Das russische Fernsehen mit einer beeindruckenden Reportage aus Bolivien

Am Sonntag hat das russische Fernsehen in der Sendung „Nachrichten der Woche“ über die Lage in Bolivien berichtet. Dabei ist eine ungewöhliche Reportage aus dem umkämpften Land entstanden.

In der Reportage ist der russische Korrespondent im Zentrum der Unruhen gewesen und es ist eine beeindruckende Reportage entstanden. Ich empfehle, nicht nur den von mir übersetzten Text zu lesen, die Reportage aus Bolivien ist mit meiner Übersetzung auch für Menschen verständlich, die kein Russisch verstehen und die Bilder sind in der Tat beeindruckend.

Beginn der Übersetzung:

Bolivien versinkt zunehmend im Chaos. Nach dem plötzlichen Rücktritt von Präsident Evo Morales eskalierte die Lage. Ja, die liberale Opposition hat endlich die Macht in ihren Händen und bereitet sich auf Neuwahlen vor, aber jetzt sind Anhänger des Ex-Präsidenten, der nach Mexiko geflogen ist, die meisten von ihnen Indianer, die ärmste Schicht des Landes, auf die Straße gegangen. Unter Morales sind viele der Armut entwachsen, aber jetzt fürchtet die indianische Bevölkerung Boliviens, dass die Zeiten der Gesetzlosigkeit, der Demütigungen und des Hungers zurückkehren. Die Polizei setzt derweil auf zügellose Gewalt. Viele Menschen wurden getötet.

Gasgranaten werden in die Menge geschossen. Gepanzerte Fahrzeuge rücken vor. Doch auf den Polizeiangriff gegen die Demonstranten folgt schnell eine Gegenoffensive. Die Polizei setzte Gas ein. Die Demonstranten werfen daraufhin Steine und versuchen einen Durchbruch.

Während der ganzen Woche hat Boliviens neue Regierung versucht, die Kontrolle über die Stadt Sakaba im Departamento Cochabamba zurückzugewinnen. Sie wird vollständig von Morales‘ Anhängern kontrolliert.

Ein Anwohner filmte die Ereignisse vom Dach aus mit seinem Handy, als er von einer Kugel getroffen wurde. Er war sofort tot. Demonstranten schleppen Verwundete und Tote nach Sakaba.

Hier kam es zu den größten Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Alles ist ausgebrannt. Die Demonstranten werden nicht gehen, obwohl die Polizei nur 100-150 Meter entfernt ist.

In Säulen und Wänden sind in Einschusslöcher. Am Ort der Kämpfe liegen Patronenhülsen. In einem der Container sind Löcher aus großkalibrigen Waffen. (Im Beitrag hält der Reporter zum Vergleich eine 9-Millimeter-Hülse neben eines der Einschusslöcher, um zu zeigen, dass der Container von Kugeln wesentlich größeren Kalibers getroffen wurde.)

Sakaba ist nicht die einzige Rebellenbastion. Eine andere Stadt wurde auch von Evo Morales-Anhängern erobert. Es ist ein Vorort von La Paz. Die Stadt ist strategisch wichtig. Eine Verteilerstation liefert das Gas für die Hauptstadt Boliviens. Die Anlage wurde mehrere Tage lang von Demonstranten gehalten. Die Regierung musste dieses strategische Objekt buchstäblich im Kampf erobern. Seitdem ist die Situation extrem aufgeheizt.

Das sind die Patronenhülsen, die die Demonstranten am Ort der Kämpfe im Vorort von La Paz gefunden haben. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Patronen: 5,56 Millimeter, 9 Millimeter, 7,62 Millimeter. Sie verwenden auch große, mit harten Plastikkugeln gefüllte, Granaten.

Trauerprozessionen werden zu Demonstrationen. Von der Brücke hängt eine Puppe mit dem Namen der bolivianischen Übergangspräsidentin. Die Kokabauern stehen auf Morales‘ Seite und stellten ihr ein Ultimatum und forderten sie auf, das Land zu verlassen.

Die Wut der Menschen ist grenzenlos. Bei Zusammenstößen in Sakaba haben Demonstranten einen Polizisten bei Zusammenstößen als Geisel genommen. Als wir erkennen, dass die wütende Menge zu allem bereit ist, versuchen wir, zu ihm zu gelangen. Sein Gesicht ist bereits von den Schlägen der Demonstranten gezeichnet. Die Menge greift ihn an. Wir versuchen, ihn herauszubekommen. Sein Name ist Pablo. Die Demonstranten lassen uns nicht durch. Er wird von verschiedenen Seiten geschlagen.

Der Polizist soll gelyncht werden. Es ist klar, dass die Menge wütend ist, weil die Polizei mit scharfer Munition auf sie schießt. Wir verstehen, dass die einzige Möglichkeit, das Schlimmste zu verhindern, darin besteht, den Polizisten zu interviewen. Währenddessen wird er zumindest nicht geschlagen und er hat die Möglichkeit, sich zu erklären und es besteht die Chance, dass die Menge sich beruhigt.

„Ich hatte Urlaub und ging zur Polizei, um mich zu melden. Ich bin ich ein alter Mann, wovon soll ich leben, wenn ich nicht zur Arbeit gehe? Für Euch junge Leute ist es einfach, einen neuen Job zu finden. Aber ich bin 62 Jahre alt“, sagt der Polizist Pablo.

Während des Interviews suchen wir nach Möglichkeiten, den Ort mit Pablo zu verlassen und ihn herauszubringen. Aber er wird sofort wieder gepackt. Wir werden abgedrängt. Wir versuchen, ihn zu retten. Aber es ist unmöglich. Die Menge hat keinen Chef, niemanden, mit dem verhandeln könnte. Und unser Kamerateam ist machtlos gegen die Menge. Das ist das Schlimmste an der Arbeit eines Journalisten: so etwas zu erleben und nicht helfen zu können. Der Mann ist in großer Gefahr.

Unterdessen beginnt ein neuer Angriff auf Sakaba, auch aus der Luft. Wir kommen kaum durch die – ohne Übertreibung – Frontlinie. Von hier bis zu den Demonstranten sind es nur ein paar Meter. Das Militär hat gepanzerte Fahrzeuge zusammengezogen und bereitet sich auf den Angriff vor.

Dieser Kampf dauert bis spät in die Nacht. Auch zivile Unterstützer der neuen Regierung kamen der Polizei zu Hilfe. Demonstranten im ganzen Land gehen unterdessen zur Gegenoffensive über. Boliviens inoffizielle Hauptstadt La Paz wird belagert. Morales‘ Anhänger lassen keine Lieferungen hinein. In den Geschäften sind die Regale leer. Für Essen stehen die Menschen 5-6 Stunden Schlange. Diese Frau zeigt ihre Nummer, die ihr auf den Arm gemalt wurde, sie ist Nummer 1634 und sie ist bei Weitem nicht die letzte hier. Wer sein Huhn bekommen hat, dem wird die Nummer mit einem schwarzen Kreuz übermalt. Pro Person gibt es nur ein Huhn.

Die Schlange für Benzin beginnt 5-6 Kilometer vor der Tankstelle. Autofahrer verbringen mehrere Stunden darin – ohne Garantie, auch Benzin zu bekommen.

„Wie lange warten Sie schon?“ frage ich einen Autofahrer.

„Seit fünf Uhr.“

Jetzt ist es 13 Uhr, der Mann wartet schon acht Stunden und die Tankstelle ist noch nicht in Sicht.

Während einer der seltenen Kampfpausen in Sakaba machen zeigen wir Polizisten ein Bild von Pablo, vielleicht können sie ihn retten. Da erfahren wir, dass er freigelassen wurde. (Im Beitrag ist zu sehen, wie der Reporter Polizisten das Bild von Pablo zeigt und sie ihm mitteilen, er sei frei. Von dem Reporter, er heißt Stas Natanson, habe ich schon viele Reportagen und Interviews gesehen, aber so emotional habe ich ihn noch nicht gesehen. Als erfährt, dass der Pablo frei ist, kann er die Tränen kaum zurückhalten)

Ende der Übersetzung

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

4 Antworten

  1. Diese Belagerungstaktik ist ein altes und erfolgreiches Mittel des Widerstandes der indigenen Bevölkerung.
    Und es ist zeigt einmal mehr die Folgen der Kolonialzeit.

    Angesichts der neuen Direktive der EU zum Thema Sklavenhandel und Kolonialzeit verwundert die Berichterstattung nicht nur der deutschen Medien.

    Die Besorgnis der Indigenen ist ja nicht unbegründet.

    Der Wahlbetrug, der keiner war, die Verletzung der Verfassung durch den Einsatz des Militärs im Inneren, die permanente US – Einmischung und die Verletzung der Neutralität von Wahlbeobachtern lassen keine andere Bewertung zu – es wurde geputscht.

    https://anti-spiegel.com/2019/die-hintergruende-der-ereignisse-in-bolivien-der-greta-putsch/#comments

    Die schnelle Anerkennung “ Übergangspräsident/in“ scheint das neue Gütesiegel für einen erfolgreichen Putsch zu sein.

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