Ukraine: Anzeige wegen Landesverrat gegen Poroschenko, Selensky im Aufwind
Auch wenn die deutschen Medien derzeit nur sehr oberflächlich über die Ukraine berichten, finden dort die derzeit vielleicht spannendsten politischen Entwicklungen in Europa statt. Daher will ich eine kurze Analyse liefern und dann auf die aktuellen Entwicklungen eingehen.
Selensky ist nun Präsident, aber niemand weiß so recht, was man von ihm erwarten kann, denn seine Äußerungen sind widersprüchlich und die politischen Abhängigkeiten in der Ukraine immens. Das heißt, man muss sich nicht nur fragen, was er möglicherweise tun will, sondern auch, ob er auch tatsächlich tun kann.
Selensky ist aus dem Osten der Ukraine und auf Russisch aufgewachsen. Er ist also ethnischer Russe, aber deshalb ist er nicht automatisch auch pro-russisch. Sicher wird er versuchen, die nationalistischen, anti-russischen und diskriminierenden Gesetze abzuschwächen, wie zum Beispiel das Sprachgesetz. Das ist aber in einem so zwischen zwei Volksgruppen und ihren Sprachen gespaltenen Land ein Akt der Vernunft und kein Schritt in Richtung Russland. Man kann ethnische Minderheiten nicht dauerhaft unterdrücken und ihre Sprachen verbieten, das führt zu Unruhe und Bürgerkrieg, die Geschichte ist voll von Beispielen dafür. Und in der Ukraine hielten sich vor der Abspaltung der Krim die beiden Ethnien Ukrainer und Russen die Waage, beide machten ca. 40% der Bevölkerung aus, den Rest stellten andere Minderheiten, wie Polen, Ungarn, Rumänen usw.
Selensky fällt derzeit dadurch auf, dass er sich einerseits sehr anti-russisch äußert, aber andererseits das noch amtierenden, anti-russischen Parlament aufgelöst hat. Mit seiner Popularität im Rücken wird das neue Parlament nicht mehr so radikal sein, wie das aktuelle. Umfragen sehen seine Partei bei bis zu 40%.
Aber Selensky ist von dem Oligarchen Kolomoisky abhängig, der ihm mit seinen Medien und wohl auch seinem Geld den Wahlsieg erst ermöglicht hat. Und was Kolomoisky will, außer Rache an Poroschenko für die Enteignung, die Poroschenko durchgedrückt hat, ist fraglich. Kolomoisky ist nur schwer einzuschätzen. Und was passiert, wenn Selensky sich plötzlich für mächtig genug hält, etwas zu tun, das Kolomoisky nicht gefällt, kann niemand vorhersagen.
Das macht die Situation in der Ukraine derzeit so unkalkulierbar, denn die zwei derzeit wohl wichtigsten Player sind kaum wirklich einzuschätzen. Was klar sein dürfte ist, dass weder Selensky noch Kolomoisky den pro-westlichen Kurs der Ukraine einfach beenden können. Die USA sind nun so tief in den staatlichen Strukturen des Landes verankert, wie nie zuvor und werden einen Kurswechsel nicht zulassen. Notfalls organisieren sie einen dritten Maidan.
Außerdem kann Kolomoisky sich keinen anti-USA-Kurs leisten, als Oligarch will er sicher keine westlichen Sanktionen gegen seine Firmen. Er wird Selensky also davon abhalten, sollte der es trotzdem versuchen wollen.
Andererseits will Selensky den Krieg beenden. Dazu muss er den Menschen im Osten der Ukraine Zugeständnisse machen und mit Russland reden, was auf heftigen Widerstand im nationalistischen Westen des Landes stoßen wird. Das ist eine Zwickmühle und man darf gespannt sein, wie er diese Quadratur des Kreise hinbekommen will.
Man muss nun abwarten, was Selensky tatsächlich tun wird. Ob aus Überzeugung oder aus Pragmatismus hat er jedenfalls am Tag seiner Amtseinführung den US-Vertretern überschwänglich gedankt und sogar weitere Sanktionen gegen Russland gefordert. So wird er mit den Worten zitiert:
„Die USA sind ein mächtiger und seriöser Partner für die Ukraine, vor allem, bei der Abwehr der russischen Aggression. Alleine können wir die russische Aggression im Donbass und auf der Krim nicht abwehren. (…) Wir haben ein sehr gutes Vorbild, Ihr Land. Die Reformen in der Ukraine werden nicht nach dem Ende des Krieges im Donbass durchgeführt, sondern parallel dazu. Wir wollen nach Werten und der Transparenz ein europäisches Land werden.“
Außerdem hat sich Selensky bei Trump für die Gratulationen bedankt und hofft auf ein baldiges Treffen. Und er forderte gegen Russland mehr internationalen Druck. All dies sind schöne Worte, die man in den USA sicher gerne gehört hat, aber was er wirklich tun wird, steht in den Sternen.
Und er hat schon etwas getan, was auch erwartet wurde. Er hat das Parlament aufgelöst und für den 21. Juli Neuwahlen angesetzt. Damit hat er es offenbar eilig, denn die Parlamentsauflösung hat er gleich in seiner Antrittsrede gestern angekündigt und sie nun so angeordnet, dass es schnellstmöglich Neuwahlen gibt. Im Gespräch waren der 21. und der 28. Juli, er hat das frühest mögliche Datum gewählt.
Das war nötig, weil er im jetzigen Parlament keine eigene Mehrheit hat und er den Ukrainern schnell zeigen muss, dass er ein Macher ist. Die Geduld in den gebeutelten Land ist begrenzt. Nun kann man erwarten, dass er noch einen großen Wahlsieg einfährt, die Umfragen sehen seine Partei weit vorne. Das nutzt Selensky und führt als offiziellen Grund für Auflösung der Rada an, dass ihr nur noch 4% der Ukrainer vertrauen, da wären Neuwahlen überfällig. Auch wenn das nur ein Vorwand ist, Unrecht hat er damit sicherlich nicht.
Er selbst kommt sehr frisch rüber, wie er zum Beispiel zu Fuss anstatt in der Limousine zur Amtseinführung kam und die wartenden Menschen begrüßte, was seine Leibwächter wohl nicht so toll fanden.
Und dieses junge und frische Image pflegt er nach Kräften, indem er zum Beispiel mitteilen ließ, die Menschen sollten mit Vladimir ansprechen, anstatt mit der förmlichen Anrede. In slavischen Ländern gibt es, wie im Deutschen, den Unterschied zwischen „Sie“ und „Du“, wobei das in diesen Ländern im geschäftlichen oder politischen Umgang wesentlich förmlicher gehandhabt wird, als in Deutschland. So ist es zum Beispiel üblich, dass der ältere Gesprächspartner den jüngeren duzt und der jüngere den älteren trotzdem siezt. Auch hierarchisch ist es so, dass der in der Hierarchie höher stehende die Untergebenen duzt und sie den Chef siezen. So ist es zum Beispiel bis heute so, dass der gerade abgetretene kasachische Präsident, der älter ist als Putin, den russischen Präsidenten wie selbstverständlich seit dem ersten Treffen duzt, während Putin den Kasachen trotz fast 20 Jahren enger Zusammenarbeit immer noch siezt. Es ist sogar üblich, die eigenen Schwiegereltern zu siezen.
Vor diesem Hintergrund ist es also eine erwähnenswerte Besonderheit, dass Selensky seine Landsleute auffordert, ihn beim Vornamen anzusprechen und soll zeigen, dass er einer von ihnen und keiner von „denen“ ist. Psychologisch hat das sicher Wirkung.
Währenddessen gibt es fast täglich neue Vorwürfe gegen Poroschenko. Nachdem gegen ihn bereits wegen Korruption, Machtmissbrauch, Beeinflussung der Justiz durch Druck auf Richter und wegen der Todesschüsse vom Maidan ermittelt wird und ein Gericht sich bereits mit einem Ausreiseverbot für Poroschenko und 180 seiner Getreuen befasst, kamen heute zwei neue Anzeigen hinzu. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Präsidalverwaltung von Poroschenkos Vorgänger Janukowitsch hat heute Anzeige erstattet und davon gesprochen, dass nun ein große Team aus Juristen die Arbeit aufnimmt. Details zu der Anzeige wurden nicht bekannt.
Dafür wurde bekannt, dass auch eine Anzeige gegen Poroschenko wegen Landesverrat eingegangen ist. Dabei geht es um den Vorfall von Kertsch, was ebenfalls heikel für Poroschenko werden könnte, denn er hat mit dem Ende November von ihm selbst provozierten Vorfall einen Vorwand geschaffen, das Kriegsrecht auszurufen, was als Versuch interpretiert wurde, die Wahlen abzusagen.
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