Friedensverhandlungen

RAND plädiert für recht realistische Verhandlungspositionen über die Ukraine

Ein einflussreicher Experte der RAND-Corporation hat in einem Artikel eine - für westliche Experten - erstaunlich realistische Sicht auf den Ukraine-Konflikt und mögliche Lösungen dargelegt.

Stammleser des Anti-Spiegel werden sich daran erinnern, wie ich im Februar 2023 über ein Papier der RAND-Corporation berichtet habe, das ein Ende der US-Unterstützung für die Ukraine forderte, weil die USA in dem Konflikt nichts zu gewinnen hatten. Ich habe dann im Laufe des Jahres 2023 aufgezeigt, wie dieses Papier schrittweise umgesetzt wurde, was Ende 2023 mit einem Aussetzen der US-Waffenlieferungen an die Ukraine für mehrere Monate endete. Das Beispiel hat eindrücklich gezeigt, wie groß die Macht gewisser Thinktanks in den USA ist.

Am Ende ist es anders gekommen, weil sich im Laufe des Jahres 2023 die Realitäten verändert hatten. Russland hatte klar die Oberhand auf dem Schlachtfeld errungen, die ukrainische Offensive war krachend gescheitert und die Biden-Regierung hatte sich verbal zu fest an die Ukraine geklammert, als dass sie den Konflikt ohne einen katastrophalen Gesichtsverlust hätte verlassen können, selbst wenn das Biden Team das gewollt hätte (was nicht der Fall war).

Der Autor des RAND-Papiers war Samuel Charap, der in den USA als sehr einflussreicher Geostratege gilt. Auch wenn er für RAND arbeitet, schreibt er immer wieder Artikel für Foreign Affairs, die Zeitung des anderen, auf die US-Außenpolitik sehr einflussreichen US-Thinktanks Council on Foreign Relations. Nachdem sein Papier von 2023 so viel Einfluss hatte, lohnt es sich daher, seine Artikel im Auge zu behalten.

Nun hat er für Foreign Affairs einen neuen Artikel geschrieben, in dem er eine recht realistische Sicht auf Friedensverhandlungen darlegt. In Teilen könnte man sagen, dass er die russische Position übernommen hat, die in erster Linie lautet, dass Russland eine endgültige Lösung und kein Einfrieren des Konflikts will, der dann später jederzeit wieder ausbrechen könnte. Diesen Teil scheint Charap verstanden zu haben.

Natürlich ist Charap nicht pro-russisch, aber ich würde seine Position als zumindest recht realistisch bezeichnen. Auch er plädiert zwar für Druck auf Russland, von dem wir in den letzten Jahren gesehen haben, dass er wenig bringt, aber Charap kommt immerhin zu dem Schluss, dass eine Friedensregelung unbedingt nicht nur die westlichen, sondern auch die russischen Sicherheitsinteressen und Sicherheitsbedenken berücksichtigen sollte. Das ist eine im Westen seltene Position.

Ich stimme Charap nicht in allen Details zu, aber wenn er seinen Einfluss auf die US-Außenpolitik auch unter der Trump-Regierung behalten hat, ist sein Artikel durchaus lesenswert, weil er – was für westliche Experten selten ist – zumindest einigermaßen verstanden hat, wie ein Weg zur Lösung des Ukraine-Konfliktes aussehen könnte und weil er verstanden hat, dass die russischen Sicherheitsbedenken nicht ignoriert werden können.

Vielleicht aus Überzeugung, vielleicht, um die Falken im Westen auf seine Seite zu ziehen, fordert Charap eine Unterstützung der Ukraine, um ein Patt auf dem Schlachtfeld zu erreichen, weil Russland in dem Fall angeblich verhandlungsbereiter sein würde. Das halte ich für unrealistisch, denn für Russland geht es in den zentralen Fragen (NATO-Beitritt der Ukraine, Neutralität der Ukraine, Demilitarisierung der Ukraine und Rechte für die ethnischen Russen in der Ukraine) um aus russischer Sicht lebenswichtige Fragen, die nicht verhandelbar sind.

Damit Sie sich ein eigens Bild von Charaps Ideen machen können, habe ich seinen neuesten Artikel übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Warum die Friedensgespräche zur Beendigung des Ukraine-Kriegs scheitern

Es gilt, die richtigen Lehren aus drei Jahren zähem Krieg in der Ukraine und den stockenden Friedensverhandlungen zu ziehen. 

von Samuel Charap and Sergey Radchenko | Foreign Affairs

Fast drei Monate sind vergangen, seit US-Präsident Donald Trump einen entschiedenen Versuch unternommen hat, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Die darauf folgenden diplomatischen Auseinandersetzungen haben bislang keine nennenswerten Ergebnisse gebracht. Mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin steht Trump ein gewiefter und erfahrener Gegenspieler gegenüber, der die Ungeduld des US-Präsidenten mit diesem Krieg auszunutzen versucht, um die Ukraine zum Verzicht auf das zu zwingen, was Russland auf dem Schlachtfeld nicht mit Gewalt erringen konnte.

Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Trump den Forderungen Putins nachgeben wird. Tatsächlich hat er wiederholt seine Frustration über die mangelnden Fortschritte in den Gesprächen zum Ausdruck gebracht und mit einem Abbruch gedroht, während Russland in einem langen, blutigen Zermürbungskrieg, dessen Ende nicht in Sicht ist, weiterhin blutig voranschreitet.

Angesichts all der jüngsten Vorschläge und Gegenvorschläge, Drohungen und Gegendrohungen kann eine erneute Betrachtung des letzten echten Versuchs, diesen Krieg auf dem Verhandlungsweg zu beenden, die aktuellen Bemühungen bereichern. Im Jahr 2024 haben wir uns in Foreign Affairs eingehend mit der Geschichte der Gespräche befasst, die in den ersten Kriegswochen begannen und Ende März 2022 das sogenannte Istanbuler Kommuniqué hervorbrachten, einen Rahmen für eine Beilegung der Feindseligkeiten. (Anm. d. Übers.: Den damaligen Artikel habe ich auch übersetzt)

Kernpunkt dieser Verlautbarung wäre die dauerhafte Neutralität der Ukraine gewesen, mit dem Verzicht auf eine mögliche NATO-Mitgliedschaft, im Gegenzug für eiserne Sicherheitsgarantien. In den darauffolgenden Monaten gelang es allen beteiligten Seiten nicht, das Abkommen abzuschließen, und der Krieg befindet sich nun im vierten Jahr.

Da die Gespräche nach dreijähriger Pause wieder aufgenommen wurden, ist es ein guter Zeitpunkt, Lehren aus Istanbul zu ziehen und zu bewerten, welche Erkenntnisse sich daraus für die gegenwärtigen diplomatischen Bemühungen gewinnen lassen. Natürlich hat sich in der Zwischenzeit viel verändert, sodass der Istanbuler Rahmen selbst wahrscheinlich nicht der Ausgangspunkt für die aktuellen Gespräche sein wird. Doch dieser Versuch bietet umfassendere Lehren, die in die heutigen Verhandlungen einfließen können. Oberstes Gebot für beide Seiten in jeder Vereinbarung wird die Gewährleistung ihrer langfristigen Sicherheit sein. Alle Parteien, deren Interessen bei den Verhandlungen auf dem Spiel stehen, müssen am Verhandlungstisch sitzen; ihre Abwesenheit könnte jegliche Vereinbarungen untergraben.

Die mangelnde Bereitschaft des Westens, Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu geben, war eine große Herausforderung für eine Einigung und bleibt weiterhin ein Hindernis. Auch der Optimismus einer kriegführenden Partei hinsichtlich ihrer Aussichten auf dem Schlachtfeld kann ihr Interesse an einem Abkommen mindern. Und schließlich sind die quälenden Mechanismen eines Waffenstillstands ebenso wichtig wie die hohe Politik der Einigung auf eine Nachkriegsordnung. Beides muss gleichzeitig verfolgt werden, wenn die Parteien diesen blutigen, zermürbenden Krieg beenden wollen.

Der weitere Horizont

Ein dauerhaftes Friedensabkommen wird nicht möglich sein, wenn das gegenseitige Misstrauen der Ukraine und Russlands nicht langfristig berücksichtigt wird. Wie schon 2022 in Istanbul priorisieren beide Seiten weiterhin nationale Sicherheitsbedenken. Andere Themen – wie der Status des umstrittenen Gebiets, die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland und die Finanzierung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus der Ukraine nach dem Krieg – sind zwar wichtig, aber grundsätzlich zweitrangig. 

In Istanbul gaben beide Länder der Sicherheit in der Nachkriegsordnung Vorrang vor allem anderen. Der Kreml bestand darauf, dass die Ukraine ihre NATO-Ambitionen aufgibt, niemals ausländische Streitkräfte oder Manöver mit ausländischen Streitkräften auf ihrem Territorium beherbergt und gewisse Beschränkungen hinsichtlich Größe und Struktur ihres Militärs akzeptiert. Kiew hingegen wollte keine restriktiven Obergrenzen für seine Streitkräfte und konzentrierte sich auf Sicherheitsgarantien seiner westlichen Partner – und auf die implizite Akzeptanz des Kremls, dass diese Mächte der Ukraine beistehen würden, sollte Moskau erneut einen Angriff lancieren.

Diese zukünftigen Sicherheitsbedenken sind auch heute das zentrale Thema geblieben. Die Ukrainer befürchten, dass ein angeblicher Friedensvertrag ohne die Fähigkeit zur Selbstverteidigung und ohne Garantien westlicher Mächte lediglich eine zukünftige russische Invasion provozieren würde. Die Russen befürchten, dass eine gut bewaffnete Ukraine versuchen könnte, von Moskau besetztes ukrainisches Territorium zurückzuerobern. Der Kreml ist zudem besorgt über die – derzeit unwahrscheinliche – Aussicht auf eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und die langfristigen sicherheitspolitischen Folgen einer solchen Entwicklung. Obwohl die Regierung von Donald Trump eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO ausschließt, ist das für Moskau wenig beruhigend, denn eine künftige US-Regierung könnte diesen Kurs ändern.

Das vorrangige Ziel sowohl Russlands als auch der Ukraine ist die Gewährleistung langfristiger Sicherheit

Dieser Fokus auf die Gewährleistung der Sicherheit nach Kriegsende prägt das militärische Verhalten und die Verhandlungspositionen beider Seiten. Die aktuellen Gespräche müssen diese Bedrohungswahrnehmungen berücksichtigen, um die Erfolgschancen zu maximieren. Derzeit scheinen andere Themen, insbesondere die Frage der territorialen Kontrolle und die Anerkennung der illegalen Annexionen Russlands, im Vordergrund zu stehen. Durchgesickerte Versionen von US-Friedensvorschlägen sprechen beispielsweise von einer „de jure“-Anerkennung der Krim als Teil Russlands durch Washington und einer „de facto“-Anerkennung der anderen russisch besetzten Gebiete. Doch die Konzentration auf Gebiete lenkt von der primären Sicherheitsagenda ab. Russland kam seit der Annexion der Krim im März 2014 gut ohne eine formelle Anerkennung seiner Besetzung aus und kann auch künftig ohne eine solche Anerkennung gut überleben. Zudem ist eine „de facto“-Anerkennung anderer Gebiete unnötig, da das ein Rechtsakt ist; sie ist entweder de jure oder nicht. Unabhängig davon, wie eine externe Partei ihre Gebietsansprüche beurteilt, werden wahrscheinlich weder Russland noch die Ukraine ihre derzeitigen Gebiete aufgeben. Die Realitäten des Krieges, nicht die des Verhandlungstisches, werden über die Kontrolle von Territorien entscheiden.

Obwohl der Kreml einer Legitimation seiner Eroberungen nicht abgeneigt ist und die Ukrainer sicherlich gerne Gebiete, die sie an Russland verloren haben, zurückgewinnen würden, hat Istanbul gezeigt, dass der Status der von Russland besetzten Gebiete in der Ukraine kein so wichtiges Element der Verhandlungen sein wird, wie es manchmal dargestellt wird. Tatsächlich wurde in Istanbul die Frage der Grenzen und des Territoriums bewusst umgangen. Obwohl wichtig, war und bleibt das Thema zweitrangig gegenüber zentralen Sicherheitsbedenken.

Alle an den Tisch setzen

Erfolgreiche Verhandlungen müssen alle relevanten Parteien einbeziehen. Wenn die Interessen eines Staates in einer Verhandlung auf dem Spiel stehen, muss dieser Staat von Beginn des Prozesses an mitwirken. Kiews Unterstützer betonen oft, dass die Ukraine bei einer diplomatischen Lösung des Konflikts nicht außen vor bleiben dürfe. Sie wiederholen das Mantra: „Nichts über die Köpfe der Ukrainer – und nichts ohne die Ukrainer.“ Doch Istanbul hat gezeigt, dass dieses Mantra nicht nur für die Ukraine gilt. Tatsächlich wurden die Großmächte des Westens – die USA, Großbritannien, Deutschland und andere – von den Gesprächen in Istanbul ausgeschlossen, obwohl Russland und die Ukraine über Fragen im Zusammenhang mit diesen Ländern und ihren Verpflichtungen verhandelten.

Westliche Regierungsvertreter berichteten uns, dass die Ukraine sich erst nach der Veröffentlichung des Istanbuler Kommuniqués mit den USA und anderen westlichen Ländern konsultiert habe. Dieser Ausschluss aus den Gesprächen war größtenteils einer Notlage geschuldet: Russische Streitkräfte befanden sich am Stadtrand von Kiew, sodass den Verhandlungsführern keine Zeit für multilaterale Diplomatie blieb. Die mangelnde westliche Beteiligung an den Gesprächen führte dazu, dass westliche Regierungsvertreter das Kommuniqué ungeachtet seiner Vorzüge nur zögerlich akzeptierten. Sie hätten auch sagen können: „Nichts über die Köpfe des Westens – und nichts ohne den Westen.“

Kurz gesagt: Verhandlungen, die ohne die Anwesenheit aller Betroffenen ausgearbeitet werden, haben kaum Erfolg. Den heutigen Vermittlern wird es deutlich leichter fallen, den Krieg in Richtung Verhandlungen zu lenken, wenn alle Parteien – einschließlich der Ukrainer und der Europäer – vom ersten Tag an beteiligt sind.

Es gibt praktische Gründe für einen inklusiven Ansatz. Hätten die USA und Europa gemeinsam an einem tragfähigen Frieden gearbeitet, statt wie heute offenbar aneinander vorbeizuarbeiten, hätte Putin weniger Spielraum für das, was Trump als „Taktik des Hinhaltens“ bezeichnete, ihn durch die Verlängerung der Gespräche hinzuhalten. Die Europäer wären zudem weniger geneigt, dem Friedensprozess Sand ins Getriebe zu streuen, wie sie es beispielsweise taten, indem sie sich weigerten, über eine Lockerung der Sanktionen zu sprechen, oder indem sie ihre Pläne für die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine zeichneten.

Echte Verpflichtung statt Theatralik

Istanbul hat gezeigt, dass die westlichen Unterstützer der Ukraine im Ernstfall nicht bereit waren, Kiew jene Garantien zu geben, die das Land für seine Sicherheit als unerlässlich erachtete. Westliche Regierungen distanzierten sich vom Istanbuler Kommuniqué nicht nur, weil sie an den zugrunde liegenden Verhandlungen nicht beteiligt waren, sondern auch, weil die darin beschriebenen Sicherheitsgarantien weit über das hinausgingen, was Washington und seine Verbündeten zu bieten bereit waren. Das Istanbuler Abkommen hätte die USA und ihre Verbündeten verpflichtet, die Ukraine im Falle eines erneuten Angriffs – in deutlich konkreteren Formulierungen, einschließlich der Festlegung einer Flugverbotszone, als in Artikel 5 des NATO-Vertrags, der kollektiven Verteidigungsklausel der NATO-Charta –  zu verteidigen.

Drei Jahre später prägt die Abneigung gegen eine direkte militärische Verwicklung noch immer den westlichen Umgang mit der Ukraine. So ist beispielsweise deutlich geworden, dass die Administration von Donald Trump nicht bereit ist, Sicherheitsgarantien zu geben. Doch Trump setzt lediglich eine Politik fort, die er geerbt hat, schließlich hat auch die Regierung von Joe Biden kein solches Angebot gemacht. Selbst die Europäer waren nicht bereit, eine explizite Sicherheitsgarantie zu geben. Die westlichen Mächte sind derzeit eindeutig nicht bereit zu intervenieren, und es bleibt unklar, ob sie dazu bereit wären, sollte Russland nach einem zukünftigen Waffenstillstand erneut einmarschieren.

Die Debatten über die Aussicht auf europäische Bodentruppen in der Ukraine umgehen diese grundlegende Frage, die seit Istanbul unbeantwortet geblieben ist. Tatsächlich würden Garantien nicht unbedingt die Präsenz westlicher Streitkräfte in der Ukraine erfordern – und Russland würde einem solchen Vorhaben wahrscheinlich ohnehin nicht zustimmen. Anstatt die Möglichkeit einer Truppenentsendung in die Ukraine nach einem zukünftigen hypothetischen Waffenstillstand zu diskutieren, sollten die europäischen Regierungen die vorrangige Frage beantworten, ob sie bereit sind, Kiew echte Garantien zu geben. Eine Truppenentsendung in die Ukraine ohne Garantien wäre politisches Theater, kein echtes Engagement.

Das Kalkül des Schlachtfelds

Genau wie 2022 spielt das Kalkül des Schlachtfelds eine große Rolle am Verhandlungstisch. Welche Zugeständnisse jede Seite macht, hängt letztlich davon ab, wie sie die Kosten eines Zögerns einschätzt. Glauben die Russen, dass der Krieg für sie gut läuft und Trump die Ukraine und die Europäer letztlich sich selbst überlassen wird, werden sie einem militärischen Vorgehen mehr Bedeutung beimessen. Kommt der Kreml zu dem Schluss, dass das Scheitern der Friedensgespräche seine langfristigen Kriegsaussichten trüben dürfte, wird Moskau seine Verhandlungsbereitschaft steigern.

Die Ukrainer sind angesichts der geringeren Chancen auf dem Schlachtfeld derzeit verhandlungsbereit. Sollte sich die Lage jedoch zugunsten Kiews verbessern, könnten auch sie zu dem Schluss kommen, dass ein militärisches Vorgehen ihren Zielen besser dient als Gespräche mit den Russen. Genau das geschah nach Istanbul 2022. Die Gespräche scheiterten unter anderem daran, dass der ukrainische Präsident Wladimir Selensky nach dem Rückzug der Russen nahe Kiew beschloss, schmerzhafte Zugeständnisse zu vermeiden und stattdessen auf dem Schlachtfeld weiterzukämpfen.

Die USA verfügen über großen Einfluss, um die Wahrnehmung der Vor- und Nachteile von Verhandlungen auf beiden Seiten zu beeinflussen. Washington sollte diese Karte klug einsetzen, um ein Verhandlungsergebnis attraktiver zu gestalten als eine Verlängerung der Kampfhandlungen. Dies würde eine sorgfältige Abstimmung der US-Militärhilfe erfordern, um sowohl Moskau als auch Kiew klarzumachen, dass die USA die Souveränität der Ukraine bewahren und einen russischen Sieg verhindern wollen, nicht aber die Ukraine bei der Wiederherstellung ihrer international anerkannten Grenzen unterstützen. Die USA sollten zudem mit ihren europäischen Verbündeten zusammenarbeiten, um sie für dieselben Ziele zu gewinnen. Durch die Herbeiführung einer Pattsituation würde eine solche Politik Gespräche für beide Seiten attraktiver machen als das Weiterkämpfen.

Zwei Fronten

Um erfolgreich zu sein, müssen Verhandlungen sowohl den Prozess der Beendigung der Kampfhandlungen als auch die Ausgestaltung der Sicherheit in der Nachkriegsordnung behandeln. In Istanbul im Jahr 2022 konzentrierten sich die ukrainischen und russischen Unterhändler fast ausschließlich auf Letzteres. Mit bewundernswertem Ehrgeiz versuchten beide Seiten, wichtige geopolitische Konflikte – etwa die Frage der NATO-Erweiterung, die Rolle der Ukraine in der europäischen Sicherheitsarchitektur oder die Sicherheitsverpflichtungen der USA im postsowjetischen Raum – zu überbrücken, die sich jahrzehntelang einem diplomatischen Kompromiss entzogen hatten.

Das Kommuniqué schwieg hingegen zur eher banalen Frage, wie eine Einstellung der Feindseligkeiten erreicht werden könne. Doch ohne einen vereinbarten Weg zur Beendigung der Kampfhandlungen verloren die Gespräche über eine Lösung zunehmend den Bezug zu den militärischen Realitäten eines sich verschärfenden Krieges. Diese Diskrepanz machte die Verhandlungen schließlich politisch unhaltbar.

Ein Patt würde Gespräche für beide Seiten attraktiver machen

Zu Beginn seiner Bemühungen, den Krieg noch in diesem Jahr zu beenden, schien Trump ausschließlich einem Waffenstillstand Priorität einzuräumen. Nach seinem Disput mit Selensky am 28. Februar im Oval Office drückte er es so aus: „Ich will, dass der Krieg sofort endet. Ich will jetzt einen Waffenstillstand.“

Seine Regierung forderte daraufhin einen bedingungslosen 30-tägigen Waffenstillstand, eine Position, die Selensky zwar unterstützte, Putin jedoch ablehnte. Bei Treffen mit beiden Seiten in Riad im vergangenen März drängte Washington auf ein schrittweises Vorgehen und strebte ein Abkommen an, das Angriffe auf die Energieinfrastruktur und ein weiteres, das Angriffe auf die zivile Schifffahrt im Schwarzen Meer untersagte.

Diese Abkommen wurden nie abgeschlossen. Tatsächlich scheint die Regierung von Donald Trump in den vergangenen Wochen die Bemühungen um eine Einstellung der Feindseligkeiten ganz aufgegeben zu haben und sich stattdessen auf Gespräche über die Bedingungen einer endgültigen Einigung zu konzentrieren. Bei Treffen mit ukrainischen und europäischen Vertretern im vergangenen April – zunächst in Paris und anschließend in London – präsentierte die US-Delegation einen mehrstufigen Friedensplan, der viele der umstrittensten Fragen abdeckte: vom Ausschluss eines NATO-Beitritts der Ukraine bis hin zur Anerkennung der russischen Annexion der Krim durch die USA. Doch auch diese Bemühungen, einen großen Deal zu erreichen, scheinen kaum Fortschritte gemacht zu haben. Der Krieg tobt derweil weiter.

Die Istanbuler Gespräche und Trumps aktuelle Schwierigkeiten legen nahe, dass parallele Diskussionen sowohl über die Mechanismen eines Waffenstillstands als auch über die Elemente einer politischen Lösung erforderlich sind, um in beiden Bereichen zu einer Einigung zu kommen. Um in einem dieser Bereiche Fortschritte zu erzielen, müssen die Ukraine und Russland in beiden gleichzeitig vorankommen.

Ein mögliches Tauwetter

Die Verhandlungen von 2022 erinnern uns daran, dass sowohl Putin als auch Selensky zu erheblichen Zugeständnissen bereit sind. Beide Männer haben sich in den vergangenen drei Jahren den Ruf erworben, Maximalisten zu sein. Doch Istanbul zeigte, dass sie für die politisch riskanten Kompromisse, die für einen Frieden notwendig sind, offen sein können.

Putin war im Jahr 2022 bereit, einen diplomatischen Prozess über den Status der Krim zu führen und zumindest die Möglichkeit einer Intervention der USA in der Ukraine im Falle einer erneuten russischen Invasion in Betracht zu ziehen. Er stimmte auch dem ukrainischen Wunsch nach einer Mitgliedschaft in der EU zu. Selensky seinerseits war bereit, auf die NATO-Mitgliedschaft zu verzichten, sich für eine dauerhafte Neutralität einzusetzen und forderte sogar offen direkte Gespräche mit Putin, um das Abkommen abzuschließen.

Es ist daher unklug, ihre aktuell öffentlich geäußerten Positionen als endgültige Entscheidungen zu betrachten. Solche Positionen sind oft nur ein Eröffnungsangebot. Jede Seite ist natürlich daran interessiert, den Eindruck zu erwecken, ihre Forderungen seien nicht verhandelbar. Doch das eigentliche Verhandeln erfolgt im Prozess. Ein Friedensabkommen könnte sich als sehr schwierig – vielleicht sogar unmöglich – erweisen. Doch wie die Gespräche von 2022 gezeigt haben, könnten gescheiterte Verhandlungen viele weitere Kriegsjahre bedeuten.

_____________

Samuel Charap besetzt einen außerordentlichen Lehrstuhl für Russland- und Eurasienpolitik und ist leitender Politikwissenschaftler bei der RAND Corporation.

Sergey Radchenko ist außerordentlicher Professor an der Schule für Fortgeschrittene Internationale Studien in Europa an der Johns Hopkins University.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

11 Antworten

  1. „Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht!“ Der Krug, heißt das nur ansatzweises Vertrauen Russlands gegenüber dem Westen ist zerbrochen. Das zeigen auch die Äußerungen russischer Vertreter gegenüber den Wünschen des Westens zu einem 30. tägigen Waffenstillstand. Der Trick mit dem Waffenstillstand wendet sich nun gegen den Westen selbst. Man kann nun auf die Forderungen Russlands eingehen oder nicht. Ich denke eher nicht, gehen bei den Forderungen Russlands die letzten Hoffnungen des Westens verloren. Russland ist es egal, es wird seinen Weg bis zum bitteren Ende weitergehen. Wusste es doch schon vor 2 Jahren das es keine andere Möglichkeit geben wird. Es ist eben nun mal kein Krieg zwischen zwei Ländern, sondern zweier Systeme, der leider auf dem Buckel des ukrainischen Volkes ausgetragen wird. Man sollte sich eben seine Freunde besser ansehen und nicht nur deren Versprechen trauen! Wer solche Freunde hat braucht keine Feinde!!!

    1. @ Schwarzer

      Korrekt! … Das Vertrauen ist weg! … Und es wird lange dauern, bis der Westen es sich wieder verdient hat!
      Der Westen wird dann ein anderer sein, als heute, oder in dieser Art nicht mehr existieren.

      Russland wird seine Bedingungen durchsetzen! … Punkt!
      Der Westen spielt dabei keine Rolle mehr!

  2. Nun das war 2022 die Menschen ändern sich!
    Schauen wir was sich heute entwickelt!
    30.tägiger Waffenstillstand.
    USA und die EU überwachen den Waffenstillstand.
    Ich gehe davon aus das es zu einem Waffenstillstand kommen wird.
    Putin wird mit Trump reden und dann entscheiden!

    1. @ DieterEH
      Nicht zu den „Bedingungen“ des Westens! … Kein Vertrauen!

      Bescheißen, wie bei „Minsk II“ kann der Westen, einschließlich Trump, vergessen!
      Und weder die Amis, noch die EU sind in der Lage, Russland die Stirn zu bieten!

    2. Lustiger Gedanke die EU als Waffenstillstands Kontrolleur …. und das mit Trump im Bunde.

      Und Luziferine Erika Merkel berichtet , das Elendski immer brav auf dem Töpfchen sass….

      Nur der ukrainische Waldkauz sah und bemerkte die Unruhe in den Wäldern von nächtlichen Transporten und sendet an Moskau einen Funkspruch …

  3. Trau schau wem…….

    18:25 Uhr

    Russisches Militär reagiert spiegelbildlich: Moskau meldet über 5.000 Waffenruheverletzungen Kiews

    Ukrainische bewaffnete Verbände verletzten die Waffenruhe anlässlich des 80. Jahrestages des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg mehr als 5.000 Mal. Dies berichtet das russische Verteidigungsministerium:

    „Entlang der gesamten Kontaktlinie haben ukrainische Einheiten 1.455 Attacken aus Artillerie, Panzern und Mörsern auf die Stellungen unserer Truppen durchgeführt, sowie 23 mit Mehrfachraketenwerfern. Darüber hinaus wurden 3.502 Angriffe und Munitionsabwürfe von Drohnen aus durchgeführt. Insgesamt wurden 5.026 Verstöße gegen die Waffenruhe registriert.“

    Wie das russische Verteidigungsministerium betont, halte sich das russische Militär in der Zone der Durchführung der Sonderoperation weiterhin strikt an die Waffenruhe und bleibe an den zuvor eingenommenen Stellungen, behalte sich jedoch das Recht auf Vergeltungsschläge vor:

    „Unter diesen Bedingungen reagieren die Streitkräfte der Russischen Föderation auf die Verstöße der ukrainischen Streitkräfte gegen den Waffenstillstand spiegelbildlich und werden weiterhin der sich abzeichnenden Situation angemessen handeln, um auf alle kriminellen Übergriffe des Kiewer Regimes zu antworten.“

    https://freedert.online/international/131481-liveticker-ukraine-krieg/

    1. Da scheint Trump Waffen und Munition geliefert zu haben um Putin seinen Willen aufzuzwingen.

      Der Ton von Trumpel gegenüber Russland ist kein Verhandeln , Trump verwechselt Putin mit einem Untertanen.

      Jetzt wo die Rohstoffe der Ukraine schon Eigentum von JUUUES EHHH sind hat er sein Ziel erreicht ,seine Kasse trumpelt ….

      1. @ Wo die Wellen rauschen an den Ostssestrand..

        Die Fake-Rohstoffe sind noch nicht einmal erkundet! Das meldeten schon US-Geologen!
        Geschweige denn, dass die Ukraine sie abbauen könnte!

        Was Trumpel auch tut, er wird sich eine blutige Nase holen, wenn er unseren Präsidenten verarschen will!
        Er sollte lieber verschwinden und seine Waffen mitnehmen! … Die wird er bald zuhause brauchen!

  4. Samuel Charap hat mit vielen Worten nichts gesagt.

    Es gibt keine Notwendigkeit für lange Verhandlungen oder für ein „alle an einen Tisch“. Wenn Trump die militärische Unterstützung der Ukraine komplett einstellen würde, dann läge Übermorgen der Friedensvertrag unterschrieben auf seinem Tisch.

    Aber wahrscheinlich dienen solche Veröffentlichungen nur als Zeitfüller für die Öffentlichkeit, bis F. Merz, Macron und Steamer eigene Truppen in die Ukraine geschickt haben.

Schreibe einen Kommentar