Ist die Ablehnung des Befangenheitsantrages gegen den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts rechtens?
Schon die Berufung von Stephan Harbarth ins Verfassungsgericht war mehr als umstritten, da er erstens in seiner Vergangenheit als Anwalt in den wichtigesten Wirtschaftsskandalen der jüngeren Geschichte die betroffenen Konzerne vertreten hat. Dabei ging es um den Cum-Ex-Skandal und die Volkswagen Abgasaffäre. Zweitens werden ihm aus seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter Verstöße gegen das Abgeordnetengesetz vorgeworfen, da er neben seiner Abgeordnetentätigkeit weiterhin Millionen als Anwalt verdient hat, weshalb ausgesprochen fraglich ist, ob er – wie im Gesetz gefordert – seine Arbeitszeit hauptsächlich seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter gewidmet hat, oder hauptberuflich weiterhin als Anwalt für große Konzerne tätig war.
Hinzu kommt, dass er zunächst gar nicht als Verfassungsrichter geeignet war, um diese Eignung zu bekommen, wurde ihm eilig – und unter mehr als fragwürdigen Umständen – eine Honorarprofessur verliehen. Daher gab es in Fachkreisen massive Proteste gegen seine Ernennung zum Verfassungsrichter und danach auch zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Das hat aber die Merkel-Regierung nicht gestört, sie hat ihren Wunschkandidaten und vorherigen CDU-Abgeordneten für beide Posten durchgedrückt, was – auch aufgrund seiner Vergangenheit als Wirtschaftsanwalt – sowohl Zweifel an seiner fachlichen Kompetenz – immerhin ist er Wirtschafts- und nicht Verfassungsrechtler -, als auch Zweifel an seiner Neutralität als Richter hervorruft. Über all das habe ich im Detail berichtet, die Einzelheiten finden Sie hier.
Filz in Deutschland
Während die EU und Deutschland den EU-Staaten Polen und Ungarn mangelnde Rechtsstaatlichkeit und zu großen Einfluss der Regierung auf die Verfassungsgerichte vorwerfen, ist es für die EU und die Bundesregierung kein Problem, dass Harbarth sich – während die Klagen gegen die Bundesnotbremse liefen – am 30. Juni 2021 mit der Bundesregierung zu einem Abendessen getroffen und über die Corona-Politik gesprochen hat.
Der daher von den Klägern gegen die Bundesnotbremse eingereichte Befangenheitsantrag gegen Harbarth, der in dem Verfahren urteilen soll, wurde nun vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Das ist wenig überraschend, wenn letztlich das betroffene Gericht unter Beteiligung des betroffenen Richters, gegen den der Befangenheitsantrag eingereicht wurde, über den Befangenheitsantrag entscheiden darf.
Befangenheitsanträge
Das Vorgehen ist zwar grundsätzlich normal in Deutschland, aber da man – im Gegensatz zu Entscheidungen niederer Gerichte – gegen Entscheidungen des Verfassungsgerichts keine Rechtsmittel einlegen kann, ist die Regelung mehr als fraglich. Aber natürlich könnte die Ablehnung des Befangenheitsantrages ja auch vollkommen in Ordnung sein, weshalb wir uns die Gründe für Befangenheitsanträge einmal anschauen.
Das deutsche Wikipedia listet unter Berufung auf einen Fachartikel eines Juraprofessors folgende Gründe für einen Befangenheitsantrag auf:
- besondere Näheverhältnisse des Richters zu Verfahrensbeteiligten
- Mitwirkungen an Vorentscheidungen oder sonstige Vorbefassungen mit der zu entscheidenden Sache
- Verfahrensfehler
- Äußerungen über das Prozessverhalten von Verfahrensbeteiligten
- Weltanschauliche Einstellungen
- Interessen am Prozessausgang
Wir werden diese Punkte nun anhand des Fachartikels durchgehen.
Besondere Näheverhältnisse
In dem Fachartikel erfahren wir:
„Persönliche Näheverhältnisse des Richters zu einer Partei bzw. einem Verfahrensbeteiligten außerhalb der gesetzlich vorgesehenen persönlichen Ausschließungsgründe anerkennt die Rechtsprechung nur in seltenen Ausnahmefällen als Ablehnungsgrund“
Es wird dort anhand von Beispielen ausgeführt, dass die Rechtsprechung in Deutschland bei diesem Thema sehr großzügig zugunsten der Richter ist und dass dieser Grund wirklich nur in Ausnahmefällen zieht. Der Teil des Artikels endet mit dem Absatz:
„Die Argumentation, die gesetzlichen Ausschließungsgründe würden besorgnisrelevante Näheverhältnisse abschließend erfassen, überzeugt nicht. Bei den gesetzlichen Ausschließungsgründen wird eine Besorgnis unwiderleglich vermutet. Sonstige enge persönliche Beziehungen eines Verfahrensbeteiligten zu einem Richter wie ein Verlöbnis, ein Liebesverhältnis, Verwandtschaft oder Schwägerschaft sowie eine engere Bekanntschaft oder Freundschaft, aber auch eine Feindschaft, müssen zwar nicht, können aber dessen Unvoreingenommenheit beeinträchtigen. Die Frage einer berechtigten Besorgnis ist daher im Einzelfall zu prüfen“
Man muss als Antragsteller also beweisen, dass der Richter befangen ist, selbst wenn der Richter mit einer Partei des Verfahrens buchstäblich im Bett liegt, weil sie verlobt sind. Das ist eine in meinen Augen abstruse Rechtsauffassung, aber so scheint es in Deutschland juristische Praxis zu sein.
Das Abendessen im Kanzleramt ist nach deutscher Rechtspraxis also kein Grund, den Richter für befangen zu erklären.
Mitwirkung an Vorentscheidungen bzw. Vorbefassung
Auch hier ist die Rechtspraxis in Deutschland den Richtern gegenüber sehr großzügig, wie der Fachartikel anhand mehrere Beispiele ausführt. Das gipfelt im letzten Absatz zu dem Thema in folgender Conclusio:
„Mit Recht wird dort die enge Rechtsprechung kritisiert, wonach die Besorgnis der Befangenheit unbegründet sein soll, wenn ein Richter über einen Angeklagten zu Gericht sitzt, über dessen Schuld er sich bereits im Rahmen einer Hauptverhandlung gegen einen Mitangeklagten einen Überzeugung gebildet hat. Dass dieser Angeklagte Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters hegt, ist objektiv nachvollziehbar. Es dürfte für einen Richter kaum möglich sein, die Vorgänge und Eindrücke in den beiden Verhandlungen strikt voneinander zu trennen und nur aufgrund der neuen Verhandlung zu urteilen“
Die deutsche Rechtspraxis spricht Richtern geradezu übermenschliche Fähigkeiten in Sachen Selbstkritik und Objektivität zu. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Mensch, der nach einem ausführlichen Verfahren zu einem Verbrechen danach unbefangen über einen weiteren Mittäter urteilen könnte.
Aber sei es wie sei, wenn die deutsche Rechtspraxis das so sieht, wird das Argument der „Mitwirkung an Vorbefassung“ bei dem Befangenheitsantrag gegen Harbarth natürlich auch nicht ziehen, auch wenn Harbarth in der Vergangenheit oft über Klagen gegen die Corona-Maßnahmen geurteilt und sie praktisch am Fließband abgeschmettert hat.
Äußerungen
Da Verfahrensfehler ausfallen, gehen wir darauf nicht ein und kommen zu Äußerungen des Richters zum Thema der Klage. Denn es gab einige öffentliche Äußerungen von Harbarth zu dem Thema der Corona-Politik der Bundesregierung, die so eindeutig waren, dass das ZDF getitelt hat: „Oberster Verfassungsrichter – Harbarth verteidigt Corona-Management“ Bei anderen Medien klang das ähnlich.
Daher schauen wir uns mal an, was der Fachartikel zu dem Thema sagt:
„In der Praxis werden insbesondere dann Befangenheitsgesuche gestellt, wenn sich ein Richter in einer Weise über das prozessuale Verhalten von Verfahrensbeteiligten äußert, die bei diesen den Eindruck erweckt, er sei ihnen gegenüber voreingenommen, in der Sache längst festgelegt oder nehme sie nicht ernst. Erfolg ist solchen Gesuchen in der Regel nur dann beschieden, wenn die betreffende Äußerung praktisch keine andere Auslegung zulässt, also z.B. ein Richter die Beanstandung seiner Verhandlungsführung mit dem Wort „Kinkerlitzchen“ kommentiert oder den Sachvortrag einer Partei mit den Worten, er lasse sich nicht „vera[…]“. Anders verhält es sich, wenn die Äußerung auslegungsfähig ist.“
Da man praktisch alles auslegen kann, sind die Chancen auch hier mehr als dürftig. Hinzu kommt, dass öffentlich geäußerte Rechtsmeinungen des Richters auch nicht zählen. Explizit zum Bundesverfassungsgericht kann am Ende des Abschnitts lesen:
„Wenn der Richter seine Rechtsmeinung bspw. in einer Kommentierung niederlege, so bedeute dies keine Festlegung, sondern die Eröffnung bzw. Fortführung einer in der Öffentlichkeit breit angelegten Diskussion. Die Problematik spielte früher insbesondere bei Richtern des BVerfG eine Rolle, die zu mehreren Entscheidungen des BVerfG geführt hat. Inzwischen bestimmt § 18 Abs. 3 Nr. 2 BVerfGG ausdrücklich, dass die Äußerung einer wissenschaftlichen Meinung zu einer Rechtsfrage, die für das Verfahren bedeutsam sein kann, keine Tätigkeit i.S.d. Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ist, wonach ein Richter des BVerfG von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen werden kann, wenn er in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist.“
Das bedeutet, Harbarth kann nicht nur öffentlich, sondern auch in juristischen Kommentaren immer wieder seine Meinung zu einem Thema sagen, gilt aber trotzdem nicht als befangen.
Weltanschauliche Einstellungen
Auch beim Thema „Weltanschauliche Einstellungen“ des Richters sieht es düster für Befangenheitsanträge aus. In dem Fachartikel heißt es:
„Sehr zurückhaltend ist die Rechtsprechung auch, wenn Ablehnungsgesuche auf weltanschauliche Einstellungen von Richtern und dergleichen gestützt werden. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es sich bei den Gründen, die geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit zu rechtfertigen, immer um individuelle, aus der Person des einzelnen Richters hergeleitete Gründe handeln muss; allgemeine Gründe wie Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Zugehörigkeit zu einer Konfession etc. reichen nicht aus und dementsprechend – grundsätzlich – auch nicht politische und religiöse Auffassungen“
Ist es realistisch, dass ein Richter in einem Verfahren ein Urteil fällt, das praktisch all seinen „weltanschaulichen Einstellungen“ widerspricht, wenn er es nur irgendwie juristisch begründen kann? Richter sind schließlich auch nur Menschen. In einer niederen Instanz mag das nur ärgerlich sein, weil man gegen eine solche Entscheidung Rechtsmittel einlegen kann. Aber ist so eine Rechtsauffassung über Befangenheit des Richters bei dem Verfassungsgericht, dessen Entscheidungen endgültig sind, nicht zumindest fraglich?
Persönliche Interessen am Prozessausgang
Auch bei „persönlichen Interessen“ des Richters sieht es düster aus. In dem Fachartikel wird ein Fall aufgeführt, bei dem ein Richter über eine Klage über Fluglärm zu entscheiden hatte und selbst in dem betroffenen Gebiet gewohnt hat. Er galt dadurch aber nicht als befangen. Außerdem erfahren wir in dem Fachartikel:
„Ein im Rahmen des Befangenheitsrechts kaum behandeltes Problem sind mögliche persönliche Interessen eines Richters am Prozessausgang außerhalb der sachlichen Ausschließungsgründe“
Fazit
Nachdem ich mich im Zuge dieses Artikels mit der Frage von Befangenheitsanträgen beschäftigt habe, frage ich mich ernsthaft, was eigentlich vorliegen muss, damit in Deutschland ein Richter gegen seinen Willen für befangen erklärt und aus einem Verfahren entfernt wird.
Damit ist es nach deutscher Rechtsauffassung in Ordnung, dass Harbarth nicht für befangen erklärt wurde. Aber ich frage mich, was man von einer solchen Rechtsauffassung halten soll, die bei Richtern de facto übermenschliche Fähigkeiten voraussetzt.
7 Antworten
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„Recht und Gesetz“ in Deutschland…?? – doch nur für das (Pack!) Volk – nicht für die Diktierenden…
Und solange es keine echte, vom Volke ausgehende Verfassung, keine Direktwahlen, keine realen und bindenden Volksbefragungen etc. gibt, wie es eine echte „Demokatie“ vorsieht – ist alles nur Bla-Bla… – ergo Volksverdummung in großem Stil…
Das einzige, was hilft – ist eine echte, konsequente Revolution und die Einführung des Pyramiden-Wahl-Systems OHNE Parteien und Lobbyismus…
– das mit dem Pyramidenwahlsystem ist eine eigene Entwicklung – in dem der Beste an der Spitze steht – vom Volke nach Qualifikation direkt gewählt – und der unabhängigen Kontrolle eines nicht-käuflichen Korruptions-und Verbrechens-freien Gremium unterworfen – wer eine Position in der Politik erlangen will muß sich dazu qualifizieren, mit Erfahrungen, entsprechender Bildung und einer weißen Weste – so beginnend in den kleinsten Kreisen – bis hin zur Spitze – deshalb „Pyramide“… – diese Idee ist noch entwicklungsfähig… 😋😎
Zu der sehr alten Idee der Besten an der Spitze habe ich gewisse Bedenken. Wer prüft das beispielsweise; die Besten vermutlich? Es gibt Sicht des klassischen Liberalismus weitere Alternativen, die den Bürgern mehr Freiheit bringen, Selbstbestimung in seinen eigenen Dingen.
Ich fürchte der angekündigte Entscheid (im November) zum Infektionsschutzgesetz und der Bundesnotbremse wird böse ausfallen, auch wenn ich mir nach wie vor nicht vorstellen kann wie man das im Einklang mit dem bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bringen will. Man wird sich ziemlich verrenken müssen, aber da man einen Mann mit sehr viel Verrenkungsexpertise an der Spitze hat, wird das wohl nicht allzu schwer fallen.
Bei RT wurde noch sehr viel ausführlicher – bezugnehmend auf Berichte aus „Die Welt“ beschrieben, was da am 30.06.21 im Kanzleramit vor sich ging. Der Harbarth hat einen Vortrag gehalten, die zweite Richterin an diesem Verfahren, Susanne Baer ebenfalls und die Lamprecht als Justizministerin.
Das muss man sich mal vorstellen. Da sitzen die Richter, die über eine Klage gegen die Regierung befinden sollen, mit der Regierung zusammen, legen explizit ihre Sicht der Dinge dazu dar, lassen sich die Sichtweise der Regierung darlegen und sollen dann ein „höchstrichterliches“ Urteil sprechen!
Die können doch überhaupt nicht mehr nach Recht und Gesetz urteilen, sondern nur noch im Sinne der Regierung. Ich habe nie an diesen „Rechtsstaat“ geglaubt und wurde wieder einmal bestätigt!
Weiterhin wurde hervorgehoben, dass jemand mit Gesetzgebungserfahrung an die Spitze des Verfassungsgerichts rückt.
Schon witzig wenn man bedenkt worin genau diese Kompetenz liegt.
Cum Ex Optimierung
VW Diesel Betrug
Da sollte man schon etwas nachsichtig sein wenn der Herr RA keine Zeit für schnöde Abgeordneten Arbeit hatte. Er war voll damit ausgelastet die Gesetzeslücken zu optimieren die man rein zufällig gleich mit ins Gesetz packte. Die komische Prof. Stelle verdankt er seiner besonders geschmeidigen Verbindung der CDU mit dieser Uni die auch exekutive Verbindungen zu der Cum Ex Kanzlei pflegt.
Lernresistenz zeigt der Herr Richter insbesondere im Bezug auf die Neutralität. Das Parteibuch ist eben stärker als die Moral denn das der Herr Anwalt ohne richterliche Erfahrung auf den Chefsessel des höchsten Gerichts gehieft wurde verdeutlicht einmal mehr die von Korruption und Vetternwirtschaft verseuchte CDU.
Und dann erdreistet sich diese Gestalt in roter Robe über Polen zu urteilen? Man in christlichen Zeiten hätte man solche Winkeladvokaten geteert und gefedert.
Das Verhalten sowohl der Regierung und erst recht des höchsten Gerichtes ist einer Demokratie unwürdig.
Wenn sie wirklich „mit Gesetzgebungserfahrung“ geschrieben haben, und dieser Harbarth vorher für eine große internationale Anwaltskanzlei/ Wirtschaftrecht tätig war, so wurde damit quasi offiziell bestätigt, wer die Gesetzt macht, und wer deren Spiritus Rector ist.
Und wem jetzt immer noch nicht schwanen sollte, was sich da hinter dem unscheinbaren Begriff „Privatisierung“ so alles verbirgt, dem ist nicht zu helfen…
(Im Grunde ist das eine Art rückläufige Zivilisationsentwicklung, zurück in die längst vergangenen Zeiten, als noch alles „Privatrecht“ war.)
„Dorothea Siems kommentierte, dass seine Fachkenntnisse „sowohl in der Politik als auch in Kollegenkreisen“ anerkannt seien. Weiterhin wurde hervorgehoben, dass jemand mit Gesetzgebungserfahrung an die Spitze des Verfassungsgerichts rückt.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_Harbarth