Aus aktuellem Anlass – was wissen wir über den Fall Skripal?

Der Spiegel meldete am Montag, dass Großbritannien die Auslieferung von Russen beantragen möchte, die es für Verdächtige im Fall Skripal hält. Der Spiegel weist völlig korrekt darauf hin, dass die russische Verfassung die Auslieferung von Russen verbietet. Es wird also keine Auslieferung geben, zu erwarten ist jedoch, dass es bei der Absage Russlands wieder viele Artikel geben wird, die Russland für diesen Fall verantwortlich machen. Daher ist es interessant, zu überprüfen, was eigentlich bekannt ist und ob man tatsächlich eine Verantwortung nachweisen konnte.
Im Fall Skripal gibt es erstaunlich wenig gesicherte Fakten, dafür aber eine Menge Anschuldigungen von britischer Seite gegen Russland. Da eine vollständige Chronologie des Falles schwer finden ist, werde ich diese hier erstellen.
Am 4. März 2018 gegen 13.40 erreichte Sergej Skripal zusammen mit seiner Tochter Julia das Einkaufszentrum Maltings, sie gingen kurz in den Pub The Mill um danach von 14.20 Uhr bis 15.35 Uhr im italienischen Restaurant zu essen. Danach fühlten sie sich plötzlich schlecht und gingen an die Luft. Der Notarzt wurde um 16.15 Uhr gerufen und um 17.10 wurden die beiden bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert. Auch ein Polizist wurde stationär behandelt, aber noch im März wieder entlassen, während die Skripals noch im Koma lagen.
In den folgenden Tagen gab es wilde Spekulationen, was passiert sein könnte und am 7. März gab die britische Seite bekannt, es handele sich um ein seltenes Nervengift, nannte jedoch zunächst keine Details. Am 12. März gab die britische Premierministerin May dann bekannt, es handele sich um das in der Sowjetunion entwickelte Nervengift Nowitschok.
Es gab in dieser Zeit verschiedene Spekulationen darüber, wo und wann die Skripals mit dem Gift in Kontakt gekommen sein sollen und es wurden hunderte Menschen aufgefordert, die sich am 4. März in der Nähe aufgehalten hatten, ihre Kleidung gründlich zu waschen.
Erst am 28. März wurde bekannt gegeben, dass die höchste Konzentration des Giftes auf der Türklinke des Hauses von Skripal gefunden wurde. Demnach müssen beide Skripals beim Verlassen des Hauses die Türklinke berührt haben und sind dann aber noch über zwei Stunden nach dem Kontakt mit dem Nervengift völlig Symptom-frei in einem Pub und einem Restaurant gewesen, bevor sie sich begannen schlecht zu fühlen.
Nachdem Premierministerin May am 12. März mitgeteilt hat, dass es sich um das Nervengift Nowitschok handelte, beschuldigte sie auch sofort Russland der Tat und stellte Russland ein Ultimatum, sich bis Mitternacht „zu erklären“. Russland wies das Ultimatum zurück und erklärte, nichts mit dem Fall zu tun haben und forderte Proben des Giftes an, um es untersuchen zu können. Russland hat die Briten in der Folge immer wieder aufgefordert, Proben zur Verfügung zu stellen und auch den Mitarbeitern der Botschaft Zugang zu den russischen Staatsbürgern Skripal zu geben, was diplomatischer Usus und in Abkommen geregelt ist. Man stelle sich einmal vor, z.B. die Türkei würde deutschen Behörden den Zugang zu deutschen Staatsbürgern in einem türkischen Krankenhaus verwehren, so etwas ist unvorstellbar. Die Briten jedoch verweigerten den Zugang und verweigern ihn bis heute.
 
Außer den britischen Vorwürfen war immer noch nichts bekannt, trotzdem griff die Presse in Deutschland die britische Version auf. So schrieb der Spiegel z. B. „„Quatsch“, „Unsinn“, „Märchen“: Moskau weist jede Schuld an der Vergiftung des russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal von sich. Die Taktik ist altbewährt
Schon die Formulierung der „altbewährten Taktik“ suggeriert, dass nur Russland schuld sein könne, während es über die Beschuldigungen aus Großbritannien hieß: „Der Ex-Spion Skripal wurde in England mit einem Mittel aus Sowjetproduktion vergiftet. London sieht die Schuld bei Moskau und bestellt den russischen Botschafter ein.
Für den Spiegel war es also sofort klar, dass die britische Position, das Mittel wäre aus sowjetischer Produktion, wahr ist. Allerdings wissen wir heute, dass die Formel für Nowitschok seit 1992 bekannt ist, als ein russischer Überläufer sie weitergab und dass in der Folge viele Länder damit experimentiert haben, unter anderem auch Deutschland, England oder die Tschechei. Es kann also aus den Beständen sehr vieler Länder kommen. Trotzdem schlossen sich als erstes die USA dem Urteil der Briten an und ihnen folgten die Nato und die EU mit ihren Mitgliedern. In den folgenden Tagen kamen die Medien nicht zur Ruhe, allein bei Spiegel-Online erschienen am 12. und 13. März zehn Artikel, die sich um dieses Thema drehten und dem Leser in den verschiedensten Varianten klar machten, dass Russland für einen Giftgasanschlag in Europa verantwortlich sei.
Am 14. März wies Großbritannien dann als Reaktion 23 russische Diplomaten aus, worauf Russland drei Tage später ebenfalls mit der Ausweisung von 23 Diplomaten reagierte. Alleine am 14. März veröffentlichte der Spiegel nun zehn Artikel, die den Fall Skripal zum Thema hatten und alle Russland mehr oder weniger offen als Schuldigen benannten.
Wie gesagt, gab es zu diesem Zeitpunkt nur die Behauptungen der britischen Regierung, der sich andere westliche Regierungen anschlossen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten die Experten der UNO von OPWC noch gar keinen Zugang zu den Skripals oder zu Proben des Giftes. Es gab also keinerlei neutrale Bestätigung. Trotzdem war für westliche Presse und Politik der Fall bereits klar. Russische Forderungen, endlich Zugang zu den Patienten zu bekommen oder die Proben untersuchen zu dürfen, wurden von der Presse nur knapp erwähnt: „Moskau weist jede Schuld an der Vergiftung des russischen Ex-Agenten Skripal von sich. Jetzt will der Kreml den Fall selbst untersuchen – und Kontakt zu Skripals ebenfalls vergifteter Tochter aufnehmen.
Die Anschuldigungen von May gegen Russland lasen dagegen z.B. so: „Mit ernster Miene tritt May an das Rednerpult. Sie sagt, es sei richtig gewesen, Moskau die Möglichkeit zu geben, auf die Vorwürfe zu reagieren. Doch die russische Regierung sei dieser Aufforderung nicht gefolgt. „Ihre Antwort hat eine völlige Verachtung für die Schwere dieser Geschehnisse gezeigt“, sagt May. „Es gibt keine andere Schlussfolgerung, als dass der russische Staat verantwortlich ist für den versuchten Mord an Herrn Skripal und seiner Tochter.“ Die Giftattacke sei „ein unrechtmäßiger Einsatz von Gewalt durch den russischen Staat gegen das Vereinigte Königreich“ gewesen.
Wie wir gesehen haben, war das Thema Skripal nun Thema Nummer eins in den Medien, mit allein bei Spiegel-Online bis zu zehn Artikeln pro Tag. Auch am 16. März gab es allein beim Spiegel wieder 8 Artikel zu dem Thema und in einem durfte die Moskau-Korrespondentin als Eineitung schreiben: „Für Großbritannien steht fest: Russland ist für die Giftattacke auf den Ex-Spion Skripal verantwortlich – doch in Moskau zweifeln viele daran. Im Staatsfernsehen läuft die Propaganda auf Hochtouren.
Die Wortwahl sagt alles: Im russischen Staatsfernsehen lief „die Propaganda auf Hochtouren“, mit dieser Wortwahl weiß der Leser gleich, was er von den russischen Mitteilungen halten kann: Alles Propaganda.
 
Dabei lief die Propaganda im Westen noch wesentlich hochtouriger. Bei der BBC (dem britischen Staatsfernsehen) und auch in den deutschen Medien. Und wenn beim Spiegel über 30 Artikel zu einem Thema in vier Tagen veröffentlicht werden, was ist das wenn nicht eine Propaganda-Welle? Der Fall Skripal, das zeigt ein einfacher Blick in die Archive der russischen Medien, bekam weit weniger Artikel in Russland, als in der deutschen Presse. Die Propaganda lief tatsächlich, allerdings weniger in Russland als im Westen. Und als drei Tage später, am 19. März, in Russland Präsidentschaftswahlen stattfanden, titelte die Moskau-Korrespondentin des Spiegel über Putin: „Der große Täuscher
Das nächste Ziel der Briten war es nun, auch andere Länder zur Ausweisung von russischen Diplomaten zu bewegen. Zu diesem Zweck wurden Pressebriefings abgehalten. In Moskau lud die britische Botschaft Journalisten ein und präsentierte die britische Sicht der Dinge in einer Präsentation bestehend aus sechs Seiten, inklusive Coverseite. Diese Präsentation würde in keiner zehnten Schulklasse zu einer genügenden Schulnote ausreichen, war aber für die Briten anscheinend sehr überzeugend. Es lohnt sich, darauf näher einzugehen, weil die Folgen gravierend waren.
Der Spiegel meldete am Montag, dass Großbritannien die Auslieferung von Russen beantragen möchte, die es für Verdächtige im Fall Skripal hält. Der Spiegel weist völlig korrekt darauf hin, dass die russische Verfassung die Auslieferung von Russen verbietet. Es wird also keine Auslieferung geben, zu erwarten ist jedoch, dass es bei der Absage Russlands wieder viele Artikel geben wird, die Russland für diesen Fall verantwortlich machen. Daher ist es interessant, zu überprüfen, was eigentlich bekannt ist und ob man tatsächlich eine Verantwortung nachweisen konnte.
Im Fall Skripal gibt es erstaunlich wenig gesicherte Fakten, dafür aber eine Menge Anschuldigungen von britischer Seite gegen Russland. Da eine vollständige Chronologie des Falles schwer finden ist, werde ich diese hier erstellen.
Am 4. März 2018 gegen 13.40 erreichte Sergej Skripal zusammen mit seiner Tochter Julia das Einkaufszentrum Maltings, sie gingen kurz in den Pub The Mill um danach von 14.20 Uhr bis 15.35 Uhr im italienischen Restaurant zu essen. Danach fühlten sie sich plötzlich schlecht und gingen an die Luft. Der Notarzt wurde um 16.15 Uhr gerufen und um 17.10 wurden die beiden bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert. Auch ein Polizist wurde stationär behandelt, aber noch im März wieder entlassen, während die Skripals noch im Koma lagen.
In den folgenden Tagen gab es wilde Spekulationen, was passiert sein könnte und am 7. März gab die britische Seite bekannt, es handele sich um ein seltenes Nervengift, nannte jedoch zunächst keine Details. Am 12. März gab die britische Premierministerin May dann bekannt, es handele sich um das in der Sowjetunion entwickelte Nervengift Nowitschok.
Es gab in dieser Zeit verschiedene Spekulationen darüber, wo und wann die Skripals mit dem Gift in Kontakt gekommen sein sollen und es wurden hunderte Menschen aufgefordert, die sich am 4. März in der Nähe aufgehalten hatten, ihre Kleidung gründlich zu waschen.
Erst am 28. März wurde bekannt gegeben, dass die höchste Konzentration des Giftes auf der Türklinke des Hauses von Skripal gefunden wurde. Demnach müssen beide Skripals beim Verlassen des Hauses die Türklinke berührt haben und sind dann aber noch über zwei Stunden nach dem Kontakt mit dem Nervengift völlig Symptom-frei in einem Pub und einem Restaurant gewesen, bevor sie sich begannen schlecht zu fühlen.
Nachdem Premierministerin May am 12. März mitgeteilt hat, dass es sich um das Nervengift Nowitschok handelte, beschuldigte sie auch sofort Russland der Tat und stellte Russland ein Ultimatum, sich bis Mitternacht „zu erklären“. Russland wies das Ultimatum zurück und erklärte, nichts mit dem Fall zu tun haben und forderte Proben des Giftes an, um es untersuchen zu können. Russland hat die Briten in der Folge immer wieder aufgefordert, Proben zur Verfügung zu stellen und auch den Mitarbeitern der Botschaft Zugang zu den russischen Staatsbürgern Skripal zu geben, was diplomatischer Usus und in Abkommen geregelt ist. Man stelle sich einmal vor, z.B. die Türkei würde deutschen Behörden den Zugang zu deutschen Staatsbürgern in einem türkischen Krankenhaus verwehren, so etwas ist unvorstellbar. Die Briten jedoch verweigerten den Zugang und verweigern ihn bis heute.
 
Außer den britischen Vorwürfen war immer noch nichts bekannt, trotzdem griff die Presse in Deutschland die britische Version auf. So schrieb der Spiegel z. B. „„Quatsch“, „Unsinn“, „Märchen“: Moskau weist jede Schuld an der Vergiftung des russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal von sich. Die Taktik ist altbewährt
Schon die Formulierung der „altbewährten Taktik“ suggeriert, dass nur Russland schuld sein könne, während es über die Beschuldigungen aus Großbritannien hieß: „Der Ex-Spion Skripal wurde in England mit einem Mittel aus Sowjetproduktion vergiftet. London sieht die Schuld bei Moskau und bestellt den russischen Botschafter ein.
Für den Spiegel war es also sofort klar, dass die britische Position, das Mittel wäre aus sowjetischer Produktion, wahr ist. Allerdings wissen wir heute, dass die Formel für Nowitschok seit 1992 bekannt ist, als ein russischer Überläufer sie weitergab und dass in der Folge viele Länder damit experimentiert haben, unter anderem auch Deutschland, England oder die Tschechei. Es kann also aus den Beständen sehr vieler Länder kommen. Trotzdem schlossen sich als erstes die USA dem Urteil der Briten an und ihnen folgten die Nato und die EU mit ihren Mitgliedern. In den folgenden Tagen kamen die Medien nicht zur Ruhe, allein bei Spiegel-Online erschienen am 12. und 13. März zehn Artikel, die sich um dieses Thema drehten und dem Leser in den verschiedensten Varianten klar machten, dass Russland für einen Giftgasanschlag in Europa verantwortlich sei.
Am 14. März wies Großbritannien dann als Reaktion 23 russische Diplomaten aus, worauf Russland drei Tage später ebenfalls mit der Ausweisung von 23 Diplomaten reagierte. Alleine am 14. März veröffentlichte der Spiegel nun zehn Artikel, die den Fall Skripal zum Thema hatten und alle Russland mehr oder weniger offen als Schuldigen benannten.
Wie gesagt, gab es zu diesem Zeitpunkt nur die Behauptungen der britischen Regierung, der sich andere westliche Regierungen anschlossen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten die Experten der UNO von OPWC noch gar keinen Zugang zu den Skripals oder zu Proben des Giftes. Es gab also keinerlei neutrale Bestätigung. Trotzdem war für westliche Presse und Politik der Fall bereits klar. Russische Forderungen, endlich Zugang zu den Patienten zu bekommen oder die Proben untersuchen zu dürfen, wurden von der Presse nur knapp erwähnt: „Moskau weist jede Schuld an der Vergiftung des russischen Ex-Agenten Skripal von sich. Jetzt will der Kreml den Fall selbst untersuchen – und Kontakt zu Skripals ebenfalls vergifteter Tochter aufnehmen.
Die Anschuldigungen von May gegen Russland lasen dagegen z.B. so: „Mit ernster Miene tritt May an das Rednerpult. Sie sagt, es sei richtig gewesen, Moskau die Möglichkeit zu geben, auf die Vorwürfe zu reagieren. Doch die russische Regierung sei dieser Aufforderung nicht gefolgt. „Ihre Antwort hat eine völlige Verachtung für die Schwere dieser Geschehnisse gezeigt“, sagt May. „Es gibt keine andere Schlussfolgerung, als dass der russische Staat verantwortlich ist für den versuchten Mord an Herrn Skripal und seiner Tochter.“ Die Giftattacke sei „ein unrechtmäßiger Einsatz von Gewalt durch den russischen Staat gegen das Vereinigte Königreich“ gewesen.
Wie wir gesehen haben, war das Thema Skripal nun Thema Nummer eins in den Medien, mit allein bei Spiegel-Online bis zu zehn Artikeln pro Tag. Auch am 16. März gab es allein beim Spiegel wieder 8 Artikel zu dem Thema und in einem durfte die Moskau-Korrespondentin als Eineitung schreiben: „Für Großbritannien steht fest: Russland ist für die Giftattacke auf den Ex-Spion Skripal verantwortlich – doch in Moskau zweifeln viele daran. Im Staatsfernsehen läuft die Propaganda auf Hochtouren.
Die Wortwahl sagt alles: Im russischen Staatsfernsehen lief „die Propaganda auf Hochtouren“, mit dieser Wortwahl weiß der Leser gleich, was er von den russischen Mitteilungen halten kann: Alles Propaganda.
 
Dabei lief die Propaganda im Westen noch wesentlich hochtouriger. Bei der BBC (dem britischen Staatsfernsehen) und auch in den deutschen Medien. Und wenn beim Spiegel über 30 Artikel zu einem Thema in vier Tagen veröffentlicht werden, was ist das wenn nicht eine Propaganda-Welle? Der Fall Skripal, das zeigt ein einfacher Blick in die Archive der russischen Medien, bekam weit weniger Artikel in Russland, als in der deutschen Presse. Die Propaganda lief tatsächlich, allerdings weniger in Russland als im Westen. Und als drei Tage später, am 19. März, in Russland Präsidentschaftswahlen stattfanden, titelte die Moskau-Korrespondentin des Spiegel über Putin: „Der große Täuscher
Das nächste Ziel der Briten war es nun, auch andere Länder zur Ausweisung von russischen Diplomaten zu bewegen. Zu diesem Zweck wurden Pressebriefings abgehalten. In Moskau lud die britische Botschaft Journalisten ein und präsentierte die britische Sicht der Dinge in einer Präsentation bestehend aus sechs Seiten, inklusive Coverseite. Diese Präsentation würde in keiner zehnten Schulklasse zu einer genügenden Schulnote ausreichen, war aber für die Briten anscheinend sehr überzeugend. Es lohnt sich, darauf näher einzugehen, weil die Folgen gravierend waren.

Auf der zweiten Seite ging es unter der Überschrift „Eine neue Phase der russischen Aggression“ um Nowitschok selbst. Zunächst heißt es, dass Nowitschok vom britischen Labor identifiziert wurde, im zweiten Punkt, dass Nowitschok „nur“ von der Sowjetunion entwickelt worden ist, was suggeriert, dass kein anderes Land dieses Gift besitzen kann. Dass es von der Sowjetunion entwickelt wurde, stimmt freilich, nur wird hier die wichtige Information weggelassen, dass dieses Gift nach 1992 auch von vielen westlichen Geheimdiensten hergestellt worden ist, was der Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht bekannt war. Dann wurde darauf hingewiesen, dass der Einsatz gegen das Verbot vom Einsatz von Chemiewaffen verstoße und dass es der erste Giftgaseinsatz seit dem Krieg in Europa war. Anschließend heißt es „Wir haben keinen Zweifel, dass Russland verantwortlich ist. Kein Land außer Russland hat die Kombination von Fähigkeit, Absicht und Motiv. Es gibt keine andere plausible Erklärung.“ Und am Ende noch ein Zitat von Premierministerin May, in dem sie es als „höchstwahrscheinlich“ bezeichnet, dass Russland verantwortlich ist.

Auf Seite drei gibt es ein paar Informationen über die Wirkungsweise von Nowitschok und Informationen über die Betroffenen und die Anzahl der in den Fall involvierten Personen. Jedoch keinerlei Erklärung, warum es vom Kontakt mit einem hochwirksamen militärischen Nervengift bis zu den ersten Symptomen über zwei Stunden gedauert hat.
Auf Seite vier geht es schon nicht mehr um den Vorfall selbst, sondern um „die lange Spur der bösartigen russischen Aktivitäten“. Interessant wird es, wenn man sich diese „lange Spur“ einmal Punkt für Punkt ansieht.
Das erste ist die Vergiftung von Alexander Litvinenko in England, wobei verschwiegen wird, dass es hier bis heute keine endgültige Aufklärung gibt. Vielmehr haben wir – genau wie Fall Skripal – nichts außer den Beschuldigungen der Briten.
Dann geht es um einen Hackerangriff aus dem Jahr 2007 auf das Internet im Baltikum, wo ebenfalls nicht klar ist, wer dahinter steckt.
Für August 2008 wird Russland die „Invasion Georgiens“ vorgeworfen. Dies wird Russland auch von den Medien bis heute immer wieder vorgehalten. Völlig ignoriert wird der Bericht des Europarates. Dort wurde festgestellt, dass der Angriff von Georgien ausging, Georgien eine Nacht lang Wohngebiete mit Artillerie beschossen hat und erst am nächsten Tag russische Truppen auftauchten, die die Georgier zurückwarfen. Um eine Wiederholung eines solchen Vorfalls zu vermeiden, haben russische Truppen danach für kurze Zeit Teile Georgiens besetzt, sich jedoch bald wieder komplett zurückgezogen. Diese vorübergehende Besetzung wurde als „unverhältnismäßig“ bezeichnet, Georgiens vorheriger Angriff jedoch als klarer Bruch des Völkerrechts. Trotzdem wird sowohl in den Medien als auch von der Politik bis heute behauptet, Russland wäre der Aggressor gewesen und auch die Briten waren sich nicht zu schade, diese Lüge zu wiederholen, um eine Liste mit Russlands „bösartigen Aktivitäten“ zu fabrizieren.
Unter Februar 2014 kann wurde die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine angeführt. Dass die Destabilisierung der Ukraine durch den vom Westen unterstützten Maidan stattfand und Russland damit nichts zu tun hatte, wird nicht erwähnt. Und dass es sich bei der Krim per Definition nicht um eine Annexion sondern um eine Sezession handelt, wird genauso verschwiegen, wie die Tatsache, dass es völkerrechtlich keineswegs eindeutig ist, ob hier eine Verletzung des Völkerrechts vorliegt.
Für den 17 Juli 2014 wird Russland beschuldigt, den Flug MH17 abgeschossen und 283 Menschen getötet zu haben. Auch hier wird verschwiegen, dass trotz anders lautender Medienberichte, bis heute unklar ist, wer dafür verantwortlich ist.
Für 2015 bis 2016 wird Russland die berühmte Einmischung in die US-Wahlen vorgeworfen, auch hier sind bis heute keine Belege vorgelegt worden, es gibt nur Anschuldigungen. Gleiches gilt für die anderen erwähnten angeblichen Hackerangriffe auf Dänemark und den Bundestag, wo z.B. der BND ganz klar sagte, dass es keine Hinweise in Richtung Russland gibt.
Für 2016 werden noch die „Lisa Kampagne“ und ein Putschversuch in Montenegro angeführt, ebenfalls sehr zweifelhafte Anschuldigungen gegen Russland.
Im letzten Slide geht es also nur noch um die Maßnahmen, die Großbritannien nun treffen möchte.
In dieser Präsentation gab es also keine objektiven Fakten, die auf Russland zeigen. Stattdessen Aussagen der Premierministerin und eine Menge Lügen zu Russlands „bösartigen Aktivitäten“ Russlands, von denen nichts übrig bleibt, wenn man sie analysiert.
Außerdem veröffentlichte das britische Außenministerium am 22. März einen Tweet, der behauptete, dass das britische Chemiewaffenlabor nun eindeutig nachgewiesen hätte, dass das verwendete Nervengift aus russischer Produktion stammte. Dieser Tweet wurde am 4. April wieder gelöscht, weil die eben dieses Chemiewaffenlabor dem widerpsrach und mitteilte, dass die Herkunft des Giftes nicht geklärt werden konnte.
Diese Blamage wurde im Spiegel mit folgender Überschrift heruntergespielt: „Britisches Außenministerium soll Tweet über angeblichen Gift-Beweis gelöscht haben“ Im Artikel konnte man lesen: „Die russische Botschaft in London berichtete zudem, dass das britische Außenministerium einen Tweet vom 22. März inzwischen gelöscht habe. Darin hatte es geheißen, dass Analysen ergeben hätten, das tödliche Gift Nowitschok sei in Russland hergestellt worden. „Warum könnte das Außenministerium den Tweet vom 22. März gelöscht haben?“, fragte die Botschaft auf Twitter
Die klar nachweisbare Tatsache, dass dieser Tweet gelöscht wurde, wurde vom Spiegel so dargestellt, als wäre dies eine Behauptung der russischen Botschaft in London.
Julia Skripal konnte das Krankenhaus am 10 April verlassen, ihr Vater am 18 Mai. Seitdem sind beide verschwunden, sie werden laut den Briten „an einem sicheren Ort“ versteckt. Von Julia Skripal gibt es lediglich eine Erklärung, die im Mai von Reuters veröffentlicht wurde, in der sie mitteilt, es gehe ihr gut und sie wolle keinen Kontakt zu den russischen Behörden haben. Die russische Botschaft fordert aber ein Gespräch mit den Skripals, um sicherzugehen, dass sie nicht gegen ihren Willen festgehalten werden.
Am 12. April veröffentlichte die OPWC eine gekürzte Version ihres Berichts, der nicht viel verwertbares enthielt, die entscheidenden Details wurden als geheim eingestuft und sind nur den Mitgliedsländern der OPWC zugänglich. Grundsätzlich bestätigte die OPWC, dass es sich bei dem Gift um Nowitschok gehandelt habe. Zwei Tage später meldete das russische Außenministerium jedoch Zweifel an und berief sich auf die Details im geheimen Teil des Berichtes. Dort war zu lesen, dass das untersuchende Labor in der Schweiz Spuren des Kampfstoffes BZ gefunden haben. Dieser Wirkstoff passe auch besser zu den bei den Skripals beschriebenen Symptomen und dem Verlauf der gesundheitlichen Folgen.
BZ wirkt mit Verzögerung, nach mindestens einer Stunde, was zu dem Verlauf im Falle der Skripals passt. Die bisher zwei beschriebenen Vorfälle mit Nowitschok zeigen einen anderen Verlauf. 1987 war bei einem Unfall ein Chemiker in einem sowjetischen Labor mit Nowitschok in Kontakt gekommen und die Symptome setzten sofort ein, gleiches galt für einen russischen Banker, auf den 1995 ein Mordanschlag mit Nowitschok verübt wurde.
Die OPWC erklärte am 18. April, dass BZ als Kontrollprobe verwendet worden sei, um die Qualität der Arbeit des Labors zu prüfen und das BZ nichts mit den Skripals zu tun habe, die Russen gaben sich damit nicht zufrieden und forderten erneut, selbst Proben von dem bei den Skripals verwendeten Stoffes für eigene Untersuchungen zu bekommen, was Großbritannien ablehnte.
Die OPWC konnte jedoch keinerlei Hinweise auf die Herkunft des Giftes finden. Vor dem Hintergrund, dass sowohl der BND zugeben musste, schon in den 1990er Jahren Nowitschok besessen zu haben und dass die die Tschechei zugab, Nowitschok 2017 selbst hergestellt zu haben, kann man davon ausgehen, dass auch andere Dienste und Länder über das Gift verfügten. Daher ist die Tatsache, dass die Sowjetunion den Stoff seinerzeit entwickelt hat, zu wenig für eine Anschuldigung gegen Russland. Es wäre wichtig gewesen, wenn die OPWC hätte feststellen können, aus welchem Labor der verwendete Stoff stammt. So aber ist es völlig unklar, wer hinter dem Anschlag steckt. Da es keine Beweise gibt, sollte man sich noch kurz die möglichen Motive ansehen.
Russland stand zu diesem Zeitpunkt in den letzten Wochen des Präsidentschaftswahlkampfes und Putin führte klar. Negative Nachrichten konnte er nicht brauchen, denn sein Sieg war sicher und er hatte mehr zu verlieren als zu gewinnen. Außerdem bereitete sich Russland auf die Fußball-WM vor, die Russland als wichtige Möglichkeit ansah, sein Image, das in den westlichen Medien regelmäßig schlecht gemacht wird, aufzupolieren und den Fußballfans und Fernsehzuschauern zu zeigen, dass Russland anders ist, als es die westlichen Medien darstellen. Auch in diesem Zusammenhang kam der Fall Skripal aus Russlands Sicht zur Unzeit. Hätte Russland ihn tatsächlich töten wollen, hätte es dafür wahrscheinlich einen anderen Zeitpunkt gewählt.
Aber hatte Russland einen Grund, den ehemaligen Doppelagent zu töten? 2004 wurde der damalige russische Geheimdienstoffizier Skripal wegen Spionage für den MI6 festgenommen und 2006 verurteilt. 2010 wurde er begnadigt und gegen andere Agenten ausgetauscht. Seit dem lebte er in England. Wenn er noch wichtige Staatsgeheimnisse der Russen gekannt hätte, die er noch nicht verraten hatte, hätte Russland ihn nicht ausgetauscht. Hätte Russland ihn bestrafen oder ein Exempel statuieren wollen, hätte man dies schon ab 2004 bis 2010 machen können. Aus russischer Sicht ist kein Motiv erkennbar, einen ehemaligen Doppelagenten 14 Jahre nach seiner Festnahme und 8 Jahre nach seinem Austausch zu töten. Russland hatte nichts zu gewinnen, aber lief Gefahr, einen weiteren Imageverlust zu erleiden.
Aber wer könnte ein Motiv gehabt haben? Wenn man das Ergebnis sieht, nämlich eine im Westen erfolgreiche anti-russische Medienkampagne, dann war Skripal vielleicht nur ein „zufälliges“ Opfer. Es hätte auch jeden anderen treffen können, um eine solche Kampagne loszutreten. Und wenn man sieht, dass die westlichen Politiker und Medien es mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmen, wenn man Russland diskreditieren will, dann könnte dies ein Motiv sein. Ich erinnere nur an die Präsentation der Briten und an die auf Seite vier genannten „bösartigen russischen Aktivitäten“, die samt und sonders erlogen sind, wenn man sie überprüft. Nun wurde eben eine weitere hinzugefügt.
Wer wissen möchte, wer dahinter stecken könnte, muss sich also nur fragen, wer von einem schlechten Verhältnis des Westens zu Russland profitiert und wer daran interessiert ist, Russlands Image in der Welt zu schädigen. Dann gibt es eine ganze Liste möglicher Verantwortlicher. Und in dieser Liste, die jeder für sich selbst erstellen kann, finden sich auch genug potenzielle Verantwortliche mit Zugang zu Geheimdiensten, die über Nowitschok oder andere Stoffe verfügen.
Natürlich kann man auch die russische Täterschaft nicht ausschließen, weil einfach keine belastbaren Informationen vorliegen. Aber es spricht mehr gegen eine russische Täterschaft, als dafür.
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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