Südkorea: Russische Bomber verletzen Luftraum – Was verschweigen die deutschen Medien?
Südkorea wirft russischen Bombern eine Luftraumverletzung vor und hat angeblich sogar Warnschüsse abgegeben. Was ist die russische Version und was verschweigen die deutschen Medien?
Am Morgen kam es zu einem Zwischenfall im Japanischen Meer. Die deutschen Medien melden, dass russische Bomber vom Typ TU-95 in den südkoreanischen Luftraum eingedrungen seien. Auch chinesische Flugzeuge seien in der Nähe gewesen und südkoreanische Abfangjäger hätten Warnschüsse abgegeben und dabei 360 Schuss Munition verschossen. Der Spiegel schreibt zum Beispiel:
„Vor der Ostküste Südkoreas hat am Dienstag ein russisches Militärflugzeug den Luftraum des ostasiatischen Landes verletzt. Das meldet das Verteidigungsministerium in Seoul. Die südkoreanischen Luftstreitkräfte starteten demnach als Reaktion auf den Vorfall eigene Kampfjets – die Warnschüsse abgefeuert hätten. Die russische Maschine sei demnach in den Luftraum Südkoreas vor der Ostküste nahe der Felseninselkette Dokdo eingedrungen, teilte ein Sprecher mit.“
Die Botschaft an den Leser ist einfach: Die bösen Russen verletzen den Luftraum von Südkorea und zwar vor der Ostküste des Landes. Das ist faktisch nicht einmal ganz falsch, aber ein Blick auf die Karte zeigt, dass der genaue Ort des Vorfalls, also der Felsen, den der Spiegel „Dokdo“ nennt, ziemlich genau in der Mitte zwischen Japan und Südkorea im Japanischen Meer liegt, etwa 200 Kilometer von den jeweiligen Küsten entfernt.
Auch über den Hintergrund der Insel „Dokdo“ schweigt der Spiegel. Er könnte sie nämlich auch „Takeshima“ nennen, weil die Insel ein umstrittenes Gebiet ist, auf das sowohl Japan als auch Südkorea Anspruch erheben. Daher wird die Insel international als „Liancourt-Felsen“ bezeichnet, um zu vermeiden, durch die Bezeichnung der Insel den Anspruch des einen oder anderen Landes zu unterstützen. Wenn der Spiegel die Insel mit dem koreanischen Namen nennt, unterstellt er, dass die russischen Flugzeuge tatsächlich südkoreanischen Luftraum verletzt hätten. Das ist jedoch strittig. Dazu gleich mehr.
Das russische Verteidigungsministerium hat mitgeteilt, den Luftraum der Insel (wem auch immer sie gehört) nicht verletzt zu haben, sondern im internationalen Luftraum operiert zu haben. Russland bestreitet auch, dass die Südkoreaner Warnschüsse abgegeben hätten. Nach Russlands Angaben haben die südkoreanischen Piloten die Flugbahnen der Bomber gekreuzt und sich „unprofessionell“ verhalten.
Diese russische Meldung habe ich in Deutschland nur in der „Welt“ gefunden, alle anderen Medien übernahmen die südkoreanische Stellungnahme und berichteten – wenn überhaupt – nur über das russische Dementi der Luftraumverletzung, nicht aber darüber, dass es nach russischen Angaben auch keine Warnschüsse gegeben habe. Hinzu kommt, dass Russland den Südkoreanern nicht nur gefährliche Flugmanöver vorwirft, sondern auch mitgeteilt hat, dass die südkoreanischen Maschinen mit den Russen weder selbst Kontakt aufgenommen hätten, noch auf russische Funksprüche geantwortet hätten.
Was die Medien in Deutschland ebenfalls nicht berichten ist, dass neben chinesischen, russischen und südkoreanischen auch japanische Kampfflugzeuge dort in der Luft waren, denn auch Japan beansprucht die Insel für sich und hat Jäger hingeschickt. Japan hat sich sowohl in Seoul, als auch in Moskau beschwert und mitgeteilt, dass solche Manöver „über unseren Territorium inakzeptabel“ sind.
Unabhängig davon, ob der Luftraum der Insel verletzt wurde und von wem, ist die Geschichte also wesentlich komplexer, als es die deutschen Medien darstellen. Der deutsche Leser erfährt nichts von den Hintergründen, nicht einmal alle Details über den Vorfall. Dafür gibt es wieder einmal die übliche Portion anti-russischer Agitation, wenn nur der Teil berichtet wird, der Russland vorgeworfen wird.
Der südkoreanische Vorwurf wird in allen Artikeln als Tatsache hingestellt, das russische Dementi wird – wenn überhaupt – als russische Behauptung gekennzeichnet. Meistens wird das russische Dementi gleich ganz verschwiegen, so wie im Spiegel:
„Das russische Verteidigungsministerium erklärte in einer ersten Stellungnahme laut der Nachrichtenagentur Reuters, es habe zwischen den südkoreanischen und russischen Piloten keinen Kontakt gegeben. Die Flugmanöver der Südkoreaner nahe der russischen Bomber seien unprofessionell gewiesen.“
Kein Wort über das russische Dementi, der Spiegel erweckt stattdessen den Eindruck, die Russen hätten die Luftraumverletzung nicht bestritten und stattdessen den Südkoreanern Vorwürfe gemacht.
Hinzu kommt, dass Südkorea vor seinem Luftraum eine sogenannte „Luftraumüberwachungszone“ ausgerufen hat. Das bedeutet, dass Südkorea von Flugzeugen, die sich im internationalen Luftraum weit weg vom südkoreanischen Luftraum bewegen, bereits eine Identifizierung fordert und zur Durchsetzung dieser Forderung Jagdflugzeuge entsendet. Dafür gibt es keinerlei völkerrechtliche Grundlage.
Die russischen Flugzeuge befanden sich also im internationalen Luftraum und haben – wenn überhaupt – den Luftraum der umstrittenen Insel nur kurz verletzt. Im Spiegel klingt aber schon das Durchqueren des internationalen Luftraums über den Japanischen Meer ganz böse:
„Die Militärmaschine, die den Luftraum verletzt habe, habe zuvor neben anderen russischen Kampfflugzeugen ohne Vorankündigung die sogenannte Luftraumüberwachungszone Südkoreas durchquert, hieß es.“
Die Luftraumverletzung bei der umstrittenen Insel, so es sie denn gegeben hat, war übrigens minimal. Die Südkoreaner melden eine Verletzung gegen 9 Uhr und eine gegen 9.30 Uhr Ortszeit. Diese waren so minimal, dass nicht einmal gemeldet wurde, wie lange sich das Flugzeug angeblich im Luftraum Südkoreas befunden hat. Das lässt darauf schließen, dass es sich bestenfalls um wenige Sekunden oder Minuten gehandelt hat.
Die deutschen Medien stellen auch folgende Frage, die man im Spiegel lesen kann:
„Auch chinesische Militärflugzeuge seien in diese Zone eingedrungen. Ob es sich um ein gemeinsames Manöver der russischen und chinesischen Streitkräfte handelte, war zunächst unklar.“
Das stimmte zu dem Zeitpunkt, als die deutschen Medien berichtet haben. Als ich diesen Artikel gerade veröffentlichen wollte, hat das russische Verteidigungsministerium gemeldet, dass es sich bei dem Flug um die erste gemeinsame russisch-chinesische Patrouille gehandelt hat, die jedoch ausschließlich in internationalem Luftraum im Japanischen und Chinesischen Meer stattgefunden hat. Diese gemeinsamen Patrouillen richten sich nicht gegen andere Länder, teilte das russische Verteidigungsministerium mit.
Nachtrag: Als Bestätigung dieses Artikels hat sich später am gleichen Tag Japan bei Südkorea beschwert. Die Südkoreanischen Flugzeuge hätten dort nichts zu suchen gehabt, es hätten japanische Flugzeuge sein sollen, die dort den Luftraum schützen:
„Die Insel Takeshima ist unser Territorium. Japan muss Maßnahmen in Bezug auf das russische Flugzeug ergreifen, das in unseren Luftraum eingedrungen ist. Es ist mit unserer Position unvereinbar, dass Südkorea Schritte in diese Richtung unternommen hat.“
Das hat Südkorea nicht unbeantwortet gelassen. Seoul erklärte:
„Gemäß dem internationalen Recht ist Dokdo historisch und geografisch unser Territorium, daher brauchen wir die japanischen Erklärungen nicht entgegen nehmen.“
So wird der Vorwurf gegen Russland, über den die deutschen Medien berichtet haben, nun zu einem alten koreanisch-japanischen Streit. Nur das erfahren deutsche Leser nicht von ihren „Qualitätsmedien“.
Eine Antwort
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Sehr geehrter Herr Röper,
DANKE für Ihre sehr gute Aufklärung über die Zusammenhänge. Dies meine ich für all Ihre Berichte und auch für die Sendung #Tacheles. Machen Sie weiter so.
Mit freundlichen Grüßen