Wachstum BIP 4%, Staatsschulden 26% – Warum bricht die türkische Lira zusammen?
Die Schlagzeilen zur Türkei werden diese Woche noch dramatischer ausfallen als letzte Woche. Die Währung verfällt und es wird von einer Wirtschaftskrise berichtet. Jedoch kann davon eigentlich nicht die Rede sein, noch in 2017 war die türkische Wirtschaft die am schnellsten wachsende der Welt. Und auch in diesem Jahr wächst die Wirtschaft in der Türkei bisher stark.
Die türkische Wirtschaft wuchs um über 7% in 2017 und die Prognosen für 2018 gehen von 4% aus. Eigentlich müsste man von einem Boom sprechen. Trotzdem wird in den Medien von einer Wirtschaftskrise gesprochen. In Wahrheit muss man wohl von einer Währungskrise sprechen, denn die Inflation steigt und der Wert der Währung fällt. Nur wie kommt das, wenn die Kennzahlen so gut sind?
Dies ist eigentlich eine merkwürdige Situation: Die Wirtschaft boomt, die Währung bricht zusammen. Ökonomisch kaum erklärbar. Die türkische Regierung spricht daher auch von einem Wirtschaftskrieg der USA, die die türkische Lira angreifen würde. Ich kann das derzeit nicht beurteilen, aber es ist zumindest möglich oder sogar wahrscheinlich.
Es geht ja darum, dass die USA den widerspenstigen Erdogan unter Kontrolle bekommen oder am besten gleich abservieren wollen. Die Konflikte zwischen der Türkei und den USA beherrschten in den letzten Tagen die Schlagzeilen und Trump hat mit neuen Zöllen gegen die Türkei noch kräftig Öl ins Feuer gegossen und den Absturz der Lira beschleunigt. Das ist auf jeden Fall als Angriff auf die türkische Währung zu werten und Trump hat sich über den Effekt ja auch in Tweets gefreut.
Das ist kein übliches Verhalten zwischen Verbündeten. Und die Türkei und die USA sind immer noch Verbündete in der Nato und die Türkei ist ein strategisch wichtiges Land für die Nato und die USA. Zu den Hintergründen des Konfliktes finden Sie hier mehr Details.
Nun schreibt der Spiegel: „Die Türkische Lira hat massiv an Wert verloren, die hohe Inflation macht das Leben für Verbraucher in der Türkei immer teurer. Beobachter bringen bereits eine Intervention des Internationalen Währungsfonds (IWF) ins Spiel. Doch Präsident Recep Tayyip Erdogan lehnt das ab.“
Interessant, dass der Spiegel diese „Beobachter“ nicht namentlich nennt. Erdogan lehnte dies umgehend ab, wie der weiter Spiegel schreibt: „„Wir wissen sehr gut, dass die, die uns ein Geschäft mit dem IWF vorschlagen, uns eigentlich vorschlagen, die politische Unabhängigkeit unsere Landes aufzugeben“, sagte er in der Stadt Trabzon.“ Und weiter: „Zugleich griff Erdogan die USA wieder heftig an. „Ihr versucht, 81 Millionen Türken für einen Pastor zu opfern“, sagte er – ohne die USA direkt zu erwähnen. „Aber wir haben euren Plot durchschaut und wir fordern euch heraus.“ Was die USA mit Provokation nicht erreicht hätten, versuchten sie nun mit Geldpolitik zu erreichen, sagte Erdogan. Es sei „ganz klar ein Wirtschaftskrieg“.“
Aber was würde ein Eingreifen des IWF bringen? Der IWF stellt immer strenge Bedingungen für seine Hilfe. Es geht dann darum, dass es Privatisierungen geben muss, von denen in der Regel große internationale Konzerne profitieren, aber nicht die Menschen in einem Land. Und die Türkei steht, was die Kennzahlen angeht, sehr gut da. Die Staatsverschuldung der Türkei betrug 2016 nur 26% des BIP, in Deutschland sind es um die 60%.
Die Türkei hat seit 2000 ein Wachstum von teilweise 10% pro Jahr hingelegt, wobei es allerdings 2001 und 2009 auch mit jeweils ca minus 5% Einbrüche beim Wachstum gab. Aber insgesamt ist die Türkei stark gewachsen. Es gab im letzten Jahr zwar auch Zweifel an den offiziellen Zahlen und es wird berichtet, dass die Banken dort Probleme haben. Aber trotzdem erklärt dies den plötzlichen Zusammenbruch der Lira nicht vollständig, denn selbst wenn es so ist, sind die grundsätzlichen Kennzahlen immer noch gut genug.
Die Zentralbank wird von westlichen Experten aufgefordert, die Zinsen zu erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen. Erdogan lehnt dies ab, weil er Schäden für das Wirtschaftswachstum befürchtet. Allerdings dürften Zins-technische Maßnahmen der Zentralbank bei einem so massiven Einbruch der Währung verpuffen, das plötzliche Zusammenbrechen der Lira in den letzten Tagen sieht eher nach einem Angriff von Spekulanten aus, als wie die Folge zu niedriger Zinsen. Man sollte also mal in den Finanznachrichten stöbern, ob man Hinweise auf verstärkte Wetten gegen die Lira finden kann.
Für die Zukunft könnte es mit einer stark abgewerteten Lira aber harte Zeiten geben, da sich in der Türkei viele Firmen und Privatleute mit vermeintlich billigen Krediten in Dollar oder Euro verschuldet haben. Diese Kredite dürften zu einem Großteil in Not geraten. Mit negativen Folgen für die Wirtschaft. Aber dies wird erst eine Folge des Zusammenbruchs der Lira sein, nicht der Grund für den Zusammenbruch.
Warum sollte also ein Land, das eine boomende Wirtschaft und eine sehr geringe Staatsverschuldung hat, den IWF um Hilfe bitten? Und wieder die Frage, warum stürzt bei einem solchen Land plötzlich die Währung ab? Dass es sich dabei durchaus um einen Angriff handeln kann, scheint bei diesen Kennzahlen zumindest möglich.
Der IWF wird übrigens von den USA kontrolliert, sie haben den mit Abstand größten Stimmrechte und zusammen mit ihren Verbündeten können sie alles im IWF beschließen, was sie möchten.
Der IWF stellt also sehr strenge Bedingungen, wenn er irgendwo hilft. Auch politische. Und hier schließt sich der Kreis, denn der IWF wird von den USA und ihren Verbündeten kontrolliert. Es ist also absehbar, dass Hilfen des IWF in jedem Fall auch indirekt daran gekoppelt sein werden, dass Erdogan bei dem Konflikt mit den USA klein beigeben muss.
Wenn man also der türkischen Sicht folgt, für die trotz wahrscheinlicher Probleme im türkischen Bankensektor einiges spricht, dann hat die US-Wallstreet einen Angriff auf die türkische Währung begonnen und der US kontrollierte IWF steht bereit, ein Problem lösen, dass die US kontrollierte Wallstreet geschaffen hat. Aber Hilfe nur dann, wenn Erdogan den Forderungen des IWF und damit letztlich der USA nachkommt.
Aber was hat das Eingreifen des IWF eigentlich in Griechenland bewirkt? Hat Erdogan Gründe, Hilfe des IWF abzulehnen? In den Medien wird der IWF ja immer als Helfer in der Not dargestellt, der in Not geratene Staaten rettet.
Als im Jahr 2011 die griechische „Staatsschuldenkrise“ ausbrach, hat Griechenland nur für die Zinsen seiner Schulden pro Jahr über 15 Mrd. Euro bezahlt, Tilgung noch nicht eingerechnet. Das Defizit betrug 21 Mrd.
Hätte man Griechenland damals einfach pleite gehen lassen, hätte es diese Zinsen und Tilgung nicht mehr zahlen müssen, sein Defizit wäre also recht gering gewesen. Da Griechenland natürlich dann nicht mehr kreditwürdig gewesen wäre, hätte es auch kein Staatsdefizit haben können, da niemand mehr Kredit gegeben hätte. Griechenland hätte also Einsparungen vornehmen müssen. Das allerdings forderten die neuen Kreditnehmer von IWF und Troika ohnehin und zwar in einem viel größeren Umfang, als die wenigen Milliarden, die im Falle der Pleite als Defizit übrig geblieben wären. Denn nochmal: Im Falle der Staatspleite hätte es zwar keine neuen Kredite mehr gegeben, aber die Kosten für die alten Kredite wären auch weg gewesen.
Natürlich hätte das Turbulenzen gegeben, natürlich wären einige griechische Banken pleite gegangen. Aber diese Probleme wären wahrscheinlich lösbar gewesen. Und die EU hätte hunderte Milliarden an Steuergeldern gespart, die in sogenannte „Griechenlandrettung“ geflossen sind, wobei Griechenland selbst fast nichts von dem Geld bekommen hat, es ging komplett an die Gläubiger, also die Banken. Aber heute, nachdem das Land seit 7 Jahren die Bedingungen des IWF erfüllen muss, steht Griechenland mitten in einer viel größeren Katastrophe: Ein Sparpaket nach dem anderen, Renten und Löhne um mindestens 30% gekürzt, Arbeitslosigkeit explodiert und Gesundheitssystem implodiert. All dies wäre bei einer Pleite Griechenlands nicht geschehen, das Land hätte nach einigen Turbulenzen 2012 quasi bei Null wieder anfangen können, nur eben ohne neue Schulden machen zu können.
Übrigens betrafen alle Sparpakete den sozialen Bereich, Griechenland ist ein Land, dass ganz oben steht bei der Höhe der Ausgaben für das Militär und während überall im griechischen Haushalt gespart werden musste, wurde der Rüstungsetat nicht angerührt. Der IWF wird nichts fordern, was der Rüstungsindustrie schaden könnte. Dafür aber Privatisierungen. Und zwar ganz schnell. Und es ist bekannt, wenn jemand (hier der griechische Staat) etwas schnell verkaufen muss, ist er in einer schlechten Verhandlungsposition was den Preis angeht. Und so wurden Filetstücke wie Häfen oder Flughäfen, die satte Gewinne machten, verschleudert. Aber diese Gewinne flossen vorher an den griechischen Staat und diese Einnahmen fehlen nun natürlich. Dafür konnten Großkonzerne sich rentable Objekte sehr billig einverleiben.
Es wird interessant, abzuwarten, wie sich die Dinge rund um die Türkei in den nächsten Tagen und Wochen entwickeln.
Hintergründe zu Erdogans Politik und vor allem zu der Frage, warum er sich so eng an Russland anlehnt, finden Sie hier.
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