US-Wahl

Wie das russische Fernsehen über den Wahlkampf-Endspurt der Demokraten berichtet

In Russland beobachten die Medien die US-Wahl sehr genau, weshalb es am Sonntagabend im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens gleich zwei Berichte aus den USA gab: Einen über den Wahlkampf-Endspurt der Demokraten, und einen über den Wahlkampf-Endspurt der Republikaner.

Die US-Wahlen beherrschen die Medien weltweit und auch in Russland sind die anstehenden US-Wahlen eines der wichtigsten Themen in den Medien. Das russische Fernsehen hat daher in seinem wöchentlichen Nachrichtenrückblick zwei Beiträge über die US-Wahl gesendet, einen über den Wahlkampf-Endspurt der Demokraten und einen über den Wahlkampf-Endspurt der Republikaner. Hier übersetze ich den Bericht über den Endspurt der Demokraten.

Beginn der Übersetzung:

Die Amerikaner bereiten sich auf die Nacht nach der Wahl vor: Ruhig wird es nicht

Die US-Präsidentschaftswahlen, die am Dienstag stattfinden werden, haben die gesamte Weltpolitik angehalten.

Die Beziehungen der USA zu China, der EU und Russland sind in der Schwebe. Da die USA der Hauptverursacher und Sponsor des Krieges in der Ukraine zwischen Russland und dem Westen sind, liegt es in der Macht des nächsten amerikanischen Präsidenten, die Realität zu akzeptieren. Es wird keinen Frieden nur zu amerikanischen Bedingungen geben. Auch im Krieg im Nahen Osten hängt viel von Amerika ab.

Aber all das wird auf später verschoben. Jetzt herrscht in Amerika ein echtes Chaos. Harris und Trump fahren pausenlos durch die Swing States, um sich mit Wählern zu treffen. Und sie bewerfen sich gegenseitig mit Dreck.

Für uns gibt es niemanden, dem wir die Daumen drücken können. Also schauen wir so ruhig wie möglich zu. Wer auch immer zum Sieger erklärt wird, die andere Seite wird es nicht akzeptieren und den Gegner des Betrugs beschuldigen. Damit fängt alles an. Ein Vorbote der kommenden Unruhen ist die Rekordzahl wohlhabender Amerikaner, die das Land unmittelbar nach dem Wahltag auf unbestimmte Zeit verlassen wollen. Das Motiv dafür ist Angst. NBC berichtet, dass die Zahl der Amerikaner, die das Land verlassen wollen, im Vergleich zum letzten Jahr um mindestens 30 Prozent gestiegen ist.

Aus den USA berichtet unser Korrespondent.

Die demokratische Kandidatin Kamala Harris wird die wichtigste Nacht ihres Lebens, in der Amerika die Stimmen für den nächsten Präsidenten zählt, in ihrer Howard University in Washington, verbringen, wo sie studiert hat. Harris, die 1986 ihren Abschluss in Politik- und Wirtschaftswissenschaften gemacht hat, hofft wahrscheinlich, dass die Mauern ihrer Alma Mater ihr zum Sieg verhelfen und im Falle eines Scheiterns die Bitterkeit der Niederlage aufhellen werden. Jedenfalls wird im Innenhof der Universität bereits eine Bühne aufgebaut, von der aus Kamala Harris in dieser historischen Nacht vom 5. auf den 6. November zu ihren Anhängern sprechen wird.

Doch vor ihr liegen die letzten und wichtigsten 48 Stunden in diesem verzweifelten Rennen ums Überleben. Die Kandidaten reisen kreuz und quer durch Amerika, um in den sieben Swing States um Unterstützung zu werben. Sie liegen in den Umfragen Kopf an Kopf und treten einander buchstäblich gegenseitig auf die Füße. In North Carolina parkt Vizepräsidentin Harris‘ Airforce Two direkt vor Trumps Flugzeug, denn auch er hält hier eine Wahlkampfveranstaltung ab. Jede Minute zählt und Harris muss vor dem Hintergrund des Jets, auf dem der Name seines Rivalen prangt, von der Gangway zum Auto laufen.

Wisconsin, Atlanta, Georgia, Pennsylvania – die Zeitspirale dreht sich immer enger und die Reden auf den Kundgebungen klingen immer mehr wie Parolen und immer weniger wie Wahrheit. So verspricht Kamala Harris: „Auf meiner To-Do-Liste steht an erster Stelle, die Lebenshaltungskosten für Sie zu senken. Und darauf werde ich mich als Präsidentin jeden Tag konzentrieren. Ich werde die Steuern für hundert Millionen Amerikaner der Mittelklasse senken.“

Dass die Lebenshaltungskosten für die amerikanische Durchschnittsfamilie in der Zeit, in der Harris im Weißen Haus saß, um fast 30.000 Dollar pro Jahr gestiegen sind, ist unwichtig. Der Wahlkampf hat einen Fieberpegel erreicht, der das kritische Denken ausschaltet, wenn nicht nur die Worte, sondern auch die Emotionen wie vom Band kommen. Die Reden von Harris sind immer exakt identisch. Wenn sie beispielsweise fragt, wer schon gewählt hat und sie sich begeistert beim Publikum dafür bedankt, dann kann man einen Auftritt nicht vom anderen unterscheiden, wie man leicht sieht, wenn die Bilder nebeneinander laufen lässt.

Bereits 66 Millionen Wähler haben schon gewählt, das ist ein Drittel aller registrierten Wähler. Und es gibt inmitten des kalten Bürgerkriegs fast keine Unentschlossenen mehr. Dennoch besteht die Chance, dass diese letzten Tage das Blatt wenden könnten. Für Harris, die vor kurzem noch nicht einmal an die Präsidentschaft gedacht hat, ist die Spannung so groß wie noch nie. Sie bricht ins Schreien aus, und auch der Teleprompter kann sie nicht retten. „Wir sind hier, weil wir für die Demokratie kämpfen, für die Demokratie kämpfen. Und wir verstehen den Unterschied, wir verstehen den Unterschied. Wir machen weiter, wir machen weiter, wir verstehen den Unterschied. Was wir wollen, ist der Unterschied bei dieser Wahl. Lasst uns vorwärts gehen“, schreit Harris ihren Unsinn von der Bühne.

Nicht um Präsidentin zu sein, sondern nur um als Präsidentin zu erscheinen, begab sich Harris zur Ellipse in Washington, der großen Rasenfläche vor dem Weißen Haus, von der aus Trump seine Anhänger am 6. Januar 2021 zum Sturm auf das Kapitol geschickt hat. Von diesem symbolträchtigen Ort aus spricht Harris das sogenannte „letzte Argument“ an. Es ist eine Botschaft, die Zehntausende von Anhängern unmissverständlich verstehen, wie einer ihrer Unterstützer uns sagt: „Es war sehr wichtig, sich hier zu versammeln. Der Kontrast zwischen dem 6. Januar hier vor vier Jahren und heute ist unglaublich. Anders als dieser Typ bringt Harris Liebe.“

Und selbst auf den Bildern sieht es so aus, als sei die demokratische Kandidatin die letzte Bastion zwischen dem Weißen Haus und dem absoluten Chaos in Form von Donald Trump. Ein anderer Unterstützer sagt uns: „Wenn es eine Botschaft ist, dann eine gegenteilige. Eine Botschaft der Liebe. Als er hier war, rief er dazu auf, das Capitol zu stürmen. Jetzt ist es das Gegenteil. Wir müssen einfach dieses Fieber in Form von Donald Trump loswerden.“

Aber es gab wenig Liebe in diesem pathosgeladenen Auftritt. In den 30 Minuten erwähnte Harris Trump 24 Mal. Das absolute Böse könnte ins Weiße Haus zurückkehren. Und Harris‘ Rede klingt in die Nacht hinein wie eine Weltuntergangsprophezeiung. „Donald Trump hat vor, die US-Streitkräfte gegen amerikanische Bürger einzusetzen, die einfach nicht seiner Meinung sind. Er ist ein labiler Mann, besessen von Rachedurst und der Gier nach unkontrollierter Macht“, wirft Harris ihrem Rivalen vor.

Harris und die Demokraten versprechen zu vereinen, arbeiten aber daran, zu spalten. Die Hälfte des Landes wird den Sieger dieser Wahl wahrscheinlich nicht als ihren Präsidenten betrachten. Das soziale Drama hat einen Punkt erreicht, an dem sogar Familien bereits gespalten sind, wie uns eine Anhängerin der Demokraten erzählt: „Trumps Präsidentschaft hat meine Familie gespalten. Mehrere Mitglieder unserer Familie sprechen deswegen buchstäblich nicht mehr miteinander. Und das ist eine Art Miniatur dessen, was in unserem Land vor sich geht.“

Während Harris die Menge mit Trump in Angst und Schrecken versetzt, treibt Joe Biden im Weißen Haus einen weiteren Keil in die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. In einer per Video übertragenen Rede vor lateinamerikanischen Menschenrechtsaktivisten reagierte der US-Präsident auf den dummen Witz eines Trump-Anhängers, der Puerto Rico zuvor bei einer Kundgebung in New York als „Müllinsel“ bezeichnet hatte, indem er sagte: „Der einzige Müll, den ich sehe, sind seine Anhänger. Die Dämonisierung von Latinos ist skrupellos und unamerikanisch.“

So ein Fehltritt ihres Chefs auf der Zielgeraden könnte Kamala Harris die Wahl kosten. Und so muss sie sich zum ersten Mal von den Aussagen ihres einst geliebten Vorgesetzten distanzieren. „Lassen Sie es mich klar sagen: Ich bin strikt gegen jede Kritik an Menschen, die darauf basiert, wen sie wählen. Sie haben meine gestrige Rede gehört, und das bestätigt sich in meiner gesamten Karriere. Ich glaube, dass es bei meiner Arbeit darum geht, die Interessen aller Menschen zu vertreten, egal ob sie mich unterstützen oder nicht“, beeilte sich Harris, die Wogen zu glätten.

Das „Problem Joe“, wie man im Stab von Harris die Existenz von Biden nennt, wurde versucht zu lösen, indem man den Amtsinhaber aus dem Wahlkampf ausschloss. Die lahme Ente humpelt allein zu ihrem Finale. Joe erschreckt Kinder, indem er ihnen während des Halloween-Empfangs im Weißen Haus in die Beine beißt. Und er lässt bei Zeremonien Orden fallen und leckt sie dann ab.

Die beiden unterschiedlichen Amerikas – Harris und Trump – sind auch ein geschlechtsspezifischer Kampf. Die weibliche Kandidatin gegen den männlichen Kandidaten. Feminismus gegen Patriarchat. Bei einem Barbesuch mit der Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, spekulierte Harris im Gespräch mit Whitmer in einer Bar darüber, wie sie das starke Geschlecht auf ihre Seite bringen kann. Als sie merkte, dass die Mikrofone der Presse eingeschaltet waren, versuchte sie, den Vorfall wegzulachen.

Die Abtreibungsfrage ist zum zentralen Thema in diesem Krieg der Geschlechter geworden. Und „Amerikas Obersexist“, wie die Demokraten Trump nennen, will die Abtreibungsgesetze den Bundesstaaten überlassen. Harris hingegen verspricht, den Zugang zur Abtreibung auf Bundesebene zu garantieren.

Ein neuer Werbespot drängt amerikanische Frauen zur „Frauenrevolte“ und fordert sie auf, am Wahltag nicht auf ihre Ehemänner zu hören. „Die richtige Wahl ist die Wahl für Harris und Walz, und Sie können Ihren Mann für einen Sieg der Demokraten täuschen“, fordert der Spot von den Frauen.

Diese Ratschläge der Demokraten an Frauen wird trägt Julia Roberts in Talkshows vor, und auch der Rest von Hollywood bearbeitet ihn in vollen Zügen. Whoopi Goldberg befürchtet, dass Trump gemischte Ehen zerstören wird: „Der wird doch nicht sagen ‚Ach, du hast einen weißen Typen, dich schiebe ich nicht ab.‘ Nein, er wird dich abschieben und deinen weißen Typen irgendwem anders geben.“

Mit tränenden Augen wirbt Leonardo DiCaprio auf dem Papier für Harris. Hollywoods größter Trump-Hasser, Robert De Niro, ist dagegen nicht schüchtern in seinen Äußerungen. „Es kotzt mich tierisch an, dass wir hier über ein Stück Scheiße wie Donald Trump reden“, schimpft De Niro.

Alle Trümpfe der Demokraten liegen schon auf dem Tisch, und die große Frage ist, was in der Nacht nach der Wahl passiert. In Erwartung des 5. November wird das Kapitol von einem zusätzlichen Zaun umgeben. Sie werden das Weiße Haus nicht kampflos aufgeben. Am Tag zuvor wurden um das Weiße Haus doppelte Zäune aus Metallgittern und Betonblöcke aufgestellt und die Ladenbesitzer in den angrenzenden Straßen haben ihre Schaufenster mit Sperrholz verkleidet, denn wer auch immer gewinnt, ruhig wird es nicht.

„Ich denke, Kamala wird die Volksabstimmung mit einem Vorsprung von mindestens 5 oder 6 Millionen Stimmen gewinnen. Ich denke, sie wird die Wahlmännerstimmen bekommen, aber ich glaube, Trump wird vor nichts zurückschrecken“, warnt der demokratische Kongressabgeordnete Steve Cohen.

Harris wird ihre letzte Wahlkampfveranstaltung am Montag in Philadelphia abhalten, dem Geburtsort und der ersten Hauptstadt der USA. Das nächste Kapitel seiner Geschichte wird Amerika in zwei Tagen aufschlagen.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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