Konkurrenz und Vorwürfe

Warum die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen wieder auf einem Tiefpunkt sind

Eigentlich dachte man, dass die deutsch-polnischen Beziehungen nach dem Wahlsieg von Donald Tusk in Polen neue Höhen erreichen müssten. Aber das Gegenteil ist der Fall und die Beziehungen sind offenbar an einem neuen Tiefpunkt angelangt.

Ich wollte ohnehin über die Probleme in den deutsch-polnischen Beziehungen schreiben, weil auf dem Gebiet in letzter Zeit viele interessante Dinge passiert sind. Ich bin aber noch nicht dazu gekommen, daher freue ich mich über einen Artikel, den der Deutschland-Korrespondent der russischen Nachrichtenagentur TASS veröffentlicht hat und der inhaltlich sehr ähnlich zu dem ist, was ich auch schreiben wollte. Also habe ich den TASS-Artikel übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Liebe kann man nicht erzwingen: Die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen eskalieren erneut

Wjatscheslaw Filippow, Deutschland-Korrespondent der TASS, zur Frage, ob Polen und Deutschland eine Chance zur Annäherung haben

Nachdem Donald Tusk im Dezember 2023 in Polen an die Macht kam, oder besser gesagt an sie zurückkehrte, atmete die deutsche Regierung auf, denn sie hatte wieder Hoffnung, die komplizierten Beziehungen mit dem Nachbarland wieder in Ordnung zu bringen. Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Polen seit 2015 regiert hatte, pflegt seit jeher das Bild eines „bösen“ Deutschlands: Ende 2021 äußerte der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski sogar öffentlich die Meinung, dass Deutschland unter seiner Führung quasi eine föderale Europäische Union aufbauen und damit ein „Viertes Reich“ schaffen wolle. Die Frage der Reparationen für Schäden während des Zweiten Weltkriegs, russische Gaslieferungen an Deutschland und die Rolle Deutschlands bei der militärischen Unterstützung Kiews, auf all dem hat die damalige polnische Regierung aktiv und zum Nachteil Deutschlands rumgehackt, was die bilateralen Beziehungen vergiftete.

Und dann kam Tusk, den die PiS einen „Diener Berlins“ nannte. Es ist bekannt, dass er freundschaftliche Beziehungen zur ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel unterhielt. Seine Großmutter war Deutsche. Die neue polnische Regierung weigerte sich, Reparationen in der ursprünglich angekündigten Höhe (6,2 Billionen Zloty, etwa 1,5 Billionen Dollar) zu fordern, und bot der deutschen Seite an, eine „kreative Lösung“ zu finden, um den Schaden zu kompensieren.

Die Gaslieferungen aus Russland wurden eingestellt, die deutsche Militärhilfe für die Ukraine wuchs, und die Beziehungen zwischen den Nachbarn begannen sich zu erwärmen. Es schien, als ob sogar völlige Harmonie herrschen könnte. Es gab Ideen, das sogenannte Weimarer Dreieck (Deutschland, Frankreich und Polen), das im August 1991 als Instrument der Annäherung Polens an die EU und die NATO gebildet wurde, mit neuem Leben zu erfüllen und es zu einer treibenden Kraft des vereinten Europas zu machen.

Die Realität diktiert ihre eigenen Bedingungen

Doch die Realität hat wieder einmal alles auf den Kopf gestellt. Mitte August dieses Jahres berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass die deutsche Generalstaatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen einen ukrainischen Tauchlehrer erlassen hat, der verdächtigt wird, an der Sprengung der Nord Stream-Pipelines beteiligt gewesen zu sein. Die Medien schrieben, dass die polnische Regierung keinen Beitrag zu den Ermittlungen im Zusammenhang mit den Sabotageakten geleistet habe, sich von Anfang an unkooperativ gezeigt und dem Verdächtigen sogar zur Flucht in die Ukraine verholfen habe.

Ende August gaben deutsche Medien neue Details bekannt. Nach ihren Informationen überquerte Wladimir Sch., der von den deutschen Behörden wegen der Sprengung gesucht wird, in einem Auto der ukrainischen Botschaft in Warschau die Grenze zur Ukraine, nachdem der Haftbefehl gegen ihn erlassen worden war. Wie der Spiegel unter Berufung auf eigene Quellen berichtete, wurde Berlin bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen Anfang Juli mitgeteilt, dass Polen nicht die Absicht habe, im Fall der Sprengung der Nord Stream-Pipeline zu helfen. In den Sicherheitsstrukturen sagte man dem Spiegel, dass „die Empörung der deutschen Regierung und der deutschen Behörden über das Vorgehen Warschaus groß ist“ und „das unfaire Spiel der Polen nicht vergessen wird“.

In Deutschland haben eine Reihe von Politikern und Experten seither offen erklärt, dass die Ukraine und Polen offensichtlich vereinbart hätten, die Nord Streams zu sprengen, und dass man von ihnen Schadensersatz verlangen müsse.

Vor dem Hintergrund dieser negativen Nachrichten entschied sich Tusk in letzter Minute, seinen für den 12. September geplanten Besuch in Deutschland abzusagen. Er sollte nach Potsdam reisen, wo ihm der M100-Medienpreis verliehen werden sollte, mit dem „Personen ausgezeichnet werden, die sich für die Stärkung der Demokratie, der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der europäischen Verständigung einsetzen“. Tusk verwies auf innenpolitische Gründe. Auch Scholz, der dort die Gratulationsrede halten sollte, sagte seine Reise nach Potsdam ab, offiziell „aufgrund von terminlichen Unstimmigkeiten“.

Beobachter sahen den Grund für die Absage des Tusk-Besuchs sofort in der Verschlechterung der Beziehungen wegen den Ermittlungen zur Gaspipeline-Sprengung. Und es ist klar, warum. So veröffentlichte Tusk am 17. August einen Beitrag auf X, in dem er forderte, dass „die Schirmherren der Nord Streams (also die Deutschen) sich entschuldigen und den Mund halten“. Nach Angaben des Wall Street Journal war die deutsche Regierung „fassungslos“ über diese Aussage. Beide Seiten bestätigten jedoch nicht, dass die Absage der Reise etwas mit politischen Differenzen zu tun hat.

Die Verschärfung der Krise: Grenzkontrollen

Ein weiterer Grund für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Berlin und Warschau war die Entscheidung der deutschen Regierung, ab dem 16. September vorübergehende Kontrollen an allen Landgrenzen des Landes einzuführen, um die illegale Migration einzudämmen. Vorausgegangen war ein Terroranschlag in Solingen, wo ein 26-jähriger Syrer am 23. August Festbesucher mit einem Messer angriff, drei Menschen tötete und acht weitere verletzte. Nach dem Anschlag und mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen beschloss die Bundesregierung in aller Eile ein Maßnahmenpaket zur Verschärfung des Zuwanderungsrechts.

Deutschland ist seit langem mit der Aufnahme von Flüchtlingen überfordert. Die Ausländerämter werden mit Asylanträgen regelrecht überschwemmt, und es ist aus verschiedenen Gründen schwierig, die gefährlichen Kriminellen unter den illegalen Ausländern massenhaft abzuschieben: Oft gelingt es den Migranten, einfach zu untertauchen, oder es gibt keine Erlaubnis der Gastländer, die abgeschobenen Personen dorthin zu fliegen. Gleichzeitig unterhält die Bundesrepublik Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu den Regierungen Syriens und Afghanistans, und technische Kontakte finden durch Vermittlung, beispielsweise von Katar, statt. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind allein in der ersten Hälfte dieses Jahres in 14.601 Fällen Versuche, Migranten aus dem Land abzuschieben, gescheitert. Für das gesamte Jahr 2023 wurden 31.330 erfolglose Versuche verzeichnet, unerwünschte Ausländer des Landes zu verweisen.

Die vorübergehenden Kontrollen an den Grenzen sind also eine erzwungene Lösung. Gerade im Osten Deutschlands war die Situation mit illegalen Grenzübertritten besonders schwierig. Bundespolizisten registrierten im Jahr 2023 143,7 Prozent mehr solcher Fälle als im Jahr 2022.

Dabei werden an der Grenze zu Polen bereits seit Oktober letzten Jahres stichprobenartig Kontrollen durchgeführt, das ist also nichts Neues. Die polnische Regierung hat das jedoch zum Anlass genommen, sich mit ihrem westlichen Nachbarn zu streiten. Tusk kritisierte die Entscheidung Deutschlands, seine Grenzen zu schließen, und nannte diese Maßnahmen inakzeptabel. Am 12. September erklärte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski, Warschau wolle die Einführung vorübergehender Kontrollen an den Landgrenzen durch Berlin bei der EU-Kommission zur Diskussion stellen.

Wer wird der Schirmherr für das Baltikum?

Polen beansprucht eine führende Rolle unter den NATO-Partnern in Osteuropa und baut sein militärisches Potenzial aus, vielleicht mehr als jedes andere Land in der Allianz. Und Warschau hat wiederholt seine Bereitschaft erklärt, seine Präsenz in den baltischen Staaten zu verstärken, darunter auch in Litauen, wo Deutschland eine Panzerbrigade der Bundeswehr stationieren will, die bis 2027 voll einsatzfähig sein soll.

Für die Bundesregierung sind diese polnischen Bestrebungen wie Salz in der Wunde, denn es ist Berlin, das beschlossen hat, eine Art Schutzmachtrolle für die baltischen Staaten zu übernehmen. Seit 2017 leitet Deutschland die NATO-Mission „Enhanced Forward Presence“ in Litauen, in deren Rahmen verschiedene Mitgliedsstaaten der Allianz ihre Truppen für kurze Zeit an der Ostflanke des Blocks stationieren.

Wie erwartet, wird die Gesamtzahl der in Litauen stationierten deutschen Militärangehörigen etwa 4.800 Soldaten und etwa 200 zivile Angestellte der Bundeswehr betragen. Ständiger Standort wird der Truppenübungsplatz Rudninkai nahe der Grenze zu Weißrussland sein. Der Aufstellungsprozess der Brigade geht jedoch nur sehr langsam voran: Bisher wurden nur 20 militärische Spezialisten dorthin entsandt, weitere 120 werden Anfang Oktober eintreffen. In diesem Zusammenhang ist nicht auszuschließen, dass die litauische Regierung die Möglichkeit nicht vernachlässigen wird, die Zusammenarbeit im militärischen Bereich mit Polen mittelfristig wirklich zu verstärken. In Berlin wird man das sicherlich als einen weiteren polnischen Angriff werten. In jedem Fall wird die Position Deutschlands im Osten der NATO und im Bündnis selbst geschwächt.

Die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau waren bekanntlich noch nie einfach und es ist aus gewisser Sicht logisch, dass sie sich in einer weiteren Krise befinden. Ein stärkerer, eigenwilliger östlicher Nachbar, der versucht, seine Position in der EU und der NATO zu stärken, ist für die Bundesrepublik nicht von Nutzen, ebenso wenig wie Polen ein starkes Deutschland braucht, das bei den Polen zudem unangenehme Erinnerungen weckt.

Vor diesem Hintergrund scheint es, dass kein Weimarer Dreieck, trotz aller Bemühungen, ihm neues Leben einzuhauchen, zu einer echten Harmonie in den Beziehungen zwischen den Nachbarländern beitragen wird. Es bleibt abzuwarten, wo die Interessen von Berlin und Warschau aufeinanderprallen. Wie man so schön sagt: Liebe kann man nicht erzwingen. Aber der Unterschied zu früher ist, dass Deutschland jetzt auch kein Russland mehr hat, über das es auf Polen einwirken könnte.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.