Gesetz zur Förderung der Demokratie: Gestörtes Demokratieverständnis bei der Regierung?

Familienministerin Giffey will ein neues Gesetz zur Förderung der Demokratie bei jungen Leuten. Das erinnert ein wenig an die DDR, wo es laufend Gesetze brauchte, damit die Menschen trotz aller Missstände den Sozialismus toll fanden. Aber Missstände und Unzufriedenheit verschwinden nicht durch neue Gesetze.
 
Frau Giffey erklärte demnach laut Spiegel: „Das bereits bestehende Programm „Demokratie leben“ ihres Ministeriums sei an vielen Stellen sehr hilfreich, könne aber nicht alle Probleme lösen.
 
Nun lohnt sich ein Blick auf dieses Programm „Demokratie leben“, denn dort werden Themen behandelt wie Homosexuellenrechte und andere Themen der politisch korrekten Agenda. Das sind fraglos wichtige Themen, aber haben die etwas mit Demokratie zu tun? Man kann Homosexuellenrechte auch in einer Diktatur achten und schützen. Demokratie ist etwas anderes.
 
Also zurück zum Anfang. Was ist Demokratie per Definition eigentlich? Das Wort Demokratie kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Herrschaft des (Staats-)Volkes“. Also den Willen des Volkes umsetzen.
 
Nun ist das „Volk“ keine homogene Masse, es gibt dort verschiedene Meinungen zu einem Thema. Zur Demokratie gehört also, dass man ein Thema ohne Denkverbote diskutiert und alle Argumente pro und contra anhört und dass das Volk danach entscheidet. Es liegt in der Natur der Sache, dass es dabei auch „Unterlegene“ gibt, dass also der Wille der Mehrheit umgesetzt wird und die Minderheit damit leben muss, dass ihre Ideen nicht umgesetzt werden. Das ist nun mal Demokratie.
 
Entscheidend ist dabei aber die vorausgehende Diskussion ohne Denkverbote. Jede Meinung muss gesagt werden dürfen. Die einzige Einschränkung ergibt sich aus den Menschenrechten: Man darf nicht zur Unterdrückung oder Gewalt gegen eine andere Gruppe aufrufen. Jede Gruppe hat ihr Recht auf ihre Meinung, auch wenn sie mir möglicherweise nicht gefällt. Um es mit einem Satz zu sagen, der Voltaire zugesprochen wird: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“
 
Dass ist der Kern von Demokratie und Meinungsfreiheit! Und übrigens ist das Toleranz, denn „Toleranz“ kommt aus dem Latein und bedeutet „ertragen, erdulden“. Es hat nichts mit „toll finden“ zu tun, sondern damit, auch die Meinungen und Einstellungen zu ertragen, die man selbst ablehnt. Nur wenn man sich dies vor Augen führt, funktioniert eine Demokratie. Denn Demokratie bedeutet nicht, dass wir alle einer Meinung sind oder alle die gleichen Dinge toll finden.
 
Aber zurück zu dem Artikel im Spiegel: Ministerin Giffey „prangerte eine fortschreitende Entpolitisierung der Gesellschaft an. In vielen Schulen und Vereinen werde überhaupt nicht mehr über Politik gesprochen.
 
Warum sollten Menschen noch über Politik sprechen? Wenn Demokratie bedeutet, dass der Wille des Volkes umgesetzt wird, dann fragt man sich, warum es eine als „Griechenlandrettung“ getarnte Bankenrettung gab, obwohl die Mehrheit in Deutschland dagegen war. Oder warum überhaupt der Euro eingeführt werden konnte, wenn eine klare Mehrheit damals dagegen war. Oder warum deutsche Soldaten überall auf der Welt kämpfen, wenn doch seit 2001 eine Mehrheit der Menschen in Deutschland dagegen ist. Das sind nur drei Beispiele, die Liste ist viel länger.
 
Wenn die Menschen in Deutschland aber immer nur erleben, dass die Regierung Entscheidungen trifft, mit denen die Menschen nicht einverstanden sind, dann wenden sie sich ab. Und im Stillen sind die Politiker darüber auch sehr glücklich, denn man stelle sich einmal vor, all die 40% verärgerten Nichtwähler würden nächstes Mal zur Bundestagswahl gehen, für die etablierten Politiker wäre das ein Alptraum.
 
Aber pflichtschuldig (oder auch dumm und naiv) fordern Politiker wie Giffey mehr politisches Interesse der Menschen. Aber wehe, die Menschen tun das und äußern sich. Da könnten die Armen ja höhere Steuern für Konzerne und Millionäre fordern oder mehr sozialen Wohnungsbau gegen die steigenden Mieten. Von besserer sozialer Absicherung und höheren Renten gar nicht zu reden. Und wenn sich Menschen wie jetzt in Chemnitz gegen die Massenzuwanderung engagieren, dann ist das ganz schlimm. Dabei ist das auch eine Einstellung, die man in der Demokratie ertragen (also tolerieren) muss.
 
Es geht Frau Giffey in Wirklichkeit also nicht um mehr Engagement der Menschen für Politik, es geht ihr darum, dass die Menschen sich bitte schön für die gleichen Themen engagieren, wie sie auch. Und da bin ich wieder bei der DDR: Da forderte der Staat auch politisches Engagement der Genossen, aber bitte nur, wenn man sich für den real existierenden Sozialismus und die Lobpreisung der Partei einsetzte.
 
Politisches Engagement bedeutet aber, dass die Menschen auch eine vom Mainstream abweichende Meinung vertreten können. Daran ging die DDR am Ende zu Grunde.
 
Ein gutes Beispiel ist die Parole „Wir sind das Volk“. Als die Demonstranten in Leipzig dies 1989 skandierten, wetterten die Staatsmedien der DDR, dass diese „Provokateure“ mitnichten das Volk seien, während die westlichen Medien begeistert applaudierten. Und wenn heute in Sachsen wieder tausende auf der Straße „Wir sind das Volk“ rufen, redet die Presse wieder davon, dass diese „Rechten“ mitnichten das Volk sind.
Presse und Politik in der DDR damals und in Deutschland heute reagieren identisch: Sie setzen sich nicht mit den Problemen der Menschen auseinander, sie verunglimpfen sie lediglich als „Provokateure“ oder „Rechte“. Das Vokabular hat sich geändert, die Methode nicht.
 
Es ist jetzt völlig egal, ob Sie die Flüchtlingspolitik gut oder schlecht finden. Aber man muss sich mit den Argumenten der Gegenseite auseinandersetzen anstatt sie einfach zu verunglimpfen. Genau das forderte übrigens 1989 die westliche Presse von der Regierung der DDR: endlich auf das Volk zu hören, anstatt seine Kritik an herrschenden Zuständen pauschal zu verunglimpfen.
 
Und als die DDR-Führung Honecker absetzte, da begann man mit den Menschen zu sprechen, aber man war nicht bereit, wirklich etwas zu ändern. Genau wie heute, denn der Spiegel schreibt: „Dass in den vergangenen Jahren mehr Flüchtlinge ins Land gekommen seien, habe Verlustängste ausgelöst, sagte Giffey. „Darüber muss man reden dürfen, ohne in die rechte Ecke gestellt zu werden.
 
Wie die DDR-Führung damals bietet auch die Regierung heute nicht etwa Gespräche über Veränderungen an, sondern lediglich Gespräche über die Unzufriedenheit. Aber über Unzufriedenheit anstatt über Veränderungen zu reden, bringt nichts. Das ist so, als ob Ihr Arzt Ihnen sagt: „Ihr Blinddarm ist entzündet? Hier haben Sie ein Schmerzmittel, dann tut es nicht mehr so weh“
 
Man muss ohne Denkverbote auch über Veränderungen reden dürfen und dann entscheidet die Mehrheit. Das wäre Demokratie. Aber was ist dann das, was wir hier gerade erleben?
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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