Putins Fragestunde

Putin im O-Ton über die Ukraine und Selensky

Kein Interview mit Putin kommt in Russland ohne das Thema Ukraine aus. So auch seine vierstündige Fragestunde am Mittwoch.

Wie angekündigt übersetze ich die Teile von Putins vierstündiger Fragestunde, die meiner Meinung nach für deutsche Leser interessant sind. Da über fünf Millionen Ukrainer nach Russland geflohen sind und da es immer noch viele gemischte russisch-ukrainische Familien gibt, ist das Thema Ukraine für die Russen ein Dauerbrenner. Auch bei Putins Fragestunde am Mittwoch gab es dazu eine Frage, die ich übersetzt habe.

Zum Verständnis noch ein paar Infos vorweg: Russland hat eine Liste von „unfreundlichen Ländern“ veröffentlicht, also von Ländern, die eine explizit unfreundliche Politik gegenüber Russland machen. Als Folge gibt es für diese Länder Einschränkungen zum Beispiel für die Tätigkeit ihrer diplomatischen Vertretungen in Russland. Auf dieser Liste stehen bisher die USA und Tschechien.

Außerdem wurde in der Ukraine gerade ein Rassengesetz verabschiedet, das die Staatsbürger der Ukraine nach völkischen Kriterien in Kategorien einteilt, die auch unterschiedliche Rechte haben. Ich habe über das am 18. Mai ins Parlament eingereichte Gesetz berichtet, die Details finden Sie hier. Übrigens wurde das Gesetz am 1. Juli verabschiedet.

Nun zur Übersetzung der Frage zur Ukraine und Putins Antwort.

Beginn der Übersetzung:

Beresowskaja: Herr Präsident, es ist klar, dass Sie nach Ihrer Impfung nicht nur gegen das Coronavirus immun sind, sondern wahrscheinlich auch gegen einige unfreundliche Länder. Diese Frage erreichte uns per SMS: Warum steht die Ukraine nicht auf der Liste der unfreundlichen Länder? Von Igor Oboymov, Moskau.

Noch eine zum gleichen Thema: Werden Sie und Selensky sich treffen?

Putin: Warum steht die Ukraine nicht auf der Liste der unfreundlichen Länder? Weil ich nicht glaube, dass das ukrainische Volk uns gegenüber unfreundlich ist. Ich habe schon oft darüber gesprochen. Ich kann es noch einmal sagen: Ich glaube, dass Ukrainer und Russen ein Volk sind.

Schauen Sie: Juden kommen aus Afrika, aus Europa, aus anderen Ländern der Welt nach Israel. Aus Afrika kommen Schwarze, richtig? Die aus Europa kommen, sprechen Jiddisch, nicht Hebräisch. Sie sind anscheinend vollkommen unterschiedlich, aber das jüdische Volk pflegt dennoch seine Einheit.

Aber warum in die Ferne, nach Israel, schauen? Wir haben ein solches Volk, eines der in Russland heimischen Völker, wie zum Beispiel die Mordva. Es gibt Erzya, Moksha und dann gibt es, ich glaube, Shoksha, drei unterschiedliche Gruppen, aber sie alle betrachten sich als Mordva, als Mordvinier. Sie sprechen zwar insgesamt eine Sprache der gleichen Gruppe, aber trotzdem verstehen sich Erzya und Moksha nicht einmal. Ihre Sprachen unterscheiden sich mehr voneinander als Russisch und Ukrainisch, aber sie pflegen ihre Einheit.

Warum? Aus mehreren Gründen. Erstens sind sie intelligent und verstehen, dass Spaltung zu nichts Gutem führt, sie schwächt die Ethnie nur. Weiter: Es gibt externe Faktoren. Was meine ich? Das russische Volk hat schon immer versucht, sich aufzuteilen, das geht bis ins Mittelalter zurück. Weil Polen selbst eine Großmacht werden wollte, also hat es versucht, alle um sich herum zu zersplittern. Und dann ist Österreich-Ungarn in die Lücke gestoßen.

Wie wurde in unserem Land früher mit der ethnischen Komponente umgegangen? Es gab Großrussen, Weißrussen und Kleinrussen. Dann, unter dem Einfluss äußerer Faktoren, später trugen die Bolschewiki ihren Teil dazu bei, begann man, das geeinte russische Volk zu spalten. Übrigens – wir können jetzt nicht im Detail darüber sprechen – habe ich darüber nachgedacht und ich werde einen eigenen Artikel darüber schreiben. Ich werde einen analytischen Artikel schreiben und ich hoffe, dass die Menschen in Russland und der Ukraine ihn lesen werden, ich werde meine Haltung zu dieser Frage darlegen.

Beresowskaja: Weil die Leute vieles einfach nicht wissen, kennen sie die Geschichte nicht.

Putin: Natürlich, niemand informiert sich darüber, die Leute leben in ihrer eigenen Welt. Aber das ist für uns alle wichtig.

Nun, ich denke nicht, dass die ukrainische Bevölkerung unfreundlich ist. Nein, überhaupt nicht. Wir sind eins. Die Führung der Ukraine, die Führung der heutigen Ukraine, ist uns eindeutig unfreundlich gesinnt. Das ist ganz offensichtlich. Andernfalls wäre es schwierig, den Gesetzentwurf zu erklären, den der Präsident jetzt der Rada vorgelegt hat, nämlich über die einheimischen Völker, der das russische Volk als nicht-einheimisch erklärt. Nun, das ist einfach unverständlich. Sie wissen, dass dort jahrhundertelang russische Menschen lebten und jetzt werden sie als nicht-einheimisch erklärt. Wozu wird das führen? Das wird dazu führen, dass einige Leute gehen werden. Aber wohin sollen sie gehen? Wohnung, Arbeit und so weiter. Dann werden sie gezwungen sein, sich zu verstellen, weil sie sich als Menschen zweiter Klasse fühlen. Das wird zu einer Reduzierung der Gesamtzahl der Russen führen. Wissen Sie, das ist in seinen negativen Folgen vergleichbar mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Es ist eine ernste Angelegenheit. Sie verdrängen die russische Sprache aus dem praktischen, realen Leben.

Wissen Sie, engstirnige Menschen und extreme Nationalisten gibt es überall: Es gibt solche Menschen bei uns und es gibt solche Menschen in der Ukraine. Sie handeln aus dem Herzen heraus, aber nicht aus dem Verstand. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind zerstörerisch. Das gilt auch für die Unterdrückung der Opposition in der Ukraine.

Viktor Medwedtschuk, der meiner Meinung nach eigentlich ein ukrainischer Nationalist ist, wurde am Vorabend des Wahlkampfes zu Hause eingesperrt, es wurde ihm eine elektronische Fußfessel angelegt. Es werden absolut illegale und verfassungswidrige Entscheidungen getroffen. Keiner beachtet das. Sie machen sozusagen innerhalb des Landes klar, dass es keinen legalen Weg für jene Kräfte gibt, die ihr Land aufbauen und stärken wollen, auch durch den Aufbau normaler Beziehungen zu Russland, sie haben keine Chance. Sie werden an der Wurzel unterdrückt: Einige werden ins Gefängnis gesteckt, andere unter Hausarrest gestellt, wieder andere werden auf der Straße getötet.

Wozu mit Selensky treffen, wenn er sein Land unter totale ausländische Kontrolle gegeben hat? Die zentralen Fragen des ukrainischen Lebens werden nicht in Kiew, sondern in Washington und teilweise in Berlin und Paris entschieden. Was gibt es also zu besprechen?

Trotzdem lehne ich solche Treffen nicht ab, wir müssen nur verstehen, worüber wir reden wollen.

Ende der Übersetzung


Wenn Sie sich dafür interessieren, wie Russland auf die Fragen der internationalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und ungekürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. Es gibt darin auch ein sehr langes Kapitel über die Ukraine.

https://anti-spiegel.com/2019/was-sagt-putin-selbst-zu-den-fragen-der-interbationalen-politk-hier-kommt-er-zu-wort/
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

4 Antworten

  1. Na ja, also, Putins Argumentation bzgl. des ukrainischen Volkes erscheint mir nicht ganz konsistent. Das tschechische Volk hat vermutlich keine feindseligere Haltung gegenüber Russland als das ukrainische. Es sind jeweils die Regierungen und natürlich auch nationalistische Gruppierungen, die antirussische Haltungen einnehmen. Wenn man allerdings dieses Kriterium anwendet, wäre auch Deutschland mit seiner Regierung (und Teilen der Opposition) antirussisch eingestellt.

    1. Na ja, der große Meister fabuliert da etwas selektiv in bzw. mit der Geschichte herum. Aber wir wollen mal nicht so sein.
      Geschichte unterliegt einer Wertung, besonderes wenn sie für die Legitimation von Politik herhalten muß.
      Und im Hinblick auf die aktuellen Bedrohungen des russischen Staates durch recht perfide Methoden des Westens im Gleichklang mit gewissen eigenen Liberalen wollen wir das ihm mal nachsehen…

    2. Ich würde nicht sagen, dass die Tschechen besondere Russlandfans wären, obwohl die Sprache immer noch ähnlich ist. Zur Ukraine gibt es noch viel mehr Gemeinsamkeiten als zu Tschechien.
      Die Kyrilliza, die Religion, es gibt viele Verwandtschaftsverhältnisse in die Ukraine, ein guter Teil der Ukrainer spricht Russisch als Muttersprache (nicht nur die Russischstämmigen), fast alle Ukrainer verstehen und sprechen Russisch, uvm. Ähnliches gilt für Weißrussland. Auch von der Staatlichkeit her, waren die Ukraine und Russland lange Zeit ein Land, während die Tschechoslowakei nie (oder nie lange) zu Russland gehörte, sondern zur Habsburger Monarchie.
      Inwiefern man überhaupt von einem Volk sprechen kann bleibt da viel eher fraglich. Die Russländer bestehen ja schon aus einem Haufen verschiedener Völker und die Ukrainer genauso.

  2. _____://russtrat.ru/news/1-iyulya-2021-1048-4861

    „Менее четверти украинцев готовы воевать за Украину“
    Weniger als ein Viertel der Ukrainer sind bereit, für die Ukraine zu kämpfen

    Mehr als 70 % der Befragten halten die Bedrohung durch externe Aggression für real

    MOSKAU, 1. Juli 2021, Institut RUSTRAT. Weniger als ein Viertel der befragten ukrainischen Bürger (23,6%) sind bereit, das Land mit Waffen in der Hand zu verteidigen. Weitere 29,3 % sind bereit, in Freiwilligenorganisationen an der Front zu helfen, und 33,8 % wollen unter keinen Umständen in den Krieg ziehen. Solche Ergebnisse wurden von der soziologischen Razumkov Zentrum erhoben, berichtet strana.ua.

    74,1 % der Befragten glauben, dass es eine „russische Bedrohung“ gibt, 15,3 % glauben das nicht und 10,6 % fanden es schwierig zu beantworten. Die größte Bedrohung in der Russischen Föderation sehen 92,7% der Befragten in der Westukraine, 81,2% von ihnen – im zentralen Teil des Landes, 57,9% – im Süden und 54,4% – im Osten.

    Die Bedrohung durch eine weitere Aggression von außen wird von 71,9 % der Befragten als real angesehen, 18 % stimmen nicht zu und 10,1 % fanden die Antwort schwierig.

    Immerhin 63,3% der Ukrainer denken, dass die Bedrohung durch Separatismus in der Ukraine real ist, 21,7% stimmen dem nicht zu und 14,9% fanden es schwierig zu antworten. Was die Bedrohung durch den globalen Terrorismus betrifft, so lauten die entsprechenden Zahlen 52,8%, 29,2% und 18%, was den wachsenden Extremismus betrifft – 49,4%, 28,9% und 21,6%.

    Auf die Frage, ob die USA eine Bedrohung für die Ukraine darstellen, antworteten 15,8 % der Befragten mit Ja, 66,9 % mit Nein und 17,2 % fanden es schwierig zu antworten. Die Bedrohung durch die USA wird im Westen des Landes am wenigsten geglaubt (6,5%), am meisten im Süden und im Osten – 25,8% bzw. 20,2%.

    56,2% der Befragten sind der Meinung, dass sich die Ukraine im Falle einer Aggression von außen nur auf ihre eigenen Kräfte verlassen muss, 34,9% rechnen mit der Hilfe der Europäischen Union und der NATO. Nur 2,9% bzw. 5,2% der Ukrainer zählen auf die Unterstützung Russlands bzw. anderer OVKS-Länder.

    Die Umfrage wurde vom 23. bis 28. April an einer repräsentativen Stichprobe auf dem gesamten Territorium der Ukraine durchgeführt, mit Ausnahme von DNR und LNR. Insgesamt wurden 2.021 Ukrainer über 18 Jahren befragt. Laut Soziologen beträgt die Fehlermarge der Umfrage nicht mehr als 2,3 %.“
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    Ich bin mir fast sicher, daß die Russen wahrscheinlich nicht damit gerechnet haben, daß man ein Volk mit einer weitgehend gemeinsamen Geschichte dermaßen gegen sie in Stellung bringen könnte….

    Sehr interessant auch das:

    _____://www.fondsk.ru/news/2021/06/30/o-vneshnem-upravlenii-ukrainoj-ili-v-chih-rukah-vlast-53905.html

    „О внешнем управлении Украиной, или В чьих руках власть“
    30.06.2021
    „Über die externe Steuerung der Ukraine, oder In wessen Händen liegt die Macht“

    Kristina Kvien, Leiterin der US-Botschaft in Kiew, wurde zur mächtigsten Frau in der Ukraine ernannt

    … dass die vollständige externe Kontrolle Kiews sowohl in der Außen- als auch in der Innenpolitik (was unter Poroschenko nicht der Fall war) zu Folgendem geführt hat: „Es ist sinnlos geworden, diese oder jene Handlungen der ukrainischen Behörden unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit vorherzusagen: die auferlegten Entscheidungen werden von Selenskys Team umgesetzt, ohne die schädlichen Folgen für das Land zu berücksichtigen“.

    … ist die Frage nach der Zukunft Selenskys keine Frage für das ukrainische Establishment und schon gar nicht für die ukrainischen Wähler: „Das ist eine Frage für die Amerikaner. Selensky passt zu ihnen. Das bedeutet, dass er bis zum Ende seiner Amtszeit im Haus sein wird. Und er kann eine zweite Amtszeit anstreben“.

    Nicht umsonst wurde dem neuen US-Präsidenten „ein absolut klares Signal“ gesendet: Seine Amtseinführung – das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Ukraine – wurde live auf „Pervogo Natsionalny“ übertragen. Und der Präsident der „souveränen Macht“ ließ alle seine Staatsgeschäfte liegen und eilte zu Kvien, um, den Atem anhaltend, „diesen heiligen Moment zu beobachten“.
    …“

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