Wie Russland über den Rückzug der USA aus der WHO denkt
Ich wurde in Mails und Kommentaren immer wieder gefragt, wie in Russland über Trumps Kritik an und den Zahlungsstopp für die WHO berichtet wird. Daher will ich das aufzeigen.
Am Sonntag hat das russische Fernsehen in der Sendung „Nachrichten der Woche“ dazu einen ausführlichen Bericht gebracht, den ich daher ohne lange Einleitung übersetzen werde.
Beginn der Übersetzung:
Die Vereinigten Staaten ziehen sich aus der Weltgesundheitsorganisation zurück und geben ihr keinen Cent mehr. Das geht aus dem von Präsident Trump angekündigten Ultimatum an den Äthiopier Tedros Ghebreyesus, den WHO-Chef, hervor. Trump gibt der Organisation spöttisch 30 Tage Zeit für Reformen, aber der Ausstieg wurde bereits angekündigt.
Trumps Hauptvorwurf: Die WHO habe die Welt nicht rechtzeitig vor der Pandemie gewarnt, die Amerika Zehntausende Menschenleben gekostet hat. Das Ultimatum endet mit der Trumpschen Unverblümtheit: „Ich kann nicht zulassen, dass amerikanische Steuerzahler weiterhin eine Organisation finanzieren, die in ihrem gegenwärtigen Zustand so eindeutig nicht Amerikas Interessen dient.“
Trumps zweiter Vorwurf gegen die WHO lautet, dass die Organisation zu viel Vertrauen in China und dessen Einschätzungen des Ausmaßes der Bedrohung hat. Dabei wäre Amerika in die Irre geführt worden. (Anm. d. Übers.: Diese These hat der Spiegel in einer der schwächsten Titelgeschichten seiner Geschichte auch gegenüber seinen Lesern verbreitet)
Fairerweise muss man sagen, dass die WHO zunächst Informationen aus China verwendet hat, als die Situation rund um das Coronavirus noch sehr unklar war. Für alle war das eine neue Herausforderung, deren Ausmaß nicht vorhersehbar war. Aber Trump lügt, wenn er seine eigenen verspäteten Schritte zur Bekämpfung der Epidemie in den USA mit Verzögerungen der Weltgesundheitsorganisation in Verbindung bringt.
Erinnern wir uns an die Chronologie. Am 30. Januar erklärte die WHO den Ausbruch des Coronavirus in China zu einem „öffentlichen Gesundheitsnotstand von internationaler Bedeutung“. Es scheint, danach hätte man vorsichtig sein müssen. Genau an diesem Tag – dem 30. Januar – schließt Russland die Grenze zu China. Trump hat es nicht eilig, erst drei Tage später – am 2. Februar – verhängt er ein Flugverbot mit China. Und dann wurde er munter und sagte, dass in den USA alles unter Kontrolle sei. Hier ist sein Tweet vom 9. März, als in den USA schon 546 Infektionen und 22 Todesfälle gemeldet wurden: „Letztes Jahr starben 37.000 Amerikaner an der normalen Grippe. Das sind durchschnittlich zwischen 27.000 und 70.000 Opfer pro Jahr. Nichts wird geschlossen, das Leben und die Wirtschaft gehen weiter.“
Am 10. März schrieb Roberto Burioni, Professor für Mikrobiologie und Virologie in Italien, an Trump und warnte den US-Präsidenten: „Herr Präsident, wenn die Amerikaner zumindest eine gewisse Immunität gegen die saisonale Grippe haben, gibt es keine Immunität gegen dieses neue Coronavirus. Das Virus ist gefährlich, es verbreitet sich sehr schnell, ich denke, dass es ein fataler Fehler wäre, diese Infektionskrankheit zu unterschätzen.“
Es ist klar, dass die Warnung des Professors aus Mailand nicht das einzige Signal war, das Trump erhalten hat. Schließlich hat er einen ganzen Haufen Geheimdienste, die den US-Präsidenten vor Bedrohungen warnen müssen. Sie haben ihn wahrscheinlich gewarnt, aber Trump, so sollen wir glauben, war diszipliniert und hat auf ein Signal der Weltgesundheitsorganisation gewartet. Es ist nicht gerade typisch für Trump, auf internationale Organisationen zu hören, nicht wahr?
Am 11. März erklärt die WHO den Coronavirus zur globalen Pandemie. Und erst da verhängte Trump ein Flugverbot zur Europäischen Union, aber aus irgendeinem Grund fanden Flüge von Großbritannien in die Vereinigten Staaten weiterhin statt. Und innerhalb Amerikas gab es keine Beschränkungen. Der Notfall-Modus begann erst am 13. März, aber da wurde nur die Arbeit der Ärzte geregelt. Keine Selbstisolierung. Erst eine Woche, nachdem die Weltgesundheitsorganisation die Coronavirus-Pandemie erklärt hatte, forderte Trump die Amerikaner am 17. März in einer Pressekonferenz auf, so weit wie möglich zu Hause zu bleiben und von zu Hause aus zu arbeiten.
Wirkliche Beschränkungen traten in den Staaten noch später in Kraft. Der erste war der Staat New York: das Selbstisolationsregime galt ab dem 22. März, als es bereits Tausende von Infizierten und mehr als 500 Tote gab. Trump hat auf die Weltgesundheitsorganisation gespuckt. Amerika lebte unter seiner Führung in Zeiten des Coronavirus sein Leben im gewohnten Rhythmus, als ob nichts geschehen wäre. Und die Entscheidungen im Weißen Haus wurden sicher ohne Rücksicht auf die WHO getroffen – so spät, dass die Kontrolle über die Epidemie verloren ging. Im Kampf gegen das Virus zeigen die Vereinigten Staaten das schlechteste Ergebnis der Welt, und Trump selbst spürt zu Recht dass das eine Schwachstelle bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im November ist. Deshalb versucht er, die Schuld auf andere – China und die Weltgesundheitsorganisation – abzuwälzen, indem er der WHO ein Ultimatum stellt, auszutreten und die Finanzierung zu streichen.
Gleichzeitig arbeiten Russland und die Europäische Union im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation zusammen.
„Jetzt ist es wichtiger denn je, solidarisch zu sein. Dies ist nicht der Zeitpunkt, irgendjemandem die Schuld zu geben oder die internationale Zusammenarbeit zu untergraben: Die EU unterstützt die WHO in ihren Bemühungen, die Pandemie zu bekämpfen und hat bereits Mittel bereitgestellt, um diese Bemühungen zu unterstützen“, sagte ein Sprecher der Europäischen Kommission.
Für Russland wiederum äußerte auch Außenminister Sergej Lawrow Zweifel an der Rechtmäßigkeit des amerikanischen Ultimatums: „Ich bin sicher, dass die WHO, wie jede andere Struktur, verbessert werden muss. Aber das kann nicht in einem einmaligen Akt geschehen, der alle Probleme in 30 Tagen lösen oder alle Schwierigkeiten in 30 Tagen aufzeigen kann, und auch alle Wege, sie zu überwinden“, sagte Lawrow.
Am Montag und Dienstag hielt die Weltgesundheitsorganisation ihre wichtigste jährliche Veranstaltung, die Weltgesundheitsversammlung, ab. Sie fand vor dem Hintergrund des erbitterten Streits zwischen den USA und China statt. Während die Vereinigten Staaten der WHO feindlich gegenüberstand, ergriff Peking spektakulär die Initiative. Die Rede des chinesischen Staatschefs Xi Jinping bei der Veranstaltung war sensationell.
„Wir haben offen und verantwortungsbewusst gehandelt. Wir haben Informationen auf die am besten geeignete Weise an die WHO und andere Länder weitergegeben: Wir haben die Sequenz des Virusgenoms so schnell wie möglich weitergegeben, wir haben mit der Welt Maßnahmen zur Eindämmung und Behandlung geteilt, wir haben alles in unserer Macht Stehende getan, um hilfsbedürftige Länder zu unterstützen. Peking wird innerhalb von zwei Jahren 2 Milliarden Dollar ausgeben, um sowohl COVID-19 zu bekämpfen, als auch um den vom Virus betroffenen Ländern, insbesondere Entwicklungsländern, wirtschaftlich zu helfen“, sagte der Chef der Volksrepublik China. Zum besseren Verständnis: 2 Milliarden Dollar in zwei Jahren aus China sind zweieinhalb Mal so viel, wie die USA in der gleichen Zeit an die WHO gezahlt hätten. Das sind die nackten Zahlen.
Die jährliche WHO-Sitzung endete damit, dass Australien vorschlug, die Herkunft des Coronavirus unparteiisch zu untersuchen. Die USA und China unterstützten die Resolution nicht. Russland und die EU gehörten zu den 120 Ländern, die dafür stimmten.
Wenn wir über das Schicksal der Weltgesundheitsorganisation sprechen, dann gibt es noch keine bessere Alternative zu ihr. Die Organisation wurde 1948 nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und trug beispielsweise zum vollständigen Sieg über die Pocken bei, hat effektiv gegen Polio und Tuberkulose gekämpft. Die internationale Klassifikation von Krankheiten ist auch ein Verdienst der WHO, ebenso wie ein einheitliches Arzneimittelregister.
Die Empfehlungen der WHO sind nicht für alle angenehm, aber diese internationale Organisation ist nicht dazu da, jemandem eine oberflächliche, persönliche Freude zu machen.
Ende der Übersetzung
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