Afghanistan

Teil 7: Das Leben in Afghanistan unter den Taliban

Ein Korrespondent des russischen Fernsehens hat kürzlich ganz Afghanistan bereist. Hier übersetze ich seine Reportagen aus einem Land, über das wir heute kaum etwas wissen.

Ich habe vor einigen Tagen angekündigt, dass ich russische Reportagen über das Leben in Afghanistan unter den Taliban übersetzen werde. Ein Korrespondent hat kürzlich das ganze Land bereist und jeden Sonntag wurde im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens eine seiner Reportagen ausgestrahlt. Ich habe die Reportagen übersetzt und veröffentliche nun jeden Tag eine davon.

Im siebten und letzten Teil ging es um den erfolgreichen Kampf der Taliban gegen den Anbau und Konsum von Drogen, denn die Taliban konnten den Drogenanbau um 95 Prozent reduzieren.

Beginn der Übersetzung:

Afghanistan, aus dem russische Korrespondent Sergej Senin berichtet hat, ist seit Jahrzehnten das Zentrum des weltweiten Drogenhandels. Während der 20-jährigen Präsenz der Amerikaner hat sich die Opiatproduktion mehr als vervierzigfacht.

Nach ihrer Machtübernahme begannen die Taliban zu handeln. Nach UN-Angaben ist der Schlafmohnanbau in Afghanistan allein im Jahr 2023 um 95 Prozent zurückgegangen. Im letzten Teil seines Reiseberichts zeigt den Kampf der Taliban gegen den Drogenanbau und -konsum.

Afghanistan hat sich vor meinen Augen verändert. Ich habe gesehen, wie der Krieg der Amerikaner gegen die Taliban hier begann und wie die Taliban nach 20 Jahren Krieg an die Macht kamen. Ich kann nur sagen, dass die letzten zweieinhalb Jahre die friedlichste Zeit waren. Die Kampfhandlungen haben aufgehört. Die Straßen sind viel sicherer geworden.

Glauben Sie mir, das ist keine inszenierte Geschichte. Die Sicherheitsleute auf den Straßen Kabuls sind ganz normal. Diese Leute flößen Vertrauen und irgendwo auch Angst ein. Aber dank ihnen ist es hier ziemlich sicher.

Unter ihrem Schutz fühlen sich die Menschen sicherer und haben die Hoffnung, dass die Taliban-Kämpfer den schlimmsten Feind besiegen werden. Man muss nicht weit gehen, um Heroinkonsumenten zu finden. Diese Leute, die sich im Drogenrausch befinden, werden an Ort und Stelle festgenommen. In ihren Unterkünften findet man Drogen in den Lumpen. In einer amerikanischen Gasmaske war eine Folie zum Rauchen von Opium und mehrere Ampullen mit Heroin.

Das sind Aufnahmen von meinem letzten Besuch im Oktober 2021. Damals sah es so aus, als würde sich unter der Drogenbrücke nichts ändern. Die ersten Razzien der Taliban brachten nur vorläufige Ergebnisse. Sie fingen sie, therapierten sie, ließen sie wieder frei. Aber die Süchtigen kehrten in ihre stinkenden Löcher zurück. Aber jetzt ist diese Zeit vorbei.

Die Müllberge unter der Brücke sind natürlich nicht verschwunden, der schreckliche Gestank auch nicht, aber das Hauptproblem ist gelöst: Es gibt hier kein Drogenlager mehr. Sie wurden alle eingefangen.

Die Taliban haben mehr als 1.000 geheime Drogenfabriken zerstört. Tausende Hektar afghanisches Land wurden von Schlafmohnplantagen befreit.

Ich spreche mit Abdul Haq Hamkar, dem für die Drogenbekämpfung zuständigen stellvertretenden Innenminister und frage ihn: „Als ich Sie vor einigen Jahren traf, sagten Sie mir, dass Sie die Drogen in Afghanistan vollständig ausrotten würden. Ehrlich gesagt habe ich das damals nicht geglaubt. Jetzt bin ich erstaunt. Wie ist es zu diesem erstaunlichen Erfolg gekommen?“

„Wenn wir etwas versprechen, dann halten wir es auch. Wir haben den Menschen über die Medien und die Geistlichen gesagt, dass wir Drogen bestrafen werden. Dann haben wir mit der Ausrottung begonnen“, war seine Antwort.

Die meisten Afghanen, die Mohn anbauten, dachten nicht darüber nach, dass sie Drogen anbauten. Für sie war es eine landwirtschaftliche Nutzpflanze, mit der sie Geld für ihre Familien, für ihr Leben verdienten. Was ersetzt ihr Einkommen, nachdem diese Felder zerstört wurden? Bauen sie etwas Neues an, oder haben sie einfach Geld bekommen? Wie hat die Bevölkerung das aufgenommen?

Der Innenminister sagte dazu: „Gott sei Dank sind unsere Bauern geschäftstüchtige Leute, sie haben es schon geschafft, sich anzupassen, einen Ersatz für den Mohn zu finden, normale Feldfrüchte anzubauen. Alle haben uns verstanden. Wir helfen unseren Bauern. Wir verstehen, dass wir das nicht nur für Afghanistan tun, sondern für die ganze Welt.“

„Ich wollte Ihnen nur dafür danken, dass Sie wirklich die Welt retten. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben Sie das Drogenproblem in Afghanistan zu 90 bis 95 Prozent in den Griff bekommen“, erwiderte ich.

„Unsere Statistik weicht um ein Prozent ab. Wir wissen ganz sicher, dass wir mehr als 95 Prozent der Ernte vernichtet haben“, meinte er.

Die Taliban hatten sich sehr lange vorbereitet und buchstäblich über Nacht alle Drogennester aufgelöst. Gleichzeitig wurden die wichtigsten Drogenhändler verhaftet. Gerüchten zufolge wurden die meisten von ihnen gehängt – als Mahnung für die anderen, die nun ebenfalls inhaftiert und zwangsbehandelt werden.

Wir besuchen eines der geschlossensten Behandlungszentren in Kabul. Mehrere tausend Menschen sind in diesem Lager. Es gibt welche, die nicht überleben werden, es gibt welche, die noch schwer krank sind, es gibt welche, die aus diesem Alptraum herauskommen. Und es gibt diejenigen, die bereits für die Lagerleitung arbeiten. Das sind Spezialisten auf absolut jedem Gebiet, von der Computerprogrammierung bis zum Fliegen von Flugzeugen.

Dieser ehemalige Pilot heißt Faraj, was man mit „Glück“ übersetzen kann. Jetzt ist er ewig glücklich, denn das Heroin hat ihn verrückt gemacht. Jedes Mal, wenn Flugzeuge vorbeifliegen, schreit er etwas Unverständliches und jubelt.

Die Sonne kommt raus, die Leute freuen sich. Jeder hat sein eigenes Schicksal, jeder kann seine Geschichte erzählen, wie er in diese Hölle geraten ist. Viele der Anwesenden beschweren sich über die Ärzte, über die Verwaltung, und das ist verständlich, denn die Menschen sind gezwungen, wieder menschlich zu werden. Für viele ist es nicht leicht zu begreifen, dass sie wieder Menschen werden.

Ein anderer Heroinabhängiger, Zahid, bittet seit neun Monaten um Entlassung, um zu seiner Familie zurückzukehren, die nur in seinem Gehirn existiert. Ein anderer Mann ist seit zwei Jahren heroinabhängig. Die Folge waren Wundbrand und eine Amputation.

Vor 25 Jahren besuchte Hasan ein Internat in Russland, in Stawropol. Nach seinem Studienabschluss beschloss er, nach Afghanistan zurückzukehren. Dort herrschte Krieg und es gab keine Arbeit. Falsche Freunde machten ihn drogenabhängig. Jetzt ist Hasan schon auf dem Weg der Besserung. Hasan erzählt mir auf Russisch: „Niemals Drogen nehmen. Das ist etwas ganz Schlimmes. Du siehst, was Drogen einem antun. Jetzt ist das Haus weg, die Frau ist weg, die Kinder sind weg. Das war’s. Du hast diese Menschen nicht mehr. Ich möchte sagen, dass man niemals Drogen nehmen sollte. Drogen sind sehr schlimm.“

Diejenigen, die noch einen Schritt von der Genesung entfernt sind, dürfen arbeiten. Sie säubern das Gelände, bereiten Zimmer für neue Gäste vor, waschen die Wäsche für das ganze Lager. Die Arbeit ist hart und wird nicht bezahlt. Die Verantwortungsbewusstesten und Ausdauerndsten unter ihnen dürfen als Anreiz außerhalb des Lagers arbeiten. Aber diese Chance gibt es erst nach einem Jahr Zwangsbehandlung.

Es gibt auch Abteilungen mit schwerkranken Patienten mit offenen Formen verschiedener Krankheiten. In der „roten Zone“ wird man bei uns in eine Art Einweganzug gesteckt, den man dann wegwirft, aber in dem man sich sicher genug fühlt. Hier gibt es nur eine Maske und Handschuhe. Das ist alles. Alle Arten von Hepatitis, offene Tuberkulose, AIDS, nicht heilende Wunden werden von den Ärzten behandelt. Die Leute in den weißen Kitteln hier sollten Orden bekommen. Hätte man diese Patienten nicht von der Straße aufgesammelt und hierher gebracht, wären sie gestorben oder einfach lebendig verwest.

In der „roten Zone“ begleitete uns Oleg Gontsow, ein Veteran der Kampfeinsätze in Afghanistan. Ohne seine Hilfe hätten wir diese Reportage gar nicht drehen können. Er hätte nicht in den gefährlichsten Ort des Lagers gehen müssen, aber anscheinend galt auch hier die eiserne Regel der Fallschirmjäger: Niemals seine Leute im Stich lassen.

Laut Statistik werden nur 6 Prozent der Heroinabhängigen vollständig geheilt. Dennoch ist das ein großer Sieg, denn immerhin können so mehrere zehntausend Afghanen gerettet werden. Hier geht es um das Leben aller vier Millionen Drogenabhängigen.

Drogenabhängige haben oft offene Wunden. Ein Arzt namens Dzhelautdin erzählt: „Es fehlt an Medikamenten. Das ist das Hauptproblem. Erst hat der Westen diese Menschen zu Opfern gemacht, jetzt ist er weg. Schließlich wurden die Drogen in Afghanistan mit ihrem Einverständnis angebaut. Die Amerikaner haben überhaupt nicht dagegen gekämpft. Und jetzt, wo sie weg sind, übernehmen sie keine Verantwortung, sie helfen uns nicht bei der Behandlung der Drogenabhängigen. Sie töten Afghanen immer noch.“

Die Drogen in den Lagern von Kabul sind längst vernichtet. Die Reste wurden in den Provinzen eingesammelt. Wir werden jetzt praktisch das letzte große Drogenfeuer in Afghanistan sehen, denn die Drogen werden hier verbrannt.

Haschisch riecht nach Kiefernholz, damit beginnen die Drogensüchtigen in Afghanistan ihren kurzen Weg in den Tod. Dann geht es weiter mit Pillen und härteren Drogen. Ein Beamter sagt auf unsere Frage: „Wie vernichten alles, was töten kann.“

Die neue Führung Afghanistans versucht nun, eine neue Generation ohne Drogen, ohne Alkohol, mit Glauben an Gott und an ihr Land zu schaffen. Wenn das gelingt, brauchen die anderen nur noch zu folgen.

Die Taliban vernichten alles, was den Menschen berauschen könnte. Der Inhalt der Lager amerikanischen Militärbasen ist da keine Ausnahme. Auch Wodka aus der Ukraine wurde gefunden.

Jetzt wird alles verbrannt, was unsere Filmgruppe mit unseren afghanischen Kollegen machen darf. Westlicher und ukrainischer Alkohol, gemischt mit afghanischem Heroin und Haschisch, brennt ziemlich gut.

Es ist nicht sicher, sich auf der dem Wind abgewandten des Feuers aufzuhalten, da die Drogen einen sehr beißenden und ekelerregenden Rauch haben, der einen sogar in einen Rausch versetzen kann. Ich Oleg Gontsov, unseren Veteran der Kampfeinsätze in Afghanistan: „Oleg, wenn man Ihnen vor zehn Jahren gesagt hätte, dass Sie mit den Taliban zusammen Drogen vernichten würden, was hätten Sie geantwortet?“

„Ich hätte geantwortet, dass ich solche Märchen gehört habe, aber nicht in diesem Ausmaß. Und jetzt ist es Realität. Wir können nur staunen.“

Wir verlassen Afghanistan mit dem Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben. Vor unseren Augen wurden Drogen im Wert von über hunderttausend Dollar vernichtet. Was die Taliban berichtet haben, haben wir nun offiziell dokumentiert.

Hinter uns liegen mehrere tausend Kilometer Strecke, die zu Dutzenden von Städten und Dörfern geführt haben, zu unbekannten Geschichten und Bekanntschaften. Vor uns liegt jetzt ein neues Afghanistan – unabhängig, offen und frei.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

7 Antworten

  1. Die Taliban hatten bereits vor dem NATO-Überfall den Mohnanbau auf Fast-Null reduziert und machen jetzt nur da weiter, wo sie seinerzeit gezwungenermaßen aufhören mußten. Und der Hauptförderer und -profiteur der Kriegsjahre wird sich jetzt wieder Süd- und Mittelmerika zuwenden müssen.

  2. Schade, dass auf dieser Reise nur v.a. Kabul und die paschtunischen Gebiete besucht und geschildert werden. Bei mir hat 2018 ein schiitischer Flüchtling gelebt, für 1 Jahr, inzwischen ist er Krankepfleger. Er und seine Kollegen sind alle Hazara, eine grosse ethnische Minderheit, welche auch jetzt noch unterdrückt werden von den Taliban. So wie seit Jahrhunderten, gut geschildert im Buch/Film „Drachenläufer“.
    Seine Familie lebt in der Region Ghazni und im Dorf gibt es nach wie vor keine Elektrizitätsversorgung, obwohl ausländische Unternehmen seit vielen Jahren bereitstehen, diese einzurichten. Nur wenige Abiturienten werden an Unis zugelassen u.v.m. Schulbildung für Mädchen wird stärker unterdrückt als bei den Paschtunen. Auch dieses Schweizer Hilfswerk (welches seit 33 Jahren v.a. in den unterdrückten Gebieten arbeitet), kommt zum Schluss, dass es für sehr viele Menschen nicht besser geworden ist https://www.afghanistanhilfe.org/de/aktuelles.html
    Trotzdem kann ich akzeptieren, dass Russland mit der aktuellen Regierung kommuniziert, alles andere macht auch nichts besser! Und Danke für die Uebersetzung Thomas 🙂

  3. reine Männergesellschaft, welche die Probleme der Männer löst, inklusive Friseurbesuch. Von Frauen keine Spur, kein Sterbenswörtchen. Zensur? Freiwillige Anbiederung? Das macht mir als Frau ein übles Gefühl und dem Westen die antirussische Propaganda leicht.

  4. Kein Sterbenswörtchen weder über Frauen, noch über Schulen und Bildung, noch über die Staatsfinanzen, was doch alles auch sehr wichtige Themen sind. Die reine Männerwelt wird keine Probleme lösen, etwas weniger Sowjetunion und mehr Afghanistan im Jetzt wäre mir lieber gewesen.
    Trotzdem vielen Dank für die 7 Videos und Übersetzungen.

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