Subtile Meinungsmache im Spiegel: Wie einzelne Formulierungen den Leser unterbewusst beeinflussen

Der Vorfall von Kertsch zeigt wieder anschaulich, mit welchen zum Teil subtilen Methoden die deutsche Presse die Meinung in Deutschland zu beeinflussen versucht. Wie üblich zeige ich dies am Beispiel eines Spiegel-Artikels auf, den die Moskau-Korrespondentin Christina Hebel geschrieben hat. Und wenn sie schreibt, dann weiß man eigentlich schon im Voraus, was man zu erwarten hat: Nämlich einen anti-russischen Artikel, der es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt.
 
Oberflächlich kommt einem der Artikel von Frau Hebel tatsächlich recht objektiv vor. Zunächst schreibt sie davon, wie Russland versucht, die ukrainischen Häfen am Asowschen Meer wirtschaftlich zu strangulieren, was einer genaueren Überprüfung jedoch nicht stand hält.
 
Russland hat eine Brücke zwischen dem Festland und der Krim gebaut, diese soll angeblich die Häfen vom Schiffsverkehr abschneiden.
 
Behaupten kann man viel, nur ist eben kein Fall bekannt, dass Russland tatsächlich irgendeinem Schiff die Passage verwehrt hätte. Aber in blumigen Worten klingt es in dem Artikel sogar überzeugend.
 
Nebenbei wird in dem Artikel dann erwähnt: „Kiew kann Russlands Dominanz nicht viel entgegensetzen, außer dass es ein russisches Fischerboot festsetzte und versuchte, Kriegsschiffe in das Gebiet zu senden. Einmal gelang der ukrainischen Marine dies. Nun, beim zweiten Mal, kam es zur Konfrontation mit den Russen.
 
Über das Fischerboot wurde in Deutschland nicht berichtet, daher weiß der Leser dies nicht einzuordnen. Die Ukraine hatte ein russisches Fischerboot von der Krim gekapert und in einen ukrainischen Hafen geschleppt und die Besatzung ins Gefängnis gesteckt. Anklage: Eine angebliche Grenzverletzung. Nach monatelangem Hin und Her wurden Besatzung und Schiff schließlich wieder frei gegeben.
 
Und auch die Formulierung zu den Kriegsschiffen ist irreführend: „Einmal gelang der ukrainischen Marine dies“. Das klingt nach einem furchtbar schwierigen Vorgang, jedoch hatte die Ukraine gemäß geltendem Vertrag die Passage der Kriegsschiffe angemeldet und sie durften problemlos passieren. Also ein recht unspektakulärer Vorgang.
 
Dann kommt ein tatsächlich wichtiger und wahrer Teil in diesem Artikel: „Warum hat die Ukraine die russische Seite nicht informiert? War es eine bewusste Provokation, wie es in Moskau heißt? Das ist schwer zu sagen, offiziell steht Aussage gegen Aussage: Kiew sagt, es habe Russland die Verlegung angekündigt. Moskau widerspricht dieser Darstellung und gibt an, dass die ukrainischen Schiffe in ihr Hoheitsgebiet eingedrungen seien und man sie gewarnt habe. Dem widerspricht wiederum Kiew
 
Das ist tatsächlich objektiv der Stand der Dinge. Aber im Spiegel muss man es trotzdem so drehen, dass Russland irgendwie doch Schuld ist oder zumindest davon profitiert: „Auch wenn die Empörung auf beiden Seiten nun groß ist – von der Eskalation können letztendlich beide Präsidenten innenpolitisch profitieren
 
Warum Putin laut Frau Hebel im Spiegel davon profitieren würde, erklärt sie so: „Die russischen Staatsmedien haben nach Wochen relativer Ruhe endlich wieder ein dankbares Thema, das von den sinkenden Umfragewerten des Präsidenten nach der unbeliebten Rentenreform ablenkt. Putins Zustimmung lag zuletzt bei 56 Prozent und damit unter den Werten von Februar 2014, bevor Russland die Krim annektierte, offiziell ist vom „Anschluss“ der Halbinsel die Rede
 
Nun stimmt es zwar, dass Putins Umfragewerte gesunken sind, aber 56% ist noch immer ein Wert, um den ihn fast alle Staatschefs der Welt beneiden dürften, von daher hat Putin damit keine Not. Subtil und unwahr wird es jedoch, wenn Frau Hebel die „Annexion“ der Krim als „Anschluss“ bezeichnet und behauptet, dass das in Russland so genannt würde. Das Wort „Anschluss“ ist im Deutschen negativ besetzt, weil es daran erinnert, wie sich Nazi-Deutschland Österreich einverleibt hat und dies „Anschluss“ nannte. Und tatsächlich wird in Russland auch nicht vom „Anschuss“ der Krim gesprochen, sondern von der „Vereinigung“ oder „Wiedervereinigung“ mit der Krim. Es wird im Russischen exakt das gleiche Wort gebraucht, wie auch für die deutsche Wiedervereinigung. Und dieses Wort ist im Deutschen positiv besetzt. Kann es Zufall sein, dass Frau Hebel hier falsch übersetzt und ein positiv besetztes Wort durch ein negativ besetztes Wort ersetzt?
 
Abgesehen davon, dass die Krim per Definition keine „Annexion“ sondern eine „Sezession“ war, was völkerrechtlich ein großer Unterschied ist, denn Sezessionen sind seit dem Urteil des Internationalen Gerichtshofes zum Kosovo völkerrechtlich ausdrücklich erlaubt. Wer 20 Minuten Lesezeit mitbringt, kann hier eine Chronologie und völkerrechtliche Einordnung der Krim-Frage lesen.
 
Und tatsächlich merkt man dem Artikel an, dass es wohl nicht ganz einfach war, etwas zu konstruieren, das Russland in dieser Angelegenheit schlecht aussehen lassen soll. Zu der Frage, warum der ukrainische Präsident Poroschenko von der Eskalation profitiert, hat Frau Hebel wesentlich mehr geschrieben. Der Kern ist folgender: „Anders als Putin hat Poroschenko die Wahlen noch vor sich, sie sollen am 31. März stattfinden. Poroschenkos Zustimmungswerte sind zuletzt stark gesunken. In Umfragen liegt der Staatschef (Wahlslogan: „Armee, Sprache, Glauben“) gerade einmal auf Platz zwei oder drei hinter seiner führenden Konkurrentin Julija Timoschenko.
 
Nun ist es tatsächlich so, dass die Ukraine unter Maidan-Regierung völlig verarmt ist und Poroschenko nicht auf „Platz zwei oder drei“ steht, sondern unter ferner liefen mit weniger als zehn Prozent Zustimmung. Das bedeutet, dass Poroschenko bei der Wahl chancenlos ist, wenn kein Wunder passiert. Und dieses Wunder versucht er nun durch eine Verschärfung der Situation zu erreichen. Denn egal, wie man es dreht und wendet: Es waren ukrainische Schiffe, die die russischen Hoheitsgewässer verletzt haben, nicht umgekehrt. Das gestern ausgerufene Kriegsrecht gibt Poroschenko übrigens sogar das Recht, die Wahlen abzusagen. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.
 
Ich werde heute noch einen ausführlichen Hintergrundbericht zu dem Vorfall von Kertsch schreiben. Nachtrag: Diese Analyse finden Sie hier.
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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