"Heimat der Unbesiegten"

Ein Nachruf des russischen Fernsehens auf den Afghanistankrieg der Nato

Das russische Fernsehen hat in einem sehr interessanten Beitrag die Geschichte der Eroberungsversuche Afghanistans aufgezeigt. Dabei wurden die historischen Parallelen herausgearbeitet. an denen alle Imperien - und nun auch die Nato - in Afghanistan gescheitert sind.

Der Beitrag des russischen Fernsehens über die Geschichte der Versuche der Imperien, Afghanistan zu erobern, fand ich sehr interessant, weil er sehr deutlich aufgezeigt hat, dass sie alle nach dem gleichen Schema an und in Afghanistan gescheitert sind. Daher habe ich den Beitrag des russischen Fernsehens übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Afghanistan ist auch bekannt als die „Heimat der Unbesiegten“ und der „Friedhof der Imperien“. Die einheimischen Hochlandbewohner waren schon immer für ihre heimtückischen Angriffe aus dem Hinterhalt und ihre Wildheit im Kampf bekannt. Früher lockten die afghanischen Stämme die zahlenmäßig unterlegene feindliche Armee tief ins Land und zerschlugen sie in den Schluchten. Dies war der Fall bei der persischen Armee der Achämeniden im sechsten Jahrhundert vor Christus. Alexander der Große zog es vor, die paschtunischen Stämme auf seine Seite zu ziehen, um die Meister der Hinterhalte auf seiner Seite zu haben. Die Afghanen waren es gewohnt, sich mit kleinen Dingen zufrieden zu geben und auf niemanden Rücksicht zu nehmen, schon gar nicht auf Fremde. Großbritannien im neunzehnten Jahrhundert, die UdSSR im zwanzigsten und die Vereinigten Staaten im einundzwanzigsten Jahrhundert sind in Afghanistan gestolpert. Ein Bericht von Andrej Medwedew.

1834 ritt der britische Späher Arthur Connolly – er war es übrigens, der den Begriff des „großen Spiels“ prägte – heimlich durch Afghanistan. Er sollte herausfinden, ob das Russische Reich in das Land eindringen und damit eine Bedrohung für Britisch-Indien darstellen könnte. Aufgrund der Ergebnisse schrieb er in seinem Bericht: „Die Afghanen hätten wenig davon, wenn die Russen in ihr Land eindringen würden. Wenn die Afghanen als Nation beschließen, sich den Invasoren zu widersetzen, könnten die Schwierigkeiten des Feldzugs leicht unüberwindbar werden. Sie würden tapfer kämpfen, ständig russische Kolonnen auf den Gebirgsrouten angreifen und wären in der Lage, gegen die Nachschublinien der Truppen zuzuschlagen.“

Es ist bemerkenswert, dass diese Worte Connollys zu einer düsteren Prophezeiung geworden sind. Und zwar nicht nur für die russische, sondern auch für die sowjetische Armee, die 1979 in Afghanistan einmarschierte. Diese Worte waren prophetisch für das britische Empire, das in den beiden anglo-afghanischen Kriegen erfolglos war, und für die Vereinigten Staaten von heute, für die der 20-jährige Krieg so verlief, wie Connolly schrieb, und in einer schmachvollen Flucht endete.

Erstaunlicherweise waren sich die Militäranalysten und Generäle des Russischen Reiches im Gegensatz zu den Sowjets sehr wohl darüber im Klaren, dass es keinen Grund gab, in Afghanistan einzumarschieren. Die Expansion nach Asien wurde in Panj gestoppt. General Nikolai Grodekow, ein Geheimdienstoffizier, bezeichnete Afghanistan 1882 in einem Bericht als einen „Abgrund, über den wir nicht springen können“.

In der Vergangenheit gab es auf dem Gebiet Afghanistans mehrere Staaten, die dann unter den benachbarten Reichen aufgeteilt wurden. Im Jahr 1747 schließlich gründete der militärische Befehlshaber Ahmad Shah Durrani, wie wir heute sagen würden, ein Warlord, den ersten afghanischen Staat, eine Art von Föderation. Mit Feuer, Schwert, Blut, List und Verrat vereinigte er die Fürstentümer Peshawar, Kabul, Kandahar und Herat. Auch wenn sich die Fürstentümer nach seinem Tod trennten, konnte niemand mehr in Afghanistan einmarschieren.

„Die Struktur der afghanischen Gesellschaft, die sehr zersplittert und in viele Stämme, Clans und Gruppen aufgeteilt ist, wird im Moment einer äußeren Aggression und Herausforderung zu einer riesigen Militärmaschinerie vereint. In Friedenszeiten lebt jeder von ihnen in irgendeiner Schlucht oder einem Tal, aber wenn eine Herausforderung von außen, eine große Militärmacht, auftaucht, schließen sich all diese Millionen von Bergbewohnern zusammen, um den Angreifer zu bekämpfen“, sagt Igor Dimitriev, Orientalist und Politikwissenschaftler.

Viele haben es versucht. Sowohl Iran als auch die indischen Maratha-Fürstentümer. Aber die bekanntesten Versuche, Afghanistan zu übernehmen, sind natürlich die anglo-afghanischen Kriege. Sie sind ein Paradebeispiel dafür, wie Afghanistan die Pläne der Eroberer zunichte macht. Kurz gesagt, der erste anglo-afghanische Krieg begann im Jahr 1839. Der Grund dafür war, dass der damalige Herrscher von Afghanistan, Dost Mohammed, beschloss, Beziehungen zum Russischen Reich aufzunehmen. Die Briten drohten mit Krieg, er hatte keine Angst. Aber die britischen Offiziellen nannten einen anderen formalen Grund für den Krieg. Sie erklärten, dass die bösen und verräterischen Afghanen angeblich einen Angriff auf Indien vorbereiten würden. Wirklich, in der Geschichte ändert sich nicht viel.

Die Invasion begann, die Briten nahmen schnell die wichtigsten Städte ein, dann Kabul, Dost Mohammed wurde gefangen genommen. Und hier begannen die Probleme, die alle Eroberer haben. Afghanistans zu nehmen war nicht schwierig. Es zu halten ist fast unmöglich.

In den ersten zwei Jahren schienen die Afghanen keinen Krieg gegen die Briten zu führen. So war es auch später, als die sowjetischen Truppen ins Land kamen, und das Gleiche geschah mit den Amerikanern. Danach ging es los. Die Briten setzten ihre Regeln durch, und die Bauern wurden gezwungen, einen Teil ihrer Ernte an die Besatzungsarmee abzugeben. Imame in Kabul predigten in den Moscheen, dass die Briten die afghanischen Frauen verdorben und dem Land Schande bereitet hätten. Im Jahr 1841 schrieb ein britischer Offizier aus Kandahar an seine Freunde: „Die Angelegenheit ist seit zwei Jahren beendet, aber wir sind immer noch hier. Die Khyberniks, Guilders und Durrani haben zu den Waffen gegriffen, unsere Posten werden angegriffen, unsere Soldaten werden vor unseren Augen getötet. Können wir Afghanistan in diesem Zustand belassen, wird es sich ändern, wird das Land befriedet werden? Niemals, zumindest werden wir nicht so lange leben, um das zu sehen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr man uns hasst: Jeder, der einen Europäer tötet, gilt als Heiliger“.

Der Krieg gegen die Briten wurde von Dost Mohammeds Sohn geführt, der von Stammesführern und Provinzgouverneuren unterstützt wurde. Der englische Protegé Shujah ul Mulk hatte die Situation nicht unter Kontrolle, floh aus dem Land, und die Rebellen drangen am 22. November 1841 in die Hauptstadt ein. Das britische Korps in Kabul wurde von dem unentschlossenen General Elphinston befehligt, der Verhandlungen aufnahm. Die afghanischen Häuptlinge betrachteten dieses Verhalten als Schwäche, versprachen, die britischen Truppen freizulassen, und vernichteten sie in den Schluchten vollständig.

Wenn man sich die Geschichte der amerikanischen Besatzung anschaut, kann man sehen, wie ähnlich alles ist. Auch hier schien es anfangs keinen Krieg zu geben. Und die Taliban schienen vertrieben worden zu sein. Und westliche Werte schienen gefördert worden zu sein. Das Ergebnis ist, dass nach 20 Jahren dieselben Taliban wieder an der Macht sind.

Und wie endete der erste anglo-afghanische Krieg? Nun, die Briten schickten ein neues Korps nach Afghanistan und brannten in einer Strafaktion die Hälfte von Kabul nieder. Und gingen wieder. Und Dost Mohammed, den sie so lange bekämpft hatten und mit dem der Krieg für damalige Verhältnisse sehr viel Geld gekostet hatte – 25 Millionen Pfund Sterling – , setzten sie wieder auf den Thron. Nun, fast so wie die heutigen amerikanischen zwei Billionen Dollar.

„Nach mehreren militärischen Niederlagen waren die Briten zu einer Methode der indirekten Kontrolle übergegangen. Das heißt, sie engagierten die afghanische Elite in ihrem eigenen kulturellen Raum. Thronfolger und Monarchen wurden in Großbritannien ausgebildet. Sie versuchten, Afghanistan nicht durch Besetzung, sondern durch Kontrolle über die Eliten in ihrem Einflussbereich zu halten“, sagte Dmitriev.

Und noch etwas. Der erste anglo-afghanische Krieg führte in Großbritannien zu einer schweren politischen Krise. Wieder ist alles sehr ähnlich. Nachdem die Koalitionstruppen 2001 in Afghanistan einmarschiert waren, wussten sie am Ende nicht, wie sie gewinnen und kämpfen sollten. Es gibt keine Infrastruktur, deren Zerstörung die gewohnte Lebensweise stören könnte; der größte Teil des Landes lebt in der sozialen Realität von vor zweihundert Jahren. Hohe Geburtenraten, die traditionelle Militanz lokaler Stämme und Völker, ein traditionelles Misstrauen gegenüber Fremden und historische Erfahrungen. Militäranthropologen und Kundschafter sowohl des russischen als auch des britischen Reiches stellten den beachtlichen Mut der Afghanen fest. Zugleich war Afghanistan schon immer ein ganz eigener Staat.

General Grodekov beschrieb das folgendermaßen: „Afghanistan sollte eher als eine Föderation denn als etwas organisch Ganzes betrachtet werden. Die Regierung in Kabul kann Verträge mit ausländischen Mächten abschließen, aber das Volk wird auf seine eigene Weise handeln. Die Afghanen, ein mutiges und kämpferisches Volk, waren schon immer der Meinung, dass sie keine Verbündeten brauchen und mit jedem Feind allein fertig werden können.“

In den 1880er Jahren versuchten die Briten, den afghanischen Emir Abdur Rahman zu zwingen, dem Bau einer Eisenbahnlinie nach Kabul zuzustimmen. Sie drohten ihm, versprachen ihm Geld und luden ihn ein, den Khoja-Amran-Tunnel zu besichtigen, der durch das Gebirge getrieben worden war. Die Briten fragten den Emir, ob er über eine so komplizierte technische Konstruktion erstaunt sei. Die Frage hatte natürlich einen Hintergedanken: Die Briten wollten Abdur-Rahman die Kluft in der technologischen Entwicklung zeigen, die die beiden Länder trennte. Und Abdur-Rahman Khan antwortete: „Wenn ich Ihnen mit einem scharfen Dolch ein auffallend regelmäßiges Loch in den Rücken stechen würde, würden Sie sich kaum über meine Kunst wundern.“

Das ist die Quintessenz der afghanischen Politik. Sie sind stärker. Aber der Dolch in Ihrem Rücken würde Ihnen auch nicht gefallen. Afghanistan zu erobern ist möglich, es zu halten ist fast unrealistisch.

„Von allen aufgezählten Fällen, in denen ein großes, bedeutendes Reich Afghanistan besetzte, hatte die Sowjetunion sicherlich die besten Chancen, es zu halten, denn mit der sowjetischen Armee kam eine völlig neue Sicht auf die soziale Struktur, eine Sicht auf die Welt. Und die Sowjetunion war kurz davor, dieses archaische Stammessystem innerhalb von 10 Jahren zu rehabilitieren und zu verändern“, so Igor Dmitriev.

Trotz aller Fehler, trotz aller überstürzten Schritte des Politbüros war es die Sowjetunion, die es geschafft hat, den Afghanen eine Idee, ein bestimmtes Bild von der Zukunft zu vermitteln. Die Arbeit mit der Jugend, der Kampf für die Rechte der Frauen, das Bildungswesen – das Polytechnische Institut in Kabul war das Zentrum des afghanischen Hochschulwesens – und der Bau sozialer und industrieller Einrichtungen – das waren die Maßnahmen der Sowjetunion und der von Moskau kontrollierten Regierung, die zum Symbol des neuen Lebens wurden. Natürlich wollten die Afghanen nicht in Massen den Sozialismus aufbauen. Aber viele sahen ein neues Staatsmodell, das ihnen Hoffnung auf ein besseres Leben für ihre Kinder gab.

Im Jahr 1989 zog die Sowjetunion ihre Truppen ab. Im Grunde hat sie die Afghanen im Stich gelassen. Die Sowjetunion und dann das junge Russland haben viele von ihnen im Stich gelassen. Das junge Russland hatte seine eigenen internen Probleme und wollte, dass der Westen es mag. Wichtig ist jedoch, dass es keine Flucht war, wie jetzt bei den Amerikanern. Die Truppen wurden wie geplant abgezogen, Stützpunkte an die afghanische Armee und zivile Objekte vollständig an lokale Spezialisten übergeben. Und die Regierung von Nadschibullah hielt trotz des Verrats durch die damalige Führung der UdSSR drei Jahre lang durch. Sie stützten sich auf sehr nachdenkliche Militäroffiziere, Beamte und einfache Bürger, denen die Sowjetrussen gezeigt hatte, was ihr Land sein kann. Und wenn unser Land den Afghanen damals ein Minimum an Hilfe geleistet hätte, wäre die Geschichte Afghanistans vielleicht ganz anders verlaufen, oder vielleicht auch nicht.

Es ist jedoch bezeichnend, dass die pro-amerikanische Regierung von Ashraf Ghani zusammenbrach, noch bevor die Amerikaner abgezogen waren. Und auch die Armee hatte sich zerstreut. Es stellte sich heraus, dass niemand bereit war, für die liberalen Werte des Westens zu kämpfen, die sie den Afghanen so sehr aufzwingen wollten. Die Amerikaner haben in Afghanistan keine einzige Anlage, Fabrik oder Tunnel gebaut. Dafür haben sie alles, was sie konnten, bombardiert.

Übrigens gelang es der UdSSR, im Gegensatz zu den USA, den größten Teil des Landes zu kontrollieren. Sogar die Bergregionen an der Grenze zu Pakistan, wie Nuristan. Und es ist keineswegs sicher, dass es den Taliban gelingen wird, die Kontrolle über Afghanistan zu behalten. Diese Woche kündigte, Ahmad der Jüngere, der Sohn des legendären Anti-Taliban-Koalitionsführers Ahmad Shah Massoud an, dass er seinen Kampf gegen die Taliban fortsetzen werde. In der Panjsher-Schlucht, aus der auch er, ein Absolvent einer britischen Militärakademie, stammt, begann er, Kampfeinheiten zusammenzustellen. Vor zwanzig Jahren weinte er am Grab seines Vaters, der von einem Selbstmordattentäter getötet wurde. Jetzt will er, wenn nicht das Land erobern, so doch Rache nehmen. Das ist die traditionelle afghanische Geschichte. Es sei denn, er muss sich mit dem Feind gegen eine gemeinsame Bedrohung verbünden. Zum Beispiel gegen den IS.

Ende der Übersetzung

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

7 Antworten

  1. Das ist ja wirklich mal nicht dieses ewige „Einerlei“.
    Ergänzend darf das empfohlen werden:

    _____://www.counterpunch.org/2017/08/03/afghanistans-lies-myths-and-legends/

    „Afghanistan’s Lies, Myths and Legends“
    August 3, 2017
    by Andre Vltchek

    Für die „Engländer“ kein Problem, andernfalls lohnt sich das „DeepLn“.
    Dieser Teil der Geschichte wird weitgehend unterschlagen.

    Auch recht aufschlußreich:

    _____://rg.ru/2011/03/11/afgantsy.html

    „Развенчанные мифы
    Только что вышедшая в Великобритании книга „Афганцы“ (Afgantsy) – не про пуштунов и хазарейцев. Она – про наших солдат“
    11.03.2011

    [ Auszug – geDeepLt ]

    „Das Buch „Afgantsy“, das gerade in Großbritannien erschienen ist, handelt nicht von Paschtunen und Hazaras. Es geht um unsere Soldaten.

    Sir Rodrick Braithwaite gehört zur Elite der britischen Gesellschaft. Er hat einen beeindruckenden Lebenslauf: hochrangiger Diplomat, britischer Botschafter in Moskau (1988-1992), Berater des Premierministers, Leiter des Joint Intelligence Committee… Seine Bücher über Russland sind zu Bestsellern geworden, zunächst die Geschichte des Zusammenbruchs des Kommunismus („Jenseits der Moskwa: Die Welt steht Kopf“), dann „Moskau. 1941“. Letzteres wurde ins Russische übersetzt und hier veröffentlicht, und viele Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges loben diese Studie über die Schlacht um Moskau, da sie sie für objektiv und vollständig halten.

    Anfang März erschien ein neues Buch von Sir Rodrik in den Verkaufsregalen. Es trägt den Titel „Die Afghanen“ und widmet sich den wenig bekannten Seiten des Krieges, den Teile des sowjetischen Militärkontingents gegen die Mudschaheddin führten. Die britische Presse hat das Buch bereits als „Meisterwerk“ bezeichnet. …

    Wir haben den Autor seines neuen Bestsellers in London getroffen:

    – Bitte formulieren Sie das Wesentliche Ihrer Arbeit: Worum geht es, warum und für wen?

    + Zunächst einmal, warum. Ich wollte sowohl in dem Buch über die Schlacht um Moskau als auch in dem Buch über Afghanistan die russische Sichtweise aufzeigen. Viele von uns sind sich immer noch sicher, dass die bösen Russen in das friedliche Afghanistan einmarschiert sind, um ihre verräterischen Ziele zu verfolgen. Das ist alles. …

    Ich habe im Frühjahr 2006 mit der Arbeit an dem Buch begonnen. Seitdem besuche ich Russland drei- bis viermal im Jahr und treffe mich mit Ihren Veteranen, Politikern, Diplomaten und Experten.

    – Welche Entdeckungen haben Sie auf dem Weg dorthin gemacht? Hat sich Ihre Sicht auf den Krieg in Afghanistan während der Arbeit an dem Buch verändert?

    + Es gab viele Entdeckungen. Am unerwartetsten war die Beziehung, die sich zwischen den Russen und den Afghanen während der Militärkampagne entwickelte. Es war ganz und gar nicht das, was ich erwartet hatte. Jetzt verstehe ich, warum Ihre Veteranen so gerne dorthin zurückkehren wollen. Soweit ich weiß, gab es während des Krieges mehr als 800 kleine Außenposten und Straßensperren, die über das ganze Land verstreut waren und jeweils 10-20 Mann umfassten. Natürlich hatten die Soldaten und Offiziere sehr engen Kontakt mit der lokalen Bevölkerung – Bauern, Händlern, Mullahs. Ich war in Afghanistan. Und ich habe dort eine Frage gestellt: Wann haben Sie besser gelebt – jetzt oder unter den Russen? Interessanterweise hielten alle Afghanen schon die Formulierung der Frage für dumm. Jeder von ihnen antwortete: „Natürlich war es unter den Russen besser.“ Alle haben das gesagt. Sie erklärten, dass es damals Arbeit gab und heute nicht mehr. Damals gab es Strom und heute gibt es keinen. Damals herrschte mehr oder weniger Frieden in Kabul, heute nicht mehr. Einige äußerten sich nostalgisch über Präsident Najibullah und meinten, er sei in der Lage, die heutigen Herausforderungen zu meistern.

    In Herat hatte ich ein Treffen mit einem alten Mann, der neun Jahre lang gegen Sie gekämpft hat, dann gegen die Taliban und jetzt, so vermute ich, gegen die Amerikaner. Auch er sagte, dass es unter dem Shuravi besser gewesen sei. Ich fragte: „Aber waren die Russen nicht noch brutaler als die Amerikaner?“ – „Überhaupt nicht“, antwortete er. – „Sie waren ehrliche Krieger, die uns von Angesicht zu Angesicht bekämpften. Und die Amerikaner haben Angst, sie töten unsere Kinder und Frauen mit Bomben aus dem Himmel.“

    Ich führe im Internet einen sehr interessanten Briefwechsel mit einem amerikanischen Sergeant, der von Anfang an, d. h. seit fast zehn Jahren, als Teil der Koalitionstruppen in Afghanistan kämpft. … Dieser Mann fand heraus, dass ich an einem Buch arbeitete und schrieb mir, dass er von den Russen, die dort waren, begeistert war. Er hält sie für echte Krieger, insbesondere die Spezialeinheiten. Er schrieb, dass er in den Bergen stand und beobachtete und plötzlich etwas unter seinen Füßen spürte. Als er sich bückte, stellte sich heraus, dass es sowjetische Granaten waren. Das bedeutet, dass dieser Ort derselbe war, an dem Sie gestanden haben. Es war auch unerwartet, dass viele Ihrer Veteranen Afghanistan nicht mit Liebe, sondern mit Wärme in Erinnerung behalten. Und sie sprechen immer mit Respekt über Afghanen. Und mit Verständnis. Da ist etwas Wahres dran. Das hat mich sehr interessiert. Ich war auch sehr überrascht von den Protokollen der Diskussionen des Politbüros über Afghanistan.
    …“

    1. Ein sehr interessanter Artikel auf Counterpunch, der bestätigt, was ich immer sage. Man muss selbst hinfahren und mit den Menschen reden, wenn man urteilen will. Ähnliches habe ich damals kurz nach der Revolution im Iran erfahren. Wie sehr hat man mich gewarnt, das Hotel zu verlassen, weil es ja für Ungläubige lebensgefährlich sei. Meine beiden Kollegen, die schon öfter vor Ort waren, sind nur zwischen Büro und Hotel gependelt und haben mir auch abgeraten, rauszugehen. Nach zwei Tagen ist mir aber schon die Decke auf den Kopf gefallen und ich bin raus. Schon nach einer Std. dachte ich, was meine Kollegen doch für Idioten sind, verkümmern im Hotel und fressen jeden Tag das Selbe (es gab nur Huhn oder Rindersteak zur Auswahl), ich hatte mir zunächst in einem Restaurant den Bauch mit nicht gekannten Köstlichkeiten vollgeschlagen und bin dann durch die Stadt geschlendert. Es hat nicht lange gedauert, da hatte ich schon die ersten Kontakte und Einladungen von den freundlichsten Menschen, die mir jemals begegnet waren. Mit Unterbrechungen habe ich dort sechs Monate gearbeitet und habe nie eine gefährliche Situation erlebt. Wie sehr sich die Realität von Erzählungen unterscheiden, kann ich damit nur bestätigen. Dass die Kollegen trotz meiner Erfahrungen weiterhin ihr ärmliches Dasein fristeten, hat mich am Meisten verwundert. So tief können Vorurteile stecken.

  2. Lustig und tragisch. Jetzt rühmen sich die Russen dafür, dass sie weniger auf die Fresse bekommen haben als die Amis. Der Wahnsinn hört nie auf.
    Auf die Idee, dass man die Lebensweise der Menschen dort einfach mal respektieren kann und sie in Ruhe lässt, kommt keiner. Alle wissen wieder besser, wie man zu leben hat.

    Ich frage mich, welcher psychologische Mechanismus dahinter steckt, wenn man anderen seine eigene Lebensweise selbst mit Gewalt einzuprügeln versucht. Vllt liegt es daran, dass unsere Bäuche voll, aber unsere Herzen leer sind? So kommts mir vor.

    1. Ja, lustig und tragisch.
      Mit einem einzigen Post können manche, wie DiddelDu, aufzeigen das sie keinerlei Hintergrundwissen, keinerlei Geschichtskenntnisse haben. Diese Lücken haben durch die richtige „Haltung“ schließen wollen.

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