NATO-Gipfel

Armenien zwischen der NATO und der OVKS

Die NATO hat Armenien, das Mitglied im Militärbündnis OVKS, in dem auch Russland ist, zu ihrem Gipfel nach Washington eingeladen und Armenien hat umgehend zugesagt. Das wird die Spannungen in der Region weiter erhöhen.

In Armenien regiert Premierminister Paschinjan, der für alle negativen Folgen seiner Entscheidungen Russland verantwortlich macht und in seinem Land eine antirussische Stimmung erzeugen zu versucht, was aber bisher nur bedingt gelingt. Paschinjan will sein Land dem Westen annähern, obwohl es traditionell ein Verbündeter Russlands ist. Beide Länder sind zusammen mit Weißrussland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan im Verteidigungsbündnis Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) der GUS-Staaten zusammengeschlossen.

Ich habe erst vor etwa zwei Wochen über die von Paschinjan provozierte innenpolitische Eskalation berichtet, die in Armenien zu heftigen Protesten und Rücktrittsforderungen an die Regierung geführt hat, aber Paschinjan hat Stehvermögen und bisher Erfolg mit seiner Strategie, Provokationen zu veranstalten und die Gegenreaktionen danach auszusitzen.

Armenien lässt seine Mitgliedschaft in der OVKS derzeit ruhen, nimmt an keinen Veranstaltungen teil und hat auch die Zahlung seiner Mitgliedsbeiträge eingestellt. In der OVKS und in Moskau reagiert man betont gelassen darauf und hofft anscheinend, dass sich die Lage wieder beruhigt.

In der NATO hingegen gehen die Versuche, Armenien auf die Seite des Westens zu ziehen, weiter. Vor knapp einer Woche hat die NATO Armenien zum anstehenden NATO-Gipfel nach Washington eingeladen und Armenien hat seine Teilnahme umgehend zugesagt.

Armeniens Zusage ist eine handfeste Provokation. Man stelle sich einmal umgekehrt vor, wie die NATO reagieren würde, wenn beispielsweise Ungarn oder die Türkei als Gäste zu einem OVKS-Gipfel eingeladen und die Einladung annehmen würden. Die Hysterie im Westen nach dem Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Orban am Freitag in Moskau wäre dagegen nur eine Bagatelle.

Die russische Nachrichtenagentur TASS hat einen Meinungsartikel über „Armenien, die OVKS und die NATO“ veröffentlicht, den ich übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Armenien, die OVKS und die NATO: War das der Rubikon?

Jewgenija Kotkowa darüber, wohin die Äußerungen Nikol Paschinjans über die OVKS und die NATO führen

Die Beziehungen Armeniens zur OVKS verschlechtern sich weiter. Die Erklärungen aus Eriwan werden immer radikaler und nächste Woche wird ein armenischer Vertreter am NATO-Jubiläumsgipfel teilnehmen.

Es wurde angemerkt, dass an „alle Partner“ der Allianz, einschließlich Armenien und Aserbaidschan, Einladungen zum Gipfel verschickt wurden, aber soweit ich weiß, hat nur Eriwan die Teilnahme fast sofort bestätigt. In der Zwischenzeit schickte Premierminister Nikol Paschinjan am Donnerstag, dem 4. Juli, anlässlich des amerikanischen Unabhängigkeitstages (Independence Day) ein Glückwunschtelegramm an US-Präsident Joe Biden. „Ich freue mich, feststellen zu können, dass sich das Bekenntnis zum weiteren Ausbau unserer Zusammenarbeit in den Bereichen demokratische Reformen, Stärkung der wirtschaftlichen und energetischen Nachhaltigkeit, Justiz, Korruptionsbekämpfung, Sicherheit und anderen Bereichen in dem Konzept widerspiegelt, den strategischen Dialog zwischen Armenien und den USA auf die Ebene einer strategischen Partnerschaft zu heben“, so der armenische Premierminister.

All das wäre nichts Besonderes, würde es nicht mit dem ersten Gipfeltreffen im Format der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit Plus“ (Anm. d. Übers.: Informationen dazu finden Sie hier) zusammenfallen. Dort ist Armenien übrigens auch ein Dialogpartner. Doch dieses Mal schickte Eriwan keinen Vertreter zu der Veranstaltung. Außerdem ist eine „strategische Partnerschaft“ nicht nur ein weiterer Schritt in der Entwicklung der diplomatischen Zusammenarbeit, sondern eine sehr ernsthafte Interaktion, die auch militärische Unterstützung umfasst. Russland zum Beispiel hat 2022 eine Erklärung über eine strategische Partnerschaft mit Aserbaidschan unterzeichnet, was damals in Eriwan für große Unzufriedenheit gesorgt hat. Und jetzt solche Worte.

Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass die Amerikaner diesen Schritt – die Unterzeichnung eines ähnlichen Dokuments – unternehmen werden, da es zu viele Verpflichtungen enthält. Nichtsdestotrotz ist die Erklärung von Paschinjan vor dem Hintergrund des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Astana sehr bezeichnend.

Eine Chance zur Besinnung

Gleichzeitig sind sich Experten einig, dass es nicht so sehr um die Beziehungen Armeniens zur OVKS geht, sondern um die Beziehungen Eriwans zu Moskau. Armenien distanziert sich zunehmend von Russland und versucht weiterhin, den russischen Einfluss in der Region zu verringern. Alle Äußerungen der Vertreter des Landes über die OVKS muss man durch dieses Prisma betrachten. Und diese Äußerungen ähneln einem Test – welche Grenze kann erreicht werden, wo ist die rote Linie und wo ist der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt.

Paschinjan hat es nicht eilig, seinen endgültigen Austritt aus der OVKS zu verkünden, obwohl Armenien den jährlichen Mitgliedsbeitrag nicht mehr zahlt, nicht an den Sitzungen teilnimmt und die Protokolle der Beschlüsse nicht unterzeichnet. Anfang Juni äußerte sich der Premierminister während einer hitzigen Diskussion mit der Opposition emotional über die OVKS und sagte: „Natürlich werden wir austreten, wir können nicht mehr zurück“. Außenminister Ararat Mirsojan beeilte sich jedoch, die Worte Paschinjans klarzustellen, indem er sagte, dieser habe „nicht gesagt, dass Armenien die OVKS verlässt“, sondern „dass es austreten wird, wenn es das will“. Es folgten neue Erklärungen, die jedoch alle nicht eindeutig waren und Vorbehalte und Klarstellungen enthielten. Dieses Vorgehen ist eher dazu gedacht, die Reaktionen zu testen.

Sowohl das offizielle Moskau als auch das OVKS-Sekretariat haben ihrerseits bisher eine sehr zurückhaltende Position eingenommen. Deren Vertreter sagen, dass sie nach wie vor mit Armenien zusammenarbeiten und hoffen, dass in den Beziehungen zwischen Moskau und Eriwan weiterhin Verbundenheit und Partnerschaft herrschen werden. Eriwan wird offenbar die Chance gegeben, sich zu besinnen, aber dort wird das als Ermutigung zur Nachgiebigkeit wahrgenommen. Und das könnte ein entscheidender Fehler der armenischen Regierung sein.

War das der Rubikon?

Wie Rodion Miroschnik, Sonderbotschafter des russischen Außenministeriums für die Verbrechen des Kiewer Regimes, mir einmal sagte, besteht eines der Probleme jeglicher Konfrontation darin, dass man den Anfang nicht sehen kann, wenn man drin ist. Historiker werden später sagen, wo der Rubikon war, aber wenn man ihn überschreitet, sieht man ihn vielleicht selbst nicht.

Die OVKS und die NATO sind Militärblöcke, und der Einsatz in diesem Spiel ist hoch. Insbesondere bedeutet die Mitgliedschaft in einem der Blöcke den Austausch von Informationen. Und es wäre seltsam zu erwarten, dass die OVKS das Recht Armeniens auf den Erhalt solcher Informationen vor dem Hintergrund von Eriwans Flirt mit einem unfreundlichen Militärblock aufrechterhalten würde.

Man könnte meinen, Paschinjan tue nun alles, um die Befürchtungen zu zerstreuen, auf die sich die armenische Außen- und Innenpolitik seit langem stützt. Er hat die „Bedrohung“ durch Aserbaidschan „beseitigt“, denn nachdem Bergkarabach unter die Kontrolle Bakus gegangen ist, ist der Territorialstreit zwischen den Ländern so gut wie beigelegt. Darüber hinaus bemüht sich Aserbaidschan um Beziehungen zur Türkei, die in Armenien wegen der Ereignisse von 1915, dem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, mehr als hundert Jahre lang als Hauptfeind galt. Gleichzeitig sind die Verkehrskorridore durch armenisches Gebiet für Aserbaidschan und die Türkei von entscheidender Bedeutung, und früher oder später könnte die Territorialfrage wieder auftauchen. Sollte Eriwan unnachgiebig sein, könnte diese Frage wieder militärisch gelöst werden, und die Hoffnung, dass die NATO ihren „neuen Freund“ schützen und sich gegen die Interessen ihres Mitglieds Türkei stellen wird, ist utopisch.

Die OVKS hat übrigens ihre Fähigkeit, ein Mitgliedsland zu schützen, bei den Ereignissen in Kasachstan im Winter 2022 sehr anschaulich unter Beweis gestellt. Daher können wir im Hinblick auf den bevorstehenden NATO-Gipfel nur hoffen, dass Paschinjan den Rubikon noch nicht überschritten hat.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

10 Antworten

  1. Mich würde dazu doch mal die ungeschönte Vita des Paschinjan interessieren – nebst seiner Verbindungen zu allem Ausländischen – das, was man im Net findet ist lediglich MSM-Einheitsbrei ohne reale Aussagekraft…

  2. Dieser und der Verlinkte Artikel behaupten die innenpolitischen Proteste stehen mit der außenpolitischen Neuausrichtung der armenischen Regierung in Zusammenhang. Ich meine gelesen zu haben dass es bei den Protesten gegen die Regierung weniger um die außenpolitische Neuorientierung ging sondern mehr um den Vorwurf dass der Staatschef die umstrittene Region nicht energisch genug verteidigt habe. Die Abwendung vom ehemaligen Sicherheitsgaranten Russland ist in Armenien scheinbar aktuell politisch mehrheitsfähig?

    Was sehr aufschlussreich ist, ist das immergleiche propagandistische Framing aller Ereignisse. Handelt es sich um politische Entwicklungen im Interesse Russlands dann handelt die tapfere Staatsführung im Sinne des Volkes und sämtliche innenpolitischen Proteste sind von westlichen NGOs/Geheimdiensten bezahlte und gesteuerte Putschversuche.
    Handelt es sich nicht um Entwicklungen im Interesse Russlands, ist die Regierung ein westlich korrumpierter Vasall und Volksverräter und innenpolitische Proteste sind die Stimme des Volkes welche diktatorisch unterdrückt werden soll.

    1. Nur so, um sicher zu gehen. Die umstrittene Region liegt in Aserbaidschan und der Anti-Spiegel hat bereits mehrfach davon berichtet, dass Paschinjan diese Region auch als unumstritten angesehen hat.

      Paschinjan hätte gar nicht stärker agieren können, da das armenische Militär in der Region bereits stark unterlegen war. Es war also nur eine Folge, bis Aserbaidschan diese Aufstände im eigenem Land zerschlagen wird.

      Hätte Armenien stärker interveniert, wäre es vermutlich unterlegen gewesen und es hätte zudem Putin bekräftigt, weil dann „Völkerdenken“ auch grenzübergreifend wäre. Sprich: Wenn man Armenier im Nachbarland verteidigt, warum dann auch nicht Russen im Nachbarland.

      Es zeigt sich also, dass Paschinjan NICHT die Interessen der eigenen Bevölkerung unterstützt, sondern eher auf Bedenken der NATO achtet, die eher keine Länder mit Grenzstreitigkeiten aufnehmen würden. Dies könnte das Bündnis zu sehr als Aggressor wirken lassen.

      1. Bergkarabach bzw. Arzach hat sich bereits vor der Unabhängigkeitserklärung Aserbaidschans von der UdSSR von selbigem sezessiert und sich in unmittelbarem Anschluss an Armeniens staatliche Unabhängigkeit unter dessen Protektorat gestellt, weshalb es aus staats- und völkerrechtlicher Sicht nie zum unabhängigen und souveränen Staat Aserbaidschan gehört hatte. Der im Zuge einer verdeckten Regimewechseloperation an die Macht gelangte politische Agent der USA und des Oligarchen George Soros, Paschinjan, hat jedoch in einem bilateralen Abkommen mit Aserbaidschan, dessen Territorialhoheit über Arzach anerkannt und demselben völkerrechtlich formell und faktisch die Befugnis erteilt, das sich dort bereits 1989 konstituierte quasistaatliche Gebilde zu zerschlagen und es dem eigenen Hoheitsgebiet nötigenfalls unter Anwendung militärischer Gewalt zwangseinzugliedern.

  3. In der Zionismus Debatte las ich mal einen Kommentar:“Ein Armenier steckt 10 Juden in den Sack“. Ich denke es hat „Charles Aznavur“, der frz. Sänger einmal gesagt, der sein Land massiv unterstützte.
    Das Paschinjan mit dem Feuer spielt ist offensichtlich.
    Ich hoffe es findet ein „gutes Ende“ und die Armenier entscheiden sich für die „Freiheit“!

    Zitat aus der Übersetzung der frz. Wikipedia:
    „- – – ff
    Aznavour war bekannt dafür, ein lebenslanger und aktiver Unterstützer der Bürgerrechte zu sein und für Gleichberechtigung unter allen Rassen, Religionen und Nationalitäten zu kämpfen, wie er in vielen seiner Interviews zu Lebzeiten sagte. Er war ein früher Befürworter der LGBT-Rechte. Sein 1972 erschienenes Album Idiote je t’aime…, enthielt unter anderem einen seiner Klassiker, „Comme ils disent“ („As They Say“, dessen englische Version „What Makes a Man“ trägt). Das Lied war revolutionär zu einer Zeit, als das Sprechen über Homosexualität ein Tabu war. In einem späteren Interview sagte Charles: „Es ist eine Art Krankheit, die ich habe, wenn ich über Dinge spreche, über die man nicht sprechen soll. Ich begann mit Homosexualität und wollte jedes Tabu brechen.“[76]….“

    Zitat Ende

  4. Wenn Armenien jetzt so eng mit den USA zusammen arbeiten wollen, sollten sie als erstes das Gesetz über ausländische Agenten von 1938 von den USA übernehmen…
    Und natürlich durchsetzen.

  5. Ich hoffe immer noch, dass Paschinjans pro westlicher Kurs sich innenpolitisch letztlich nicht durchsetzen wird. Strassenproteste hat es ja schon gegeben und irgendwann muss er sich auch mal wieder Wahlen stellen. Ich glaube nicht, dass eine vollkommene Abkehr von Russland (nichts anderes hieße ja eine enge NATO-Anbindung) im Lande toleriert werden würde.

  6. Einzige Folge dieses völlig planlosen westlichen Engagements wird sein, daß Aserbaidschan und die Türkei sich Rußland weiter annähern. Die weiteren Anrainer sind Iran und Georgien, welches gerade wieder zurückfindet vom unheilvollen Pfad, den der von den Amis eingesetzte Krawattenfresser eingeschlagen hatte. Zugang zum Meer hat Armenien auch nicht – was will die NATO dort ausrichten?! Sie verliert in der Ukraine und macht sich hier (für alle sichtbar) lächerlich, weil sie offensichtlich nach jedem ungeeigneten Strohhalm greift, um irgendwie im Gespräch zu bleiben.

    1. Nachtrag: Außerdem sind russische Truppen aufgrund langfristiger Verträge in Armenien stationiert. Von heute auf morgen werden die schon rein logistisch nicht abziehen können, selbst wenn Rußland das morgen in die Wege leitet. Will sagen: Die russische Truppenpräsenz in Armenien, die ernsthaften NATO-Engagements im Wege stehen, wird sicher eine höhere Halbwertzeit haben als dieser komische Paschinjan, der sich gerade buchstäblich alle Welt zum Feind macht.

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