Gemeinsame Interessen bei Merkel und Putin? – Was brachte der Besuch von Putin?

Am Samstag gab es ein Treffen von Merkel und Putin in Deutschland, die Erwartungen waren nicht hoch, eine gemeinsame Pressekonferenz war nicht geplant, Verlautbarungen über die Gespräche gab es – mit Ankündigung – keine. Das ist recht ungewöhnlich, daher sage ich deutlich, dass ich jetzt einmal Kaffesatzleserei betreiben möchte, wobei ich die unterschiedliche Berichterstattung in Russland und in Deutschland vergleichen werde, denn ein paar Rückschlüsse sind möglich.
Die Berichterstattung in Deutschland ist bekannt. Die Medien berichteten über das Treffen und teilten nur die offiziellen Verlautbarungen mit. Es sollte um Syrien, die Ukraine und Nord Stream 2 gehen. In der Tagesthemen war dem Treffen ein drei minütiger Beitrag gewidmet, der auch nicht mehr mitteilte.
In den russischen Medien spielte das Treffen eine weit wichtigere Rolle. Der Beitrag in der Abendnachrichtensendung Vesti war immerhin 14 Minuten lang. Allerdings brachte auch er keine wirklich zusätzlichen Informationen, sondern enthielt einige Korrespondentenberichte aus Deutschland.
Warum also so ein Treffen und was kann man aus den vor dem Treffen vor der Presse getätigten Statements der beiden interpretieren? Zumal keine Fragen zugelassen waren. Bevor es darum geht, will ich sagen, was mir am meisten auffiel: Bei früheren Treffen hat Merkel Putin gerne öffentlich kritisiert. Der Höhepunkt war, als sie 2015 ausgerechnet am Rande der Feiern zum Ende des 2. Weltkrieges Putin auf einer Pressekonferenz in Moskau Putin eine „verbrecherische“ Politik in Sachen Krim vorwarf. Dies war sicherlich dem Anlass, nämlich dem Gedenken an 25 Millionen durch Deutsche getötete Russen im 2. Weltkrieg, nicht angemessen. Aber auch ohne diesen Anlass war es eine einmalige diplomatische Beleidigung, dass ein Staatsgast dem Gastgeber auf der öffentlichen Pressekonferenz „Verbrechen“ vorwirft. Mir ist kein vergleichbarer Fall bekannt. Gut, dass Putin Pragmatiker ist, dem zukünftige Chance wichtiger sind, als nachtragendes Erinnern an Vergangenes.
Heute nun keine offene Kritik mehr von Merkel. Offensichtlich hat sich an Merkels Politik gegenüber Russland etwas geändert, sie hat anscheinend verstanden, dass wir Russland zur Lösung der europäischen Probleme brauchen. Beleidigungen wie 2015 sind da kaum hilfreich.
Was sind die Positionen von Merkel und Putin zu den drei am Anfang genannten Punkten Syrien, Ukraine, Nord Stream 2?
Zu Syrien sind die Positionen einfach: Putin möchte von den Europäern Hilfe beim Wiederaufbau Syriens, damit die Flüchtlinge in das Land zurückkehren können. Putin scheint sich der Diskussionen in Deutschland, ob Syrien ein sicheres Land für die Rückkehr der Flüchtlinge ist, sehr bewusst zu sein und schränkte daher ein, es ginge nicht um die nach Europa geflüchteten Syrer, sondern um die Millionen, die in Flüchtlingslagern in der Türkei, Libanon und Jordanien sind. Für diese sei ein schneller Wiederaufbau von Wasser-, Abwasser- und medizinischer Versorgung wichtig, damit sie nach Hause zurückkehren könnten.
Merkel hingegen sprach von Idlib, der letzten Provinz in Syrien, die noch von islamistischen Rebellen kontrolliert wird und wo nun ein Angriff der Syrer mit Unterstützung der Russen zu erwarten ist. Merkel fordert, hier eine „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern.
Wie gesagt ist nicht bekannt ob und worauf man sich geeinigt hat. Wünschenswert wäre es, wenn der Westen auf seine Schützlinge in Idlib einwirken würde, damit sie ihre Waffen niederlegen und so den grausamen Krieg in Syrien beenden. Man kann nicht erwarten, dass Assad nicht nach Idlib marschiert, denn das würde bedeuten, den Islamisten dort eine Atempause für einen erneuten Angriff zu geben. Für Assad und Russland wäre das kaum akzeptabel. Auch europäische Aufbauhilfe für Syrien wäre wünschenswert, um die Flüchtlingskrise in Syrien zu beenden, das wäre wirklich humanitäre Politik. Und man könnte den Europäern ein Engagement schmackhaft machen, indem es an Aufträge für europäische Firmen geknüpft wird.
Beim Thema Ukraine dürfte das Vieraugengespräch einfacher verlaufen sein. Merkel und Putin sind beide als Menschen bekannt, die sich in Themen, in die sie sich eingearbeitet haben, auskennen, oft bis in die Details. Und das Abkommen von Minsk haben Putin und Merkel gemeinsam ausgehandelt, sie dürften die 13 Punkte also beide gut kennen. Und wer diese Punkte kennt, der weiß, dass Kiew gegen 10 der 13 Punkte verstößt.
Und Kiew weigert sich weiterhin standhaft, hier etwas zu ändern. Damit ist eine Lösung des Konfliktes nicht zu erwarten, das Blutvergießen geht währenddessen unbeachtet von den westlichen Medien weiter. Merkel und Putin haben beide, wenn auch aus verschiedenen Gründen, ein Interesse daran, diesen Konflikt zu entschärfen. Daher ist es wenig verwunderlich, dass sich beide einig sind, dass eine UN-Friedenstruppe die Kämpfe vielleicht stoppen kann. Bisher ist Kiew von der Idee wenig begeistert, man wird also abwarten müssen, ob der Westen, von dem Kiew finanziell und wirtschaftliche abhängig ist, hier einig genug sein wird, um den Druck auf Kiew so zu erhöhen, dass es der Friedenstruppe zustimmt. Diese bedeutet zwar keine Lösung des Konfliktes aber vielleicht wenigstens das Ende des Tötens.
Das dritte Thema des Treffens war Nord Stream 2. Hier verbindet Merkel und Putin ein gemeinsames Interesse: Eine stabile Gasversorgung für Europa und ein stabiles Einkommen daraus für Russland. Daher dürfte es nur Differenzen im Detail gegeben haben. Die USA machen großen Druck, um die Pipeline doch noch zu verhindern. Merkel muss den USA also irgendetwas geben, um sie zu beruhigen. Daher fordert Merkel seit einiger Zeit, die Ukraine müsse als Gastransitland erhalten bleiben. Russland hat dies früher abgelehnt, nachdem die Ukraine immer mal wieder für Europa bestimmtes Gas unberechtigt für sich abgezapft hat. Wenn Sie davon zum ersten Mal hören, empfehle ich Ihnen diese Schilderung der Chronologie der Gasversorgung und auch der Konflikte.
Daher ist wohl eine Formel gefunden worden, mit der beide leben können: Merkel fordert, dass weiterhin Gas durch die Ukraine fließt und Putin teilt mit, man hätte nichts dagegen, wenn es wirtschaftlich sinnvoll sei. Mit dieser Formel können beide leben, für die Ukraine bedeutet es jedoch, dass sie ihr Druckmittel verliert. Früher konnte sie, wenn sie mal wieder mit der Bezahlung ihrer Gasrechnung einige Monate im Rückstand war und Russland daher die Lieferung einstellte, einfach Gas abzapfen, dass für Europa bestimmt war. Als Transitland, von dem Lieferant und Abnehmer abhängig waren, hatte sie eine starke Position, um bei den Russen Rabatte herauszuhandeln und sich bei der Bezahlung ihrer Schulden notfalls von Europa helfen zu lassen.
Dies gehört der Geschichte an, denn zukünftig könnte der Transit in einem solchen Fall eingestellt werden und das Gas über die neue Pipeline in der Ostsee nach Europa gelangen. Die Ukraine verliert ihr damit Druckmittel.
Obwohl es bei diesem Thema kaum große Differenzen zwischen Merkel und Putin geben dürfte, ist es noch völlig unklar, wie die USA sich verhalten werden. Denn die USA drohen mit Sanktionen gegen Firmen, die an Nord Stream 2 beteiligt sind. Noch sagt Washington zwar, dass bisher keine Entscheidung gefallen sei, aber vom Tisch ist die Drohung auch nicht.
Und sollten die USA hier Sanktionen ausrufen, von denen dann zwangsläufig auch deutsche und europäische Energieversorger betroffen wären, ist noch nicht wirklich klar, wie Berlin und Moskau reagieren werden. Möglich, dass dies am Samstag vorsorglich ein Thema war.
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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