Echte Gefahr oder russische Propaganda? – Eskalation in Syrien und kein Wort in den deutschen Medien

Im deutschen Blätterwald ist es um die Themen Russland und Syrien derzeit merkwürdig still geworden. Die Schlagzeilen werden beherrscht von den Vorfällen in Chemnitz. Dabei gibt es sehr beunruhigende Nachrichten über Syrien, die in Deutschland jedoch kein Thema sind.
 
Russische Medien melden seit Tagen, dass in Syrien eine Eskalation bevorsteht, die ungeahnte Auswirkungen haben kann. Dies kann dem deutschen Medien-Mainstream nicht entgangen sein und man fragt sich, warum es keine Meldungen darüber gibt.
 
Es begann vor einigen Tagen damit, dass russische Medien unter Berufung auf den russischen Generalstab und später auch auf türkische Zeitungen gemeldet haben, dass die Islamisten in Idlib die Inszenierung eines Giftgasangriffs vorbereiten, der als Vorwand für eine amerikanische Vergeltungsaktion gegen Syrien genutzt werden soll.
 
Die USA haben im persischen Golf und im Mittelmeer bereits Lenkwaffenzerstörer positioniert, die ganz Syrien mit Marschflugkörpern erreichen können. Zusätzlich wurde ein strategischer Bomber am persischen Golf stationiert. Die Russen haben darauf reagiert, indem sie 14 Kriegsschiffe aus dem Schwarzen Meer an die syrische Küste verlegt haben. Außerdem soll nach Medienangaben ein russisches Transportflugzeug mit ausgeschaltetem Transponder und geheimer Fracht in Syrien gelandet sein, es wird spekuliert, dass es hochmoderne Luftabwehrtechnik der Russen gebracht hat.
 
Hintergrund für diese beiderseitige Aufrüstung in der Region ist die Provinz Idlib im Norden Syriens und an der Grenze zur Türkei. Dies ist die letzte Bastion der islamistischen Rebellen gegen Assad. Derzeit laufen intensive Gespräche auf höchster Ebene zwischen dem Iran, der Türkei und Russland darüber, wie dort weiter vorgegangen werden soll. Die Türkei, die im Norden Syriens Gebiete besetzt hat, wird in den sauren Apfel beißen müssen und ihre Kontrolle dort aufgeben. Man verhandelt offensichtlich über das Wie und Wann.
 
Dies ist auch für die USA eine herbe Niederlage, denn de facto bedeutet es, dass sie ihren seit 2011 andauernden Kampf um die Absetzung Assads verloren haben. Und verlieren ist etwas, was die USA nicht so einfach akzeptieren. Selbst wenn sie derzeit kaum eine Chance haben, Assad in naher Zukunft loszuwerden, so können sie doch eine Menge tun, um eine Beruhigung der Lage in Syrien zu verhindern.
 
Die USA haben in kurdisch kontrollierten Gebieten Syriens Spezialeinheiten stationiert. Aktuell gibt es Meldungen, dass sie dort ein Netz von Radaranlagen aufbauen und Flugabwehrraketen stationieren wollen, um in Syrien eine Flugverbotszone durchzusetzen. Dabei würden sie allerdings in Konflikt mit dort operierenden russischen Flugzeugen geraten.
 
Beim letzten „Vergeltungsschlag“ gegen Syrien im April wurde das russische Oberkommando von den USA vorab über die geplanten Angriffe informiert, um eine direkte Konfrontation der Supermächte zu vermeiden. Ob dies auch dieses Mal geplant ist, weiß man nicht. Da beide Seiten nun massive Kräfte in der Region zusammenziehen, ist eine direkte – wenn auch vielleicht ungewollte – Konfrontation zwischen Russland und den USA wahrscheinlicher geworden.
 
Es braut sich in Syrien eine Gefahr zusammen, die Auswirkungen weit über Syrien hinaus haben kann. Und in den deutschen Medien findet sich darüber kein Bericht. Nicht einmal, nachdem Russland gestern eine Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrates zu dem Thema einberufen hat und über all diese Dinge dort berichtet hat. Auch Reuters berichtete bereits auf Deutsch (wenn auch nur in einem kurzen und unvollständigen Artikel) über die russischen Meldungen, trotzdem keine Nachricht im deutschen Blätterwald. Unwissen kann also nicht der Grund für das Schweigen sein.
 
Das Schweigen der deutschen Presse ist fast schon unheimlich.
 
Nun kann man behaupten, all dies wäre russische Propaganda, um einen geplanten Angriff mit Giftgas von vornherein als Aktion der Islamisten darzustellen. Selbst wenn es so wäre, erklärt auch das nicht, warum die deutschen Medien so hartnäckig dazu schweigen, man könnte ja über die „russische Propaganda“ berichten.
 
Mir drängt sich der Verdacht auf, dass man bewusst zu dem Thema schweigt, um dann umso empörter auf einen Giftgasangriff reagieren und besonders laut nach einem harten Schlag gegen den bösen Assad und die bösen Russen rufen zu können. Wenn diese Nachricht die westliche Öffentlichkeit überraschend trifft, ist die Empörung größer, als wenn man sie tagelang darauf vorbereitet. Dieses Szenario hat auch im April ganz ordentlich funktioniert, als nach einem höchstwahrscheinlich vorgetäuschten Chlorgasangriff innerhalb von Tagen und vor einer neutralen Untersuchung bereits ein massiver Schlag mit über hundert Marschflugkörpern gegen Syrien geführt wurde.
Jedoch sind beide Seiten nun in der Region höher gerüstet als damals.
 
Die Russen haben den Angriff damals übrigens nicht einfach hingenommen, von den über hundert Raketen hat über die Hälfte ihr Ziel nicht erreicht und es liegt nahe, dass sie – ob von syrischen oder russischen Kräften – abgeschossen wurden. Das russische Fernsehen zeigte damals fast unversehrte Tomahawk-Raketen, die in der syrische Wüste abgestürzt waren und zur Freude russischer Militärtechniker zur Untersuchung nach Russland gebracht wurden.
 
In dieser explosiven Lage, in der die USA Assad fast um jeden Preis aus dem Weg räumen wollen und die Russen genau dies um jeden Preis verhindern wollen, ist die Gefahr einer direkten Konfrontation der Supermächte nicht ausgeschlossen.
 
Ich hoffe, dass ich mich irre.
 
Weitere Hintergrundinformationen über die Chronologie der Vorfälle mit Giftgas in Syrien, die Gründe, warum Russland und die Türkei so eng zusammen gerückt sind und die Rolle der sogennnten Weißhelme finden Sie auf meiner Seite unter der Rubrik „Hintergrund“.
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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