarung über einen Gefangenenaustausch nach der Formel „1.000 für 1.000“. Der Termin des Austauschs steht noch nicht fest, er könnte aber laut Umerow „in naher Zukunft“ stattfinden.

Die ukrainische Seite, so Medinski, „hat direkte Verhandlungen zwischen den Staatschefs gefordert, und wir haben diesem Wunsch zur Kenntnis genommen.“ Ihm zufolge wurde auch die Frage eines Waffenstillstands besprochen: „Wir haben vereinbart, dass jede Seite ihre Vision eines möglichen zukünftigen Waffenstillstands vorlegt. Sie werden diese detailliert darlegen. Sobald eine solche Vision vorliegt, halten wir es für angebracht, und darauf haben wir uns auch geeinigt, unsere Verhandlungen fortzusetzen.“

Aufgrund dieser Aussagen könnte man den Eindruck gewinnen, dass die erste Runde von der ukrainischen Seite diktiert wurde. Insbesondere stellten ukrainische Quellen fest, dass auch Russland eigene Forderungen stellte, insbesondere forderte sie den vollständigen Rückzug der Ukraine aus den vier Regionen Donbass und Neurussland, die infolge von Referenden in die Russische Föderation eingegliedert wurden. Die ukrainische Delegation lehnte das ab, woraufhin die russischen Vertreter Quellen zufolge aufstanden und erklärten, dass es beim nächsten Mal fünf Regionen sein würden.

Diese für unsere Ohren angenehme Geschichte wurde indirekt durch die Worte von Medinski bestätigt, der in einem Interview mit dem Fernsehsender Russia-1 bemerkte: „Es war wichtig, sich daran zu erinnern, was wir Ende Februar [2022] in Gomel vereinbart hatten und wie alles hätte enden können, wenn die Ukraine Ende Februar dem Frieden zugestimmt hätte. Sie stimmten nicht zu, sie zögerten, und danach folgte die nächste Phase der Vereinbarungen in Istanbul. Wegen der Realitäten vor Ort war das etwas schwieriger.“

Aus dieser Aussage Medinskis sowie aus den offiziellen Stellungnahmen der Parteien im Anschluss an die Verhandlungen geht eigentlich hervor, dass die russische Delegation ihre Linie klar definiert hat. Ja, sie stimmte einem Gefangenenaustausch zu, aber wer hätte etwas gegen die Lösung dieses humanitären Problems einzuwenden?

Auch hinsichtlich des Waffenstillstands verteidigte Russland seinen Ansatz: Es lehnte die Forderung Kiews nach einem bedingungslosen 30-tägigen Waffenstillstand ab. Die Staatschefs Großbritanniens, Deutschlands, Polens und Frankreichs, die diese Forderung de facto für Selensky formuliert haben, erklärten offen, dass sie den Waffenstillstand nutzen wollen, um Kiew mit zusätzlichen Waffen zu versorgen und möglicherweise unter dem Deckmantel von „Abschreckungskräften“ Militärkontingente in die Ukraine zu schicken. Mit anderen Worten, sie zielten auf eine Eskalation ab, doch die russische Delegation konnte diesen Angriff abwehren und auf ihrem eigenen Standpunkt beharren: Ein Waffenstillstand, gegen den wir grundsätzlich keine Einwände haben, muss mit größter Sorgfalt und bis ins kleinste Detail ausgearbeitet werden, natürlich einschließlich der Mechanismen zur Kontrolle und Verantwortung für Verstöße. Und keinem NATO-Land darf auch nur der entfernteste Zugang zu diesen Mechanismen gestattet werden.

Ohne Clowns auskommen

Bleibt die Forderung nach „direkten Verhandlungen zwischen den Staatschefs“. Und hier scheint die von Medinski verwendete Formulierung „wir haben es zur Kenntnis genommen“ schlicht der Gipfel der Diplomatie zu sein. Wie sonst könnte man auf eine Anfrage um ein Treffen reagieren, die im Namen eines Mannes gestellt wird, dessen Amtszeit als Präsident vor einem Jahr abgelaufen ist? Dies gilt umso mehr, als dieser Mann, als er noch ein völlig legitimer Präsident war, ein Dekret erlassen hat, das jegliche Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten untersagt. Und nun sagt er, dass dieser Erlass für ihn nicht gelte. Das ist nur eine Clownshow.

Nein, natürlich kann man Selensky verstehen: Sein übermäßig aufgeblasenes „Ego“ verlangt ständige Aufmerksamkeit, Scheinwerferlicht, Applaus… Es gibt in Europa viele Persönlichkeiten, darunter auch Staatschefs, die bereit sind, mit ihm zu spielen – nun ja, wie man so schön sagt: Viel Spaß. Und wir, als höfliche Menschen, haben es einfach „zur Kenntnis genommen“.

Der Trump-Faktor

Tatsächlich gibt es noch einen anderen Grund für Selenskys Hin und Her: Nach dem bekannten Skandal im Oval Office des Weißen Hauses, aus dem er in Ungnade hinausgeworfen wurde, hat er ernsthafte Angst vor dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump und versucht auf jede Weise, ihm zu gefallen. Selensky lehnte das Angebot des russischen Präsidenten, die Verhandlungen in Istanbul wieder aufzunehmen, zunächst ab, doch Trump drohte ihm mit dem Finger, woraufhin Selensky sofort zu allem bereit war und sogar eilig selbst in die Türkei reiste, weil Trump sagte, dass er dorthin reisen kann.

Das Treffen verlief nicht ergebnislos, doch unmittelbar nach den Istanbuler Verhandlungen rief Selensky – wenn man den Berichten aus Kiew Glauben schenken darf – seine Freunde und Förderer an: Emmanuel Macron, Keir Starmer, Friedrich Merz und Donald Tusk. Anschließend nahmen sie alle gemeinsam Kontakt mit dem amerikanischen Präsidenten auf, den sie offenbar davon zu überzeugen versuchten, dass Russland die Verhandlungen gestört habe und bestraft werden müsse. Genau diesen Gedanken legt jedenfalls die Erklärung des britischen Premierministers nahe, der die Ergebnisse der Istanbuler Verhandlungen schnell als „inakzeptabel“ bezeichnete und Russland mit Strafen aller Art drohte.

Trump hat jedoch seine eigene Sicht der Dinge: In den letzten Tagen wiederholte er mehrmals, dass in der Ukraine-Regelung „nichts passieren“ werde, bis er sich mit Putin treffe. Die letzte derartige Erklärung hat er unmittelbar vor Beginn der Istanbuler Verhandlungen abgegeben. „Wir werden uns treffen, sobald wir es arrangieren können“, versprach Trump.

In Russland teilt man zweifellos die Bedeutung eines solchen Treffens, insbesondere im Kontext der Ukraine-Regelung, wie Dmitri Peskow, der Pressesprecher des russischen Präsidenten, betonte: „Die Bedeutung kann kaum überschätzt werden.“ Allerdings müsse der Gipfel „vorbereitet und produktiv sein“. Mit anderen Worten: Moskau hat nicht die Absicht, die Ereignisse zu erzwingen und ist auch nicht besonders geneigt, den übertriebenen Optimismus Trumps zu teilen, der es für möglich hielt, dass „die Welt in von zwei oder drei Wochen viel sicherer sein wird“.

Das erfordert eine lange und sorgfältige Arbeit, zu der sich Russland ernsthaft verpflichtet fühlt. Allerdings könnte der Prozess schneller vonstattengehen, wenn er nicht von ungebetenen Beratern aus London und Paris behindert wird. Und es ist besser, es gar nicht erst zu Istanbul 3.0 kommen zu lassen. Denn wie die Geschichte nicht nur dieses, sondern auch vieler anderer Konflikte gezeigt hat, ist jede weitere Option für Russlands Gegner schlimmer als die vorherige.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

12 Antworten

  1. …wie prognostiziert…

    Aber eine Formulierung läßt aufhorchen…..:

    „Aufgrund dieser Aussagen könnte man den Eindruck gewinnen, dass die erste Runde von der ukrainischen Seite diktiert wurde. Insbesondere stellten ukrainische Quellen fest, dass auch Russland eigene Forderungen stellte, insbesondere forderte sie den vollständigen Rückzug der Ukraine aus den vier Regionen Donbass und Neurussland, die infolge von Referenden in die Russische Föderation eingegliedert wurden. Die ukrainische Delegation lehnte das ab, woraufhin die russischen Vertreter Quellen zufolge aufstanden und erklärten, dass es beim nächsten Mal fünf Regionen sein würden.“

    Gerade der letzte Satz läßt tief blicken und so einiges an Spielraum für Interpretationen bzw. Erwartungen für die folgende Zeit offen….. 😋😎

  2. natürlich, das ist das, woran die Ukraine interessiert war. Dabei konnte man vorige Woche lesen, dass ein angesetzter Austausch von Zivilisten nicht zustande kam, weil die Ukraine Zivilisten zurückhielt, um sie bei einem bevorstehenden Gefangenenaustausch von Soldaten gegen mehr ukrainische Einheiten von Asov Brigade austauschen zu können, quasi als Druckmittel, weil Putin natürlich die russischen Zivilisten befreit haben will und die Faschisten eigentlich vor Gericht gestellt werden sollten.

  3. Mit anderen Worten: Moskau hat nicht die Absicht, die Ereignisse zu erzwingen und ist auch nicht besonders geneigt, den übertriebenen Optimismus Trumps zu teilen, der es für möglich hielt, dass „die Welt in von zwei oder drei Wochen viel sicherer sein wird“.

    „Hat nicht die Absicht“ soll heißen: Der Trump ist ohnehin viel zu dämlich und ignorant um die Lage jemals korrekt einschätzen zu können. Denn da müsste man mit Feingefühl ran, statt rum zu holzen wie dieses impertinente Arschloch Zappenduster.

    Aber hey, der Göttliche hat doch mit Putin bereits alles eingetütet und nur vergessen einige bzw. wohl eher überhaupt Beteiligte in CC zu nehmen.

    Selbstverständlich wird man später auf den Ergebnissen dieser Gespräche aufbauen. Allerdings sehr viel später. Wahrscheinlich immer noch ohne Selensky und vielleicht gleich direkt vor Ort an der HKL in Kiew-Karlshorst.

    1. Die Russen sind mit Trump zufrieden, und Sie sind mit Trump nicht zufrieden. Das ist ein gutes Zeichen, bei Betrachtung der teils extremen Kriegstreiberei, die Sie hier propagieren.

  4. Wenn Trump die Ukraine komplett fallen lässt, nachdem die USA so viel in die Ukraine investiert hat, man denke an die ständing Dingsbums im Senat für ZEK und Schulterklopferei, was gibt denn Putin dem Deal-Trump dafür. Wird die Chinesen auch interessieren.

    1. @teplinkski

      Es sind IHRE UREIGENSTEN Vorstellungen, die Sie hier teilen. Wie kommen Se darauf, dass andere exakt so reagieren müssten, wie Sie das tun würden?

      Es ist schon ziemlich ver – rückt. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass man MITEINANDER auskommen kann ohne sich zum Sklaven zu machen oder andere über den Tisch zu ziehen… das ist schon eine wirklich merkwürdige „Wertewelt“ von Westlern….

  5. Ich denke was wir da gesehen haben war wieder eine Meisterleistung der englischen Diplomatie. London soll ja auch noch schnell Berater geschickt haben.
    Man lässt die russische Delegation erstmal im Regen stehen. Kurzform für wir haben es absolut nicht nötig. Die Russen warten trotzdem die ganze Zeit. Kurzform für wir haben es richtig nötig. Dann werden nur Sachen besprochen die gar keiner weiteren Diskussion bedürfen.
    Die Sache mit dem Waffenstillstand. Stimmt Russland diesem zu ist das verdammt gut für die Kriegstreiber. Man rüstet die Ukraine wieder auf und es geht in die nächste Runde.
    Stimmt Russland nicht zu ist das sehr gut für die Kriegstreiber. Man kann dann sehr gut begründen warum Russland der Aggressor ist.
    Ein Treffen der Staatsoberhäupter? Stimmt Russland dem zu erkennt es Selensky als Staatsoberhaupt an.
    Beim nächsten Treffen sind es fünf Regionen. Na und? Denen die da verhandeln ist die Ukraine egal. Genauso egal wie Deutschland! Es ist einfach nur ein super Ort um gegen Russland Krieg zu führen ohne das eigene Land oder die eigenen Jungs zu gefährden. Darüber hinaus verdienen sich die Initiatoren Grade dumm und dusselig. Der Plan ging voll auf ohne irgendwelche Konsequenzen für die Verursacher, im Gegenteil! Die Opposition wird verfolgt.

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