Ost-West-Konflikt

Teil 7 des zweistündigen Interviews mit Lukaschenko: Die Proteste in Minsk letztes Jahr

Der weißrussische Präsident Lukaschenko hat dem russischen Fernsehen ein zweistündiges Interview gegeben, dass so interessant ist, dass ich es komplett übersetzen und jeden Tag einen Teil veröffentlichen werde. Hier ist der siebte und letzte Teil.

Das zweistündige Interview dass der russische Journalist und Chefs einer der staatlichen Medienholdings Russlands, Dmitri Kisselev, mit dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko geführt hat, ist so interessant, dass ich beschlossen habe, es komplett zu übersetzen. Lukaschenko erzählt dabei viel, was er bisher noch nie öffentlich gesagt hat und egal, ob man das alles für Propaganda hält oder nicht, es ist vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen der US-geführten Nato und der Ukraine einerseits, und Russland und Weißrussland andererseits, sehr interessant, die Positionen der „anderen Seite“ aus erster Hand zu erfahren.

Zum Verständnis nur zwei Vorbemerkungen: Auf Russisch spricht man sich nicht mit zum Beispiel „Herr Lukaschenko“ an, sondern mit dem Vor- und dem Vatersnamen. Lukaschenko wird also oft Alexander Grigorjewitsch genannt, und Lukaschenko spricht Kisselev oft mit Dmitri Konstantinowitsch an. Allerdings hat Lukaschenko die Angewohnheit, seine Gesprächspartner immer mal wieder einfach zu duzen, denn auf Russisch gibt es den Unterschied zwischen „Sie“ und „Du“ genauso, wie auf Deutsch. Damit nimmt Lukaschenko es allerdings oft nicht allzu genau.

Nun kommen wir zum vierten Teil des Interviews, in dem es um die angebliche Flüchtlingskrise an der weißrussischen Grenze zur EU ging. Den sechsten Teil des Interviews finden Sie hier.

Beginn der Übersetzung:

Lukaschenko: Ich weiß nicht, ob Sie ein Kommunist waren, aber ich war Kommunist.

Ich war auch einer.

Und ich auch. Und ich schäme mich nicht dafür. Ich glaube auch nicht, dass Du Dich dafür schämst. Vielleicht sprichst Du nicht öffentlich darüber.

Nein, jetzt habe ich es gesagt.

Gesagt.

Ich sagte, ich war Kommunist, also schäme ich mich nicht.

Nun, ja. Ich auch.

Jeder macht seine Evolution durch.

Ich schätze diese Zeit überhaupt. Da war nicht alles schlecht und wir wären auch anders. Sie sind so ein großes Mastodon, über das der Präsident gestern sieben Minuten lang gesprochen hat. Der Präsident des Landes, der Imperator, kennt Dich. Weil Du, der so toll ist, gestern aufgetaucht bist? Nein. Das kommt alles daher. Du hast Dich herauskristallisiert. Ich habe das in Nordeuropa angeschaut, der KGB hat mir ein Dossier geschickt, aus Nordeuropa, wo man lesen kann, wie Kisselev sich herauskristallisierte. Nicht aus der Scheiße heraus, wie dieses schlaue Mädchen…

Hör mal, ich habe irgendwo auf dem Lande gelebt und so, und ich bin von dort aus losgestapft. Also Evolution, ja. Aber diese Evolution hatte auch viele Schwachstellen. Ich habe das gesehen, als ich im Komsomol, in den Parteiorganen gearbeitet habe, ich habe diesen Formalismus gesehen, der unser Land in vielerlei Hinsicht beeinflusst und ruiniert hat.

Sehen Sie, wir konnten keine fünf Fabriken bauen, wir konnten kein Waschpulver produzieren. Wir haben Weltraumraketen gebaut, aber Waschpulver, entschuldige bitte, unsere Weiber standen Schlange und konnten kein Waschmittel kaufen, um den Kindern die Kleidung zu wachen, oder das Land ernähren, Millionen Hektar Land. Alles war da. Und es hat sich auch für uns negativ herauskristallisiert. Darum, die gleiche Evolution fand vor meinen Augen statt. Ja, eine neue Generation ist herangewachsen. Mein älterer Sohn ist 1975 geboren, er ist 45 Jahre alt – er ist ein anderer Mensch. Und Kolya, der 17 Jahre alt ist, ist ein anderer Mensch, ein kluger, gebildeter Kerl – nicht weil mein Sohn ein Musiker oder Sportler ist, er ist anders.

Er sieht gut aus.

Ja, Dmitri, verstehst Du, er ist anders. Diesen Menschen muss die Möglichkeit gegeben werden, ihr Leben weiter aufzubauen, denn davon hängt die Zukunft des Staates ab. Wir haben noch nicht vor, uns als Rentner in Koktebel zu treffen. Wir werden noch arbeiten. Wir müssen also einen Schritt zurücktreten und den jungen Menschen eine Chance geben. Aber wir müssen so viel wie möglich sehen und beeinflussen können. Das ist die Gesamtweißrussische Volksversammlung.

Alexander Grigorjewitsch, dieses Referendum, diese Verfassung. Erwarten Sie, dass dieser Verfassungsprozess, seine Etappen, Anlass für neue Proteste sein werden?

Sie bereiten sich darauf vor.

Sie bereiten sich vor?

Ich habe vor kurzem ein Programm erhalten – es ist gruselig, wild, aus meiner Sicht eindeutig für die Finanzierung konzipiert. Sie wissen, dass, wenn man rausgeht, dann nur, um finanziert zu werden. Was hat sich für unser Volk geändert, seit Swetlana von 400.000 Euro lebt? Das ist nur eine grobe Berechnung. Was hat sich deshalb geändert? Ihr geht’s gut.

Swetlana geht’s gut.

Und die Menschen um sie herum. Die Lohuschkas, die Tsepkos, diese drei Zentren bildeten sich um sie herum. Diejenigen, die die russische Anlage in die Luft gesprengt haben, diejenigen, die gegen Journalisten vorgegangen sind, wurden dafür bezahlt, verstehst Du? Sie leben nicht im Luxus, aber sie leben sehr gut. Sie sind nicht dumm und verstehen, dass sie der Macht, der Polizei, den Knüppeln, allem ausgesetzt sind, damit sie gut leben können.

Sie sagen, dass Sie ein Programm für diese Proteste erhalten haben. Was ist in diesem Programm enthalten?

Wie man den Prozess am Ende organisiert – es gibt drei Stufen – um die Menschen in der letzten Stufe auf die Straße zu bringen, um die Situation zu sprengen, das ist die dritte Stufe.

Sie erinnerten sich an eine Episode, die natürlich jedem im Gedächtnis geblieben ist, als Sie mit einer Maschinenpistole aus dem Palast kamen. Waren Sie wirklich bereit zu schießen? Unter welchen Bedingungen und auf wen?

Weißt Du, Dmitri, um ehrlich zu sein, war ich mir sicher, dass ich nicht schießen muss, denn die, die dort waren, waren keine Revolutionäre. Es waren Feiglinge, die Geld bekommen hatten und tagelang, wochenlang herumliefen, herumgeschubst haben und so weiter, sie dachten, sie würden wieder herumgehen und das Geld verteilen, wir haben es mit Kameras gesehen. Das sind Feiglinge. Schließlich begann es nicht mit dem Maschinengewehr, sondern mit dem Hubschrauberflug. Ich drehte um und flog die Allee entlang, absichtlich in niedriger Höhe, damit sie mich sehen konnten. Warum? Als Janukowitsch – sie verkündeten, dass der Präsident gestürzt wurde – mit seinen Kindern geflohen ist, nach Rostow am Don. Ich habe gezeigt, ich bin da. Darum ist Kolya mitgekommen, er ist gekommen, um seinen Vater zu verteidigen. Er kann mit Waffen umgehen, er hatte vor kurzem einen Wettkampf mit Putin, Putin ist gut im Umgang mit Waffen.

Haben Sie zusammen geschossen?

Ja.

Womit?

Pistolen. Pistolen sinddas schwerste, meine ungeliebteste Waffe. Wir haben zusammengestanden und einen Wettkampf gemacht. Deshalb kann er mit Waffen umgehen, er übt jede Woche. Mit allen Arten von Schusswaffen. Die Techniker wollen, dass ich ihn zum Übungsplatz bringe. Eines Tages werde ich das tun. Ich wusste also, dass sie hinterhältige, korrupte Feiglinge sind. Und als sie sagten, dass ich geflohen sei, ging ich schnell hinaus, stieg in den Hubschrauber, den ich rund um die Uhr in Bereitschaft habe, und flog direkt über die Allee. Sie sahen den Hubschrauber und rannten davon. Ich landete und ging direkt dorthin, stieg mit einem Maschinengewehr und bewaffneten Sicherheitsleuten aus, zwei Männer begleiteten mich.

War es eine Art Täuschung?

Nein. Es war meine unumstößliche Position.

Aber Sie waren noch nicht bereit zu schießen. Wollten Sie sie erschrecken, oder was?

Ich wusste, dass sie alle weglaufen würden, und das taten sie auch. Aber wenn sie den Unabhängigkeitspalast gestürmt hätten… Ich war nicht nur einen Tag hier, ich war die ganze Zeit hier, hier war das Kontrollzentrum des Präsidenten. Ich hatte drinnen Spezialkräfte. Wären sie hierher gestürmt, und wir wussten, dass sie nicht nur Stichwaffen hatten, wir hatten es nicht ausgeschlossen, dann hätten wir den Unabhängigkeitspalast mit allen Mitteln verteidigt, auch mit militärischen Waffen. Die Lage war damals sehr ernst. Als ich dann herauskam, war ich sicher, dass ich nicht schießen musste.

Hör mal, ich bin mit meinem Kind rausgekommen, wenn es irgendeine Art von versuchter Gewalt gegen mich gegeben hätte, was glaubst Du – hätte ich dann zugesehen? Nur wenn sie mich gleich erschossen hätten. Schau mal, ich war auch nicht allein. Ich hatte Leute von der Armee, die halb Minsk hätten einnehmen und diese Schurken wegfegen können. Deshalb war es kein Scherz. Danach wusste ich, woher das alles kam, es war nicht das Volk. Das waren Jungs, die überhaupt nicht gewählt haben und verstanden haben, was vor sich geht. Wie kämpft man gegen Jungs, die ein paar Kopeken bekommen haben. Darum waren auf dem Höhepunkt 46.700 Menschen in Minsk auf der Straße, um zu protestieren. Zwanzigtausend kamen zum Palast der Unabhängigkeit. Das war am Samstag und Sonntag. Und an den Wochentagen führte Minsk ein normales Leben, niemand konnte von einer Farbrevolution sprechen. Dann wurden sie aus Polen aufgestachelt, man gab ihnen Karten, wohin sie gehen sollten, man gab ihnen Geld.

Alexander Grigorjewitsch, ich habe noch zwei Fragen, die ich Sie bitte, in einem Satz zu beantworten. Sie führen Weißrussland seit fast drei Jahrzehnten – was ist das wichtigste Ergebnis?

Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte unseren souveränen und unabhängigen Staat aufgebaut, ich spreche als Historiker, einen Staat, der von der überwältigenden Mehrheit, von hundert Prozent der Bevölkerung, von den Nationalisten auf ihre Weise, das sind 10 bis 12 Prozent, von anderen Menschen, einem Teil der Gesellschaft, auf ihre Weise geschätzt wird. Das ist der Wert – ein aufgebauter unabhängiger souveräner Staat ist der Wert.

Wie möchten Sie in die Geschichte eingehen, wie in Erinnerung bleiben?

Daran habe ich nicht gedacht. Ehrlich, ich schwöre es! Ich denke nicht darüber nach, denn ich werde mich nicht von der großen Politik, die Sie und ich heute vor uns haben, abwenden, leider nicht.

Vielen Dank, Alexander Grigorjewitsch, für diese offenen Worte.

Ja, aber ich möchte der Schöpfer dieses Staates sein. Also gut, mal sehen, wie es wird.

Ende der Übersetzung

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

4 Antworten

  1. Gott schützte Weißrussland und seinen Präsidenten Alexander Grigor-jewitsch Lukaschenko.

    Er ist wirklich ein Platzhirsch mit ganz dicken Eiern, wahrscheinlich 3 statt nur 2, und kümmert sich mit Herzblut um sein Volk.

    Der Westen (USA u. NATO) und seine weißrussischen Marionetten (Tichanowskaja, Kolesnikowa, Viakorka, Zepkalo usw.) sind keine Demokraten und Freiheitskämpfer sondern ein Rudel stinkender und feiger Hyänen, die ein Land seinem Volk wegnehmen und unter sich auf-teilen wollen. Nieder mit diesen Raubtieren!

    Ihr Hyänen dieser Welt: verzeiht mir, dass ich euch zum Vergleich mit diesen Schmarotzern und Prädatoren herangezogen habe. Jedes Tier ist noch tausendmal edler, als diese Kreise.

  2. Das ist eine schöne Plaudertasche dieser Lukaschenko. Bis man nur das alles gelesen hat, das 2 Stündige Interview meine ich. Aber es war interessant. Ein Batka also, ein Väterchen, hihi. Wenn ich daran denke, dass unsere Politiker bei jedem dritten Satz Wörter wie Rechtschaffenheit Demokratie und Werte in den Vordergrund stellen (was würden wir einem Kumpel sagen der pausenlos solchen Unsinn redet?), da muss ich schon sagen, dass Lukaschenko eine interessante geerdete Persönlichkeit ist. Also mir hat’s gefallen. Danke für diese Übersetzung. Ein Batka, pfff hihi.

    Es scheint, dass Lukaschenko der Welt – ob uns das passt oder nicht, noch eine Weile erhalten bleibt «….denn ich werde mich nicht von der großen Politik, die Sie und ich heute vor uns haben, abwenden, leider nicht …. Ja, aber ich möchte der Schöpfer dieses Staates sein. Also gut, mal sehen, wie es wird». Für mich ist das ok, ich fürchte nur da werden sich noch einige Leute grün und blau ärgern.

  3. Danke Thomas Röper für diese Übersetzung! Nach und nach habe ich sie gelesen und es fühlt sich gut an, aus Lukaschenkos Sicht über Weißrussland erfahren zu haben. Etwas eigenwillig in den Formulierungen und dem, was zwischen den Zeilen nicht gesagt wurde – und doch: ein guter, solider Eindruck bleibt und hohe Achtung vor dem Mut und der Konsequenz, mit der Lukaschenko sich den vielfältigen Herausforderungen stellt.

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