Münchner Sicherheitskonferenz: Macron bezeichnet die Nato als „nicht mehr aktuell“
Im Spiegel sind heute viele Artikel über die Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz erschienen. Der O-Ton im Spiegel: Alle wollen die Nato und die transatlantischen Beziehungen stärken. Dass das kleine gallische Dorf Widerstand leistet, erfährt der Spiegel-Leser nicht.
Im Spiegel sind bisher (Samstagmittag) fast halbes Dutzend Artikel über die Münchner Sicherheitskonferenz erschienen. Und sie alle haben ein und denselben O-Ton: Biden sagt, die USA sind zurück, Merkel will die transatlantischen Beziehungen stärken, sie sieht China als Konkurrenten an und will eine gemeinsame Strategie gegen Russland. Alle, so scheint es im Spiegel, sind sich einig, im Westen herrscht – trotz einiger kleiner Probleme – wieder Einigkeit. Biden ist Präsident und endlich ist die Welt wieder in Ordnung und die Nato kann sich mit neuer Kraft gegen die bösen Bedrohungen aus Russland und China wehren.
Aber dass der Häuptling des kleinen gallischen Dorf eine andere Meinung hat, verschweigt der Spiegel. Daher will ich zuerst aufzeigen was Macron gesagt hat und dann schauen wir uns an, wie das im Spiegel geklungen hat. Das russische Fernsehen hat über Macrons Rede berichtet. Hier zunächst die Übersetzung des Beitrages des russischen Fernsehens zu dem Thema.
Beginn der Übersetzung:
Der französische Präsident sagte, dass das NATO-Allianz nicht mehr aktuell sei, und zwar schon lange. Stattdessen sollte die Europäische Union eine einheitliche europäische Verteidigungsstrategie entwickeln, meint Macron.
In seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz sagte Emmanuel Macron, es habe keinen Sinn, dass Europa seine Verteidigung an die Vereinigten Staaten delegiert. Man müsse seine Interessen unabhängig verteidigen und mit Washington militärisch nur zusammenarbeiten.
Der französische Staatschef hatte zuvor erklärt, Europa könne sich nicht mehr auf die Vereinigten Staaten verlassen und sich für eine Zusammenarbeit mit Russland ausgesprochen und seine Position dieses Mal bekräftigt.
„Die Nordatlantische Allianz ist heute nicht aktuell, weil sich die Welt seit ihrer Gründung verändert hat“, sagte Macron. „Die NATO wurde gegründet, um sich dem Warschauer Pakt zu widersetzen, den es nicht mehr gibt. Ich verteidige die europäische Souveränität und die strategische Autonomie nicht, weil ich gegen die NATO bin oder an unseren amerikanischen Freunden zweifele, sondern weil verstehe, in was für einem Zustand sich die Welt befindet.“
Ende der Übersetzung
Nur der Vollständigkeit halber: Die Aussage Macrons, die Nato sei als Widerstand gegen den Warschauer Pakt gegründet worden, ist falsch. Es war umgekehrt: Die Nato wurde am 4. April 1949 in Washington gegründet, der Warschauer Pakt ist als Reaktion darauf erst am 14. Mai 1955 in Warschau gegründet worden. Aber das nur Vollständigkeit halber.
Und noch etwas der Vollständigkeit halber: Die Aussage von Macron ist nicht neu. Vor kurzem hatte Macron einen Auftritt beim Atlantic Council, über den „Defeence One“ schreibt:
„Er gebe drei Prioritäten für die Zusammenarbeit mit der Biden-Administration, die ihn alle zum Multilateralismus der neuen Ära führen würden, der Europa mehr Kontrolle und Flexibilität über seine regionale Sicherheit gibt. „Mein Auftrag war es, zu versuchen, eine tatsächliche europäische Souveränität neu zu erfinden oder wiederherzustellen“, sagte er.
Macron argumentierte, dass die NATO seit Jahrzehnten unter US-Kontrolle gestanden habe und dass ihre europäischen Mitglieder unter dem Dach der US-Armee in Amerikan einkaufen mussten. Unterdessen ist das Verbleiben in Europa für die amerikanischen Truppen seiner Meinung nach sinnlos geworden.“
Man kann Macron für vieles kritisieren und er wird wohl kaum widergewählt, aber eines kann man ihm nicht absprechen: Er hat ein gutes Verständnis für Geopolitik. Er hat verstanden, dass die Zeit der unipolaren Welt, in der die USA die Welt beherrscht haben, vorbei ist. Es bilden sich neue Machtzentren und die EU muss entscheiden, ob sie ein Anhängsel der USA bleiben will, oder ob sie auch ein eigenständiger Player, ein Machtzentrum, in der Welt werden möchte, um für ihre eigenen Interessen einzutreten, anstatt zum eigenen Schaden für die US-Interessen zu kämpfen. Aber mit dieser Position steht Macron in der EU ziemlich alleine da.
Macrons Aussagen sind bemerkenswert, denn Macron setzt sich (ähnlich wie seinerzeit de Gaulle) für eine Unabhängigkeit von den USA ein. Aber da Macron kaum als französischer Präsident wiedergewählt wird, dürfte Washington das recht entspannt sehen. Dort dürfte man davon ausgehen, dass dieser Spuk bald vorbei ist.
Es ist wenig überraschend, dass Medien wie der Spiegel ihre Leser damit nicht behelligen wollen. Schauen wir uns einmal an, wie der Spiegel berichtet hat. Ich habe in zwei der vielen Spiegel-Artikel Aussagen über Macrons Auftritt gefunden, die ich zitieren will. Die Artikel sind praktisch zeitgleich am frühen Samstagmorgen veröffentlicht worden. In einem Artikel konnte man unter der Überschrift „Münchner Sicherheitskonferenz – Alle haben sich wieder lieb“ über Macrons Auftritt erfahren:
„Der französische Präsident Emmanuel Macron war in seiner Rede schonungsloser, wie man es von ihm kennt. Er sprach sehr ausführlich übers Impfen, ansonsten brachte er die strategischen Themen vor, die ihn seit Jahren beschäftigen und mit denen er in Europa immer wieder für Diskussionen sorgt. Er wiederholte zwar nicht seine alte Aussage, in der er der Nato den »Hirntod« attestierte – betonte aber, alles, was er damals gesagt habe, sei weiterhin gültig.
Macron setzt sich seit Langem für mehr europäische Souveränität und strategische Autonomie ein. Er beteuerte erneut, dass europäische Stärke nicht im Konflikt zur Nato-Mitgliedschaft steht. Für den französischen Präsidenten sind funktionierende europäische Verteidigungsstrukturen eine Ergänzung zur Nato, keine Konkurrenz.
Wie zum Beweis erhöhte ausgerechnet er den Druck auf Deutschland, das Ausgabenziel der Nato zu erreichen: Frankreich werde das vereinbarte Ziel bald erreichen, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für seine Verteidigung auszugeben, sagte er, das sei wichtig für die Ausbalancierung der transatlantischen Beziehung und »um unseren amerikanischen Freunden zu zeigen, dass wir ein verlässlicher und verantwortlicher Partner sind«. Das saß.“
Entscheiden Sie selbst, ob Macrons Aussage hier korrekt widergegeben wurde. In meinen Augen wurde ihr Sinn geschickt verdreht, denn im Spiegel kommt es so rüber, als kämpfe Macron für das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, das Deutschland zum Ärger der Transatlantiker nicht erfüllt. Wie schlimm der Spiegel dieses „Versagen“ Deutschlands in dieser Frage findet, zeigt sich an dem letzten Satz: „Das saß.“
In dem anderen Spiegel-Artikel haben wir unter der Überschrift „Merkel bei Münchner Sicherheitskonferenz – »Deutschland steht für ein neues Kapitel der transatlantischen Partnerschaft bereit«“ über Macrons Rede dies erfahren:
„Auch Frankreichs Präsident Macron betonte die Gemeinschaft der westlichen Staaten, sprach aber auch Unterschiede zwischen Europa und den USA an. Macron war vor allem der Kampf gegen die Erderhitzung wichtig, auch brauche es eine »neue Sicherheitsagenda«. Er meinte damit sowohl den Umgang mit Konfliktregionen wie der Sahelzone oder Afghanistan, aber auch den Weltraum als neuen Schauplatz von möglichen nationalen Konflikten.“
Entscheiden Sie selbst, ob der Spiegel Macrons Kernaussage korrekt wiedergegeben hat und ob der Werbeslogan „Spiegel-Leser wissen mehr“ berechtigt ist.
Und klar: Macrons Versuche, Europa von den USA zu emanzipieren, werden scheitern. Er ist damit am Widerstand der Transatlantiker in der EU gescheitert, als es unter Trump möglich gewesen wäre. Nun, nach Bidens Amtsantritt, ist der Zug erst recht abgefahren. Das merkt man auch daran, dass die Medien es nicht einmal mehr für nötig halten, vor Macrons Worten zu warnen.
Bei seinen Äußerungen Ende 2019, die er im Sommer 2020 wiederholt hat, die Nato sei „hirntot“, haben die Medien noch eifrig erklärt, warum Macron falsch liegt. Dass er nun sogar einen Schritt weiter geht und die Nato als „nicht mehr aktuell“ bezeichnet, verschweigen die Medien, denn es wird sowieso keinerlei Folgen haben.
Wozu also die deutschen Leser damit belasten?
2 Antworten
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Wenn Macron die Nato für überholt oder hirntot erklärt und quasi im gleichen Atemzug eine „einheitliche europäische Verteidigungsstrategie“ fordert, zeigt das für mich zweierlei: 1. Er schätzt die Bedeutung der Nato falsch ein („to keep Russia out, the US in, and Germany down“). In der Funktion, die sie hat, hat sie keineswegs ausgedient, jedenfalls aus Sicht ihres Machtzentrums, das ohne jeden Zweifel außerhalb Europas liegt. 2. Eine europäische Verteidigungsstrategie, egal, ob einheitlich oder nicht, ist Unfug, denn wenn es überhaupt Angreifer gegen Europa gibt, dann sind diese so mächtig, dass eine wirksame Verteidigung dagegen wirtschaftlich ruinös wäre. Und alle übrigen Länder dieser Welt mögen die EU vielleicht nicht besonders lieb haben, wollen aber kein Krieg dagegen führen.
Wenn Macron dann sagt, es habe keinen Sinn, dass „Europa seine Verteidigung an die Vereinigten Staaten delegiert“ und dass man „seine Interessen unabhängig verteidigen“ solle, und wenn man dann seine Formulierung „Verteidigung“ als „Verteidigung von Interessen“ interpretiert, dann liegt er mit seiner Einschätzung sicherlich richtig. Problematisch daran ist, dass er offenbar wie viele andere europäische und überseeische Politiker der Auffassung ist, dass es zur Verteidigung von „Interessen“ militärische Mittel brauche. Und das ist aggressiv, und das ist wiederum zu kritisieren. Denn Deutschland wird eben nicht am Hindukusch verteidigt und Frankreich nicht in Afrika und die Welt nicht im Gelben Meer.
> Der französische Staatschef hatte zuvor erklärt, Europa könne sich nicht mehr auf die Vereinigten Staaten verlassen …
Ach, ich finde, man kann sich auf die Amerikaner ganz gut verlassen, jedenfalls auf eine gewisse Weise. „America first“ wird nur eben nicht immer auf die langfristig intelligenteste Weise umgesetzt, und da niemand hier wie in Übersee weiß, wie stark strategische Minderleistungen die Vorgehensweise beeinflussen, ist nicht gänzlich zuverlässig vorhersehbar, was als nächstes geschieht. Ein bisschen Chaos ist bei den Prognosen einzuplanen.
> … und sich für eine Zusammenarbeit mit Russland ausgesprochen …
Das ist bemerkenswert. Allerdings wenig konkret. Wirtschaftliche Beziehungen gibt es ja trotz aller Sanktionen nach wie vor.
„Millitarisierung der Außenpolitik“ nennt man diesen Prozeß (und das ist ein „Selbstläufer“).
Was ein gewisser Scott Rittter hier
„Wachsende Rolle der NATO verbirgt Realität eines US-Imperiums im Niedergang“
https://de.rt.com/meinung/113379-wachsende-rolle-nato-verbirgt-realitat/
so erklärt:
„…
Die bedauerliche Realität besteht darin, dass die NATO eine Institution des Krieges ist und nicht in der Lage, nichtmilitärische Lösungen zu finden. Angesichts ihres militärischen Schwerpunkts definiert die NATO alle Probleme so, dass sie eine militärische Lösung erfordern….“
hat Gerneral Wesley Clark bereits 2007 auf den Punkt gebracht:
„Wenn man nur einen Hammer hat, ist jedes Problem ein Nagel.“
Wenn Marcon das vor Augen hatte, als er den „Hirntod“ konstatierte, so wäre er doch erstaunlich unabhängig, denn er steckt selbst in diesem Prozeß.
(Ich habe auch den Eindruck, daß die Nato zunehmend und mehr „eigene Politik macht“, als noch zu Zeiten des sog. „Kalten Krieges“. Man sollte sich immer wieder daran erinnern, daß nach 1990 ausnahmslos alle Staaten des vormaligen Ostens erst Mitglied der Nato wurden und dann der EU.)
Für uns „einfachen Leute“ ist vieles unverständlich oder gar absurd, weil:
Wir sehen nur die Köpfe, wir sehen nicht die Wechselbeziehungen und die damit verbundene Dynamik, die politische Entwicklungen, wenn sie denn einmal in Gang gebracht wurden, bis zur Irrationalität treiben können.
(Das liegt m.E. auch daran, daß wir nicht in der Lage sind, in dynamischen komplexen Prozessen zu „denken“ – obwohl wir selbst permanet auch in solche verwickelt sind, nehmen wir sie nicht wirklich wahr.)
Die seltsame Erscheinung, daß sich so mancher im Ruhestand in gewisser Hinsicht „vom Saulus zum Paulus“ wandelt, wie z:B dieser Clark, folgt aus der Position eines Außenstehenden, der das Innenleben allerdings sehr gut kennt – es „gelebt“ hat.
Es könnte sein (und das ist jetzt sehr spekulativ und optimistisch), daß Trump die „Störung“ war, dergleichen es in der Regel bedarf, um eine solche Dynamik zu unterbrechen.
Denn eines ist offensichtlich. Man versucht krampfhaft und nahtlos, am Status quo ante „Trump“ anzuschließen – daß das gelingt, erscheint jedoch mehr als fraglich.
Vielleicht – aber nur vielleicht – werden wir Trump eines Tages auf eine gewisse Art noch dankbar sein müssen.
Wir werden sehen.