Propaganda im Spiegel: Ein neues Lehrstück im Verdrehen von Fakten

Wenn Christina Hebel aus Moskau für den Spiegel schreibt, dann ist es klar, dass man anti-russische Propaganda und Desinformation bekommt. So auch heute. Obwohl ich bei der Überschrift noch die Hoffnung hatte, dass es diesmal anders sein könnte. Aber nicht bei Christina Hebel.
 
Es geht darum, dass die Ukraine mit der Ausrufung des Kriegsrechts auch eine Einreisesperre für russische Männer in Kraft gesetzt hat. Das wird begründet mit der angeblichen Gefahr, dass die Russen eine Untergrundarmee im Land aufbauen wollen. Das aktuelle Kiewer Regime macht sich schon lange mit seiner anti-russischen Propaganda lächerlich, man denke nur daran, dass Kiew seit 2014 vor einem bevorstehenden russischen Angriff warnt, der blöderweise einfach nicht kommen will. Das hindert Kiew aber nicht daran, dies weiterhin regelmäßig als „unmittelbar bevorstehend“ anzukündigen.
 
Diese Einreisesperre ist aus humanitärer Sicht eine Katastrophe, denn trotz der politischen Situation sind die Menschen der Länder oft noch eng verbunden. Es gibt viele grenzübergreifenden Familien, die sich zum Beispiel oft zu Sylvester besuchen. Oder auch aus Russland zu ihren kranken und alten Eltern in die Ukraine fahren möchten. Diese Familienbande sind ein Erbe der Sowjetunion, als viele in der Ukraine geborene Menschen später zum Studieren oder Arbeiten ins heutige Russland gegangen sind.
 
Was Kiew nun mit der Einreisesperre veranstaltet, ist ungefähr das gleiche, wie die Trennung von Familien in Deutschland seinerzeit, als es nicht einfach war, in die DDR zu fahren.
 
Ich hatte gedacht, dass man das gar nicht anders darstellen kann, die Situation ist zu eindeutig. Kiew hat diese Schikanen eingeführt, da gibt es nichts schön zu reden. Aber Frau Hebel schafft es sogar hier, die Tatsachen so zu verdrehen, dass irgendwie trotzdem Russland der Bösewicht ist. Das muss man erst einmal hinkriegen.
 
Daher will ich diesen Artikel im Spiegel hier genauer analysieren.
 
Der Artikel beginnt mit der Geschichte einer alten Dame: „Drei Mal stand Anna schon am Gleis 1. Drei Mal wurde sie abgewiesen. Mit einem russischen Pass komme niemand mit, musste sich die 71-Jährige von den Zugbegleitern anhören. Der ukrainische Nachtzug vom Kursker Bahnhof in Moskau fuhr ohne sie in das etwa 740 Kilometer südlich gelegene Charkiw, Ukraine. Doch Anna ist keine Frau, die sich einfach wegschicken lässt. Jedes Jahr fährt sie im Dezember zu ihrer inzwischen 80 Jahre alten Cousine, sie tauschen Geschenke aus, verbringen einige Tage zusammen. So ist die Familientradition.
 
Sie darf nicht einreisen, die alte Dame. Aber anstatt nun Kiew dafür zu Recht die Schuld zu geben, kommt bei Frau Hebel folgendes: „Bisher hat Anna es immer irgendwie geschafft, diese Tradition zu bewahren, auch nach der Annexion der Krim durch Russland vor über vier Jahren und dem von Moskau finanzierten und unterstützten Krieg im Donbas, in dem inzwischen mehr als 10.000 Menschen getötet wurden. Und sie will es nun wieder schaffen – wenige Tage, nachdem vor der Halbinsel Krim russische Grenzschützer drei ukrainische Militärschiffe rammten und beschossen.
 
Also wieder die standardisierte anti-russische Propaganda. Dass die Krim nicht annektiert wurde, spielt keine Rolle. Dass Moskau den Krieg im Osten der Ukraine „finanziert und unterstützt“ ist eine Behauptung aus Kiew, die den Nachteil hat, dass es für diese Behauptung bis heute keinerlei Beweise gibt. Die berüchtigten russischen Soldaten dort hat die OSZE noch nie gesehen, obwohl sie seit über 4 Jahren mit Beobachtern vor Ort ist. Und dass russische Grenzschützer die ukrainischen Schiffe beschossen und gerammt haben, stimmt zwar, aber eben erst nachdem diese die russische Grenze verletzt hatten und stundenlang nicht auf Versuche der Kontaktaufnahme durch die Russen reagiert haben. Ich bin nicht sicher, dass andere Länder eine solche Grenzverletzung stundenlang geduldig hingenommen hätten.
 
Aber die Propaganda-Linie von Frau Hebel steht, Russland ist bereits der Bösewicht, obwohl es die Ukraine ist, die die alte Dame nicht einreisen lässt.
 
Frau Hebel scheibt auch über andere Menschen, die nicht einreisen dürfen: „Oleg, 50 Jahre, aus Kursk, muss. Seine Mutter habe einen Hirnschlag erlitten, erzählt er. Oleg weiß, dass die Chancen mit seinem roten russischen Pass schlecht stehen. Er war bei der Armee.“
 
Und obwohl die Mehrheit der Menschen das Kriegsrecht und die Folgen schlecht finden, fragt Frau Hebel lieber einen der wenigen, die diese Maßnahme loben: „Dass Poroschenko das Kriegsrecht nun erst ausgerufen hat, findet Oleg zu spät, aber richtig. Damit ist er aber in der Minderheit, viele der Menschen hier schimpfen über den ukrainischen Staatschef, der sich vor der Präsidentenwahl Ende März profilieren wolle. Der sich – und das ist die Version, die das russische Staatsfernsehen gern präsentiert – von den Amerikanern steuern lasse. Lange schon geht es nicht mehr um die Gründe des Konflikts, die russischen Aggressionen. Wer Schuld habe? Viele winken ab. Sie sehen nur, was das alles für ihren Alltag bedeutet: „Die Ukrainer sind verrückt, die sperren uns aus“, sagt ein Taxifahrer.
 
Die Meinung der Menschen, so entsteht in diesem Absatz der Eindruck, wird vom russischen Staatsfernsehen geformt, das behauptet, dass die Kiewer Regierung von den USA gesteuert ist. Dass das eine objektive Tatsache ist, wird nicht erwähnt. Nach dem Maidan-Putsch wurden sogar Minister aus den USA eingesetzt, die dafür schnell einen ukrainischen Pass bekommen haben. Die USA kontrollieren alle Schlüsselstellen in Kiew.
 
Stattdessen schreibt Frau Hebel von der „russischen Aggression“. Nur worin besteht die eigentlich? War es Russland, das in Kiew einen Putsch orchestriert hat? War es Russland, dass 2014 die ukrainische Armee nach Donezk in Marsch gesetzt hat, anstatt mit den Menschen dort zu reden? Sogar der nach dem Maidan von Kiew für das Gebiet eingesetzte Gouverneur hatte sein Büro damals in Kiew und ist nicht ein einziges Mal in das Gebiet gefahren. Oder hat Russland vor zwei Wochen mit Kriegsschiffen die ukrainische Grenze verletzt? Es war doch genau umgekehrt. Aber für Frau Hebel sind derartige Details nicht wichtig, sie verdreht alles, bis Russland irgendwie Schuld an Dingen ist, die Kiew angestellt hat.
 
Und anstatt diejenigen zu interviewen, die die Mehrheit stellen und die ukrainischen Maßnahmen kritisieren, lässt sie lieber den anderen weiter zu Wort kommen: „Auf die Eskalation von Kertsch angesprochen sagt Oleg: „Das war ein Vorfall. Schauen sie sich die Tausenden Vorfälle in Donezk und Luhansk an.“ Er meint die täglichen Schusswechsel, die Berichte über die Unterstützung Russlands für die Separatisten mit Waffen und Geld. „Russland ist so ein starkes Land, die Ukraine so schwach. Wie kann ein zivilisiertes Land einen schwachen Nachbarn attackieren? Wir sind doch Brüdervölker.“
 
Die Grenzverletzung von Kertsch, vor zwei Wochen in den Medien groß aufgebauscht, auch von Frau Hebel selbst, ist nun nur noch „ein Vorfall“. Stattdessen erneut die Geschichten über die russische Unterstützung für die Rebellen im Donbass, die durch ständige Wiederholung nicht wahrer werden, denn wie gesagt hat die OSZE diese Kiewer Behauptungen nie bestätigt.
 
Wie also „attackiert“ Russland dann die Ukraine? Es ist doch die Ukraine, die seit vier Jahren mit massiver anti-russischer Propaganda den Hass schürt. Sogar kleine Kinder in Ferienlagern werden bereits in Ferienlagern an der Kalaschnikov ausgebildet und ihnen wird eingetrichtert, dass man „russische Untermenschen“ töten darf. Wo habe ich solche Formulierungen nur schon mal gehört? Nur gut, dass uns unsere Medien – inklusive Frau Hebel – immer wieder erklären, dass in Kiew keine Nazis sondern lupenreine Demokraten an der Macht sind. Die Behauptungen, da wären Nazis an der Macht sind natürlich „russische Propaganda“.
 
Nachdem der Leser nun noch anti-russischer eingestimmt ist, kommt wieder ein bisschen Wahrheit, das aufzeigt, wie sich das Einreiseverbot auf die Menschen auswirkt: „Knapp die Hälfte der 1,5 Millionen Bewohner der Belgoroder Region, heißt es, haben Verwandte auf der ukrainischen Seite. Die von der Grenze 40 Kilometer entfernte Metropole Charkiw mit ihren 1,4 Millionen Einwohnern war lange der Bezugspunkt vieler Russen im Grenzgebiet. Man fuhr dorthin zum Einkaufen, ging aus, flog von Charkiw in den Urlaub. (…) Artjom, 30 Jahre alt, kam nachts aus dem Ägyptenurlaub mit seiner Frau, beide hatten eine Einladung von deren ukrainischer Tante dabei. Die Ehefrau durfte einreisen, Artjom nicht. Er musste über Minsk nach Moskau und von dort aus nach Belgorod fliegen. Einen ganzen Tag war er unterwegs, 23.000 Rubel kostete ihn das, mehr als 300 Euro, in den russischen Regionen ist es mehr als ein Monatsgehalt. Seit Oktober 2015 dürfen ukrainische und russische Fluggesellschaften nicht mehr direkt von der Ukraine aus nach Russland fliegen.
 
Auch den Flugverkehr zwischen Russland und der Ukraine hat übrigens Kiew eingestellt und verboten, nicht etwa Moskau. Aber nicht vergessen: Moskau ist der Bösewicht.
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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