Proteste in Spanien: „Es gibt keine politischen Gefangenen, es gibt nur gefangene Politiker“

Über die Proteste, die Spanien seit Tagen in Atem halten, habe ich schon berichtet. Hier will ich in einem weiteren Bericht einige bemerkenswerte Details hinzufügen.

Wie sehr die deutsche Medien über die Lage in Spanien desinformieren, habe ich am Sonntag bereits am Beispiel eines aktuellen Spiegel-Artikels aufgezeigt. Ich finde es faszinierend, dass ich das russische Fernsehen schauen muss, wenn ich die Argumente und Standpunkte beider Seiten erfahren will, weil deutsche Medien nur über den Standpunkt der spanischen Regierung berichten. Daher habe ich einen Bericht der russischen Sendung „Nachrichten er Woche“ über die Lage in Spanien übersetzt.

Bevor wir zu der Übersetzung kommen, noch eine Anmerkung. Ich habe vor eine Woche über die russische Europa-Korrespondentin Anastasia Popova berichtet und der Artikel hat mehr Interesse geweckt, als ich erwartet habe. Daher werde ich ab sofort bei der Übersetzung der Berichte des russischen Fernsehens auch schreiben, von welchem Korrespondenten sie sind. Dieser Bericht aus Spanien ist von Anastasia Popova, die – wie wir vor einer Woche gesehen haben – als ehemalige Kriegsreporterin nicht aus ihrer Haut kann und immer ins Zentrum von Unruhen geht. So auch dieses Mal in Spanien wieder.

Beginn der Übersetzung:

In Spanien gibt es große Unruhen. Die Polizei greift hart durch. Der letzte Tropfen für die Proteste war die Verhaftung eines Rappers mit linken Ansichten. Sein Name ist Pablo Hasel. Er prophezeit die Rückkehr der UdSSR und singt Texte wie diesen: „Die degradierende Gesellschaft zerstört unsere Werte. Ihre Gesetze werden von verrückten Eliten gemacht“; „Nur der Kampf für die Sache des Kommunismus befreit die arbeitenden Frauen. Kollontai und Zetkin, Armand und Krupskaja wussten das. Deshalb werden sie euch von den Reformisten erzählen, die eure Freiheit nicht erreichen werden.“ „Die UdSSR wird viel stärker zurückkehren. Ja, wenn wir hart kämpfen. Die neue Union der Sozialistischen Republiken wird mit Sicherheit auf der Landkarte erscheinen. Die UdSSR wird zurückkehren!“

Der Junge wurde eingesperrt. Das gilt auch für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Katalonien, die das Unabhängigkeitsreferendum organisiert haben. Als der russische Außenminister Sergej Lawrow Spanien als Beispiel für souveräne Rechtsprechung anführte, war die Antwort des spanischen Außenministers Gonzalez Laia raffiniert und würdig, als geflügeltes Wort zitiert zu werden: „Wir haben keine politischen Gefangenen. Wir haben gefangene Politiker.“

Aus Spanien berichtet unsere Europa-Korrespondentin Anastasia Popova.

Dies ist der fünfte Tag der Unruhen. Diejenigen, die mit dem Urteil gegen den Rapper Pablo Hasel nicht einverstanden waren, haben versprochen, die spanischen Städte das ganze Wochenende in Angst und Schrecken zu versetzen, und sie haben ihr Versprechen gehalten.

Nach Einbruch der Dunkelheit ertönten die Sirenen auf den Straßen. Am Himmel kreiste ein Hubschrauber. Die Polizei verfolgt Demonstranten.

Polizeiautos fuhren mit hoher Geschwindigkeit in die Menge, wer es nicht schaffte, wegzulaufen, konnte unter die Räder oder auf die Motorhaube geraten, wie hier in Tarragona.

Aber es kommt auch vor, dass Polizeibusse in einen Hagel aus Pflastersteinen, aus dem Boden gerissenen Straßenschildern, Flaschen, Stöcken und Brettern geraten. Alles, was den Demonstranten in die Hände fällt, fliegt auf die Ordnungskräfte.

In Barcelona werden Straßen durch brennende Barrikaden blockiert, Mülltonnen brennen, der Asphalt schmilzt unter ihnen und hinterlässt klaffende schwarze Löcher. Die Polizei wird mit Feuerwerkskörpern beworfen. Die Feuerwehrleute kommen nicht nach. Die Flammen springen manchmal auf die Äste der Bäume über. Das Gebäude der Börse steht in Flammen.

„Die einzige Sprache, die dieser Staat versteht, ist die Sprache der Stärke, also geben wir ihnen etwas von dem zurück, was sie auf uns gießen. Ich möchte die Ungerechtigkeit ändern. Es gibt Leute, die rauben was sie können, aber ihnen passiert nichts, aber der Rapper geht für ein Lied ins Gefängnis. Das ist ungerecht“, sagte ein Demonstrant.

So machen junge Menschen ihrem Ärger Luft. Die Polizei ist zm Symbol aller Übel geworden, angefangen von den Covid-Beschränkungen bis hin zu Verurteilungen. Aber die Krawalle werden zunehmend von Hooligans und Plünderern genutzt, sie zertrümmern eine Bankfiliale, einen Handy-Shop, aber am häufigsten konzentrieren sie sich auf teure Boutiquen. Die Waren werden herausgetragen. Geplünderte und kaputte Geschäfte sind die neue Handschrift spanischer Proteste.

Der Rapper ist Katalane, aber ganz Spanien rebelliert. Das sieht man nicht oft: Hunderte Menschen kommen Tag für Tag, um ihn in Madrid zu unterstützen. In den engen Gassen fliegen Müllcontainer auf die Polizei. Sie werfen Feuerwerkskörper, zerkleinern Pflastersteine und werfen auch damit. Als Antwort prügeln die Ordnungshüter mit Schlagstöcken auf die Menge ein. Und sie verschießen eine Menge Gummigeschosse, manchmal aus nächster Nähe, direkt in die Menge. Dieses Mädchen wurde ins Auge getroffen, sie ist halb erblindet.

In mehreren Städten haben Menschen Polizeistationen angegriffen. Die dafür nicht ausgebildete Verkehrspolizei geriet in einen ungleichen Kampf. Auch Schlagstöcke waren in Aktion.

Die Buntglasfenster des berühmten Palastes der katalanischen Musik wurden zerbrochen, der Schaden allein in Barcelona geht nach wenigen Tagen der Unruhen in die Hunderttausende Euro. Es gibt viele Verletzte. In Madrid wurden drei Polizisten ins Krankenhaus eingeliefert, mehr als drei Dutzend wurden verletzt. Mehrere Dutzend Menschen wurden festgenommen, einige von ihnen mussten buchstäblich von der Straße getragen werden.

Der Fall des Rappers hat zu Streit bei Politikern aller Ebenen geführt. Katalonien schimpft wieder auf Madrid, die Rechte schimpft auf die Linke und innerhalb der linken Regierungskoalition gibt es Streit. All dies führte fast zum Auseinanderbrechen der Koalition. Der stellvertretende Ministerpräsident Pablo Iglesias ist auf der Seite der Straße, Ministerpräsident Pedro Sanchez ist auf der Seite der Polizei.

„In einer Demokratie wie der unseren in Spanien ist die Anwendung jeder Art von Gewalt inakzeptabel. Es gibt keine Ausnahme von dieser Regel. Es gibt keine akzeptablen Gründe, Orte oder Ereignisse, die Gewalt rechtfertigen könnten“, sagte Pedro Sanchez.

Einige fordern, den Rapper zu begnadigen, andere fordern, das Gesetz zu überarbeiten, wieder andere versuchen zu verstehen, wo die Grenzen der Freiheit sind. Im vergangenen Juni wurde Pablo Rivadul Duro, so der richtige Name des Rappers, wegen Beleidigung der Krone zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. In seinen Tweets und Liedern nannte er die Bourbonen einen Mafia-Clan, der mit Saudi-Arabien in Verbindung steht.

Juan Carlos, der Vater des jetzigen Monarchen, wird verdächtigt, im Gegenzug für einen lukrativen Vertrag Millionen Euro von einer saudischen Familie erhalten zu haben. Über die Tochter des Königs, die wegen Korruption zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, schrieb Hasel, dass das halbe Land sie auf die Guillotinen wünscht.

Die Beleidigung der Monarchie ist strafbar. Der Künstler sollte zum Antritt seiner Strafe erscheinen, doch der 33-jährige Rapper verbarrikadierte sich in der Universität seiner Heimatstadt Lleida. Die Polizei brauchte zwei Stunden, um durch die Barrikaden aus Trümmern und Möbeln zu kommen und als sie auf der Treppe war, wurde sie mit Feuerlöschern angegriffen.

Eigentlich hat Pablo Hasel noch härtere Texte geschrieben. Er lobte die baskischen Separatisten, zeigte Sympathie für GRAPO, die zuerst gegen Franco und dann gegen die NATO kämpften. Er wurde erstmals 2011 verhaftet und erhielt 2014 eine zweijährige Bewährungsstrafe, weil er nicht mehr existierende Gruppen gelobt hatte, die Spanien als terroristische Gruppen betrachtet hat. Er griff Journalisten an, einen der Zeugen im Prozess gegen einen Polizisten drohte er zu töten, wofür er weitere zweieinhalb Jahre Gefängnis erhielt. Aber etwa 200 Kulturschaffende, darunter Pedro Almodovar und Javier Bardem, setzten sich für ihn ein. Sie fordern, die Meinungsfreiheit nicht einzuschränken.

Empörung löste unter den Katalanen ein Marsch in Madrid aus, in dem die Blaue Division gelobt wurde. Diese Einheit aus 50.000 spanischen Freiwilligen kämpfte während des Zweiten Weltkriegs auf Hitlers Seite. Es war diese Einheit, die es den Deutschen ermöglichte, den Blockadering um Leningrad zu schließen, einige ignorierten sogar den Befehl zur Rückkehr, sie wollten nicht zurückgehen und blieben bei den Soldaten der Wehrmacht, verteidigten am Ende Berlin während der Offensive der sowjetischen Truppen. Vor Leningrad machten sie unser Lied „Katjuscha“ zu ihrer inoffiziellen Hymne, aber sie veränderten den Text. Nun geht es nicht mehr um ein junges Mädchen, sondern um einen betrunkenen und feigen Russen. Das Lied singen spanische Fallschirmjäger übrigens heute noch.

Madrid. Die 18-jährige Isabel Peralta sagt offen, sie sei eine Faschistin: „Unsere höchste Pflicht ist es, für Spanien und für Europa zu kämpfen, das jetzt schwach ist und vom Feind liquidiert wird. Ein Feind, der immer der Feind bleiben wird, obwohl er sich hinter verschiedenen Masken versteckt. Es ist der Jude. Daher gibt es nichts Wahreres als diese Aussage: Der Jude ist schuldig. Er ist schuldig, und die Blaue Division hat gegen ihn gekämpft.“

Die Vereinigung der Jüdischen Gemeinden von Spanien ist wegen Aufstachelung zum Hass vor Gericht gezogen und auch die Regierung von Madrid hat eine Untersuchung angeordnet, aber das Mädchen ist, im Gegensatz zu dem Rapper, immer noch auf freiem Fuß.

Die rechtsextreme Partei Vox distanzierte sich von Isabel, sah aber in dem Marsch selbst nichts Verwerfliches.

„Wir respektieren das Demonstrationsrecht und wenn es Bürger gibt, die an die Blaue Division erinnern wollen, können wir dazu nichts sagen. Wir halten das für absolut legal“, sagte Inigo Henriquez de Luna, ein Vox-Abgeordneter im Madrider Parlament.

Und das sagen dieselben Leute über die Demonstranten, die zur Unterstützung des verhafteten Rappers aufgerufen haben: „Sie schweigen, wenn die Regierung die Freiheiten der Arbeiter verletzt. Sie gehen auf die Straße, um einen Verbrecher zu verteidigen, der den Terrorismus rechtfertigt.“

Ob er ein Verbrecher oder doch ein Musiker ist, darin sind sich die Spanier nicht einig. Einem weiteren Rapper, Jose Beltran, bekannt als Giusep Baltonik, drohte auch Gefängnis. Er floh nach Belgien, das in seinen Texten keine Rechtfertigung von Terrorismus erkannte und sich geweigert hat, ihn an Madrid auszuliefern.

Auch den ehemaligen Präsidenten Kataloniens, Carlos Puigdemont, hat Brüssel nicht ausgeliefert. Er hätte wegen der Organisation des Unabhängigkeitsreferendums ins Gefängnis kommen sollen. Neun andere Politiker wurden für bis zu 13 Jahre inhaftiert, woran der russische Außenminister Sergej Lawrow die Welt erinnert hat. Obwohl die Bedeutung seiner Worte war, dass all dies eine innere Angelegenheit Spaniens ist, war Madrid beleidigt und erklärte, dass sie im Land eine vollwertige Demokratie haben, und keine politischen Gefangenen, sondern gefangene Politiker. Daraufhin produzierte die Zeitung El Mundo eine Reihe von Artikeln mit anti-russischer Rhetorik und Beleidigungen gegen Lawrow, zum Beispiel ein Bild, auf dem er Teufelsaugen hat, mit der Unterschrift: „Der Fake-News-Apostel.“

Zu allem Überfluss zeigte sich der spanische Außenminister Arancha Gonzalez bei einem Besuch in Saudi-Arabien sehr besorgt über die Menschenrechte in Russland und forderte die sofortige Freilassung Nawalnys.

Ende der Übersetzung

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

4 Antworten

  1. “In einer Demokratie wie der unseren in Spanien ist die Anwendung jeder Art von Gewalt inakzeptabel. Es gibt keine Ausnahme von dieser Regel. Es gibt keine akzeptablen Gründe, Orte oder Ereignisse, die Gewalt rechtfertigen könnten”, sagte Pedro Sanchez.

    Dazu mal ne ganz, ganz blöde Frage in den Raum geworfen. Wenn das stimmt, wieso geht dann die Polizeit mit Gewalt gegen die Demonstranten vor?

    1. Tja, ich fürchte, das ist wieder, wie so oft, ein „Henne-Ei“- Problem.

      Was die Ursachen anbelangt, da sollte man mal Flassbeck zuhören, hier z.B.:
      „Heiner Flassbeck – Warum die nie gelöste Eurokrise jetzt zurück kommt“ (2018) https://www.youtube.com/watch?v=BA85mao8p6o

      Und zum Schluß die bittere Wahrheit, 2019 formuliert vom großen Meister:

      „Denn wenn Menschen das Gefühl haben, nicht in der Lage zu sein, ihre Rechte legal zu verteidigen, greifen sie zu den Waffen.“

      1. Ein “Henne-Ei”- Problem kann ich hier absolut nicht sehen. Linke Demos enden in der Regel immer gewaltsam, eben weil sie zu den Waffen greifen im Gefühl, ihre „Rechte“ nicht legal verteidigen zu können. Die Freilassung eines Straftäters zu fordern ist kein Recht und kann somit auch nicht legal verteidigt werden. Dass man das überhaupt verteidigen kann, bilden sich die Linken nur ein. Die Majestätsbeleidigung mag man sehen wie man will, aber sie ist nun mal geltendes Gesetz in Spanien und der Spinner Hasel hat dagegen verstoßen und wurde bestraft. Ist ganz einfach und absolut kein Problem.

  2. Blöde Polizei. Soll sie zusehen wie Läden platt gemacht und womöglich ganze Quartiere abgefackelt werden? Und was sollen sie tun um das zu verhindern oder einzudämmen? Ach Ihr Lieben tut bitte nicht randalieren. Die Gewaltbereitschaft nimmt zu. Und die Überwachung der Bürger nimmt zu. – Das ist die Ausgangslage.

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