Worum es bei den Protesten in Abchasien geht
Abchasien ist eine Region, über die westliche Medien kaum berichten, die geopolitisch aber nicht unwichtig ist, denn Abchasien liegt zwischen Georgien und Russland. Letzte Woche ist es in Abchasien zu Unruhen gekommen und die Demonstranten fordern den Rücktritt von Regierung und Präsident. Allerdings sieht das nicht nach einer aus dem Ausland gesteuerten Farbrevolution aus.
Wie immer, wenn es um Gebiete geht, über die in Deutschland wenig bekannt ist, erzähle ich zum Verständnis zunächst die Vorgeschichte.
Die Vorgeschichte
Abchasien sieht sich als unabhängigen Staat an, der außer von Russland und vier weiteren Staaten international allerdings nicht anerkannt ist. In Abchasien leben etwa eine Viertelmillion Menschen, die Abchasen sind eines der unzähligen kleinen Völker des Kaukasus.
Zwischen Abchasen und Georgiern gibt es einen historischen Konflikt, der zu einem der gewaltsamsten interethnischen Konflikte im Kaukasus gehört. Zu Sowjetzeiten wurde Abchasien der georgische Sowjetrepublik als autonomes Gebiet zugeschlagen, was innerhalb des Staates Sowjetunion aber lange kein großes Problem war.
Die Spannungen zwischen der Regierung der Sowjetrepublik Georgien und der abchasischen Autonomie wurden gegen Ende der Sowjetzeit wieder akut, als die sowjetische Migrationspolitik dazu führte, dass der Anteil der Abchasen an der Bevölkerung der Region bis Anfang der 1990er Jahre auf 17 Prozent sank. Die abchasische Sprache wurde in den Schulen nicht mehr gelehrt, stattdessen war Georgisch Pflichtfach.
Im Zuge der fortschreitenden Destabilisierung der Sowjetunion brachen in Abchasien 1989 Massenproteste aus, deren Ziel die Abspaltung Abchasiens von Georgien war. Bei Zusammenstößen zwischen Georgiern und Abchasen in der abchasischen Hauptstadt Suchumi kam es damals zu Toten und Verletzten.
1992, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in deren Verlauf Abchasien Teil des nun selbständigen georgischen Staates geworden war, flammten die Konflikte wieder auf, als georgische Truppen unter dem Vorwand, den in Abchasien inhaftierten georgischen Vizepremierminister befreien zu wollen, in Abchasien einmarschierten. Der Konflikt eskalierte zu einem Krieg, in dem Georgien um seine territoriale Integrität und die abchasische Regierung um ihre Unabhängigkeit kämpften. An den Kämpfen beteiligten sich sowohl die georgischen Streitkräfte als auch bewaffnete Verbände verschiedener ethnischer Gruppen in Abchasien, darunter Freiwillige aus dem Nordkaukasus. Der Krieg endete 1993 mit einem abchasischen Sieg und die georgischen Streitkräfte mussten sich vollständig aus dem Gebiet zurückziehen.
Eine ähnliche Geschichte spielte sich gleichzeitig mit dem kleinen Volk der Osseten ab. Schlussendlich kam es in Abchasien und Ossetien zu Waffenstillständen, die von Friedenstruppen der GUS überwacht wurden.
Der Kaukasus-Krieg 2008
Im August 2008 startete der damalige georgische Präsident Michail Saakaschwili einen Angriff auf Ossetien und die von Russland angeführten GUS-Friedenstruppen. Russland entsandte Truppen, die einen Tag später am Ort der Kämpfe eintrafen. Auch Abchasien griff in den Konflikt ein und startete eine Operation zur Vertreibung der georgischen Truppen.
Der sogenannte Kaukasus-Krieg dauerte nur wenige Tage und endete mit einer vernichtenden Niederlage der georgischen Armee. Westliche Politiker und Medien stellen den Krieg bis heute als russische Aggression und Beleg für einen angeblichen russischen Imperialismus da, obwohl die EU schon 2009 in einem Untersuchungsbericht eindeutig festgestellt hat, dass der Grund für den Krieg der georgische Angriff war, den die EU in dem Bericht als völkerrechtswidrig bezeichnete. Laut der EU war Russlands Vorgehen vom Völkerrecht gedeckt.
Nach dem Krieg erkannte Russland Abchasien und Südossetien offiziell als unabhängige Staaten an, während ein anderes Ergebnis der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Georgien und Russland war, die bis heute nicht wieder hergestellt wurden.
Das Verhältnis zwischen Abchasien und Russland
Russland und Abchasien haben logischerweise sehr enge und gute Beziehungen, da Russland eines der wenigen Länder ist, das Abchasiens Unabhängigkeit anerkannt hat. Wirtschaftlich ist Abchasien weitgehend von Russland abhängig, da der Mini-Staat mit nur etwa 250.000 Einwohnern selbst wirtschaftlich kaum lebensfähig ist. Für Russen ist Abchasien wegen seiner unberührten Natur, der sprichwörtlichen kaukasischen Gastfreundschaft und dem hervorragenden Essen ein beliebtes und hochgelobtes Urlaubsziel.
Russland hat einen Anteil von 76 Prozent am abchasischen Außenhandel und ist damit der wichtigste Handelspartner Abchasiens und der schon erwähnte Tourismus ist der wichtigste Sektor der abchasischen Wirtschaft. Bis zu einem Drittel der Steuereinnahmen Abchasiens stammen aus dem Tourismus und die Touristen kommen zum größten Teil aus Russland.
Eine im Oktober 2024 durchgeführte Umfrage zeigt, dass 93 Prozent der Abchasen Russland als ihren wichtigsten Verbündeten betrachten.
Warum es in Abchasien nun zu Protesten kam
Am 30. Oktober wurde ein Abkommen unterzeichnet, das es russischen Unternehmen ermöglicht, Investitionsprojekte in Abchasien durchzuführen, insbesondere im Wohnungsbau. Das Abkommen über russische Investitionen soll vor allem dem Tourismussektor helfen.
Ohne dieses Abkommen werde Abchasien nicht in der Lage sein, eigenständig Mittel für den Aufbau der Schlüsselsektoren seiner Wirtschaft aufzubringen, so der Leiter des Ausschusses für internationale Beziehungen des abchasischen Parlaments. Und die abchasische Wirtschaftsministerin stellte fest, dass Investitionen eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage in Abchasien spielen.
Das Abkommen sieht für russische Investoren Vorteile wie eine achtjährige Zollbefreiung bei der Einfuhr von Baumaterialien, einen halbierten Mehrwertsteuersatz und eine Quote für ausländische Arbeitskräfte vor, die von den Investoren selbst verteilt wird. Darüber hinaus werden bestimmte Investoren in ein spezielles Register aufgenommen und erhalten ein Vorzugsrecht bei der Bereitstellung von Energiekapazitäten. Außerdem haben Investoren das Recht, von der abchasischen Regierung zur Verfügung gestelltes Land als Sicherheit für Bankkredite zu nutzen.
Die kaukasischen Völker sind ausgesprochen konservativ und stolz. Die Abchasen befürchten, dass russische Firmen nun in Abchasien Landbesitzer werden, Tourismus im großen Stil organisieren und so dem bescheidenen abchasischen Mittelstand das Wasser abgraben. Hinzu kommt die Angst, dass wohlhabende Russen in Abchasien Ferienwohnungen kaufen und die Immobilienpreise in Abchasien dann für die Abchasen selbst unerschwinglich werden.
Die Proteste der letzten Tage
Eine Reihe von Oppositionspolitikern hat das Abkommen daher mit der Begründung abgelehnt, dass es „den Interessen der abchasischen Bevölkerung zuwiderläuft”. Die Opposition sprach sich dabei klar für die Partnerschaft mit Russland aus, sie spielte jedoch mit den Ängsten der Menschen, was einerseits verständlich ist, andererseits braucht Abchasien aber dringend die Investitionen aus Russland, zumal keine anderen Investoren bereit stehen.
Die Proteste begannen Anfang letzter Woche, nachdem das Parlament das Gesetz zur Regelung des rechtlichen Status sogenannter „multifunktionaler Komplexe“ verabschiedet hatte. Dabei handelt es sich um Gebäude, die verschiedene Funktionsbereiche kombinieren: Wohnen, Büros, Einzelhandel, Unterhaltung, Kultur und andere. Die Opposition behauptet, dass das Gesetz ausländischen Bauträgern den Weg für den Bau Wohngebäuden ebnet, womit quasi durch die Hintertür legalisiert werde, dass Ausländer Wohnungen kaufen können. Es geht also um die Angst der Abchasen, dass wohlhabende Russen nun Wohnungen als Ferienwohnungen erwerben können, was die Preise in die Höhe treiben Wohnungen für Abchasen unerschwinglich machen könnte.
Die Befürchtungen sind jedoch unbegründet, denn russische Staatsbürger bleiben auch nach dem neuen Gesetz Ausländer und Ausländer dürfen in Abchasien kein Land erwerben. Außerdem sieht das Gesetz vor, dass russische Investoren in Abchasien mindestens zwei Milliarden Rubel (etwa zwei Millionen Euro) investieren müssen. Der Verkauf von Land ist in dem Gesetz gar nicht vorgesehen und Abchasien kann außerdem jeden Investor individuell ablehnen.
Aber die Opposition spielt mit den Emotionen der Menschen und am 11. November wurden mehrere Anhänger der Opposition wegen Randalierens vor dem Parlament festgenommen. Die Opposition blockierte daraufhin drei Brücken an der Einfahrt nach Suchumi, also die wichtigste Handels- und Verkehrsader zwischen Abchasien und Russland.
Die Verhaftung der Oppositionellen löste öffentliche Empörung aus. Nach ihrer Freilassung am Nachmittag des 12. November beendete die Opposition die Blockade wieder, aber die Proteste gingen weiter.
Am Freitag dem 15. November besetzten die Demonstranten schließlich das Parlament und die Präsidialverwaltung und forderten eine Revision des Abkommens, den Rücktritt des Präsidenten und Neuwahlen. Die Abgeordneten beschlossen daraufhin, die Behandlung des Themas auf nächste Woche zu verschieben, woraufhin die Demonstranten erklärten, sie würden erst gehen, wenn das Parlament gegen die Ratifizierung gestimmt habe.
Am Sonntag begannen die Demonstranten mit dem Abbau ihrer Blockaden um Regierungsgebäude. Ob die Krise damit vorbei ist, werden die nächsten Tage zeigen.
Die Medien
Bisher spielen die Vorgänge in Abchasien in den westlichen Medien kaum eine Rolle. Deutsche Medien haben kaum über die Proteste berichtet, es gab lediglich einige Randnotizen. N-TV titelte beispielsweise “Demonstranten stürmen Parlament – Proteste in Abchasien wegen Abkommen mit Russland”.
Die Berichte in Deutschland sind dabei recht wahrheitsgetreu, während auf Russisch berichtende westliche Medien oder vom Westen finanzierte Portale mit Überschriften wie „Antirussische Proteste in Abchasien” den Eindruck erwecken, dass Abchasien die Beziehungen zu Russland abbrechen wolle. Dem werden sich wohl auch andere westliche Medien früher oder später anschließen, wenn die Proteste weitergehen sollten, denn France 24 schreibt bereits, dass die Abchasen befürchten, dass das Abkommen „die Kontrolle Moskaus über die Region verstärken wird”.
Aber wie gesehen geht es darum gar nicht, denn die Demonstranten betonten, nicht anti-russisch oder gegen Russland zu sein. Um das deutlich zu machen, hissten sie nach der Besetzung des Paraments sogar eine russische Fahne auf dem Parlamentsgebäude und skandierten „Russland, Russland“.
In Abchasien sind die Rechte ausländischer Investoren ein sensibles Thema. Im Sommer wurde versucht, ein Wohnungsgesetz zu verabschieden, das den Bau tausender neuer Wohnungen im Osten Abchasiens innerhalb von zehn Jahren vorsah, die an Ausländer verkauft werden könnten. Nach Protesten der Opposition wurde das Gesetz zurückgezogen.
Zwischen Russland und Abchasien gibt übrigens bereits seit 2009 ein Gesetz über den gegenseitigen Schutz und die Förderung von Investitionen, und Abchasien verfügt über ein Investitionsgesetz aus dem Jahr 2014, das Privilegien und Garantien für ausländische, insbesondere russische Investoren vorsieht.
Ob dieses neue Gesetz wirklich nötig war, sei dahingestellt. Die Regierung hat mit dem Gesetz Proteste riskiert und die Opposition hat die Chance genutzt.
11 Antworten
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Danke für den Einblick Herr Röper.
Neben Neid und Gier ist gerade auch der Stolz ein sehr schlechter Ratgeber – und ein teurer obendrein.
Abchasiens Regierung wird seinem Volk gewisse Kompromisse in Ruhe und mit Geduld nahelegen müssen – oder das west-chen wird diverse Mißverständnisse gnadenlos ausnutzen.
Einen neuen Krieg will dort wohl keiner – kann man sich auch nicht leisten!
@VladTepes
Die Proteste sind berechtigt, ich finde bereits den Privat-Besitz von Land problematisch, erst recht, wenn dieser Privat-Besitz an Ausländer verschachert wird.
Man kann nicht den Raub von wertvollem Land in der Ukraine durch ausländische Konzerne anprangern, aber die Inbesitznahme von Land in Abchasien durch russische Privatpersonen billigen.
Auszug…:
„ich finde bereits den Privat-Besitz von Land problematisch“
DAS ist doch mal ein mehr als interessantes Thema – mit vielen Meinungen, Ansichten, Vorstellungen etc.pp. … – doch leider-leider auch mehr als zu groß für diese Seite…
Ich persönlich bin auch der Ansicht, daß man Land gar nicht „besitzen“ kann, nicht kaufen kann – es gehört lediglich der Natur, in der wir uns zeitweise zu bewegen.
Denn – ich kann noch soviele ha mein Eigentum nennen – doch wie bekomme ich es dann in meinen Sarg bzw. in die Urne, auch wenn ich es „vererbe“ – die Erben können es ebensowenig mitnehmen, es bleibt immer an Ort und Stelle in eben der genannten Natur – die auch noch nach unserem Tod der wahre Eigentümer des Landes bleibt.
Und am Ende holt sich die Sonne die Erde – wozu also imaginäre Summen für etwas Vergängliches ausgeben?
Ich selber weigere mich Land als mein Eigen zu kaufen – es auf meinen Namen zu überschreiben, ich nutze das Land der Familie meiner Frau für das tägliche Überleben – und höchstens noch als Minifleckchen a la Friedhof nach dem Ableben – denn nichts ist für die Ewigkeit – auch wenn uns die Geldsklaven immer das Gegenteil als „Realität verkaufen wollen – damit sie dran verdienen!
Gleiches gilt übrigens für Wasser, Luft und all die überlebenswichtigen Dinge – die nun immer mehr „privatisiert“ werden sollen – damit sich ein paar Finanzmafioten auch noch eine goldene Schale für ihre Bio-Abfälle schneidern lassen können… 🧐😎
Wie lange soll denn das kleine Land überleben? 5 Minuten? 250k Einwohner, dass ist etwas mehr als z.B. Kiel oder Krefeld …
Mal sehen, wie lange DU überlebst, wenn dir am dereinst früh am Morgen ein Rollkommando einen Besuch abstattet – nur weil dein letzter Furz nicht der Richtlinie aus Brüssel entsprach – sondern zuviel Kohlendioxyd und Ammoniak enthielt…
Na, ich glaube, hier werden wir nicht so schnell die Gefahr bekommen, dass die nächste Farbrevolution bei Soros klingelt….
Dafür ist der Bezug zu Rußland einfach übermächtig groß und es geht im Grunde ja auch eher um Prinzipien als gegen Rußland per se.
Die klären das schon unter sich, das glaube ich fest.
Danke für den Bericht. Damit wird meine erste Vermutung hinfällig, in Georgien fehle ein Nato-Stützpunkt. Gott sei Dank.
Herzlichen Dank.
Eine Zusatzfrage hätte ich noch, gibt es denn substanzielle Unterschiede zwischen Regierung und Opposition, und wie sehen die aus?
Danke für den Bericht Herr Röper … da man aus dieser Ecke der Welt selten etwas erfährt.
Ich kann übrigens die Ängste der Leute verstehen, denn das Schlagwort „ausländische Investoren“ ist ja seit den 90ern geradezu zum Schimpfwort mutiert.
Sogar das DLF hat berichtet — da hab ich mich schon fast erschrocken, was jetzt wieder passiert ist:
*seufz*