Kapitalismus vs. Menschenrechte: Wasser ist kein Menschenrecht mehr, sondern ein börsennotierter Rohstoff

Laut einer UN-Resolution von 2010 ist sauberes Trinkwasser ein Menschenrecht. Das hindert die Wallstreet aber nicht daran, Wasser nun als Rohstoff zu handeln, genauso wie etwa Öl.

2010 hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen den Zugang zu sauberem Trinkwasser in einer Resolution als Menschenrecht anerkannt. Diese Resolution ist nicht bindend, hat aber einen hohen politischen Stellenwert, wie damals gesagt wurde. Aber wie das so ist mit „politischen Stellenwerten“ die Politik steckt auch dieses Mal vor den Interessen von Großkonzernen und Spekulanten zurück. Aber der Reihe nach.

Die völkerrechtliche Situation

Die genannte UN-Resolution 64/292 von 2010 ist nicht bindend, allerdings gibt es den völkerrechtlich bindenden Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966. In Artikel 11 des Paktes wird dem Menschen ein Recht auf „auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschliesslich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen“ garantiert.

Aus dieser Bestimmung leiten Experten auch ein Menschenrecht auf den Zugang zu Trinkwasser ab, das unbestritten eine Grundlage für einen „angemessenen Lebensstandard“ ist. Leider ist der Pakt in seinen Formulierungen aber so allgemein gehalten, dass man daraus nur wenig wirklich konkret ableiten kann. Er klingt eher wie eine wolkige Absichtserklärung, die so formuliert ist, dass man kaum eine konkrete Forderung oder Pflicht der Unterzeichnerstaaten daraus herleiten kann.

Die UN-Resolution von 2010 ist nicht bindend, was eine große Schwäche der UNO aufzeigt: Völkerrechtlich bindend sind nur Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. Resolutionen der UN-Vollversammlung, also aller Mitgliedsstaaten der UN, sind selbst dann nicht bindend, wenn sie einstimmig angenommen werden. Da haben sich die Staaten des UN-Sicherheitsrates bei Gründung der UNO ein sehr exkluslives Recht gesichert, nämlich das Recht, Regeln für die 187 anderen Staaten der Welt festzulegen.

Das ist übrigens auch ein Grund, warum das Vetorecht des UN-Sicherheitsrates so wichtig ist: Könnten dort Entscheidungen mit einfacher Mehrheit getroffen werden, würde eine Mehrheit von drei Staaten (zum Beispiel USA, Großbritannien und Frankreich) ausreichen, um im Alleingang völkerrechtlich bindende Regeln für die ganze Welt aufzustellen.

Das ist auch der Grund, warum das Vetorecht im Westen so gerne kritisiert wird: Man möchte die Regeln für die ganze Welt festlegen, was Russland und China durch Veto verhindern können. Das nervt die Politiker im Westen, weshalb die UNO im Westen immer wieder als „ineffizient“ bezeichnet und von westlichen Staaten systematisch diskreditiert wird. Der Westen setzt sich in dieser Frage ja nicht dafür ein, dass die UNO demokratischer wird und dass die Vollversammlung mehr Recht bekommt, sondern der Westen kritisiert das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat, wenn sich Russland und China gegen den Willen des Westens stellen.

Privatisierungen als Allheilmittel

Wasser wird nun seit kurzem als Rohstoff an der Wallstreet gehandelt. Das bedeutet, dass Spekulanten nun auf den Preis von Wasser wetten können, so wie es bei anderen Rohstoffen wie Öl schon lange üblich ist. Natürlich wird das in den wenigen Pressemeldungen, die es dazu gab, als gute Sache dargestellt. Wallstreet online hat im November dazu geschrieben:

„Der globale Wasserverbrauch wird langfristig weiter steigen. Daher bieten sich Lösungen für die Wasserproblematik als Investmentchance an. In vielen Regionen weltweit ist Wasser knapp. Um dem Problem entgegenzuwirken, braucht es Investitionen in Forschung und entsprechende Infrastruktur. Das kann für Anleger interessant sein: Ins „blaue Gold“ zu investieren ist nicht nur aus ökologischer Sicht wichtig, sondern könnte auch im Hinblick auf die Rendite alles andere als ein Sturm im Wasserglas sein.“

Dabei ging es noch um Fonds, die sich auf Unternehmen spezialisiert haben, die Infrastruktur für die Wasserversorgung bauen. Aber die eigentliche Problematik wird bereits sichtbar, denn immer dann, wenn die Wasserversorgung irgendwo privatisiert wurde, wurde das Wasser kurz darauf teurer und die Wasserqualität schlechter. Der Grund ist ganz simpel: Privaten Unternehmen geht es nicht um sauberes Wasser, sondern um Gewinne. Also versuchen sie, die Preise zu erhöhen und gleichzeitig die Ausgaben für die Wasserqualität zu senken. Und sollte ein Unternehmen tatsächlich mal auf eine gute Wasserqualität und faire Preise setzen, gehen seine Gewinne zurück, sein Aktienkurs fällt und Konkurrenten werden es in einer feindlichen Übernahme schlucken. Die Unternehmen haben also gar keine andere Wahl, als so zu handeln, wie sie es tun. So funktioniert der Kapitalismus nun einmal.

Das sollte eigentlich ein Grund sein, ein so lebenswichtiges Gut wie Wasser in staatlicher Hand zu lassen, weil Staaten nicht auf maximalen Gewinn setzen. Aber das widerspricht der neoliberalen Ideologie des heutigen Kapitalismus, denn nach dieser Ideologie ist der Staat schlecht und ineffizient und nur private Firmen und der Markt können alles ganz perfekt regeln.

Das ist natürlich Blödsinn, wird aber dank der Macht der Großkonzerne von Politik und Medien trotzdem behauptet und Privatisierungen – auch von Wasserversorgern – werden in der westlichen Presse gefeiert. Diese These wird den Menschen mit so ständiger Regelmäßigkeit in die Köpfe gehämmert, dass eine Mehrheit das inzwischen glaubt, obwohl alle Beispiele weltweit zeigen, dass Privatisierungen zu höheren Preisen und schlechterer Qualität führen, egal ob man Wasserversorger, Krankenhäuser, Eisenbahnen, Straßen oder was auch immer privatisiert. In dem Augenblick, wo der Gewinn wichtiger ist, als Qualität und Versorgung, ist der Weg vorgezeichnet. Dann stellen zum Beispiel Eisenbahnen unrentable Verbindungen ein und Menschen in ländlichen Gebieten können sehen, wo sie bleiben.

Wasser als Rohstoff

Da die Wasserknappheit weltweit steigt, hat die Wallstreet Anfang Dezember 2020 begonnen, Wasser als Rohstoff zu handeln. Natürlich wird auch dabei behauptet, dass das die Lage verbessert. Man spricht von Planungssicherheit, wenn zum Beispiel Landwirte sich über Futures die Versorgung ihrer Felder mit Wasser im Voraus sichern können. Das klingt ja auch gut.

In der Praxis hat das aber noch nie funktioniert. Weizen zum Beispiel wird schon lange so gehandelt und ist zu einem Spekulationsgut geworden, weil die Futures von Banken gekauft und gehandelt werden, die den Weizen gar nicht haben oder zu Brot verarbeiten wollen. Sie wollen nur an dem Preis von Weizen verdienen. Das führt zwangsläufig dazu, dass über Futures eine viel größere Menge eines Produktes gehandelt wird, als tatsächlich vorhanden ist.

Die Idee, sich mit Futures den Zugang zu und den Preis von Produkten zu sichern, ist sehr gut. Aber sie funktioniert nur dann wie gewünscht, wenn auch tatsächlich nur diejenigen mit den Future handeln dürfen, die das Produkt auch tatsächlich brauchen. Sobald aber Banken, Fonds und andere Spekulanten aus in den Handel einsteigen, ist die ursprüngliche Idee tot. Dann geht es nur noch um Wetten im internationalen Kasino der Finanzwirtschaft.

Das hat beim Wasser nun in den USA begonnen, als Grund wurde die Wasserknappheit in Kalifornien angeführt. Bereits seit Ende 2019 wird in den USA der Preis für Wasser im NQH2O gehandelt und das Ergebnis ist genau das, was man erwarten konnte: In dieser kurzen Zeit schwankte der Wasserpreis zwischen knapp über 200 Dollar und fast 700 Dollar – die Spekulanten bestimmen den Preis. Gehandelt wird dabei ein sogenannter acre-foot, was 1.233 Kubikmetern Wasser entspricht.

Als die Wallstreet nun Anfang Dezember mitgeteilt hat, den NQH2O in den Handel an der Börse aufzunehmen, hat Chicagoer Börse (CME-Group) sofort mitgeteilt, Wetten auf Wasser in Kalifornien auszugeben, allein dieser Markt wird auf 1,1 Billionen Dollar geschätzt. Was dieser Handel für die Wasserpreise bedeuten wird, kann man sich an zwei Fingern abzählen.

Und da solche Beispiele aus den USA gerne in anderen Teilen der Welt übernommen werden, ist es nun nur eine Frage der Zeit, bis Wasser auch weltweit an Börsen gehandelt wird. Von der Idee, dass Wasser ein Menschenrecht ist, wird dann nichts mehr übrig bleiben.

Kapitalismus, also die Gewinne der Spekulanten, ist eben wichtiger, als die Menschenrechte.

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

4 Antworten

  1. Ja da können die Großen am Markt jetzt schön dicke Insidergeschäfte machen. Mit dem Wasser für die Bewirtschaftung der Landwirtschaft kann dann auch der Ertrag dieser gesteuert werden. Nehmen wir Orangen. Wenn ich möchte, dass wenig Orangen geerntet werden, weil ich mir vorher schon Orangen Anleihen gekauft habe, werde ich dafür sorgen, dass das Wasser teuer ist und somit die Ernte schlecht ausfällt. Wenn ich hingegen aber bei Orangen auf fallende Kurse setzte, dann werde ich das Wasser verkaufen. Es ist genügend Wasser da und es wird eine gute Ernte geben. Die Preise für Orangen werden dann fallen.
    Dass kann man steuern, wenn die Portokasse nur groß genug ist.
    Aber wie wollen die das denn dann durchsetzen? Es muss dann doch auch Verbote geben, dass man Wasser aus eigenen Brunnen bezieht. Oder wenn meine Felder direkt am Fluss liegen muss es verboten werden, dass Wasser aus dem Fluss zu nehmen.
    Fehlt nur noch, dass dann der Niederschlag verkauft wird. Auf einem Hektar sind gestern Nacht 10mm Wasser/m² jetzt musst du dafür 56 Dollar zahlen. (Bei 700 $ für 1233m³).
    Einen Farmer mit 1000ha muss dann mal eben 56.000,00 Dollar abdrücken und das für einen Tag.
    Der Staat kann dann den Niederschlag an den Meistbietenden verkaufen. Diese wetten auf den Regen, der im Jahr fällt. Regnet es viel, dann verdienen sie viel.
    Es gibt also noch viele Möglichkeiten das ganze weiter auszubauen. Das Zusammenwirken von Wasser und Lebensmittelpreisen wird dann einige wenige noch reicher machen.

  2. Versuche in diese Richtung gibt es ja schon seit langem. Bislang am übelsten war die Privatisierung des Wassers in Bolivien 1999. Die Konzession des US-Konzernes Bechtel und des französischen Multis Vivendi ging soweit, daß sogar das Grundwasser und in Zisternen aufgefangenes Regenwasser zum „Eigentum“ der Konzerne erklärt wurden, und somit Selbstversorger für ihr eigenes Wasser an die Aasgeier hätten Gebühren entrichten müssen:

    https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/322004-Der-Fall-Bechtel-in-Cochabamba.html

    Unter anderen als Konsequenz dieses Skandals und des Widerstandes der Menschen im Lande erfuhr Bolivien dann eine politische Veränderung: Evo Morales gewann 2006 die Wahlen. Etwas, das man später zurückzudrehen versuchte.

  3. Milliarden sind einigen Menschen offenbar als Ertrag zu wenig.
    Vielleicht kann man denen ein Schnippchen schlagen, wenn wir Bier und Wein ohne Wasser erfinden. 😉 Vor Jahrhunderten auch haben wir (wg. fehlender Reinheit) auch kein Brunnenwasser getrunken! Vorwärts in die Vergangenheit!

    1. Sehn Sie, werter Herr, das Problem ist nicht einfach, daß da einige nicht genug bekommen können.
      Das Problem besteht vor allem darin, daß man in einem „Geschäft“ nicht einfach „genügsam“ werden kann, dann ist man nämlich früher oder später „weg vom Fenster“.

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