Teil 3 des zweistündigen Interviews mit Lukaschenko: Die Flüchtlingskrise an der weißrussischen Grenze
Das zweistündige Interview dass der russische Journalist und Chefs einer der staatlichen Medienholdings Russlands, Dmitri Kisselev, mit dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko geführt hat, ist so interessant, dass ich beschlossen habe, es komplett zu übersetzen. Lukaschenko erzählt dabei viel, was er bisher noch nie öffentlich gesagt hat und egal, ob man das alles für Propaganda hält oder nicht, es ist vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen der US-geführten Nato und der Ukraine einerseits, und Russland und Weißrussland andererseits, sehr interessant, die Positionen der „anderen Seite“ aus erster Hand zu erfahren.
Zum Verständnis nur zwei Vorbemerkungen: Auf Russisch spricht man sich nicht mit zum Beispiel „Herr Lukaschenko“ an, sondern mit dem Vor- und dem Vatersnamen. Lukaschenko wird also oft Alexander Grigorjewitsch genannt, und Lukaschenko spricht Kisselev oft mit Dmitri Konstantinowitsch an. Allerdings hat Lukaschenko die Angewohnheit, seine Gesprächspartner immer mal wieder einfach zu duzen, denn auf Russisch gibt es den Unterschied zwischen „Sie“ und „Du“ genauso, wie auf Deutsch. Damit nimmt Lukaschenko es allerdings oft nicht allzu genau.
Nun kommen wir zum dritten Teil des Interviews, in dem es um die angebliche Flüchtlingskrise an der weißrussischen Grenze zur EU ging. Den zweiten Teil des Interview finden Sie hier.
Beginn der Übersetzung:
Alexander Grigorjewitsch, vertiefen wir das Thema Flüchtlinge, wir haben bereits darüber gesprochen. Schließlich wird Ihnen vom Westen vorgeworfen, Flüchtlinge und Migranten zu instrumentalisieren, sie zu einem Instrument zu machen, um Einfluss auf den Westen, auf Europa zu nehmen, und zwar für bestimmte politische Zwecke, um Ihre eigenen Probleme zu lösen. Aber gleichzeitig weiß jeder, dass hier keine einzige Maus ohne den weißrussischen KGB durchlaufen kann. Sie wussten also, dass diese Tausenden von Migranten nach Weißrussland strömen und an die verschlossenen Türen klopfen würden, oder war das eine Überraschung für Sie?
Zur Instrumentalisierung. Wissen Sie, ich habe diese Frage schon einmal beantwortet. Die sehen, dass Lukaschenko irgendein Instrument in der Hand hat, die sehen es, die Polen, die Amerikaner vor allem, und so weiter. Aber es ist einfach, Lukaschenko dieses Werkzeug aus den Händen zu nehmen und die ganze Frage wäre gelöst. Logisch?
Ja.
Warum nehmen sie mir dieses Werkzeug nicht weg?
Ich meine, sollen die sie aufnehmen… Es sind zweitausend.
Zweitausend! Und jetzt sind es noch weniger. Öffnet einen humanitären Korridor! Dmitri, wir haben schon jede Familie, jeden Menschen, jedes Kind und jede Frau untersucht. Es sind etwa 200 Kinder und ebenso viele Frauen. Der Rest sind Männer. Sollen die sie aufnehmen, es gibt darunter gute Familien, fortschrittliche, in der großen Mehrheit gebildet, normale Menschen. Was sind schon zweitausend? Letztes Jahr kamen sie über das Mittelmeer und dieses Jahr sind es etwa 30.000, glaube ich. Was sind eineinhalbtausend oder zweitausend? Nichts! Mit den Flüchtlingen, die bereits genug hatten, haben wir gearbeitet und sie in den Irak geschickt. Ich halte mein Versprechen, das ich der EU über Merkel gegeben habe. Die aber haben keinen einzigen Schritt gemacht, die haben keinen einzigen Schritt gemacht, obwohl Merkel mir versprochen hat, dass die EU mit diesem Lager, diesen zweitausend Migranten, dass die Europäische Union das lösen wird.
Wie kann man das lösen?
Das ist bereits ein großer Schritt nach vorn. Sie haben überhaupt nicht darüber gesprochen, aber nun sie wollen das Problem lösen. Und jeder hat verstanden, warum die Migranten dort sitzen und darauf warten, dass sie abgeholt werden.
Die übrig gebliebenen?
Ja.
De facto…
Nicht die übrig gebliebenen. Ich werde Ihnen sagen, wo das Problem liegt.
Interessant, ja.
Es ist nur so, dass Sie, die Journalisten und viele Politiker, sich davon ablenken lassen zu glauben, dass die Flüchtlinge in Weißrussland jetzt alle in dem Logistikzentrum untergebracht sind. Nein, Dmitri, nach ihren Angaben, wir haben sie nicht gezählt, nach ihren Angaben sind nur 400 bis 600 Flüchtlinge auf polnisches Gebiet gelangt, abgesehen von diesem Lager. Im Lager sitzen sie und warten.
Wie sind sie…
Aus Weißrussland, nur über die weißrussische Grenze. Wir haben Visafreiheit mit diesen Ländern: Syrien, Irak, Iran und anderen. Sie kommen hierher, sie haben ein Visum, sie haben alles, sie geben hier Geld aus, sie kommen, sie wohnen im Hotel. Wir fragen sie „Was ist das Ziel der Reise?“ – „Ich bin Tourist“. Kommen Sie rein, zumal die Sanktionen gegen uns verhängt haben. Es ist gut, dass wenigstens diese Menschen hierher kommen, Geld bezahlen, Lebensmittel, Kleidung und alles andere hier kaufen. Die Preise hier sind in Ordnung. Und warum spreche ich darüber? Also nicht nur der KGB, wir alle merken es schon, nicht nur der KGB, die Menschen bemerken es. Diese Leute heuern private Fahrer an, 350 oder 300 Kilometer, und sie sind an der Grenze bei Brest und Grodno. Private Unternehmen, dann Taxis, Busse werden angeheuert.
Das ist ein Geschäft, das ist klar.
Ja. Sie heuern unsere Leute an und eilen dorthin. Aber hier arbeiten russische Führer, danke auch an die Tschetschenen. Das sind gut organisierte Menschen. Sie waren hier am besten organisiert, sie haben den Ablauf organisiert. Jetzt sind sie…
Haben sie geholfen, die Grenze zu überqueren?
Sie haben den Menschen hier in Minsk geholfen, an die Grenze zu kommen. Vielleicht auch, die Grenze zu überqueren. Sie haben Geld bezahlt, die Migranten, Flüchtlinge, sie haben Geld bezahlt, um dorthin zu gelangen, sie haben auch Geld bezahlt, um von der Grenze nach Deutschland zu gelangen… Gerade gestern wurde gemeldet, solche Berichte gibt es jeden Tag: Ukrainer, Deutsche, Polen, Letten und nur zwei Russen wurden in Polen erwischt, nur zwei, von Hunderten. Sie nehmen Geld, es kostet drei- oder viertausend Dollar, um sie von unserer Grenze nach Deutschland zu transportieren. Das ist genau organisiert. Es ist also eindeutig ein organisierter Transit zum Beispiel von Kurden, Syrern, Iranern aus dem Irak und bis zur deutschen Grenze. Das ist gut organisiert. Warum sind sie zu uns gekommen? Weil: Als die Europäer das Rücknahmeabkommen gebrochen habe, sagte ich geradeheraus: Nun, ihr habt das Abkommen gebrochen, ihr habt aufgehört, mit uns zu kooperieren und über Grenzfragen zu sprechen, also Gott mit Euch. Es ist Euer Problem, aber ich habe gesagt, dass ich die Grenze nicht mehr schützen werde, wie ich es letztes Jahr getan habe. Die Flüchtlinge und die Organisatoren hören all das. Sie haben sie hierher eingeladen, weil…
Das Rücknahmeabkommen, was war der Grund dafür?
Das Rücknahmeabkommen: Wenn Menschen aus unserem Gebiet dorthin kommen, würden wir sie zurücknehmen und in Lager stecken. Die Lager sollten von ihnen gebaut werden, und sie begannen mit dem Bau, und dann hörten sie auf. Von da an habe ich sie nicht mehr zurückgenommen.
Haben die Europäer diese Vereinbarung gebrochen?
Ja, sie waren die Ersten, und sie wollen jetzt nicht darüber reden. Als ich mit Präsident Putin über die Ursprünge sprach, habe ich ihm gesagt, dass alles damit begann: Sanktionen. Sehen Sie, Dmitri Konstantinowitsch, die legen Ihnen eine Schlinge um den Hals, ziehen sie zu und sagen: Beschütz mich. Ich habe denen gleich zu Beginn ganz ehrlich gesagt: Ihr habt die Beziehungen eskalieren lassen. Sie geben uns die Schuld an dem Flugzeug und so weiter und so fort. Es wurde jedoch keine einzige Tatsache auf den Tisch gelegt. Sie haben Weißrussland in den Würgegriff genommen.
Rechtlich gesehen ist die Position von Weißrussland unanfechtbar.
Sie ist tadellos.
Ich habe darüber in meiner Sendung gesprochen. Ich weiß nicht, ob Sie das hören oder nicht, aber es ist wahr, absolut aufrichtig.
Das habe ich natürlich gehört.
Und dennoch, als Sie mit Merkel telefoniert haben, und mehr als einmal, sie hat sich an Sie gewandt…
Sie bat mich, diese Menschen zu repatriieren. Ich sagte: „Weißt du, Angela, lass uns nicht in so harten Worten reden.“
Was bedeutet Repatriierung? Sie zurückschicken?
Nun, das bedeutet: „Schnappt sie euch hier und bringt sie mit Gewalt weg.“ Ich habe ihr ganz am Ende gesagt, und ich habe es zweimal wiederholt, dass ich versuchen werde, dieses Problem noch vor dem Jahreswechsel zu lösen, weil wir das nicht brauchen. In Minsk, in Grodno und so weiter hängen die Menschen rum. Sie wissen, wie die Bevölkerung reagiert. Wir werden diese Menschen, die sich mit einem Touristenvisum legal bei uns in Hotels und so weiter aufhalten, auffordern, zurückzugehen, weil es keinen humanitären Korridor geben wird. Und ich habe bereits mehr als tausend von ihnen in den Irak zurückgebracht, aber ich habe ihr vorgeschlagen…
Haben Sie sie auf eigene Kosten zurückgeschickt oder…?
Zwölfeinhalb Millionen haben wir vor einer Woche bezahlt. Oh, nein, die Flüge, sie…
Es ist der Irak, der die Flüge bezahlt…
Der Irak, ja.
Aber hier geht es um die weißrussischen Ausgaben – 12,5 Millionen pro Woche. Dollar?
Dollar. Jetzt wird es sich verdoppeln.
Ich meine die ganze Unterbringung, die Lebensmittel, Heizung, medizinische Behandlung.
Absolut. Die Weltgesundheitsorganisation hat Strümpfe oder Binden oder Windeln oder so etwas geschickt.
Aber sie verteilen mehr als nur Strümpfe. Am 11. November erklärten Sie, dass versucht wurde, den Flüchtlingen Waffen zu geben, aber der KGB hat das verhindert.
Wir haben es, glaube ich, vor drei Wochen bemerkt. Wir hatten sogar schon früher damit begonnen, das zu beobachten. Die Ströme von Waffen kommen aus der Ukraine, es ist eine Katastrophe…
Aus der Ukraine?
Aus der Ukraine, über die ukrainische Grenze, und in einem Fall aus dem Donbass, über die russische Grenze. In zwei Jahren gab es nur einen solchen Fall, alle anderen kamen über die ukrainische Grenze. Und das begann schon vor den Flüchtlingen. Und wir haben diese Verstecke bereits im Fernsehen gezeigt, wir haben Leute festgenommen…
Die Waffen sind nicht nur für Flüchtlinge, sondern generell. Die Waffen waren für die Zeit nach den Präsidentschaftswahlen bestimmt, um den Präsidenten zu beseitigen und Terroranschläge auf dem Territorium von Weißrussland zu verüben. Zuvor gegen die russische Militärbasis, wir haben das gezeigt, gegen unsere Journalisten, gegen Ihren Journalisten Konstantin Pridybaila… Er hat Angst… Ich habe es nicht erwähnt, er war auch auf der Liste, weil der Kerl ständig an der Grenze ist, er ist auch auf der Sanktionsliste Westeuropas. Es gab ganze Listen und wir haben Leute festgenommen, wir haben sie gezeigt.
Organisiert haben das diejenigen, die… Amerikaner und Weißrussen, die in Moskau festgenommen wurden. Das sind deren Waffen, diese Verstecke wurden angelegt, wir haben ein Versteck in der Nähe von Minsk geöffnet. Wir haben gewartet – die guten Jungs von der Polizei und dem KGB – wir haben gewartet. Ein Mann kam, um Waffen zu holen, und wir haben ihn an Ort und Stelle geschnappt.
Sie haben ihn auf frischer Tat ertappt.
Ja, aber gegen unseren Journalisten Grigori Azarenka, so ein harter Typ – wahrscheinlich härter als ein Russe – er ist so ein heißblütiger. Sie haben ihn auf die Liste gesetzt. Und es stellte sich die Frage, ob wir sie im Voraus festnehmen sollten oder erst dann, wenn sie einen Mordanschlag auf Azarenka verüben. Und natürlich musste ich diese schreckliche Entscheidung treffen. Aber wir haben ihn geschnappt, als der Mistkerl auf ihn losging. Wir hatten Azarenka gewarnt, er ist ein tapferer Kerl, er hat zugestimmt, seine Eltern wurden gewarnt, es hätte alles mögliche passieren können. Und dann haben die Geheimdienstler Gespräche mitgehört, es war die Rede davon, Waffen ins Flüchtlingslager zu bringen, da wären ja Leute mit Kampferfahrung.
Diese Waffen.
Diese Waffen. Und wozu? Um irgendeine Konfrontation loszutreten… Als die Polen Pestizide auf die Leute gespritzt haben, da hätten sie… Also sie hätten die Waffe benutzt, und das war’s. Zumindest hätte es einen Grenzkonflikt gegeben, und wie der sich entwickelt hätte, ist unklar. Die guten Jungs vom KGB entdeckten den Versuch, Waffen dorthin zu bringen, als sie gerade dabei waren, das zu planen, und wir begannen, das Flüchtlingslager zu bewachen. Wir, unsere Grenzsoldaten, bewachen das Lager vollständig, damit niemand dorthin gelangen kann. Es ist nicht so einfach, von außen in dieses Lager zu gelangen. Wenn wir dieses Lager jetzt nicht bewachen würden, wäre es wie die Lager in der Europäischen Union, wo es diese provisorischen Lager gibt. Ich muss sagen, dass es an der Grenze zu Litauen und Polen schon vor langer Zeit zu einem Zusammenstoß gekommen wäre. Wir müssen dieses Lager also gegen das Einsickern von Waffen aus dem Kriegsgebiet, aus der Ukraine, über die ukrainische Grenze auf das weißrussische Hoheitsgebiet schützen.
Ende der Übersetzung
Den 4. Teil des Interviews finden Sie hier.
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