Bulgarien

Wie ein Land zugunsten der Blockdisziplin auf viel Wohlstand verzichtet hat

Bulgarien könnte heute ein weitaus wohlhabenderes Land sein, wenn es nicht diverse russisch-bulgarische Projekte verworfen hätte.

Bulgarien ist kein Land, das in deutschen Medien eine große Rolle spielt. In Russland ist das anders, denn in Russland sieht man in Bulgarien so etwas wie den kleinen Bruder und beobachtet mit tatsächlichem Schmerz, wie sich Bulgarien zugunsten der Blockdisziplin der NATO selbst immer mehr schadet und eine Geschichte umschreibt.

Bulgarien könnte heute der Energiehub Südosteuropas sein, denn vor zehn Jahren war geplant, die Gaspipeline South-Stream von Russland durch das Schwarze Meer nach Bulgarien zu verlegen. Die hätte dem kleinen Bulgarien viele Milliarden jährlich an Transitgebühren und günstige Energie für das eigene Land eingebracht. Aber auf Druck der EU hat die bulgarische Regierung das Projekt nach 2014 verworfen. Bei nur etwa 6,5 Millionen Einwohnern hätten diese Milliarden dem Land wirklich entscheidende Einnahmen gebracht.

Aber dieses Geld verdient nun die Türkei, nachdem die Gaspipeline Turkish Stream gebaut wurde.

Ich habe vor zwanzig Jahren drei Jahre in Bulgarien gearbeitet und bin mit meinen Russischkenntnissen dort gut zurecht gekommen, denn damals sprachen fast alle Bulgaren Russisch. Die beiden Sprachen sind übrigens sehr ähnlich. Auch die Meinung der Bulgaren über Russland war damals überwiegend positiv, auch wenn es natürlich Stimmen gab, die die Sowjetzeit als Besatzung bezeichnet haben. Aber insgesamt sahen auch die Bulgaren Russland damals als großen Bruder an.

Ich habe die Bulgaren seinerzeit auch als sehr geschichtsbewusstes Volk kennengelernt, in dessen kollektivem Gedächtnis das „türkische Joch“, also die Jahrhunderte andauernde Besetzung durch das Osmanische Reich, eine zentrale Rolle gespielt hat. Bulgarien und die anderen südosteuropäischen Länder wurden im 19. Jahrhundert in einem russisch-türkischen Krieg vom Russischen Zarenreich befreit. Russland hat die Länder aber nicht erobert und besetzt, sondern sie in die Freiheit entlassen, woran viele Bulgaren erinnert haben, wenn ich damals mit ihnen gesprochen habe.

Daher ist es umso merkwürdiger, dass die aktuelle bulgarische Regierung ihre Geschichte umschreiben und das Land gegen Russland aufstellen möchte. Dazu werden auch Denkmäler abgerissen. Die Umschreibung der Geschichte findet auch in Bulgarien statt.

Dass Bulgarien sich politisch nun gegen Russland stellt und aufgrund der Ablehnung der gemeinsamen Wirtschaftsprojekte weitaus ärmer ist als es sein könnte, dürfte einer der Gründe für die schon lange andauernde Regierungskrise in dem Land sein, bei der es seit einiger Zeit nicht gelingt, eine stabile Regierung zu bilden.

In der russischen Nachrichtenagentur TASS ist ein Artikel über die russisch-bulgarischen Beziehungen erschienen, den ich übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

„Faktische Konfrontation“: schwarze und weiße Streifen in den russisch-bulgarischen Beziehungen

Der russische Faktor wird im bulgarischen innenpolitischen Diskurs aktiv als eine Art „Schreckgespenst“ eingesetzt, und bei negativen Ereignissen wird nach einer „russischen Spur“ gesucht. Darüber sprach die russische Botschafterin in Bulgarien, Eleonora Mitrofanowa, in einem Gespräch mit einem TASS-Korrespondenten anlässlich des 145. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, aber auch über die Zeiten konstruktiver Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern, den Beitrag der UdSSR zum sozialen Wohlergehen der Bulgaren und die Ergebnisse der Parlamentswahlen im Juni.

„Die bilateralen Beziehungen zwischen Bulgarien und Russland sind derzeit praktisch auf dem Nullpunkt, aber das Leben ist gestreift, und ich habe keinen Zweifel daran, dass auf den derzeitigen schwarzen Streifen definitiv ein weißer folgen wird. Die Geschichte zeigt, trotz aller Versuche, sie zu verfälschen, den wahren Stand der Dinge in unseren bilateralen Beziehungen. Russland und Bulgarien haben eine lange und reiche gemeinsame Geschichte, die viel weiter zurückreicht als das Datum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen“, sagte sie.

Der gemeinsame Glaube, die gemeinsame Schrift und die slawischen Wurzeln haben die Völker Russlands und Bulgariens seit der Antike miteinander verbunden. Dies erkläre die besondere Nähe, die auch in den gegenwärtigen schwierigen Zeiten anhalte, so die russische Botschafterin. „Es ist daher bedauerlich, dass wir uns dem Jubiläum der fast 150-jährigen bilateralen Beziehungen in einem Zustand der factischen Konfrontation nähern“, sagte Eleonora Mitrofanowa.

Der Beginn
Am 7. Juli 1879, nach der Wiederherstellung des bulgarischen Staates, überreichte der russische diplomatische Vertreter und Generalkonsul Alexander Dawidow dem Fürsten Alexander Battenberg sein Akkreditierungsschreiben. Dieses Datum gilt als der offizielle Beginn der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Produktive Zusammenarbeit

Jedes Jubiläum ist in erster Linie eine Gelegenheit, den vergangenen Weg zu analysieren, auf dem es auch Zeiten produktiver Zusammenarbeit gab. Die russische Botschaft verwies auf mehrere solcher Perioden, von denen die erste nach dem Ende des Russisch-Türkischen Krieges von 1877-1878 begann. Damals schuf die provisorische russische Zivilverwaltung unter der Leitung von Fürst Dondukow-Korsakow praktisch von Grund auf das gesamte System der staatlichen Verwaltung in Bulgarien. Dazu gehörten die Streitkräfte, das Postwesen, das Bankwesen, das Steuerwesen sowie das weltliche und geistliche Bildungswesen. Bezeichnend ist, dass bereits zu Beginn der ersten Volksversammlung des Landes im Jahr 1879 die Zivilverwaltung Bulgariens zum größten Teil aus Bulgaren bestand.

„In dieser Zeit ging es wirklich um den Aufstieg des Landes und nicht um eine versteckte russische Kolonisierung, von der heute hier oft die Rede ist“, betonte Mitrofanowa während des Gesprächs.

Die nächste Phase der äußerst engen Zusammenarbeit zum Nutzen des bulgarischen Staates fiel in die Zeit der Sowjetunion, die Bulgarien heute als „kriminelles kommunistisches Regime“ bezeichnet. Aber in dieser Zeit hat das Land mit der enormen Unterstützung der UdSSR eine groß angelegte Industrialisierung durchlaufen, die Landwirtschaft entwickelt und so fortschrittliche Industrien wie Elektronik, Maschinenbau und sogar Kosmonautik aufgebaut. Das bulgarische BIP stieg zwischen 1946 und 1986 um mehr als das 14-fache und das Pro-Kopf-BIP um fast das 30-fache. Etwa 80 Prozent der Industriekapazität, mehr als ein Drittel der landwirtschaftlichen Kapazität, bis zu 90 Prozent des Stroms, 70 Prozent der Gesamtlänge des Verkehrsnetzes, 80 Prozent der Gesamtfläche des Wohnungsbaus, des Gesundheitswesens, der Wissenschaft und der Kultureinrichtungen wurden genau in diesen Jahren und ausschließlich auf Kosten der materiellen, technischen und menschlichen Ressourcen der Sowjetunion geschaffen, die kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Und dies ohne Berücksichtigung der Kompensationen für Warenlieferungen bulgarischer Produkte an die UdSSR (die Sowjetunion kaufte Waren von Bulgarien zu Weltmarktpreisen und verkaufte seien Waren an Bulgarien zu subventionierten Preisen – Anmerkung der TASS). Infolgedessen erreichte Bulgarien den 28. Platz in der Welt in Bezug auf den Lebensstandard, aber jetzt steht es auf Platz 43 in der Rangliste des sozialen Wohlstands.

„In der jüngeren Geschichte gab es nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems auch Phasen des Aufschwungs in den russisch-bulgarischen Beziehungen. In den Jahren 2007 und 2008 wurden Vereinbarungen über die Umsetzung von drei großen Energieprojekten getroffen: das Kernkraftwerk Belene, die South-Stream-Gaspipeline und die Ölpipeline Burgas-Alexandroupolis. Wären diese Vereinbarungen umgesetzt worden, wäre Bulgarien heute ein großer Energieexporteur, aber die bulgarische Seite weigerte sich, diese Projekte umzusetzen. In den Jahren 2017-2019 gab es noch eine Erwärmung. Damals besuchten Patriarch Kirill von Moskau und ganz Russland und Ministerpräsident Dmitri Medwedew Sofia, Präsident Rumen Radew und die [damalige] Außenministerin Jekaterina Sacharjewa besuchten Russland“, erinnert sich Eleonora Mitrofanowa.

Blockdisziplin

Die russische Botschafterin wies darauf hin, dass die bulgarische Führung der Blockdisziplin nach 2022 alle Ergebnisse der Zusammenarbeit geopfert habe. „Offizielle Kontakte werden nicht aufrechterhalten, die Lösung selbst dringender, nicht-politischer Fragen, insbesondere zum Funktionieren der diplomatischen Mission, wird von der bulgarischen Seite sabotiert. Auf der internationalen Bühne hält sich Sofia eindeutig an die transatlantische Haltung und schließt sich allen illegalen restriktiven Maßnahmen an, die von Brüssel und Washington gegen unser Land verhängt werden, und es ergreift dabei sogar die Initiative. Der russische Faktor wird im innenpolitischen Diskurs als eine Art ‚Schreckgespenst‘ benutzt, und bei jedem negativen Ereignis im Land wird nach einer ‚russischen Spur‘ gesucht“, so Mitrofanowa.

Zu den Ereignissen in der Ukraine merkte die Diplomatin an, dass Bulgarien freiwillig erst zur Geisel und dann zur indirekten Teilnehmerin am Ukrainekonflikt wurde, mit dem es ursprünglich nichts zu tun hatte. „Durch sein Handeln hat sich Sofia in die Reihe der uns feindlich gesinnten Länder gestellt. Es ist schwer zu sagen, inwieweit die bulgarischen Eliten die Gefahr einer Eskalation der Spannungen erkennen, aber bisher sehen wir keinen positiven Kurswechsel gegenüber Russland. Bulgarien folgt strikt den Anweisungen des einzigen Zentrums“, erklärte sie.

Kirchenspaltung?

Die russische Botschafterin wies auch auf die Spannungen in den Beziehungen zwischen der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche und der Russisch-Orthodoxen Kirche hin, die dadurch entstanden sind, dass mehrere Hierarchen der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche an einem gemeinsamen Gottesdienst mit Patriarch Bartholomäus von Konstantinopel und ukrainischen Schismatikern, Vertretern der sogenannten Orthodoxen Kirche der Ukraine, teilnahmen.

„Wir sind auch besorgt über die sich abzeichnende Kirchenkonfrontation. Meiner Meinung nach unternehmen die Amerikaner alle möglichen Schritte, um die bulgarisch-orthodoxen Kirche dazu zu bringen, die Orthodoxe Kirche der Ukraine und die Schismatiker anzuerkennen. Der „Fanar“ (der inoffizielle Name des Patriarchats von Konstantinopel, das sich im gleichnamigen Stadtteil von Istanbul befindet – Anm. TASS), der von Patriarch Bartholomäus geleitet wird, agiert hier ebenfalls aggressiv. Jetzt verfolgt er eine seltsame Politik, indem er Schismatiker der Orthodoxen Kirche der Ukraine zu kirchlichen Veranstaltungen mitbringt, obwohl sie nicht eingeladen wurden. Es fällt mir sehr schwer zu beurteilen, was in der bulgarischen Kirche vor sich geht, es liegt außerhalb unseres Einflusses. Aber wir wissen, dass die bulgarische und die russisch-orthodoxe Kirche Schwestern sind und die engsten Beziehungen unterhalten haben. Ich möchte daran erinnern, dass das Schisma, das der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche 1872 von den Griechen auferlegt wurde, von der Russischen Kirche aufgehoben wurde, die auch das Patriarchat hier wiederhergestellt hat. Die russisch-orthodoxe Kirche spielte eine sehr positive Rolle bei der Wiederherstellung der Einheit der bulgarisch-orthodoxen Kirche. Ich hoffe, dass die bulgarischen Machthaber weise genug sind, um eine neue Spaltung zu verhindern“, sagte Mitrofanova.

Kein Grund zum Optimismus

Am 9. Juni fanden in Bulgarien vorgezogene Parlamentswahlen statt und dem neuen 50. Parlament gehören Vertreter von sieben politischen Vereinigungen an, aber die politische Landschaft hat sich nicht wirklich verändert. Die Partei Bürger für die europäische Entwicklung Bulgariens, die mit der Union der demokratischen Kräfte koaliert, gewann die Wahl und wird von Präsident Rumen Radev den Auftrag erhalten, in den kommenden Tagen eine Regierung zu bilden. Es bestehen jedoch große Zweifel daran, dass sie die Unterstützung von 121 Abgeordneten im 240 Sitze zählenden Parlament erhalten und dieses Mandat erfolgreich umsetzen kann. Fünf der sieben politischen Bündnisse haben bereits angekündigt, dass sie den Gewinner nicht unterstützen werden und die Bildung einer Expertenregierung erwägen, wenn die Zeit für einen dritten und letzten Versuch gekommen ist.

„Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen hat sich in Bulgarien nichts Wesentliches geändert, wir sind nur außenstehende Beobachter in diesem Prozess und werden mit der Regierung zusammenarbeiten, die das Parlament wählen wird. Wenn der gegenseitige Wunsch besteht, gibt es eine Chance für eine Normalisierung der Beziehungen. Ich bin von Natur aus eine Optimistin, aber ich denke, dass Bulgarien als loyales Mitglied der EU und der NATO dem von denen bestimmten internationalem Kurs strikt folgen wird. Ich möchte dem bulgarischen Volk viel Glück wünschen. Die Geschichte zeigt, trotz aller Versuche, sie zu verfälschen, den wahren Stand der Dinge in unseren bilateralen Beziehungen“, sagte Mitrofanowa.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

7 Antworten

  1. Für mich hört sich das ganz so an als ob die Bulgarischen politische Eliten usw. Sich auf die schnelle ein paar Milliarden vom Westen erhoffen anstatt mit vernünftigen Wirtschaftlichen Mitteln langfristig für das ganze Land was aufzubauen..
    Tja wer nicht will der hat schon..
    Willkommen auf dem sinkenden Schiff

  2. Für mich hört sich das ganz so an als ob die Bulgarischen politische Eliten usw. Sich auf die schnelle ein paar Milliarden vom Westen erhoffen…

    Daran haben in Osteuropa wohl alle mal geglaubt, oder tun es noch bis heute.
    Der Westen hat aber nichts zu verschenken. Das muss man ganz deutlich so sagen.

    Aber immerhin ist Bulgarien nicht mehr das Armenhaus Europas, den Platz hat der (eigens dafür? ;-)) neu erschaffene Kosovo übernommen und nun darf die Ukraine die Laterne tragen. Blöd nur, das dies nichts mit Bulgariens Entwicklung zu tun hatte.

  3. An Bulgarien sieht man am Besten, was für alle Staaten des Wertewestens gilt. Das Volk ist den „Eliten“ vollkommen egal. So lange der kleine Mann fleißig alles hin nimmt und seine Steuern bezahlt ist für sie die Welt in Ordnung. Sie geben den Massen genügend zu „fressen“ damit sie schön ruhig sind. Fragmentiert die Gesellschaften damit das dumme Volk mehr mit sich wie den „Eliten“ oder eigentlichen Problemen zu tun hat. So läuft es schon tausende von Jahren nur der kleine Mann merkt es nicht!

  4. Der Westen hat den Zustand nach 1990 mit den fehlenden politischen Eliten in den Ländern des „Ostblocks“ zu seinen Gunsten ausgenutzt und eine hörige Politikerkaste installiert. Damit konnte man jetzt 34 Jahre ungestört seinem Kolonialismus fröhnen. Die Bulgaren zeichnen sich dabei durch eine besondere Leidensfähigkeit aus. Man könnte meinen „The Life Of Bryan“ hatte hier seine Vorlage.

  5. An und an konnte man in den 1980ern in BRD Medien schon lesen, dass der Wohlstand und der technologische Fortschritt bedeutend höher war, als in den kapitalistischen Nachbarstaaten Griechenland und Türkei.
    Jeder, der zu dieser Zeit im Landesinneren der T und G war, weiß was gemeint ist.
    Ebenfalls lag Bulgarien beim BSP ( damals geläufiger als das heutige BiP ) auch vor den westlichen „Reformlieblingen“ Polen und Ungarn.

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