Putin im O-Ton über die europäische Gasversorgung und die Rolle des US-Dollar im weltweiten Handel

Putin wurde auf einer Podiumsdiskussion in diesen Tagen nach der Gasversorgung Europas und der Rolle des Dollar in der Weltwirtschaft gefragt. Seine Antworten sind interessant.

Bei der „Russian Energy Week“, einer großen Konferenz über die Zukunft der Energieversorgung, hat Putin zusammen mit den Chefs der größten Energiekonzerne an einer Podiumsdiskussion teilgenommen, die von Keir Simmons von MSNBC moderiert wurde. Dabei ging es auch um die Gasversorgung Europas, die Rolle der Ukraine als Transitland für Gas, die US-Pläne, ihr Fracking-Gas als Flüssig-Gas nach Europa zu verkaufen und um die Rolle des US-Dollar im Welthandel.

Interessant ist an diesem Teil der Diskussion, wie sehr sich die Antworten Putins von denen der anderen Diskussionsteilnehmer unterscheiden. Während andere um den heißen Brei herumreden und sich vor klar verständlichen und eindeutigen Antworten drücken, nimmt Putin kein Blatt vor den Mund. Um dies aufzuzeigen, habe ich auch die Fragen und Antworten der anderen Diskussionsteilnehmer übersetzt, bevor dann Putin an die Reihe kam.

Beginn der Übersetzung:

Simmons: Lassen Sie uns über eines der Ziele der US-Sanktionen sprechen, über Nord-Stream 2. Herr Seele (Anm. d. Übers.: ehemaliger Vorstandschef von Wintershall und Teilnehmer an der Podiumsdiskussion), Sie haben in dieses Projekt investiert. Nord Stream steht vor Problemen mit US-Gesetzesinitiativen. Darüber hinaus hat Dänemark keine Genehmigung zur Verlegung der Pipeline in seinen Hoheitsgewässern erteilt. Warum hat Nord-Stream 2 so eine große Bedeutung, Herr Seele?

Seele: Europa braucht Gas zu wettbewerbsfähigen Preisen, wie wir es aus Russland bekommen und ich möchte nicht einmal über eine Einmischung Dritter spekulieren, aber die USA versuchen, eine politische Antwort zu einer Zeit vorzubereiten, in der Europa nach Energieunabhängigkeit strebt.

Simmons: Die USA sagen, dass das keine Unabhängigkeit ist, sondern eine Abhängigkeit von Russland.

Seele: Ich werde diese Aussage nicht kommentieren. Seit 50 Jahren bekommen wir Gas aus Russland im Rahmen der Verträge. Daher erlaubt uns unsere Erfahrung zu sagen, dass es eine gegenseitige Abhängigkeit ist. Europa bezahlt die Rechnungen, Russland bekommt Devisen, also ist die Investition in Nord-Stream eine Investition in die Diversifizierung. Und wenn Europa keine Antwort auf diese Intervention findet, was wird dann geschehen? Wir müssen einen Mechanismus für die Gasversorgung finden. Es sind Milliarden an Investitionen in die Infrastruktur, in die Pipeline getätigt worden, und einige Länder sind gegen die Nutzung dieser Pipeline. Dies führt zur Zerstörung des gesamten Investitionsklimas. Europa und Deutschland brauchen erhebliche Gaslieferungen. Jetzt gibt es nur eine Route, durch die Ukraine, und wir müssen die Routen diversifizieren.

Da ich Deutscher bin, weiß ich, dass das Transportsystem in Deutschland sehr zuverlässig ist und wir erwarten nicht, dass es zu einer Unterbrechung der Lieferungen von Deutschland nach Österreich kommen wird.

Simmons: Aber wird nach der Inbetriebnahme von Nord-Stream 2 die Gaspipeline durch die Ukraine noch benötigt?

Lundmark (Anm. d. Übersetzers: CEO des größten skandinavischen Energieversorgers Fortum): Diese beiden Dinge schließen sich nicht gegenseitig aus. Ich stimme dem zu, was Herr Seele gesagt hat. Ich möchte hinzufügen, dass die eigene Gasförderung in Europa um mindestens 50 Milliarden Kubikmeter Gas zurückgeht. 23 Prozent des Stroms wird aus Kohle erzeugt. Europa plant, auf Kohle zu verzichten. Deutschland wird auch die Atomkraftwerke abschalten. Ähnliche Projekte zum Ausstieg aus der Kernenergie werden in Belgien und anderen Ländern diskutiert. Aus kommerzieller Sicht ist daher völlig klar, dass dieses Projekt notwendig ist.

Der LNG-Markt (Anm. d. Übers.: LNG ist Flüssig-Gas, das mit Tankern angeliefert wird) ist derzeit liquide, es gibt erhebliche Kapazitäten zur Entwicklung von Terminals in Europa. Gasproduzenten können frei auf dem Markt konkurrieren. Wir verstehen und unterstützen diese Logik voll und ganz.

Simmons: Aber Dänemark stimmt Ihnen nicht ganz zu.

Lundmark: Das ist ein rein politisches Thema, über das ich nicht einmal sprechen möchte. Für uns ist es ein rein kommerzielles Projekt, Punkt.

Simmons: Okay, lassen Sie uns zu den Fragen an einen politischen Führer übergehen, der unter uns ist. Herr Präsident, der Vertrag über Gaslieferungen durch die Ukraine läuft am 31. Dezember aus. Die Verhandlungen laufen, ist eine Verlängerung dieses Vertrags geplant oder nicht?

Putin: Wir waren schon lange zu Verhandlungen mit den ukrainischen Partnern bereit, aber sie sich konnten nicht entschließen, konnten nicht die notwendigen Behörden benennen, die befugt gewesen wären, solche Verhandlungen zu führen.

Es gibt mehrere Optionen für die Situation. Erstens: Ich möchte bestätigen, was die Kollegen gerade gesagt haben: Nord-Stream 2 ist kein politisches Projekt, sondern ein rein wirtschaftliches Projekt.

Zweitens: Leider waren die Vereinigten Staaten immer gegen unsere Zusammenarbeit mit Europa im Energiebereich. Als wir in den 1960er Jahren gemeinsam mit Deutschland das berühmte Projekt „Pipelines gegen Gas“ realisiert haben, wurden die ersten Energierouten von der Sowjetunion nach Deutschland gebaut. Schon damals, in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, versuchten die Vereinigten Staaten, dieses Projekt zu verhindern.

Uns gegenüber sitzt der ehemalige deutsche Bundeskanzler, Herr Schröder. Er weiß, dass beim Bau der ersten Pipeline, dem ersten „North Stream“, alles genauso war, wie jetzt. Die Vereinigten Staaten waren kategorisch dagegen, haben alle Kräfte in Europa und in Deutschland selbst mobilisiert, auf dass dieses Projekt nicht umgesetzt werden könnte. Aber wir haben es geschafft und jetzt sind alle froh, dass es so zuverlässig funktioniert. Es ist schwer vorstellbar, was jetzt wäre, wenn diese Pipeline nicht da wäre. Europa hätte ein Defizit an Gas, was an dem Rückgang der Gasförderung in den traditionellen Förderländern in Europa liegt: Großbritannien und die Niederlande, bei ihnen gehen die Fördermengen zurück. Und keine Lieferungen aus den USA könnten das ausgleichen. Jetzt passiert das gleiche mit Nord-Stream 2.

Sie sprachen über Dänemark. Dänemark ist ein kleines Land, das unter großem Druck steht. Es liegt an ihnen, ob sie ihre Unabhängigkeit zeigen können und werden, ob sie zeigen, ob sie souverän sind, oder nicht. Wenn nicht, gibt es andere Routen. Es wird teurer und es wird ein wenig länger dauern. Aber ich denke, das Projekt wird trotzdem umgesetzt.

Schließlich zu den Abkommen über Gas-Transit durch die Ukraine. Auch der Transit sollte für alle Beteiligten wirtschaftlich sein. Es gibt dort Schwierigkeiten. Die Ukraine versucht, die Energiegesetzgebung Europas zu übernehmen. Wenn sie das vor Ende des Jahres umsetzen kann, werden wir – was ich jetzt sage, ist wichtig, es wird wohl zum ersten Mal öffentlich gesagt – bereit sein, im Rahmen der europäischen Gesetzgebung zu arbeiten. Und wir werden ein Transitabkommen mit der Ukraine in Übereinstimmung mit europäischem Recht unterzeichnen. Wenn es der Ukraine nicht bis Jahresende gelingt – das ist sehr gut möglich -, denn es stehen dem gesetzliche und politische Fragen in der Ukraine entgegen, die sie lösen müssen und das wird nicht einfach, dann sind wir bereit, den bestehenden Vertrag für den Transit um eine Weile zu verlängern, sagen wir, um ein Jahr.

Simmons: Also werfen Sie den USA vor, die Macht des Dollars zu nutzen, um ihn als politischen Hebel einzusetzen und die USA wiederum werfen Russland vor, seine Dominanz beim Gas als Hebel für politischen Einfluss in Europa einzusetzen?

Putin: Jeder hat anderen mal etwas vorgeworfen. In diesem Fall sprechen wir nicht über den Dollar als eine Art Waffe, die die USA bei diesem Projekt anwenden. Nein, wir sprechen von politischem Druck. Das ist absolut offensichtlich. Es gibt Dinge, die ich nicht öffentlich sagen möchte, um weder unsere amerikanischen noch unsere europäischen Partner in Verlegenheit zu bringen. Dies ist ein absolut unverhohlener Versuch, sich in innereuropäische Angelegenheiten einzumischen. Wie kann ein Dritter anderen sagen, was für sie vorteilhaft oder unrentabel ist? Oder, obwohl sie wissen, dass unser Gas 25 Prozent billiger ist, als das amerikanische, sagen: „Nein, kauft trotzdem unser Gas, weil wir euch beschützen.“ Was ist dann der nächste Schritt der Europäer? Hören Sie Macron zu. Er hat gesagt: „Ihr müsst uns nicht beschützen. Wir werden ein eigenes Sicherheitssystem schaffen.“ Das ist es, wozu das führt: zur Zerstörung der euro-atlantischen Solidarität. Das ist das Ergebnis. Wollen die Vereinigten Staaten das? Nein, ich glaube nicht. Was ist das also? Es ist ein Fehler unserer amerikanischen Partner. Der Einsatz politischer Instrumente in der Wirtschaft, insbesondere im weltweiten Energiesektor, ist äußerst gefährlich und schädlich.

Was den Dollar betrifft, so ist das ein anderes Thema. Wir sehen Versuche, den Dollar als politische Waffe zu benutzen. Ich denke, das ist ein weiterer sehr großer Fehler. Schließlich genoss der Dollar viel Vertrauen auf der ganzen Welt. Es war fast die einzige universelle Weltwährung. Aus irgendeinem Grund begannen die Vereinigten Staaten, Bezahlungen in Dollar als Werkzeug im politischen Kampf zu verwenden und haben Ländern Beschränkungen für die Verwendung des Dollars auferlegt. Mit ihren eigenen Händen sägen sie an dem Ast, auf dem sie sitzen und bald werden sie abstürzen. Schauen Sie, das sind nicht meine Daten, das sind Daten internationaler Organisationen: Die Gold- und Devisenreserven in Dollar der Welt gehen zurück, der Dollar schrumpft als Reservewährung in vielen Ländern der Welt, auch bei den Verbündeten der Vereinigten Staaten. Und auch Abrechnungen in Dollar im Welthandel gehen zurück. Es waren mal über 50 Prozent, jetzt sind es 45. Der Absturz läuft schon.

Gut, jetzt begrenzen sie den Iran bei der Verwendung des Dollar, Russland legen sie Beschränkungen auf. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit des Dollar, wie kann man das nicht verstehen? Sie zerstören den Dollar mit ihren eigenen Händen. Übrigens haben wir uns nie die Aufgabe gestellt, dem Dollar als Zahlungsmittel zu entfliehen. Wir sind gezwungen worden, darüber nachzudenken, wie wir uns schützen können. Wir müssen unsere Abrechnungen im Handel diversifizieren. Zwischen den Ländern der Eurasischen Wirtschaftsunion werden bereits 72 Prozent der Abrechnungen in Rubel durchgeführt und viele andere Länder denken jetzt auch darüber nach und gehen zu Abrechnungen in nationalen Währungen über. Warum musste dem Dollar das angetan werden? Es hängt vom Emittentenland ab. Ich denke, dass ein Umdenken in den herrschenden Kreisen der Vereinigten Staaten notwendigerweise kommen muss.

Ende der Übersetzung


Wenn Sie sich dafür interessieren, wie Russland auf die Fragen der internationalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und ungekürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. Über das Thema Sanktionen und ihre Folgen über den Dollar spricht Putin schon seit vielen Jahren, wie man in dem Buch nachlesen kann und wer die Entwicklungen im internationalen Handel verfolgt, stellt fest, dass Putins Prognosen dazu bisher eingetroffen sind.

https://anti-spiegel.com/2019/was-sagt-putin-selbst-zu-den-fragen-der-interbationalen-politk-hier-kommt-er-zu-wort/
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Eine Antwort

  1. Jeder sieht mit offenen Augen, wie langwierig und widrig das Umdenken in Washington D.C. erfolgt. Die Bundesregierung der BRD setzt Allem noch die Krone auf, indem sie zusätzlich über die russische Regierung dummes Zeug verbreitet, die seit 2000 eine Trendwende vollzogen hat.

    Die Umerziehung sitzt so tief, dass ich kürzlich entschieden habe, mich nur noch auf eine osteuropäische, vorzugsweise russische Frau, einzulassen. Meine Ehe seit 1975 ist am Feminismus gescheitert und alle weiteren Versuche ab 1997, mit einer deutschen oder polnischen Frau ebenfalls. Meine Eltern stammen aus Ostpreußen, frühere Vorfahren auch aus Russland. Ich verstehe, warum etliche Russlanddeutsche wieder nach Russland zurückgehen. Wäre ich mit einer Russin verheiratet, wäre das für mich auch eine Option.

    Wer wirklich verstehen will, was in Europa geschehen ist, muss rund 2000 Jahre zurückgehen! Die Ursachen der Umerziehung reichen rund 2000 Jahre zurück: Römische Soldaten, römische Katholiken, Protestanten, Demokraten, Bolschewiken. Das meiste Wissen unserer Kultur, die wir vor 2000 Jahren noch hatten, ist ausgelöscht!
    http://www.GeorgKausch.de

    In einem Artikel über Russland, in dem ich Larissa Tschikin aus Kasachstan zu Wort kommen lasse, die in Deutschland lebt, versuche ich, die aktuellen Erscheinungen zu greifen:
    http://www.DZiG.de/Russland

    Leider erfasst nur eine kleine Minderheit, was mich bewegt!

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