Warum erweckt der Spiegel den Eindruck, Putin und seine Armee wären unterschiedlicher Meinung?

Am Sonntag gab es Meldungen in den deutschen Medien, die ich nicht wirklich verstehen kann. Und ich frage mich, ob das Inkompetenz und Unwissenheit oder bewusste Falschinformation ist. Es ging mal wieder um das vor einigen Tagen vor der syrischen Küste abgeschossene russische Flugzeug.
 
Ich habe schon vor einigen Tagen zu dem Thema geschrieben. Unstrittig ist folgendes: Israel hat Ziele in Syrien bombardiert und die syrische Flugabwehr hat dabei versehentlich ein russisches Flugzeug abgeschossen. Soweit das, was niemand bestreitet.
 
Die russische Armee hat danach den Israelis vorgeworfen, sie hätten bei dem Angriff das russische Flugzeug zwischen ihre Jets und die syrische Flugabwehr gebracht und es so vorsätzlich in Gefahr gebracht und als Deckung missbraucht. Außerdem gibt es eine Vereinbarung, nach der Israel Russland über bevorstehende Angriffe informiert, damit die Russen die Gefahrenzone verlassen können und es zu keiner direkten Konfrontation kommt. Israel hätte jedoch Russland diesmal nur eine Minute vor dem Angriff informiert und damit hatte das russische Flugzeug keine Möglichkeit mehr, das Gebiet noch zu verlassen. Das russische Militär sprach von einem „feindlichen Akt“ Israels und gab Israel die Schuld an dem Vorfall.
 
Später am gleichen Tag trat Putin vor die Presse und sprach von einer „Verkettung unglücklicher Umstände“, die noch genau untersucht werden müsse. Dies griff die deutsche Presse auf und konstruiert seit dem, dass Putin und sein Militär nicht einer Meinung seien. Was die deutsche Presse dabei nicht berichtet ist, dass Putin sich fast in seinem nächsten Satz hinter das Militär stellte und sagte, dass die offizielle russische Position vom Militär bereits genannt wurde und die Formulierung mit ihm abgestimmt war.
 
Also im Klartext: Auch Putin gibt Israel die Schuld an dem Vorfall.
 
Dass Putin darauf hingewiesen hat, dass dieser Fall anders liegt, als der Fall des von der Türkei abgeschossenen Flugzeuges vor zwei Jahren, ist nicht überraschend. Israel hat das Flugzeug ja tatsächlich nicht selbst abgeschossen, sondern es „nur“ in Gefahr gebracht. Und dazu gibt es nur drei mögliche Szenarien.
 
Erstens Israel hat die Abmachung mit Russland bewusst ignoriert, zweitens die israelische Armee hat gegen ihre Befehle verstoßen, als sie das russische Flugzeug zwischen sich und die Syrer brachte und drittens die Absprachen zwischen Russland und Israel sind den Piloten nicht bekannt gewesen. Und auf diese Frage wird Russland von Israel eine Antwort einfordern.
 
Am Sonntag hat die russische Armee noch mehr Details berichtet. Es wurden die exakten Positionen der Flugzeuge und ihre Bewegungen gezeigt, der Funkverkehr zwischen Russen und Israelis sowie zwischen den Russen und ihrem Flugzeug veröffentlicht und noch eine Menge Details über die Absprache zwischen Russland und Israel, wobei das russische Militär Beispiele zeigte, wie gut die Zusammenarbeit bisher gelaufen war.
 
In der Sache also nichts Neues, nur neue Einzelheiten. Trotzdem schreibt der Spiegel am Sonntag: „Den Abschuss eines russischen Aufklärungsflugzeugs vor Syrien nannte Wladimir Putin ein „Unglück“. Das russische Militär widerspricht seinem Präsidenten – und gibt Israel die Schuld an 15 toten Soldaten.
 
Mir ist beim besten Willen nicht klar, wo der Spiegel den Widerspruch des Militärs gegenüber Putins Aussage ausgemacht haben will. Wie gesagt, Putin hat sich ausdrücklich hinter die Formulierungen seines Armeesprechers gestellt und mitgeteilt, dass dies die russische Position ist. Aber der Spiegel scheibt unbeirrt weiter: „Der Abschuss eines russischen Aufklärungsflugzeugs über Syrien entwickelt sich für Russlands Präsident Wladimir Putin zum Dilemma: Erneut hat das russische Militär der israelischen Luftwaffe die Schuld am Abschuss vor der syrischen Küste gegeben. Das Verhalten der israelischen Piloten sei „unprofessionell oder kriminell fahrlässig“ gewesen, sagte der Armeesprecher Igor Konaschenkow in Moskau.
 
In der Tat hat sich der Sprecher der Armee so ausgedrückt, nur ist das wie gesagt nichts Neues und ein Dilemma kann ich nicht erkennen. Russland wartet auf eine Erklärung der Israelis, wobei ich denke, dass es die schon bekommen hat, allerdings bleiben solche Dinge auch gerne mal geheim. Andererseits kann die aktuelle Pressekonferenz auch ein Hinweis darauf sein, dass Russland mit den Antworten aus Israel bisher nicht zufriedengestellt wurde. Aber jetzt bin ich schon im Bereich der Spekulationen und ich halte mich lieber an die Fakten.
 
Der Spiegel schreibt weiter: „Konaschenkow beklagte zudem eine „Abenteuerlust“ der israelischen Luftwaffe, durch die auch Zivilisten in Gefahr gebracht worden seien.
 
Da der Spiegel hier die Begründung, die Konaschenkow genannt hat, verschweigt, klingt das natürlich übertrieben bis abstrus von dem russischen General. Ist es aber nicht, denn dort wo das russische Flugzeug im Landeanflug war, ist auch der Korridor, wo zivile Passagier- und Frachtflugzeuge in den Landeanflug gehen. Es hätte also auch ein ziviles Flugzeug treffen können. Die Hysterie in den deutschen Medien möchte ich mir gar nicht vorstellen, wenn Syrien aus Versehen nicht ein russisches Militärflugzeug sondern ein europäisches Passagierflugzeug abgeschossen hätte, während Syrien sich gegen Luftangriffe von Israel verteidigt. Und wenn man sich das vor Augen führt, wird auch klar, warum der Armeesprecher sagte: „Das Verhalten der israelischen Piloten sei „unprofessionell oder kriminell fahrlässig“ gewesen
 
Sowohl Russland als auch Israel sind trotz unterschiedlicher Interessen in Syrien an einer guten Zusammenarbeit sehr interessiert. Dafür gibt es auf beiden Seiten viele Gründe. Daher wäre ich sehr überrascht, wenn sich dieser Zwischenfall zu einer echten Krise zwischen Russland und Israel auswachsen sollte anstatt leise hinter den Kulissen aus der Welt geräumt zu werden.
 
Aber Putin hat bislang offen gelassen, wie Russland reagieren wird. Er will offensichtlich Israel die Möglichkeit geben, sich zufriedenstellend zu erklären. Und sei es auch nicht-öffentlich. Aber in Russland wird auch eine gewisse Drohkulisse aufgebaut, wie der Spiegel ebenfalls schreibt: „Der Vorsitzende des Außenausschusses im russischen Parlament, Leonid Sluzki, forderte, politische Kontakte zu Israel sollten ausgesetzt werden. Sein Abgeordnetenkollege Juri Schwytkin verlangte, der Luftraum solle für israelische Flugzeuge geschlossen werden.“
 
Diese Möglichkeiten bestehen natürlich, die russische Luftabwehr ist derzeit die modernste der Welt und Russland hat nur die besten Stücke nach Syrien gebracht, es könnte also jederzeit den Luftraum über Syrien für andere Länder schließen, wenn es das wollte. Stattdessen hat Russland mit Israel und den Nato-Staaten die Abmachungen über gegenseitige Informationen über geplante Flüge über Syrien geschlossen.
 
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass der russische Armeesprecher ausgerechnet die US-Armee ausdrücklich gelobt hat. Mit den USA würden die Abkommen hervorragend funktionieren, wie er sagte.
 
Jedenfalls kann ich beim besten Willen nicht erkennen, wo es einen Widerspruch zwischen Putin und seinem Armeesprecher geben soll. Entweder ist der Spiegel nicht über Putins Aussage, dass er voll hinter den Aussagen seines Armeesprechers steht, informiert oder er will bewusst einen falschen Eindruck erzeugen. Ersteres scheint mir unwahrscheinlich, denn die Aussagen Putins dazu waren kurz und die restlichen Aussagen hat der Spiegel, wenn auch aus dem Zusammenhang gerissen, aber inhaltlich korrekt wiedergegeben.
 
Bleibt die Frage, warum der Spiegel bei den deutschen Lesern den Eindruck erzeugen möchte, es gäbe Unstimmigkeiten zwischen Putin und seinem Armeesprecher. In meinem Beitrag von vor einigen Tagen habe ich auch Putins Aussagen zu dem Vorfall komplett ins Deutsche übersetzt und zitiert, damit sich jeder ein eigenes Bild machen kann.
 
Nachtrag:
 
Inzwischen ist die erste Reaktion der Russen auf den Abschuss des Flugzeuges bekannt. Russland wird Syrien moderne Flugabwehrsysteme vom Typ S300 liefern. Damit wird es für Israel und die Nato gefährlich, sich im syrischen Luftraum zu bewegen, denn die Syrer bekommen nun ein recht modernes System im Gegensatz zu den alten S200 aus dem Kalten Krieg, dass moderne Kampfflugzeugen nicht gefährlich werden kann.
 
Dies bestätigt wohl am besten, dass auch Putin Israel die Schuld gibt. Damit wird, wenn die System erst mal vor Ort sind, der syrische Luftraum für Nato und Israel ein recht gefährliches Gebiet.
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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