Afghanistan

Teil 4: Das Leben in Afghanistan unter den Taliban

Ein Korrespondent des russischen Fernsehens hat kürzlich ganz Afghanistan bereist. Hier übersetze ich seine Reportagen aus einem Land, über das wir heute kaum etwas wissen.

Ich habe vor einigen Tagen angekündigt, dass ich russische Reportagen über das Leben in Afghanistan unter den Taliban übersetzen werde. Ein Korrespondent hat kürzlich das ganze Land bereist und jeden Sonntag wurde im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens eine seiner Reportagen ausgestrahlt. Ich habe die Reportagen übersetzt und veröffentliche nun jeden Tag eine davon.

In diesem vierten Teil ging es um den Grenzverkehr zwischen Afghanistan und Pakistan und das besondere Verhältnis der Menschen dort zu Russen, denn dieser russische Korrespondent war der russische Journalist in der Region seit 30 Jahren.

Beginn der Übersetzung:

150 Kilometer der Autobahn Kabul-Jalalabad müssen wir noch fahren, ein Drittel davon sind die Serpentinen des Mahipar-Passes. Er beginnt auf einer Höhe von 1.790 Metern und stürzt sich bis auf 575 Meter regelrecht ins Tal. Ganz in der Nähe rauscht der Kabul-Fluss an den Autos vorbei. Das ist die gefährlichste Bergstraße Afghanistans und eine der gefährlichsten der Welt. Doch heute kann hier nur die Natur töten, vor 40 Jahren tötete aber noch dazu der Mensch den Menschen. Kolonnen sowjetischer Technik verbrannten regelmäßig wie Pulver auf dem Mahipar. Die Fahrt mit gepanzerten Fahrzeugen über diese Berge war ein Wagnis und die Deckung unserer Kolonnen erforderte noch größeren Mut. Spezialeinheiten kletterten auf scheinbar uneinnehmbare Felsen, um die Mudschahedin aufzuspüren und auszuschalten.

Oleg Gontsow hat in den sieben Jahren seines Afghanistan-Krieges Dutzende solcher Aufgaben erfüllt. Er wurde zwar nicht zum Helden der Sowjetunion ernannt, aber drei Orden des Roten Sterns sind wohlverdiente Auszeichnungen, die für sich sprechen. Für diejenigen, die in den 80er Jahren durch Mahipar reisten, ist Gontsov ein bekannter Name.

Gontsows Energie ist so stark, dass die Afghanen, die kein Russisch verstehen, stehen bleiben und nur dem Klang der Sprache des starken Mannes lauschen. Fast 40 Jahre ist es her, dass hier das letzte Mal Russisch zu hören war.

Oleg hat sich bereit erklärt, uns Journalisten auf der Reise durch Afghanistan zu begleiten. Dank ihm und seinen Verbindungen zu den Afghanen war es möglich, Ihnen dieses einzigartige Land in Details zu zeigen, die sonst niemand kannte. Seit 35 Jahren war kein Russe mehr hier, und die Menschen hier interessieren sich wirklich für die Russen. Schließlich haben wir in Afghanistan viel Gutes getan.

Dieser Dokumentarfilm versetzt uns in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Eine Kolonne russischer Technik ist auf dem Weg nach Jalalabad. Die Aufnahmen aus dem Führungsfahrzeug können wir leider nicht mehr wiederholen, denn die alte Brücke, die über 100 Jahre stand, wurde von den Amerikanern gesprengt. Neben den Trümmern bauten sie schnell eine neue für ihre Technik. So respektlos gingen sie mit allem um, und dafür mussten sie am Ende auch bezahlen. Auch die Brücke über den Roten Fluss hat man ihnen nicht verziehen.

Afghanistan ist wirklich ein unglaubliches Land. Nachdem wir von Kabul nach Jalalabad etwa 150 Kilometer gefahren sind, wird auf der anderen Seite des Passes die erste Ernte eingefahren.

Hier gibt es einfach alles. Ein weiterer Beweis dafür ist der Rote Fluss, der im Vorgebirge entspringt, wo es Kupfervorkommen gibt, die im Tagebau abgebaut werden können.

Hunderte von Fahrzeugen, beladen mit Kupfererz, Kohle und anderen Mineralien, sind auf dem Weg nach Pakistan. Wer am Ende der Schlange steht, braucht mindestens einen Tag, um die Grenze zu passieren. Zwar gibt es keine Verzögerungen, alles läuft, aber der große Grenzübergang kann solche Mengen einfach nicht bewältigen.

So erzählte ein Fahrer über seine Arbeit: „Ich habe ein großes Auto und bin mit meiner Arbeit zufrieden. Es lohnt sich zu warten, wenn man 600 Dollar bekommt. Vom Beladen bis zum Transport nach Pakistan brauche ich etwa zwei Wochen. Aber manchmal mache ich sechs Fahrten im Monat. Das wirkt sich zwar nicht auf meinen Lohn aus, aber ich liebe meinen Job.“

Der Verkehr am Grenzübergang beginnt um 7 Uhr morgens und endet um 19 Uhr abends. In diesen 12 Stunden überqueren etwa 1.300 Lastwagen die afghanisch-pakistanische Grenze in nur einer Richtung, und ebenso viele fahren zurück. Es ist eine gewaltige Menge an Fracht. Wer behauptet, Afghanistan sei blockiert, irrt sich.

Die amerikanische Presse erinnert jedes Mal an die Blockade, wenn Islamabad neue Einschränkungen verhängt. Aber niemand sagt, dass diese Maßnahmen nur vorübergehend sind, dass sie nur ein Element des Drucks von Pakistan sind, ein Versuch, günstigere Handelsbedingungen zu erhalten. Niemand wird die Grenze schließen, es geht doch ums Geschäft.

Hier gibt es einen versteckten Tunnel, durch den die Leute von und nach Pakistan kommen. Jetzt gibt es von Seiten Pakistans einige Probleme, es wurde schwierig, ein Visum zu bekommen, und es ist sehr teuer. Nur wer Geld hat, kommt durch. Die Situation ändert sich langsam, vor zwei Jahren war es überhaupt nicht möglich, die Grenze zu überqueren, sie war blockiert. Jetzt wird es aber immer einfacher.

Als wir an die Grenze kommen, sieht man, dass die pakistanische Grenze ganz und gar nicht geschlossen ist. Hinter Gittern stehen Menschen an, die über die Grenze wollen. Viele sitzen in Rollstühlen, sie sind auf dem Weg zu einer medizinischen Behandlung. Ich darf die Grenze für die Kamera unter den strengen Augen der Grenzer hin und her überqueren, um zeigen, dass sie offen ist.

An der Grenze ist alles absolut ruhig: die Länder haben es geschafft, so zu verhandeln, dass der Transit sowohl von Menschen als auch von Autos mit Waren nicht einen einzigen Tag unterbrochen wird.

Dass wir in die Grenzkontrollzone durften, war nicht nur ein journalistischer Glücksfall, sondern auch ein sehr aufschlussreicher Moment. Zwei Faktoren spielten dabei eine Rolle: die Tatsache, dass wir Russen sind, und die Tatsache, dass wir ehrlich waren. Oleg Gontsow wurde beim Treffen mit dem Chef des Grenzer gefragt, ob er gegen Afghanen gekämpft habe. Und die ehrliche Antwort „Ja“ öffnete alle Türen. Hier sind alle so, so geradeaus. Es stellte sich heraus, dass der Chef, auch Kommissar genannt, auch gekämpft hatte.

Man sieht, welche Verhältnisse zwischen Russen und Afghanen bestehen, zwischen Menschen, die vor 40 Jahren gegeneinander gekämpft haben. Das ist erstaunlich und schwer zu begreifen. Wir Journalisten wurden an Orte gebracht, an die kaum eine ausländische Delegation kommt. Und das ist viel, sehr viel wert.

Der Chef des Grenzübergangs erzählte, dass die Überquerung des afghanisch-pakistanischen Kordons mit Lastwagen durch Menschen, die jeden Tag versuchen, die Grenze ohne Visum zu überqueren, etwas verlangsamt wird. Sie suchen sich einen leeren LKW und verstecken sich im hinteren Teil.

Das ist aber nicht strafbar. Deshalb werden diejenigen, die heute erwischt werden, es morgen wieder versuchen. Das ist wie ein Spiel – die einen verstecken sich, die anderen fangen sie ein.

Die Regierung bemüht sich, die Menschen nicht gegen sich aufzubringen. Man versucht, bestimmte Regelungen langsam umzusetzen.

Als Pakistan vor acht Jahren den Grenzübergang neu regeln wollte, kam es zu Schießereien. Damals kam ein Major der pakistanischen Armee, Dschawat Dschandji, ums Leben. Er setzte sich für die Rechte der Flüchtlinge ein. Der Grenzübergang ist auf pakistanischer Seite nach ihm benannt. Es gibt auch einen anderen Namen für ihn: Torham.

Fünf Kilometer weiter gibt es ein Flüchtlingslager, das bereit ist, Menschen aufzunehmen. Dieser Teller wurde in Afghanistan erfunden und dient zum Kochen von Wasser und Essen. Mit Sonnenengergie, die von einem Spiegel gebündelt wird, dauert das Kochen nur wenige Minuten. Made in Afghanistan.

Bis zum Herbst wird ein Rückstrom von Flüchtlingen erwartet. Diejenigen, die aus Angst vor dem Chaos und den Wirren des Machtwechsels in Afghanistan ins benachbarte Pakistan geflohen sind, werden in ihre Heimat zurückkehren. Von hier aus wird ihre Reise nach Hause beginnen.

Ein Grenzbeamter ist überzeugt, dass die Flüchtlinge zurückkehren werden: „Wir haben Ordnung ins Land gebracht. Die Menschen haben uns geglaubt und die Afghanen werden zurückkommen, da bin ich mir sicher. Wir haben so viel getan, um die Amerikaner zu vertreiben, wir haben 20 Jahre gegen sie gekämpft und gewonnen. Wir wussten, dass wir gewinnen werden. Allah hat uns geholfen.“

Jetzt ist es an der Zeit, dass die Technik der sogenannten Koalitionstruppen der afghanischen Bevölkerung zugute kommt. Hier sind zwei Wasserwagen und ein Lastwagen, der Grütze und Mehl ins Flüchtlingslager bringt.

In einem der Zelte, in denen humanitäre Hilfe gelagert wird, fanden wir auch Produkte aus unserem Land. Schon in den ersten Tagen nach dem Abzug der Amerikaner wurden Dutzende Tonnen Fracht von Flugzeugen des russischen Verteidigungsministeriums nach Kabul geliefert. Die Taliban haben alles an seinen Bestimmungsort gebracht.

In diesem Flüchtlingslager gibt es Sonnenöl aus Krasnodar. Das ist echte Freundschaft.

Die Strecke, die von Pakistan nach Afghanistan führt, nach Jalalabad und weiter nach Kabul, wird zum Teil von chinesischen Unternehmen wieder aufgebaut, und sie geben diesen Menschen Arbeit. Hier arbeiten 115 Menschen und jeder von ihnen wird in seinem Dorf erzählen, wie toll die Chinesen sind. Aber es gibt einen ganz wichtigen Punkt: In den Dörfern können die Leute nur ein bisschen Russisch, aber kein Chinesisch.

Einer der Arbeiter kann auf Russisch um Brot und Wasser bitten. Das man sich unterhalten kann, ist schon mal nicht schlecht und gibt Hoffnung, solange noch Zeit ist, das zu nutzen.

In den nächsten Sendungen werden Sie die inoffizielle Hauptstadt des neuen Afghanistan kennen lernen, das paschtunische Kandahar. Sie werden die unterirdische Grabstätte der afghanischen Königsfamilie sehen.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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