Geopolitik

Wie Modis dritter Wahlsieg in Indien die Beziehungen zu Russland und dem Westen beeinflussen könnte

Am 4. Juni wurden in Indien die Ergebnisse der weltweit größten Parlamentswahlen bekannt gegeben. Die Partei von Premierminister Modi erzielte das schlechteste Ergebnis der letzten drei Wahlen. Dennoch ist es der Regierungspartei gelungen, sich an der Macht zu halten. Allerdings könnte sich der außenpolitische Kurs im Falle einer weiteren Annäherung zwischen Moskau und Peking ändern.

Vor kurzem habe ich einen Artikel über den Verlauf der indischen Wahlen in diesem Jahr veröffentlicht, der die Besonderheiten des Wahlprozesses beleuchtet, den Sie hier finden. Das Unterhaus des indischen Parlaments, die Lok Sabha, hat ein breiteres Spektrum an Kompetenzen als das Oberhaus. Daher waren die diesjährigen Parlamentswahlen für die Politik in Neu-Delhi von großer Bedeutung.

Das Wahlergebnis

Trotz eindeutiger Vorhersagen über einen klaren Sieg der Regierungspartei war das Ergebnis überraschend, denn zum ersten Mal seit 2014 verfehlte die regierende Indische Volkspartei mit 234 Sitzen die für die Bildung einer neuen Regierung erforderliche Mehrheit von 272 Sitzen. Zusammen mit ihren Verbündeten in der Regierungskoalition, der National Democratic Alliance, gelang es der Regierung von Premierminister Modis jedoch, mit 292 von 543 Sitzen die absolute Mehrheit und damit die Möglichkeit zur Bildung einer neuen Regierung zu erlangen.

Damit kann die Allianz der Oppositionsparteien mit mehr als 200 Sitzen im Unterhaus rechnen, was sich auf die innenpolitische Situation in Indien auswirken dürfte. Oppositionsführer Rahul Gandhi meinte, das Wahlergebnis, also die Tatsache, dass die Regierungspartei keine absolute Mehrheit erreicht hat, zeige, dass das Land nicht wolle, dass Modi und seine Partei das Land regieren:

„Die Art und Weise, wie sie das Land in den letzten zehn Jahren regiert haben, hat uns nicht gefallen, daher ist dies ein starkes Signal an Herrn Narendra Modi.“

Mögliche Auswirkungen auf die indische Außenpolitik

Der indische Botschafter in Moskau, Winaja Kumar, hält einen außenpolitischen Kurswechsel jedoch für unwahrscheinlich, wie er dem russischen Wirtschaftsportal RBC sagte:

„Ich denke, es gibt einen Konsens unter den indischen politischen Parteien und dem politischen Establishment insgesamt, die indisch-russischen Beziehungen zu vertiefen und zu erweitern.“

Atul Kohli, Professor an der Princeton University, glaubt jedoch, dass die europäischen Länder, die die Modi-Regierung bisher als „undemokratisch“ gemieden haben, nun versuchen werden, sich ihr anzunähern, indem sie ihren starken Einfluss in Indien anerkennen. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass sich die Beziehungen zwischen Russland und Indien angesichts ihrer erwiesenen Stärke ändern werden. Rakesh Bhadauria, Leiter des Zentrums für Strategische Forschung und Modellierung des Gemeinsamen Instituts für Verteidigungsforschung Indiens, äußerte sich wie folgt:

„Unsere Beziehungen sind tief in der Geschichte verwurzelt, sie waren immer stark. Und sie werden auf jeden Fall stärker werden, ob die jetzige Regierung bleibt oder eine neue kommt, denn es gibt mehrere fundamentale Gründe, warum die indisch-russischen Beziehungen stark sind.“

In der Tat sind die Beziehungen zwischen Russland und Indien traditionell sehr eng. Die Sowjetunion hat Indien nach dessen Unabhängigkeit vom britischen Kolonialreich unterstützt und es gibt unzählige gemeinsame Projekte. Vor allem im militärischen Bereich war die Zusammenarbeit sehr eng, denn die Sowjetunion war über Jahrzehnte praktisch der alleinige Lieferant von Waffen für Indien. Auch heute entwickeln Indien und Russland gemeinsam Waffensysteme.

Das Problem China

Allerdings hat Indien in den letzten Jahren auch begonnen, Waffen im Westen zu kaufen und vor allem die USA umwerben Indien sehr intensiv. Ein Grund dafür, dass Indien nun auch im Westen Waffen kauft, dürfte das sich immer weiter verbessernde russisch-chinesische Verhältnis sein. Zwischen Indien und China gibt es eine traditionelle Rivalität und auch Grenzstreitigkeiten, die auch immer wieder zu Zwischenfällen an der gemeinsamen Grenze geführt haben.

Daher könnte China, ob gewollt oder nicht, die Beziehungen zwischen Neu-Delhi und Moskau negativ beeinflussen. Sollte die Rivalität zwischen Indien und China eine neue Stufe erreichen und Russland seine Annäherung an seinen chinesischen Verbündeten fortsetzen, könnte Indien auf die Idee kommen, Russland mehr oder weniger offen aufzufordern, sich zwischen Indien und China zu entscheiden. Dann könnte Indien sich dem Westen zuwenden, bis hin zur zumindest teilweisen Unterstützung der antirussischen Sanktionen.

Russland versucht daher, eine vermittelnde Rolle zwischen China und Indien zu spielen, um beide Staaten an seiner Seite zu behalten.

Der Westen hingegen dürfte versuchen, die anti-chinesisch Stimmung in Indien zu schüren, um Indien dazu zu bewegen, sich gegen Russland und China zu stellen.


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

11 Antworten

  1. Sind diese Gebietskonflikte denn wirklich so kritisch im Tagesgeschäft?
    Mit den süßen beiden Landstichen, um die es da geht (neben der verletzten männlichen Eitelkeit), sollten zwei Billionenvolkswirtschaften doch wohl klarkommen.

    Und natürlich macht der Westen Stimmung, wie immer.
    Aber wenn man diese beiden Staaten mal miteinander vergleicht, kann Indien noch viel von China lernen.

  2. Mit etwas Intelligenz, einer Prise wohlwollendem Verständnis und einem kräftigen Schub Arbeit, sollte es doch wohl gelingen in Kashmir z.B. eine relativ AUTONOME/AUTARKE Sonderwirtschaftszone bzw. FREIHANDELS-Zone für ALLE – also China, Indien, Pakistan einzurichten, deren Existenz und Sonderstatus allen Beteiligten und einigen Garantiemächten garantiert würde.
    DAS wäre zwar eine große Herausforderung und ein gewaltiges Experiment, wäre doch aber wohl den Aufwand wert!
    P

  3. Die Gebietskonflikte stammen aus der Kolonialzeit in der die Briten chinesische Gebiete ihrer Kolonie Indien zugeschlagen haben. Also ein imperialistisches Ei.
    Dennoch sollten sie sich einigen, zB dieses Gebiet als Naturschutzgebiet anzuerkennen das auf ewig nicht per Bergbau o.ä. ausgebeutet werden darf. Außerdem gemeinsame Patrouillen dort.
    Ein ernsthafter Streit würde vermutlich mehr Kosten als dieses Gebiet wert ist, ganz zu schweigen von den Menschenleben.

  4. Indien wird sich versuchen als eine Platform des globalen Südens zu etablieren, eingebunden in die neuen BRICS- und andere Strukturen aber immer auch mit einer ausgestreckten Hand Richtung seiner englischen Freunde. Alles andere zu hoffen, wäre Wunschdenken. Zumal eine solche Politik Indien viele ökonomische Vorteile, gerade bei einem langen europäischen Konflikt, bringt.
    Doch ich finde die Bemerkung des indischen Botschafters viel beunruhigender. Zitat „Ich denke, es gibt einen Konsens unter den indischen politischen Parteien und dem politischen Establishment insgesamt, die indisch-russischen Beziehungen zu vertiefen und zu erweitern.“ Sind wir schon soweit im Neofeudalismus angekommen, dass niemanden (anscheinend außer Putin und Xi) mehr die Menschen, das Volk, interessiert? Nehmen wir das als normal hin?
    Und ja, seit 1644 sich das englische Volk anschickte seinen schrecklichen Monarchen Charles I. (welche Ironie zu heute) zu enthaupten wurde „das Volk“ zwar im Munde geführt, jedoch in der Regel betrogen. Doch eine Akzeptanz des neofeudalen Milliardärsadels aka „Establishment“ führt uns dann gesellschaftlich eher 500 Jahre in die Vergangenheit. Bemäntelt mit politischer Realität oder Pragmatismus….

  5. „Doch ich finde die Bemerkung des indischen Botschafters viel beunruhigender. Zitat „Ich denke, es gibt einen Konsens unter den indischen politischen Parteien und dem politischen Establishment insgesamt, die indisch-russischen Beziehungen zu vertiefen und zu erweitern.“ “
    Warum beunruhigt Dich das? Es ist nur ein Satz, der auf eine Originalquelle verweist, die man suchen muss und die auch kein Interview sondern außer diesem Zitat nur inhaltliche Angaben zu finden sind.
    Auch der Herr Kumar ist nicht ganz so zuordbar, es gab mal in Österreich einen indischen Botschafter mit diesem Nachnamen, allerdings von 2008 bis 2009, Derzeit wird Indien in der Schweiz von einem Herrn Kumar repräsentiert in Korea ist auch einer aus dem diplomatischen Korps der Inder unterwegs … alle andere Vornamen.
    Dieses Zitat ist in etwa so, als wenn argumetierst, der Herr Schmidt von deutschen Außenministerium hätte irgendwas von sich gegeben 😉

  6. Inder wurden wie die Chinesen lange unterjocht, sie ticken da in der geleichen Zeitline. Ich habe damals „German Bier“ in Bombay getrunken, ein indisches Bier mit Swastika, als da mal fragte, was die von Hitler halten, kam folgende Antwort. Dank Hitler konnten wir uns befreien, weil die Engländer zu schwach wurden. Aha! In jedem Deutschen existiert geistig eine Swastika, in Indien kann man sie zu tausenden sehen und Inder haben eine eigene Kultur und schauen kaum Hollywoodfilme, sie haben etwas zu bieten!

    1. Natürlich ist die Swastika ein uraltes Symbol, mit gemeinsamer Vorgeschichte der Russen und Inder, einfach nach Arisch-Vedischen etc suchen.

      Hitler hat sich das Symbol nur angeeignet und für seine Zwecke missbraucht…

  7. (1) Überall, wo die Briten ihre schmutzigen Pfoten mal drinhatten, hinterließen sie Zwistigkeiten – das ist im Fernen und Nahen Osten an unendlichen Beispielen zu sehen. Tatsächlich wird im indisch-chinesischen Konflikt Kashmir eine Hauptrolle spielen. Und das weltweite Gefühl (unberücksicht auch von westlicher Propaganda), den Chinesen weniger als den Indern zu trauen, wird darüber hinaus eine Rolle spielen …

    (2) … womit wir auch schon bei der mindestens 2.500 Jahre alten indischen „Politik-Lehre“ wären, nämlich den Arthashastras, aus denen hevorgeht, dass man den unmittelbaren Nachbarn niemals trauen sollte. Um das etwas bessr zu verstehen, verweise ich u.a. mal auf: https://www.worldhistory.org/Arthashastra/ (mit Webseiten-Übersetzer gut zu lesen)

    (3) Eine wesentliche Rolle spielen dabei auch die Weltanschauungen: China ist kommunistisch-kapitalistisch aufgestellt und lässt auch den Buddhismus sowie die Lehren von Konfuzius zu – alles in allem von atheistisch-materialistischer Prägung. Und genau Das hält China nicht davon ab, zur Durchsetzung seiner Interessen auch über Leichen zu gehen – nicht militärisch, aber ganz besonders ökonomisch. Hingegen ist Indien hinduistisch-islamisch geprägt, also rercht religiös aufgestellt. Die zwischenm,enschlichen Beziehungen spielen dabei eine Hauptrolle, die wirtschaftlichen Beziehungen sind dem untergeordnet. Nicht umsonst fährt Narendra Modi den Kurs, Indien als Bharat wiederzubeleben. Um das zu verstehen, muss man sich aber intensiver mit den VEDEN als Grundlage für die indische (hinduistische) Weltanschauung befassen – meine Empfehlungen: Mahabharat, Bhagavad-Gita und Srimad-Bhagavatam (in genau dieser Reihenfolge).

    Alles in allem werden sich Modis Gegner innrhalb und außerhab von Indien sammeln, um einen zügellosen Materialismus, der der uralten indischen Kultur widrspricht und sie zunehmend zerstören wird, zu ermöglichen. Das sind klare Merkmale der heutigen Zeit, d.h. des bereits seit gut 5.000 Jahren bestehenden Kali-Yuga, das selber 432.000 Jahre lang andauern wird.

  8. Artikelauszug (Zitat):
    „Sollte die Rivalität zwischen Indien und China eine neue Stufe erreichen und Russland seine Annäherung an seinen chinesischen Verbündeten fortsetzen, könnte Indien auf die Idee kommen, Russland mehr oder weniger offen aufzufordern, sich zwischen Indien und China zu entscheiden.“

    Sollte es Indien tatsächlich ’schwerfallen‘, sich f ü r Russland – unabhängig von dessen Verbundenheit zu China – zu entscheiden?
    Zugunsten des ehemaligen (und künftigen) Besatzers?

    Man darf tatsächlich gespannt sein, zumal Japan westliche Erziehungsarbeit nahezu hündisch akzeptiert: wedelt mit dem Schwanz, obwohl es kein Hirn mehr hat.

    Ist ja en vogue mit dem Schwanz zu wedeln, obwohl den Mikro-Potenten (so die passende Bezeichnung Medwedews‘ ) längst schon eminent wichtige Hirnareale verdorren.

  9. Und wieder suchen die imperialistischen Staaten die Probleme, um mit denen ihre Unterdrückung aufrecht zu erhalten. Das hat in der Kolonialzeit wunderbar funktioniert. Nur so konnten ein paar hunderttausend Briten Hunderte von Millionen Inder Jahrhunderte unterdrücken. Und nachher, als Indien unabhängig wurde, was wurde da geschürt? Religions- und nationale Konflikte. Ich darf nur an Sei Lanka mit seinem 30jährigen Bürgerkrieg erinnern, der auch auf britische Kolonialpolitik zurückzuführen war, oder eben die Grenzkonflikte mit China und Pakistan. Indien ist ein Vielvölkerstaat, der schnell Opfer der Zerstückelungspolitik von USA und NATO werden kann. Jugoslawien lässt grüßen. Das Problem ist wie immer der zumeist westliche Imperialismus.

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