Kurioses zum Wochenende: Das russische Fernsehen über Ergebnisse der Wahlen in Russland

In Russland war vor zwei Wochen der nationale Wahltag, an dem hunderte Bürgermeister, Regionalparlamente und Gouverneure gewählt wurden. In einigen Städten waren die Ergebnisse jedoch sehr überraschend.

Ich übersetze hier einen Bericht es russischen Fernsehens, bei dem man dem Moderator seine Verwunderung über das, was er da zu melden hatte, wirklich ansehen konnte.

Beginn der Übersetzung:

Die Wahlsiege der Putzfrau und des Busfahrers: Protestwahlen führten in einigen Regionen zum Erfolg von Zufallskandidaten

Bei den Wahlen gibt es nur zwei Kandidaten. Der amtierende Chef trat an und er konnte seine Sekretärin oder seinen Fahrer nominieren. Er entschied sich für die Putzfrau. Er schien den Sieg in der Tasche zu haben. Aber dann kam die Überraschung. Die Putzfrau gewann die Wahl in einem der Bezirke der Region Kostroma. Was jetzt zu tun ist, weiß keiner.

6.500 Menschen, sieben Kommunen – das alles regiert nun ein Busfahrer. Die erstaunliche Erfolgsgeschichte aus der Region Kostroma macht landesweit Schlagzeilen. Es geht um den Bezirk Susanninsky.

Da wurde Sergei Davydenko zum Leiter der Verwaltung gewählt, ein 50-jähriger Busfahrer. Er erhielt 53 Prozent der Stimmen – und besiegte damit ganz selbstbewusst den bisherigen, langjährigen Gemeindevorsitzenden Sergej Schurawlow.

Das heißt, ein Kandidat ohne jede organisatorische oder politische Erfahrung hat einen professionellen Beamten besiegt. Man könnte denken, das wäre einmalig. Aber nicht in der Region Kostroma, wo es, wie sich herausstellte, noch einen anderen – fast identischen – Fall gibt.

Es geht um den Bezirk Chukkhlomsky, ein landwirtschaftlich geprägter Ort. Dort ist Marina Ugdodskaya die Wahlsiegerin. Sie ist die Putzfrau im Gebäudes der lokalen Verwaltung, die ihren erfahrenen Vorgänger Nikolai Loktev von seinem Sitz verdrängt hat.

Obwohl sie selbst sagt, sie habe „keine Ahnung, was ihre Aufgaben sein werden und noch nie mit Dokumenten gearbeitet.“

„Ich kann nichts dafür, es war seine Idee!“ Das ist die Erklärung für den unglaublichen Sieg aus dem Munde des politischen Aschenputtels. Fünf Jahre lang hat sie die Böden im Verwaltungsgebäude gewaschen, jetzt ist es an der Zeit, in der Gegend für Ordnung zu sorgen. Und ganz Russland unterstützt Marina Udgodskaya in sozialen Netzwerken:

„Du hast im Chefbüro für Ordnung gesorgt, jetzt sorgst Du im Ort für Ordnung!“

„Du hast auf Knien Geld verdient, da kommst Du auch mit Papieren klar. Und die Menschen haben Dich mit Hoffnung gewählt. Los, Schatz. Du kriegst das hin!“

„Der soziale Lift in Aktion!“

„Glaub an Dich selbst, Mariechen, vorwärts!“

Die Geschichte begann ganz normal. Bei den Wahlen gab es keinen Menschen, der bereit war, die Last der Regierung zu schultern. Allerdings verlangte das Gesetz vom Chef Nikolai Loktev einen Gegenkandidaten. Also bat er die Putzfrau, als technische Kandidatin anzutreten, die Putzfrau Marina Udgodskaya sollte die formelle Rivalin werden, die Putzfrau Marina Udgodskaya, sie war auch Teilzeit-Stellvertreterin in der örtlichen Dorfversammlung. Aber die Bewohner haben anders entschieden.

„Es waren nur zwei Kandidaten. Der Chef tritt an, er hätte die Sekretärin oder den Fahrer nominieren können. Er entschied sich für die Putzfrau. Seine Beliebtheit war so gering, dass es den Leuten egal war, sie hätten für jeden Kandidaten gestimmt, nur nicht für Vorsitzenden“, erklärt Alexander Malkevich, erster stellvertretender Vorsitzender der Kommission der Öffentlichen Kammer der Russischen Föderation für Medien und Massenkommunikation.

Dieses politische Wunder fand in einem kleinem Dorf in der Region Kostroma statt. Man findet es kaum auf der Landkarte. Und die Putzfrau Marina schuf gegen den eigenen Willen eine Revolution dem Dorf, wo es keine Proteste, Kundgebungen und Skandale gegeben hat. Der Grund war, dass Loktev zu lange auf seinem Platz gesessen hat.

„Jedes Regierungsamt belohnt dich sofort mit einer gewissen negativen Aura. Du warst ein guter Mann, aber am nächsten Tag schon nicht mehr. Du bist an der Macht, jetzt bist du einer von denen. Und irgendwann denken sich die Wähler, man müsste etwas ändern und probieren etwas Neues aus“, sagt Alena August, eine Politische Technologin.

Nachdem Marina fast doppelt so viele Stimmen bekommen hat, wie ihr Chef, übernahm sie eine schwere Last. Dreißig fast verlassene Siedlungen und ein Gebiet, in dem nicht mehr als fünfhundert Menschen leben. Mit all den Problemen, die so eine depressive Region eben hat. Die Wahlsiegerin gab sofort zu, dass sie noch nicht weiß, was sie mit all dem machen soll.

„Es ist eine Situation, in der im Grunde niemand regieren will. Und warum? Weil es dort nur sehr wenige Menschen gibt. Es gibt sehr wenig Wirtschaft. Es gibt nichts zu stehlen oder zu korrumpieren. Es gibt nichts, womit man Geld verdienen kann. Das ist die Tragödie der traditionellen zentralrussischen Regionen“, sagte Sergej Markow, ein Politologe.

Marina hat eine ganz normale Biographie. Sie ist Mutter von zwei Kindern, hat eine pädagogische Ausbildung als Kindergärtnerin. Weder sie noch ihr Kollege, der auch seine Wahl gewonnen hat, der Busfahrer Sergej Davydenko, haben von einer solchen Karriere geträumt. Ob der ehemalige Busfahrer und die „technische Angestellte“ für Ordnung sorgen können, ist noch die große Frage.

„Wie Lao Tzu sagte, ist die Frage der Organisation von 10 oder 10.000 Menschen ungefähr die gleiche. Daher, wenn sie Talent haben, ist es durchaus möglich, es zu lernen. Man kann auch bei der Arbeit lernen“, sagt Aleksey Kolba, Professor an der Staatsuniversität der Stadt Kuban.

Zuerst wollte Marina vor Schreck die Wahl ablehnen und den Posten nicht antreten. Aber dann hätte sie nach dem Gesetz die Kosten der Wahl erstatten müssen. Nach Angaben der Dorfbewohner denkt sie jetzt nach, was sie tun soll. Das Gehalt wäre jedenfalls dreimal so hoch, wie ihr bisheriges. Aber wenn sie die Wahl annimmt, muss sie sofort ein dringendes Problem lösen: Wer wird ihren Platz als Putzfrau einnehmen? Es ist unwahrscheinlich, dass ihr ehemaliger Chef mit ihr tauschen will. Aber nach dem Gesetz kann sie beide Positionen in Personalunion ausüben.

Ende der Übersetzung

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

11 Antworten

  1. Ich finde es gut, dass so etwas möglich ist. Eine Mutter von 2 Kindern ist auch „Managerin“ – zwar für eine kleinere Einheit, eine Familie. Aber wer eine Familie managen kann, kann auch eine größere Gemeinschaft managen. Vor allen Dingen, in der Familie muss man improvisieren, das was Politiker, die länger im Amt sind, leider nicht mehr können. Politiker, die zu lange im Amt sind, verlieren den Bezug zur Basis!

  2. Man kann darüber schmunzeln, aber es ist eben ein Ausdruck gelebter Demokratie. Den Alten wollte man eben nicht mehr.
    Vielleicht gelingt es der Frau ja den Menschen klar zu machen das Moskau nicht jedes Problem vor Ort lösen kann sondern Moskau allen Falls Unterstützung leisten kann.

    Sie hat natürlich ein schwieriges Gebiet nichts hindert aber die Menschen daran gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten. Manchmal ist Pragmatismus vielversprechender als Politik.

    Ich wünsche der Frau jedenfalls viel Erfolg in ihrer neuen Position und Menschen die ihr unvoreingenommen zur Seite stehen.

    1. bleibtmirvomleib: „Sie hat natürlich ein schwieriges Gebiet nichts hindert aber die Menschen daran gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten. Manchmal ist Pragmatismus vielversprechender als Politik.“

      Wie es sich im Artikel anhört ist es eine Region, in der sowieso nicht viel los ist und ich kann mir vorstellen, dass sich die Menschen dort mit einer gewissen Depression so gut wie möglich eingerichtet haben. Ich wollte selber mal in einer kleinen, verlassenen Gemeinde in Meck-Pomm für das Amt des Bürgermeisters kandidieren und habe im Vorfeld mit vielen Menschen gesprochen. Dabei habe ich schon die Lust verloren. Der Frau Bürgermeisterin wünsche ich natürlich auch viel Erfolg. ?

      1. Jupp MeckPom war schon zu DDR Zeiten so, aber das bedeutet ja nicht das sie nichts wollen außer vielleicht einfach in Ruhe gelassen zu werden.
        Die Menschen wirken manchmal wie Amische oder Mennoiten, aber jeder wie er mag. Muss ja nicht durch jedes Dorf ein Highway gehen. 🙂

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